»Auf ein Wort, Messèr Ferroni!«
Joran trat aus dem Laden eines Geldwechslers auf die Piazza San Giacomo, als ihn der Ruf erreichte. Er wandte sich um und entdeckte Laura, die in Begleitung ihres Mohren auf ihn zukam. Das passte ihm gar nicht. Hatte sie gehört, dass er in den letzten Tagen eine größere Menge Goldmünzen umgetauscht hatte? Er war zwar sehr vorsichtig gewesen, was die jeweils umgetauschten Mengen betraf, aber Gerüchte durcheilten Venedig schneller als die Kuriere des Dogen.
»Messèr Ferroni! Seid mir gegrüßt«, sagte Laura atemlos. »Welch passender Zufall, dass ich Euch hier treffe. Habt Ihr einen Augenblick Zeit für mich?«
»Sicher«, sagte er, obwohl das nicht stimmte. In seinem Beutel steckte eine Nachricht mit dem Siegel der Contarini, die ein Laufbursche Pisanis ihm übergeben hatte und er hatte das dringende Bedürfnis zu erfahren, was Helena wohl von ihm wollen konnte.
Joran setzte ein falsches Lächeln auf. »Womit kann ich Euch zu Diensten sein? Geht es um Geschäfte?«
»Ja, in der Tat. Die Schönheitssalbe, die Ihr mir vor einigen Tagen freundlicherweise überlassen habt - nun, ich brauche mehr davon.«
Joran zog die Augenbrauen hoch. »Wie viel mehr?«
»Ich dachte für den Anfang an zehn Tiegel.«
Joran rechnete blitzschnell nach. »Zehn Tiegel? Das wird nicht billig.«
»Das dachte ich mir schon«, gab sie gelassen zurück. Nach einem schnellen Blick rundum neigte sie sich näher zu ihm und raunte: »Ich hab das Zeug einigen meiner Mädchen zum Probieren überlassen. Unsere hm ... Gäste waren begeistert. Nun muss ich die Salbe für alle beschaffen, sonst habe ich bald einen Aufstand im Haus.«
Das entlockte Joran ein flüchtiges Grinsen. »Ich werde sehen, was ich für dich tun kann, cara mia. Ich melde mich bei dir.«
»Du weiß ja, wo du mich findest«, sagte sie, wandte sich um und humpelte davon.
Joran setzte seinen Weg ebenfalls fort. Er erreichte die Ca´Ferroni und betrat das Haus durch den landseitigen Eingang. Einen Moment überlegte er, wohin er sich zurückziehen konnte, um die Botschaft ungestört zu lesen. Ohnehin hatte er sich noch nicht daran gewöhnt, ständig über irgendwelche Dienstboten zu stolpern, die beim kleinsten Wink seiner Hand herbeieilten, um ihm zu Diensten zu sein. Schließlich setzte er sich in den verwilderten Garten an der Westseite des Hauses und riss ungeduldig die Hülle auf. Der Brief war in Helenas ordentlicher Handschrift verfasst, aber das hatte er erwartet. Die Nachricht darin war kurz und bestand hauptsächlich aus der Bitte, die Ca´Contarini aufzusuchen, da sie ihm einen Vorschlag zu unterbreiten habe. Nun, das passte ausgezeichnet zu seinen Plänen und er beschloss, sich sofort auf den Weg zu machen.
Wenig später vertäute er sein Boot vor dem Wassertor der Ca´Contarini. Er stieg die Stufen zum Eingang hinauf, doch bevor er an das Tor klopfen konnte, wurde dieses von innen geöffnet.
