Alturins Feuer
Alturin lag auf seinem Bett im Blockhaus. Er konnte nicht schlafen. Seit zwei Tagen hatte er mehrfach den Eindruck gehabt, dass Hatora ihn per Gedankenkraft zu erreichen versucht hatte. Doch scheinbar schien ein Schutzzauber um dem Sternenwald zu liegen, der ihr ein Durchkommen erschwerte. Ein Gefühl beschlich ihn, dass sie irgendetwas vor hatte. Nur was und wann?
Er horchte nach draussen. Einige der Wachen schliefen. Er hörte ihr Schnarchen. Zwei unterhielten sich leise. Alturin hatte mitbekommen, dass Rincobal den Wald verlassen hatte. Er war unterwegs zu den Bergvölkern. Den Succs, den Makalach und den Angamanen. Er wollte sie auf seine Seite bringen, um sich ihre kriegerischen Dienste zu Nutze zu machen. Auf seinem Pferd hatte er ihn am Morgen davon reiten sehen. Er hatte das Gespräch mit dem Anführer der Gnomm bruchstückweise mitbekommen. Ihm hatte er das Kommando während seiner Abwesenheit übergeben und ihn ermahnt, Disziplin zu halten.
Alturin musste an Mikkel denken. Sein fortgeschrittener Wuchs bezogen auf sein Alter war wirklich ungewöhnlich. Auch seine schnelle Auffassungsgabe war aussergewöhnlich. So etwas war ihm seit zwei Zeitaltern nicht mehr begegnet. Es waren die Atlanen, die in grauer Vorzeit jene Eigenschaften aufwiesen. Meist blond und von grosser Statur waren sie. Jedoch waren sie ausgestorben. Etwas war damals geschehen und die Frauen bekamen plötzlich keine Kinder mehr. So wich das Leben aus dem Lande im hohen Norden. Eine Legende machte die Runde, dass es einem Weibe der Atlanen gelungen war, sich diesen Umständen zu entziehen. Sie hatte das Land Jahre zuvor verlassen und war einem Manne gefolgt, in den sie sich verliebt hatte. Es soll den Atlanen damals verboten gewesen sein, sich mit anderen Völkern zu mischen oder längere Zeit das Land zu verlassen. Von dem Weibe hörte man nie wieder etwas und es hiess, sie sei unterwegs umgekommen.
Ob sie vielleicht doch....
Alturin verwarf den Gedanken, rollte sich in seine Decke ein und drehte sich herum. Er war müde geworden und schlief kurz darauf ein.......
.......der Schnee war tief und Alturin steckte seinen Stab bei jedem Schritt vor sich in den Schnee, um Stolperfallen zu erkennen. Bis zur Hüfte ging ihm der Pulverschnee. Die Luft wurde dünner und sein Atem schwerer. Die Schneemenschen waren nicht mehr weit entfernt. Er kannte ihr Dorf. Er war schon einmal hier. Ein Zeitalter her. Ihre Seherin Phasma hatte ihm schon einmal geholfen.
Es begann zu schneien. Dicke Flocken fielen herab und im Nu war seine Kleidung von einer weissen Schicht bedeckt. Sturm kam auf und drohte ihm die Sicht zu nehmen. Das Vorwärtskommen wurde ihm immer schwerer. Mit aller Kraft kämpfte er gegen den Sturm an, aber er kam nicht voran. Zu stark war der Wind. Alturin liess sich nach vorn auf seine Knie in den Schnee fallen. Plötzlich hörte er etwas in seiner Nähe. Flügelschlagen! Eine weisse Schneeeule war vor ihm im Schnee gelandet. Sie trug eine zusammengerollte Botschaft für ihn im Schnabel.
Alturin griff nach der Papierrolle und die Eule öffnete ihren Schnabel. Er rollte die Nachricht aus und hatte Mühe, dass im Sturme flatternde Papier zu lesen. Doch dann las er: Kehre um! Die Schrift wiederholte sich immer wieder und mit jedem Mal wurde sie grösser und eindringlicher. KEHRE UM!.......
