Fast alle hatten mittlerweile ausgetrunken, nur noch Lala nippte an ihrem Glas Vodka-Energy. Der Partyraum hatte sich inzwischen ganz gut gefüllt und zu Fabians Entsetzen, kam Alex, der Mädchenschwarm aus seiner Stufe in den Raum. Er war groß und breit und die Blicke der Mädchen wanderten nur so auf seinem Körper. Fabian hatte immer versucht eine Schwachstelle an ihm zu finden, einen verwundbaren Punkt, bis er irgendwann aufgab und feststellen musste, dass Alex ihm in allem überlegen war. Der Gedanke an ihn entfachte jedes Mal aufs Neue diesen unendlichen Selbsthass, den Fabian seit Jahren aufgebaut hatte. Alex hatte ihm eigentlich nie etwas getan, meistens waren es die anderen aus seiner Gruppe, die dumm gegen ihn machten, aber er machte einen einfach unglaublich neidisch. Es gab nichts, was er nicht konnte oder was er nicht hätte haben können. Viele eiferten ihm hinterher, imitierten ihn sogar manchmal, er war eben einer dieser Alpha-Typen.
Alex ging zu seinen Jungs und begrüßte jeden mit einem eingeübt wirkenden Handcheck. Es wurde direkt lauter im Raum und man konnte die tiefen Stimmen der Jungs trotz übersteuerter Anlage hören. Sie hielten sich diesen Standard-Smalltalk ab, dazwischen grölten sie manchmal und täuschten Schläge an. Marie hatte sie beobachtet und schien ein wenig angewidert von dem pubertären Verhalten der Jungs. Alex kehrte sich aber schnell von seiner Gruppe ab und ging zu Marie rüber, um ihr Hallo zu sagen. Diesen Anstand hatte er wenigstens, gegenüber den anderen, die teilweise nicht einmal eingeladen waren.
Die Musik war rhythmisch und animierte zum Tanzen, doch alle standen oder saßen noch in den Ecken des Raumes und verbrachten die Zeit damit, mit ihren Plastikstrohhälmen in den Eiswürfeln ihrer Getränke rumzustochern. Keiner traute sich so richtig auf die Tanzfläche zu gehen. Der Abend wurde langsam älter und der Alkohol schien langsam in die Köpfe der Teenager zu steigen. Durch das gekippte Fenster hörte man die sich totlachenden Raucher, die noch immer draußen standen. Sie hatten nicht nur Zigaretten geraucht…
Alex schien auch gelangweilt, aber so extrovertiert, wie er war, stand er auf und ging mitten auf die provisorische Tanzfläche. Er fing an zu Tanzen, ganz allein, und man hätte nicht leugnen können, dass es cool aussah. Er wurde kräftig angefeuert und schien Gefallen daran zu haben, immer krassere und beeindruckendere Moves zu präsentieren. Schon bald gesellten sich ein paar Jungs und einige selbstsichere Mädchen in die Mitte des Raumes.
Marie war froh darum, denn sie hatte bereits Angst gehabt, ihre Party würde ein Flop werden und es würde hinterher heißen, wie uncool und langweilig ihre Partys denn seien.
Inzwischen war sie ins Nebenzimmer verschwunden, um einen neuen Kasten Bier zu holen, was Fabian, der am Rand stand und den Leuten zuguckte, direkt bemerkte. Er schlich ihr hinterher, denn er suchte die Zweisamkeit mit ihr. Marie hatte ihn noch nicht bemerkt. Sie wollte alles perfekt managen und eine geile Party feiern, weshalb sie auch die leeren Gläser direkt auffüllte und die leeren Flaschen durch neue eintauschte, denn Alkohol verbesserte nun mal die Stimmung! Ihr Vater war nicht da, um aufzupassen oder so, er vertraute ihr. Obendrein hatte sie ihm versichert, dass sie ihre Freunde gut genug kenne und niemals die Kontrolle über ihre eigene Party verlieren würde. Er glaubte ihr. Diese Verantwortung wühlte sie auf, sie war nicht so lässig wie sonst. Fabian wollte sie beruhigen, ihm gefiel es nicht, dass sie so gestresst wirkte. Er legte ihr sanft seine Hand auf den Rücken, woraufhin sie leicht erschrak. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass außer ihr jemand im Nebenzimmer war. Als sie sich umdrehte und erkannte, dass es Fabians Hand gewesen war, schien sie erleichtert zu sein. Besorgt um ihn, wie sie es immer war, fragte sie mit einer warmen Stimme:
Marie: Alles klar bei dir? Gefällt dir die Party bis jetzt?