»Joran?«, fragte Gabriele Contarini verwundert. »Ich wusste gar nicht, dass Ihr wieder in der Stadt seid.«
»Das bin ich auch noch nicht lange«, erwiderte Joran. »Darf ich reinkommen?«
»Bitte.« Gabriele führte ihn in eines der kleineren Schreibzimmer neben dem Kontor. »Ein Glas Wein?« Ohne Jorans Antwort abzuwarten, schenkte er zwei Gläser voll und reichte Joran eines davon. »Was führt Euch her, Joran? Geschäfte?«
»In der Tat. Ich bin hier, um Signorina Helena eine Bestellung zu übergeben.«
Gabriele stellte sein Glas zur Seite, lehnte sich an die Tischkante und sah ihn nachdenklich an. »Wenn es darum geht, einen Handel abzuschließen, kann ich Euch ebenso gut zu Diensten sein.«
»Hm. Ich weiß nicht«, sagte Joran. »Handelt Ihr inzwischen ebenfalls mit Schönheitssalbe?«
Gabriele richtete sich kerzengerade auf. »Wie bitte? Seid Ihr tatsächlich hier, um dieses Zeug zu kaufen?«
»Ja«, erwiderte Joran belustigt. »In der Tat.«
»Wozu, wenn ich fragen darf? Was fängt ein Mann wie Ihr mit diesem Frauenzeug an?«
»Bestechungsgeschenke für gewisse ... Damen«, erwiderte Joran mit unbewegter Miene, obwohl es ihn einige Mühe kostete, erst zu bleiben. Gabrieles Gesichtsausdruck war einfach zu köstlich.
»Da brat mir doch einer einen Storch«, brummte Gabriele. »Dieses Zeug verfolgt mich noch bis in den Schlaf.«
Joran gelang es nicht ganz, seine Überraschung zu verbergen. »Gibt es ein Problem mit der Salbe?«
Gabriele fuhr sich mit beiden Händen durch die braunen Haare. »Das Problem«, setzte er an, »ist die Tatsache, dass Helena diese Salbe verkauft. Die unverheiratete Tochter eines angesehenen Patriziers. Und zu allem Übel macht sie auch noch Gewinne damit.«
»Seltsam. Ich habe noch nie einen Kaufmann getroffen, der sich über Gewinne beschwert.«
Gabriele gab einen Laut von sich, der verdächtig nach einem Seufzer klang. »Für eine junge Frau, die das heiratsfähige Alter schon lange erreicht hat, ist dieser Handel eine höchst unpassende Beschäftigung.«
»Sagt wer?«, fragte Joran.
Gabriele sah ihn ungläubig an. »Würdet Ihr Eurer Ehefrau erlauben, ein eigenes Handelshaus zu leiten? Mit Handwerkern und Bauern zu verhandeln, die Bücher zu führen, Geldgeschäfte zu tätigen und mit der Hälfte der bekannten Welt zu korrespondieren? Hm? Würdet Ihr das?«
Joran dachte eine Weile darüber nach, hob dann aber nur die Schultern. »Mit der Frage habe ich mich noch nie beschäftigt. Aber warum eigentlich nicht? Irgendjemand muss schließlich die Arbeit in der heimischen Schreibstube erledigen.«
»Irgendjemand, richtig. Aber nicht Helena. Mit ihrer Sturheit macht sie ihre Chancen auf eine standesgemäße Heirat zunichte. Keiner der jungen Männer, die wir ihr ans Herz gelegt haben, hat bisher Anstalten gemacht, um ihre Hand anzuhalten. Lange kann das nicht mehr so weitergehen.«
Joran unterdrückte ein Seufzen. Natürlich hatte er gewusst, dass Helena an diesen Punkt gelangen würde. Doch tief in seinem Inneren hatte er den Gedanken verdrängt und so erwischte ihn das Gefühl, etwas Wertvolles zu verlieren, völlig unvorbereitet. Sein Mund war plötzlich wie ausgetrocknet und er trank hastig einen Schluck Wein.
»Was ... was sagt denn Signorina Helena selbst zu Euren Heiratsplänen?«, fragte er vorsichtig.