Alturin schreckte hoch. Ihm war kalt. Fröstelnd zog er die Decke höher. Der unangenehme Geruch stieg ihm in die Nase. Was hatte der Traum zu bedeuten? Kehre um? Wie sollte er umkehren, er war gefangen? Dann wurde ihm mit einem Mal klar.....er sollte einfach nur aufwachen! Plötzlich war er hellwach. Jemand wollte ihn aufmerksam machen. Er sollte erwachen.
Alturin stand vorsichtig von seinem Bett auf und horchte nach draussen. Nichts war zu hören. Leise ging er zur Tür und spähte durch die Gitterstäbe hinaus. Draussen war nichts zu sehen, alles war ruhig. Weit entfernt brannte ein kleines Feuer und erhellte die nähere Umgebung etwas.
Plötzlich eine Bewegung. Ein kleiner Schatten. Alturin blickte nach oben. Nur eine Eule. Sie hatte sich nahe des Feuers auf einem der Bäume niedergelassen. Da! Noch Eine! Alturin schaute sich weiter um. Weitere Eulen schwebten lautlos heran. An die zwanzig der Nachtjäger zählte Alturin inzwischen. Das war ungewöhnlich - hier ging irgendetwas vor! Aufmerksam beobachtete Alturin den Wald. Hier am Boden rührte sich nichts, aber in den Bäumen wimmelte es nur so von Eulen. Und dann sah er sie........Undra! Sie schwebte lautlos auf die Hütte zu. Kurz davor breitete sie ihre Schwingen zum Abbremsen und klammerte sich an den Gitterstäben in der Tür fest. Mit ihrem buschigen Bein schien sie Alturin heranwinken zu wollen. Alturin legte sein Ohr an ihren Schnabel und Undra flüsterte ganz leise. Das Wort "Gundram" war schwach zu hören.
Mehrfach nickte Alturin, dann flog Undra sachte davon. Alturin sah ihr nach, sie landete auf dem Sternenbaum vor ihr. Kurz darauf brach die Hölle los.
Bumm!!
Alturin erschrak! Ein Riesenknall zerriss die nächtliche Waldruhe und liess die Wachen aufschrecken. Feuerschein war zu sehen. Alturin blickte durch die Gitterstäbe nach draussen. Das musste das Haus von Rincobal sein. Aus ihrem Schlaf gerissen, dem die meisten sich hingegeben hatten stürmten die Gnomm in Richtung des Brandes. Aufgeschreckt und verstört rannten sie schreiend darauf zu.
"Die Gundram da!... und da!....sie greifen an!. Die Gundram greifen aaaan," schrie Alturin immer wieder. Als auch der letzte Wachmann der Gnomm die Hütte verlassen und ausser Reichweite war, um sich dem scheinbar angreifenden alten Feind der Gnomm entgegen zu stellen, flogen mehrere Eulen heran. Gemeinsam hatten sie ein starkes Seil gepackt, dessen Ende sie Alturin reichten. Er zog es durch die Gitterstäbe und die Eulen flogen damit davon. Kurz darauf wurde die Tür aus den Angeln gerissen.
Alturin war frei!
Vor ihm auf dem Waldboden war ein Netz ausgebreitet worden. Alturin setzte sich darauf. Unzählige Eule flogen heran, packten die Enden und plötzlich befand sich Alturin in der Luft. Überall um sich herum hörte er das starke Schlagen der Eulenflügel. Es mussten wohl über fünfzig sein. Sie flogen mit Alturin im Netz durch den Wald. Hin und her wurde er geschwenkt zwischen den Bäumen. Sie mussten zunächst durch den Sternenwald hindurch. Das Dach war hier zu dicht, um nach oben entwischen zu können. Endlich erreichten sie sein Ende und im angrenzenden Laubwald fanden sie ein Lücke, durch die sie in den nächtlichen Himmel stiessen. Immer höher stiegen sie und als Alturin sich umdrehte, konnte er den Feuerschein des Brandes noch sehen. Der Flug wurde ruhiger und bald konnte Alturin das Ende des Waldes sehen.
