Noch bevor die Sonne aufgegangen war, hatte Sakura sich aus dem Bett geschält. Eros schlief fest. Es war sehr spät geworden gestern in der Versammlung. Die junge Frau schlich davon und ritt auf Mamorus Rücken in den neuen Morgen. Was für ein herrliches Gefühl! Dank ihres Fellumhanges fror Sakura auch in den mittlerweile recht kühlen Morgenstunden des Herbstes nicht. Die Blätter der wenigen Laubbäume waren gelb und rot verfärbt. Der größte Teil des Waldes bestand aus duftenden Nadelgehölzen und immergrünen Sträuchern. Ein paar Eichhörnchen sammelten fleißig für ihren Wintervorrat. Spatzen, Eichelhäher und Spechte flogen und hüpften zwischen den Stämmen der mächtigen Bäume umher. Die Diplomatentochter fühlte sich am wohlsten, wenn sie in der freien Natur unterwegs war. Den ganzen Tag im Schloss zu verbringen kam für sie einem Aufenthalt im Verlies gleich. Gierig sog Sakura die frische Morgenluft ein. Sie trieb ihren Rappen übermütig an, ließ ihn über kleinere Büsche springen und wechselte immer wieder zwischen leichtem Trab und schnellem Galopp, wenn es das Gelände erlaubte. Irgendwann hatte sie sich satt gesehen an all der natürlichen Schönheit um sie herum. Da fiel ihr die Anhöhe ein, die etwa eine Reitstunde entfernt mitten im Wald lag. Von oben konnte man den ganzen Wald überblicken. Früher war sie dort so oft es ging hinauf geritten. Doch diesmal wartete sie vergeblich auf das Hochgefühl und die Vorfreude, die normalerweise einsetzten, wenn sie sich auf den Weg dorthin machte. Irgendetwas fehlte. Sie vermisste etwas. Und dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie vermisste Eros. Hätte ihn gerne dabei gehabt. Wollte ihm ihre Lieblingsorte zeigen. Hatte es ihr früher gefallen, alleine auszureiten und ihre Freiheit nur für sich zu genießen, so spürte sie jetzt ihre Einsamkeit umso deutlicher. Sie überlegte nicht weiter, wendete ihr Pferd und ritt zurück Richtung Schloss. Auf halbem Wege kam ihr der Snift entgegen gelaufen. War etwas geschehen? Er schien es sehr eilig zu haben, sie zu finden. Als er fast bei ihr war, hielt sie Mamoru an und stieg von ihm ab. Schwer atmend machte der Katzenmann vor ihr Halt. Täuschte sie sich oder blitzte in seinen Augen sowas wie Erleichterung auf? Beide schwiegen, schienen zu warten, dass der andere etwas sagte. Nach einer, wie es Sakura erschien, unendlich langen Zeit fing Eros zu sprechen an. „Hast du in etwa eine Vorstellung wie viel Angst ich gerade um dich hatte?“ Seine Stimme zitterte. Sakuras Stimme hingegen versagte völlig. Kein Ton wollte heraus kommen. Hilflos stand sie da. Sie hatte ihm keine Angst machen wollen. Aber konnte er sie nicht verstehen? Wusste er nicht, wie wichtig ihr ihre Freiheit war? Wie sollte sie ihm erklären, dass diese Ausflüge ein Teil ihres Selbst waren? Auf einmal war er bei ihr, umarmte sie und hielt sie ganz fest an sich gedrückt. „Bitte“, flehte er sie an. „Geh nicht mehr alleine in den Wald. Geh nicht mehr ohne mich weg. Ich fühle mich einsam ohne dich. Und wenn dir etwas passiert wäre, hätte ich mir das nie verzeihen können. Da draußen laufen Dämonen herum, verstehst du? Keiner weiß, wann sie hier auftauchen. Ich hab mir riesige Sorgen gemacht, als ich heute aufgewacht bin und du nicht da warst.“ Sakura wurde warm ums Herz. Sie strich Eros einige Haare aus dem Gesicht und küsste ihn. „Ich geh nicht mehr alleine weg. Versprochen.“ Weil ich all das mit dir zusammen erleben möchte und weil ich dich liebe, setzte sie ihm Gedanken hinzu. Dank Idana kannte sie das ungeschriebene Gesetz der Snift, dass es der Mann zuerst gesagt haben musste. Sie würde warten, bis Eros bereit dazu war.
Dieser hob sie plötzlich hoch in die Luft, so dass Sakura vor Überraschung beinahe geschrien hätte. Er stellte sie zurück auf den Boden und küsste ihre Hand. Die Diplomatentochter wusste nicht recht, was vor sich ging. Der Katzenmann rieb seine Nase an der ihren. „So begrüßen sich Snift.“ Raunte er unvermittelt in seiner tiefen Stimme, die der jungen Frau wohlige Schauer über den Rücken sandte. Sakura kicherte, weil seine Schnurrhaare sie im Gesicht kitzelten. „Und so sagen wir ich liebe dich: Mao te-lum.“ Sakura schlug die Hände vor den Mund, fiel Eros schreiend um den Hals und küsste ihn stürmisch. Der Katzenmann war völlig überrascht von ihrer Reaktion. Er fiel mit ihr zusammen hintüber auf den weichen Waldboden und beide lachten. Eros wurde wieder ernst. „Sakura, ich wollte dich das schon eine Ewigkeit fragen, aber aus gewissen Gründen geht es erst jetzt.“ Er sah ihr tief in ihre braunen Augen. Erwartungsvolle Angst spiegelte sich in seinen Gelben. „Willst du meine Frau werden?“ Qualvolle Sekunden verstrichen, in denen dem Snift das Herz in die fellüberzogenen Füße rutschte und Sakura versuchte, den Glückssturm in ihrem Inneren soweit zu bändigen, dass sie ihm antworten konnte. Ein bisschen piepsig kam daher ihr „Ja, das will ich.“ Daraufhin schlang Eros befreit seine Arme um sie. Die Last der letzten Wochen fiel von ihm ab wie schmelzender Schnee von Tannenzweigen. Eine Welle der Erleichterung erfasste ihn. Sakura kuschelte sich an ihn und begann spielerisch an seinem Hals zu knabbern. Sämtliche Härchen stellten sich ihm auf. Abrupt hörte sie damit auf. „Lass uns drinnen weiter machen. Der Waldboden ist zu kalt und feucht jetzt im Herbst.“ Der Berater hob seine künftige Frau hoch, die sich lachend an ihm festhielt und rann so schnell er konnte zurück zum Schloss. Mamoru trabte ihnen schnaubend nach.