»Oh, sie ist einer Ehe keineswegs abgeneigt«, erklärte Gabriele. »Allerdings droht sie, nur einen Mann zu nehmen, der nichts gegen ihre Geschäfte hat. Könnt Ihr Euch das vorstellen?«
Joran nickte. Das Nicken fühlte sich seltsam hölzern an, so als wäre er eine Marionette. Er wusste, Helenas Traum war noch schwerer durchzusetzen als der seine, denn sie war die Tochter eines reichen Mannes und es war gesellschaftlich nicht akzeptabel, dass sie ihr eigenes Geld verdiente. »Was habt Ihr nun vor, Gabriele? Ihr könnt sie nicht zwingen.«
»Täuscht Euch da mal nicht, Joran. Ich könnte es durchaus. Auch wenn es mir von Herzen widerstrebt. Doch ich erwarte, dass es mir leichter gelingen wird, ihr die Grillen auszutreiben, wenn sie sie mit ihrem Geschäft Schiffbruch erlitten hat. Kauft also besser nicht zu viel von ihrer Salbe.«
Das werden wir ja sehen, dachte Joran. Gewöhn dich am besten schon mal an den Gedanken einer Niederlage, Gabriele Contarini.
»Nun, dann wünsche ich Euch viel Erfolg«, sagte er und wandte sich zur Tür. »Danke für den Wein.«
Joran begab sich auf die Suche nach Helena. Die Glocken hatten eben erst zur Terz gerufen, doch im Kontor war schon die Hölle los. Um den großen Tisch im Lager herum standen Schreiber, Händler und zwei von Florimonds Kapitänen und diskutierten lautstark über die Zukunft des Levantehandels. Helena stand ein wenig abseits und lauschte interessiert. In der Hand hielt sie ein Wachstafelbuch, auf dem sie sich von Zeit zu Zeit etwas notierte. Sie war so in ihre Tätigkeit vertieft, dass sie ihn nicht bemerkte und Joran verharrte auf der Schwelle, um sie unauffällig zu beobachten. Sie trug ein einfaches Unterkleid mit eng anliegenden Ärmeln in einem warmen rostrot und darüber ein helleres Übergewand mit floralem Muster, dessen Rock nicht geschlossen war und das Unterkleid sehen ließ. Ihre Haare hatte sie in einem Zopf gebändigt, aus dem einige Löckchen entkommen waren, die nun ihr Gesicht umspielten. Weder ihre Haarfarbe, noch ihre Gesichtsform entsprachen dem gängigen Schönheitsideal, doch als sie den Kopf wandte, ihn entdeckte und ihm ihr bezauberndes Lächeln schenkte, vergaß er alles, was er gerade gedacht hatte. Das Licht der Lampe schimmerte in ihrem dunkelbraunen Haar, und ihre Augen schienen zu funkeln. Sie war unfassbar schön. Joran konnte sich nicht vorstellen, dass er sie noch bis vor Kurzem weniger als hinreißend gefunden hatte.
»Messèr Ferroni. Wie schön, dass Ihr Zeit erübrigen konntet. Tretet doch ein!«
Sie hob die Hand, und er nahm sie unwillkürlich, führte sie beinahe an seine Lippen, bis ihm auffiel, was er tat. Großer Gott, wie oft hatte er in den letzten Tagen daran gedacht, genau das zu tun ... Aber dieses Mal wollte er sich nicht mit der Vorstellung begnügen. Er führte Helenas Hand an seinen Mund und strich leicht mit den Lippen über ihre zarten Fingerknöchel.
Er hörte, wie sie einatmete. Und als er aufsah, erkannte er, dass ihr Lächeln verschwunden war. Ihre goldbraunen Augen wirkten noch größer als sonst. Langsam, doch unmissverständlich zog sie ihre Hand zurück.
Joran stand da wie ein Tölpel. Gebannt starrte er in diese Augen, die wie ein fein geschliffener Topas leuchteten. Ihr Blick glitt zu seinen Lippen und an ihm vorbei zu den Männern am Tisch.
Joran hörte nur, dass die Stimmen merklich leiser geworden waren, und wusste, dass die Männer zu ihnen herübersahen.
»Ich hoffe, Ihr haltet mich nicht für vermessen, weil ich Euch hierher gebeten habe«, bemerkte Helena, ihre Stimme klang kühl und beherrscht.
»Ich wollte Euch ohnehin aufsuchen«, gab er zu. »Es war also keine zusätzliche Mühe. In welcher Angelegenheit kann ich Euch dienen?«
Helena atmete tief durch. »Ich habe ein etwas kniffliges Anliegen an Euch«, sagte sie.