Fabian: Ja, es ist echt cool mal wieder auf einer Party zu sein!
Marie: Du gehst sonst nicht so viel raus, oder?
Fabian: Wo soll ich denn hin, wenn mich keiner einlädt? (resigniert, eigentlich hasste er es, über sein Leiden zu sprechen)
Marie: Ach Fabian, vielleicht solltest du einfach mal auf die anderen zugehen, wenn sie schon nicht zu dir kommen!
Fabian: Mach nicht so, als wüsstest du nicht, dass ich das Opfer bin, das keiner bei sich haben will!
Marie: Sag doch so etwas nicht, du bildest auch vieles einfach nur ein. Sprich doch einfach mal mit ein paar Leuten hier, die reißen dir auch nicht den Kopf ab!
Fabian: Bevor ich nur ein Wort gesagt habe, machen die sich schon über mich lustig, das ist immer das Gleiche! Oder meinst du ich würde hier einfach mal ein paar Leute ansprechen!?
Marie: Mit ein bisschen mehr Selbstvertrauen bestimmt!
….
Fabian: (ist nachdenklich geworden, versucht aber das Thema zu verdrängen) Soll ich dir noch irgendetwas helfen, mit den Kästen da?
Marie: Das wäre nett von dir! Stell doch einfach den vollen Kasten hinter die Bar!
Fabian: Kein Problem, ich helfe dir gerne.
Fabian wollte nach einem Kasten greifen, als Marie erneut etwas fragte.
Marie: Sorry, aber kann ich dich noch was fragen?
Fabian (irritiert): Klar, was ist los?
Marie: Weißt du Fabian, natürlich weiß ich was die anderen über dich sagen und wie fies sie mit dir umgehen. Du bist ja eigentlich ein echt netter Typ und ich finde du hast das alles nicht verdient. Ich würde dir echt gerne helfen…
Fabian war noch nie von jemand anderem als seiner Mutter auf seine Probleme angesprochen. Er fühlte sich nackt vor Marie. Sie kannte ihn besser, als er dachte und die Tatsache, dass sie ihn auf seine Probleme ansprach machte ihn nervös und unsicher. Eigentlich wollte er gegenüber Marie heute stark und attraktiv sein und dann fragte sie so etwas. Einen kurzen Moment hatte Fabian überlegt ihr sein Herz auszuschütten, aber nein, diese Schwäche wollte er Marie nicht auch noch zeigen. Er raffte sich zusammen und versuchte so überzeugend wie möglich zu klingen.
Fabian: Die anderen gehen mir ehrlich gesagt am Arsch vorbei, ich scheiß‘ drauf, was über mich gesagt wird (…) am besten komm ich sowieso alleine zurecht…
Marie ärgerte sich über diese Fassade von Fabian, denn sie wusste genau wie sehr Fabian die Einsamkeit hasste. Die Eigenschaft den Starken zu spielen, ging ihr so gar nicht ab. Sie hasste es regelrecht, wenn ihr die Typen den harten Mann vorspielen wollten…
Marie: (ironisch) Ach so ist das, dann brauchst du mich hier also nicht mehr…
Sie ging langsam in Richtung Tür und wartete nur so auf eine Antwort von Fabian.
Fabian: Warte, so habe ich das nicht gemeint. Wenn ich ehrlich bin, ist es ein unglaublich gutes Gefühl, dass du hinter mir stehst…