Er erkannte einen Karren, der dort stand und Menschen. Bengolf war dort! Und Hatora! Sie hatte zwölf ihrer Lichtkrieger um sich versammelt. Die Eulen schwebten mit dem Netz über dem Karren ein und setzten Alturin dann etwas unsanft ab. Schnell befreite er sich von dem Netz und sprang vom Wagen herab.
"Hatora, rief er und verbeugte sich vor ihr, ich bin so froh, Euch zu sehen. Ich stehe tief in Eurer Schuld, Herrin." Hatora lächelte ihn nur an.
"Bengolf alter Freund, wandte er sich an seinen alten Gefährten, es tut so gut, Dich zu sehen!" Lachend fielen sie sich in die Arme.
"Es ist Zeit, sagte Hatora, eilt euch, wir müssen zurück und dürfen nun keine Zeit verlieren. Die Gnomm werden ihren Gast schon vermissen."
Alturin erklomm schnell den Rücken des für ihn mitgeführten Pferdes und sie setzten sich in Bewegung. Hatora führte die Gruppe, gefolgt von Alturin und Bengolf, dahinter ritten sechs der Kristallkrieger. Der Karren bildete die Mitte, am Schluss sicherten weitere sechs Lichtkrieger das Ende ihres Zuges. Plötzlich schrie einer der Lichtkrieger "Gnomm! Sie kommen aus dem Wald hinter uns her. Treibt die Pferde an, rasch!"
Alle sahen sich erschrocken nach hinten um. Es waren zehn von ihnen. Sie waren klein, doch sehr schnell... und sie holten auf! Schwerter blitzen auf in ihren Händen.
"Sie holen uns ein," rief einer der Lichtkrieger und alle trieben ihre Pferde weiter an.
Plötzlich flog die Decke auf dem Karren hoch in die Luft und Mikkel stand mit seinem Bogen in den Händen breitbeinig auf der Ladungsfläche! Er legte zwei Pfeile gleichzeitig in die Sehne.
"Mikkel," raunte Alturin überrascht.
Bengolf ritt mit nach hinten gedrehtem Kopf und offenem Mund weiter. Hatoras Blick sprach Bände. Sie hatte ihm befohlen, in der Stadt zu bleiben....
Geschickt federte Mikkel auf dem Karren stehend mit seinen Beinen die Bewegungen der holperigen Fahrt ab und legte an. Er hatte zwei der Gnomm genau anvisiert. Die Pfeile würden ihr Herz durchbohren, wenn sie die Sehne verliessen.
Doch er zögerte. Etwas in ihm hielt ihn zurück. Immer näher kamen die Gnomm heran. Die sechs Kristallkrieger hinter ihm waren zur Seite geschwenkt, um ihm freies Schussfeld zu geben. Keine hundert Schritte trennten sie mehr von ihren Feinden. Doch Mikkel senkte den Bogen unter den erstaunten Blicken der Anderen. Zwei, drei Augenblicke vergingen. Dann hob Mikkel plötzlich den Bogen mit den Pfeilen an. Er zielte.... Sirrend verliessen die Pfeile die Sehne, um kurz darauf klatschend in die Oberschenkel der ersten beiden Gnomm einzuschlagen. Vor Schmerz aufschreiend überschlugen sie sich in ihrem schnellen Lauf und blieben zusammengekrümmt am Boden liegen.
Weitere vier Mal entnahm Mikkel dem Köcher vor ihm jeweils zwei Pfeile und vier Mal streckte er je zwei der Gnomm nieder. Die letzten beiden waren nur noch fünf Pferdelängen von ihnen entfernt gewesen. Dann senkte er seinen Bogen und setzte sich auf den Boden des Karrens.
Hatora drehte sich kurz zu ihm um und ihre Blicke trafen sich. Mikkel sah etwas in ihren Augen, dass ihm nicht gefiel, doch da war auch noch etwas Anderes, dass er sich nicht erklären konnte. Hatora richtete ihren Blick wieder nach vorn. Sie verlangsamte ihren Ritt. Die Gefahr schien zunächst vorüber zu sein und die Anspannung wich aus den Körpern der Menschen aus der Kristallstadt. Bald würden sie wieder sichereres Gelände erreichen. Was sollte ihren Rückweg nun noch stören?....