»An mich? Seid Ihr sicher, dass es weise ist, ausgerechnet mich um Hilfe zu bitten?«
Helena schloss ihr Wachstafelbuch und hielt es mit verschränkten Armen vor ihrer Brust wie ein Bollwerk. »Leider fehlt es mir an Optionen, sonst würde ich Euch nicht behelligen.«
»Jetzt habt Ihr meine volle Aufmerksamkeit.«
Sie drehte sich um und warf einen Blick zum Tisch hinüber, wo die Männer wieder lautstark diskutierten. Bei der Bewegung streifte sie Joran am Arm. Sie lächelte entschuldigend und trat einen Schritt zur Seite. Doch als es wieder geschah, wurde Joran klar, dass es kein Versehen war. Sein Puls beschleunigte sich.
»Sprecht Ihr vielleicht zufällig Griechisch, Joran?«, fragte sie leise.
Er nickte.
»Dann lasst uns in dieser Sprache weiterreden«, bat sie. »Es ist besser, niemand bekommt mit, was ich vorzuschlagen habe.«
Er hob eine Augenbraue. »So schlimm?«
Ein kleines Lächeln verzog ihren Mundwinkel für einen Moment nach oben, und es brachte ihn um ein Haar aus der Fassung, dieses Lächeln. »Ein Sakrileg, wenn es nach den Maßstäben meines Bruders geht.«
Er trat einen Schritt auf sie zu, ohne es wirklich zu merken. »Soll ich ihn ein wenig leiden lassen, bevor Ihr ihn in den Bankrott treibt?«, bemerkte er trocken. »Das würde mir gefallen.«
Sie zog einen Schmollmund. »Ihr macht Euch lustig über mich.«
»Oh nein, keineswegs. Ich hatte nur gerade das zweifelhafte Vergnügen, einer von Gabrieles Tiraden über Euer Geschäft zu lauschen.«
Helenas Augen verengten sich einen Moment. Das war alles, was ihren Unmut verriet. Ihre Stimme blieb ebenso gelassen, wie ihre Miene. »Teilt Ihr seine Meinung?«
»Ja und nein«, antwortete er bedächtig. »Niemand kann Euch das Recht absprechen, Euren Traum zu verteidigen. Allerdings muss ich Eurem Bruder zustimmen, wenn er sich Sorgen um Eure Zukunft macht. Ohne Ehemann werdet Ihr es in der Tat schwer haben.«
»Stoßt nur ins gleiche Horn, wie meine Familie«, fuhr sie auf, eine Spur zu laut.
»Ich bin nicht sicher, ob ich das tue«, entgegnete Joran gedämpft, aber scharf. »Es erschreckt mich nur manchmal, zu welchen Opfern Ihr bereit seid, um Euren Handel zu bekommen.«
Sie legte das Wachstafelbuch zur Seite, hob mit einem entwaffnenden Lächeln die Schultern und sah ihm treuherzig in die Augen. »Alles ist erlaubt im Krieg und im Geschäft, oder?«
Aber Joran war anderer Ansicht. »Das Leben lässt sich nicht immer zurechtbiegen, wie man es sich vorstellt, Helena. Vielleicht solltet Ihr Eure Haltung noch einmal überdenken.«
Ihre Blicke trafen sich. Und erneut wurde er von einer so machtvollen Hitzewelle überwältigt, dass es ihn beinahe umwarf.
Sie nickte höflich. »Ich hätte Euch nicht behelligen dürfen.«
Zur Hölle, was für ein Spiel trieb sie mit ihm?
»Darf ich Euch daran erinnern, dass Ihr mir Euer Anliegen noch gar nicht genannt habt?«, gab er zurück. Verdammt, er klang heiser und ganz und gar nicht wie der unerschütterliche Ash´ abah. Er räusperte sich, befeuchtete sich die trockenen Lippen und merkte, dass Helenas Blick den Bewegungen seiner Zunge folgte. Himmel, war es möglich, dass sie ihn küssen wollte ...?
Sie sah ihn an. Und etwas flammte zwischen ihnen auf, etwas Heißes, Verzehrendes, dass seine Seele versengte und seinen trockenen Mund in eine Wüstenlandschaft verwandelte.
Helena trat einen Schritt zurück und ließ sich gegen das Regal an der Wand sinken. »Stimmt. Aber ich bin gerade zu dem Schluss gekommen, dass die Sache es nicht wert ist, sich dafür zahllosen Unwägbarkeiten auszusetzen.«
»Vorsicht, Helena«, murmelte er. »Du hast mich gerufen, ich bin gekommen und jetzt solltest du deine Bitte auch äußern.«
Sie hob ein klein wenig den Kopf und musterte ihn. »Höre ich Enttäuschung aus Euren Worten?«
»Ja«, gestand er aufrichtig. Sie war so lebhaft, so anders, als die Frauen, die er kannte und er wollte sie in seiner Nähe haben, obwohl er sonst lieber für sich war. Sie sah ihn kurz von der Seite an und zuckte die Achseln. »Ein Versuch kann ja nicht schaden.« Sie stieß sich von der Wand ab und befahl über die Schulter: »Kommt mit. Hier ist nicht der Ort, um zu reden.«
Helena führte Joran durch den Andron an mehreren Lagerräumen vorbei, bis zur Rückseite des Gebäudes. Sie öffnete die Tür zu einer recht bescheiden wirkenden Kammer und ließ ihn eintreten. Immerhin besaß die Kammer ein Fenster, das genügend Licht hereinließ, um die Einrichtung zu erkennen, die aus einigen, mit Kisten gefüllten Regalen und einem Tisch bestand.
Helena ging zu einem Regal, holte eine kleine Truhe heraus und stellte sie auf den Tisch. »Ich habe neue Waren gekauft«, erklärte sie. »Doch weil ich eine Frau bin, erlaubt mein Vater mir nicht, die Märkte der Terraferma zu besuchen. Ohne die Märkte verkaufe ich nicht genug, um meine Kosten zu decken. Folglich brauche ich einen Kommissionär, der mir hilft meine Waren abzusetzen. Diesen Posten wollte ich Euch antragen.«
»Mir? Ich fühle mich geschmeichelt.«
Sie lächelte. Es war ein schönes, zaghaftes Lächeln, das ihm das Herz bis zum Hals schlagen ließ.
»Joran«, sagte sie leise, als bekäme sie zu wenig Luft und könnte nur flüstern, »heißt das, du nimmst an?«
Joran atmete geräuschvoll aus. »Das ist unmöglich, Helena«, erklärte er. »Denk nur einmal über die Konsequenzen nach. Willst du selbst Deinem Bruder die Waffe in die Hand geben, die es ihm erlaubt, dir dein Geschäft zu verbieten?«
Helena schüttelte langsam den Kopf. »Du hast recht. Das hätte ich bedenken sollen. Doch mir ist nicht entgangen, dass meine Brüder dich auf Renis Hochzeitsfeier sehr von oben herab behandelt haben. Ich nahm an, es würde dir Genugtuung bereiten, Gabriele eine lange Nase zu drehen, indem du mir hilfst.«
Der Gedanke hatte etwas Verlockendes. Doch er wagte nicht, sich vorzustellen, was geschehen würde, wenn er sich von der unseligen Verlockung zu sehr in Bann schlagen ließ.
»Wir könnten unsere Geschäfte über Pisani abwickeln«, fuhr sie fort. »Niemand müsste davon erfahren, dass du für mich verkaufst.«
Joran öffnete schon den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn jedoch schnell wieder. Was sollte er sie fragen? Was konnte er Ihr sagen? Bestimmt nicht das, was sie hören wollte. Er lächelte schmal. »Du solltest dich besser von mir fernhalten, Helena.«
Helena wandte sich ihm zu und blickte ihn an. Joran erkannte Neugier und Verlangen in ihrem Blick. Kein Zweifel, sie ließ zu, dass er es sah. Sie würde ihn nicht in seine Schranken weisen, sollte er sich ihr nähern und sie wollte, dass er es wusste.
»Schlag es dir aus dem Kopf, Helena. Ich werde nicht derjenige sein, der dir hilft, dich deiner Familie zu widersetzen.«
Helena blickte zu Boden. »Ich verstehe. Nun denn. Vergesst, was ich gesagt habe.« Abrupt wandte sie sich zur Tür, weil sie unter keinen Umständen riskieren wollte, dass er die Tränen in ihren Augen entdeckte.
»Geht nicht im Zorn, Helena«, sagte er in ihrem Rücken. »Bitte.«
Sie blieb stehen, wandte sich aber nicht wieder um.
Sie hörte ihn einen langen Atemzug tun. »Eure Botschaft war nicht der einzige Grund, der mich hierher geführt hat. Ich bin gekommen, um neue Salbe zu kaufen.«
»Ich brauche keine Almosenkäufe.«
»Zehn Tiegel würde ich nicht gerade als Almosen bezeichnen«, gab er zurück.
Ein paar Herzschläge lang glaubte Helena, sich nicht rühren zu können. Zehn Tiegel waren der Rettungsanker, den sie brauchte, um über die nächsten Monate zu kommen.
Langsam wandte sie sich um. Und dann standen sie da, zwei Schritte voneinander entfernt, und sahen sich an. Helena dachte, dass sie noch niemals in so tiefblaue Augen geblickt hatte. Wann immer sie ihm nahe war, schien sich ihr Herzschlag ein wenig zu beschleunigen, und ein höchst merkwürdiges Gefühl beschlich sie, eine Mischung aus Sehnsucht und Erregung und Schrecken. Sie hätte ihn gerne zum Dank umarmt, doch angesichts seiner grimmigen Miene wagte sie es nicht. Ihn unaufgefordert zu berühren war gefährlich, wusste sie. Diesem Wunsch durfte sie nicht nachgeben, schon gar nicht, wenn sie ihr zerbrechliches Verhältnis nicht gefährden wollte. Sie brach den beunruhigenden Blickkontakt und trat an den Tisch. »Ich weiß nicht, was ich von dieser Bestellung halten soll, Messèr Ferroni. Für mich trägt sie den unangenehmen Beigeschmack falsch verstandener Hilfsbereitschaft.«
Joran stieß ein kurzes, harsches Lachen aus. »Hilfsbereitschaft hat mir tatsächlich noch niemand vorgeworfen. Aber seid unbesorgt. Ich habe mir erlaubt, Eure Salbe einer einflussreichen Dame zu schenken, und die Bestellung ist das Ergebnis davon.«
Sie nickte, zog eine Kiste unter dem Tisch hervor, polsterte sie mit Lumpen und begann, die bestellten Tiegel hineinzulegen. »Wirklich schade, dass Ihr Euch nicht mit mir zusammentun wollt. Gemeinsam könnten wir Großes erreichen.«
Joran schaute sie unverwandt an, eindringlich, als wolle er etwas ergründen. »Welche Waren habt Ihr gekauft?«
»Knöpfe«, sagte sie. »Ich weiß, wie das für Euch aussehen muss. Aber bevor Ihr das Gesicht verzieht, lasst Euch meine Gründe erklären.«
»Ich bin ganz Ohr.«
»Nun, wie Ihr vielleicht weißt, gibt Florenz in Fragen der Kleidermode den Ton an. Eine Freundin schrieb mir, derzeit seien Perlenknöpfe so heiß begehrt, dass die Händler die Nachfrage kaum decken können.«
»Hm«, machte Joran unbestimmt.
»Es geht noch weiter«, fuhr sie fort. »Im Veneto stehen einige wichtige Vermählungen an. Töchter aus noblen Häusern heiraten ebenso noble junge Männer. Da braucht es Gewänder nach der neuesten Mode. Richtig?«
Joran nickte.
»Und wer verkauft ihnen den passenden Tand dazu, hm?«
»Eine überaus vorausschauende venezianische Handelsherrin, nehme ich an.«
»Richtig«, bestätigte sie brüsk. »Eine vorausschauende Handelsherrin, die ihre Waren jedoch nur mit der Hilfe eines Kommissionärs auf den Markt nach Padua bringen kann.«
»Nach Padua? Habt Ihr nichts von den Unruhen gehört? Mein Gewährsmann schreibt, ein Kreuzheer habe die Stadt eingenommen und mehrere Tage lang geplündert.«
»Oh. Ich vermute, man hat mir diese Nachricht bewusst verschwiegen«, murmelte Helena. »Wieder einmal.«
»Dann solltet Ihr vielleicht Euren Mittelsmann wechseln.«
»An dem liegt es sicher nicht«, erwiderte Helena brüsk. »Mein Bruder Gabriele zensiert meine Nachrichten, bevor ich sie lesen darf. Er steht auf dem Standpunkt, Nachrichten über Kriege und Schlechten seinen für das zarte Gemüt einer Frau nicht geeignet.«
»Mir scheint, er kennt Euch nicht besonders gut.«
»Sein Pech. Was haltet Ihr von Verona? Der dortige Markt ist für meine Knöpfe sogar noch besser geeignet.«
»Der kürzeste Weg nach Verona führt immer noch über Padua.«
»Die Stadt lässt sich umgehen«, gab Helena zu bedenken.
Joran zog eine Augenbraue hoch. »Trotzdem bleib es ein gefährliches Unterfangen, Signorina Helena.«
»Und da dachte ich, so ein kleines Abenteuer sei ganz nach Eurem Geschmack, Messèr Joran. Wie sehr man sich doch täuschen kann.«
Plötzlich umfassten seine Finger ihr Handgelenke, und er zog sie zu sich heran, energisch, aber nicht grob. Einen Moment sah Joran ihr ins Gesicht, dann sagte er mit einer Mischung aus Ärger und Belustigung: »Ich verlange eine Gewinnbeteiligung von sechzig Prozent.«
Helena musste unwillkürlich lächeln. Zwischen ihnen gab es eine Verbindung - seit dem ersten Augenblick. Es wäre so leicht, einfach nachzugeben. Sie spürte, wie sich ihr Körper zu ihm neigte, als würde er von den Gezeiten getrieben. »Eure Zusage erfreut mich«, sagte sie. »Aber über Eure unverschämte Forderung müssen wir uns dringend unterhalten.«
»Meine Forderung ist nicht verhandelbar«, stellte er klar.
»Das werden wir ja sehen«, sagte Helena und küsste ihn. Er riss überrascht die Augen auf und einen Herzschlag lang glaubte sie, so etwa wie Panik in seinem Blick zu erkennen.
Doch dann bewegte er sich so schnell, dass sie es kaum wahrnahm. Er packte sie und drängte sie mit seinem ganzen Gewicht gegen den Türstock.
Der direkte Kontakt mit seinem gestählten Körper raubte ihr den Atem. Der Boden unter ihren Füßen schien zu wanken und ihr Herz pochte so heftig, dass sie annahm, er müsse es spüren. Einen kühnen Moment lang hielt sein Blick den ihren gefangen, als würde er sie abschätzen. Gott möge ihr gnädig sein, sie hatte das Gefühl, als würde sie in die Tiefen dieser klaren, blauen Augen gelockt - und als würde sie für immer verloren sein, wenn sie sich nicht löste. Ganz plötzlich schaute er weg und dieses Abwenden von ihr war so physisch, als hätte er ihren Körper zu Seite gestoßen.
Helena hob den Kopf, um gegen diese Behandlung zu protestieren, doch als sie ihn ansah, war alles, was sie hatte sagen wollen, wie fortgewischt.
Seine Augen wirkten wie Gletschereis. Er presste den Handrücken gegen die Lippen, als müsse er ihre Berührung austilgen. Seine Brust hob und senkte sich in abgehackten Stößen.
Sie begriff nicht, was sie getan hatte. Sie hob die Hand, wollte ihn berühren, ihm in irgendeiner Form Trost spenden, doch er zuckte zurück, als habe er sich verbrannt.
Einen erstickten Laut ausstoßend riss er die Tür auf und stürzte hinaus. Schockiert über sein rüdes Verhalten sah sie ihm nach. Doch sie würde sich davon nicht abschrecken lassen. »Wart´s nur ab«, murmelte sie erbost, begab sich zurück an ihr Schreibpult und begann, die Bedingungen ihres Handels niederzuschreiben.