An diesem Abend verlief das Abendessen im Schloss ereignislos. Der Junge bekam sein Essen auf seinem Zimmer serviert. Draco ignorierte seinen eignen Hunger, während er mit vorbildlichen Benehmen Harry bei Tisch bediente. Seine sehr gute Erziehung nutzte ihm jetzt. Durch die lange Zeit der Flucht quer durch die schottischen Highlands konnte er mittlerweile ziemlich gut mit Hunger umgehen. Nachdem die Hauselfen aufgeräumt hatten, erlaubte Lord Potter ihm in der Küche einige Kleinigkeiten zu sich zu nehmen. Nie hätte sich der frühere Prinz aus Slytherin eine solche Situation vorstellen können, dankbar dafür zu sein, ein wenig Essen in aller Hast herunter zu schlingen. Noch dankbarer als für das Essen war Draco jedoch für die Gelegenheit in der Küche seine Mutter und seinen Vater zu sehen. Sie lebten beide. Zwar konnten sie nicht miteinander reden. Aber schon das Wissen das sie lebten, gab Draco Halt.
Poody schickte ihn wieder ins Bad. Dieses Mal gab er sich Mühe, etwas aus sich zu machen. Wenn Potter den Willen hatte, Theseus seinetwegen zu quälen, würde Draco alles tun, um das zu verhindern. Lord Potter hatte ihm einen weißen Anzug und ein schwarzes Hemd geschickt. Draco zog beides an und fühlte sich ein bißchen, wie bei einer Verabredung. Er dachte noch einmal an Neville Longbottom und traf eine Entscheidung. Auf dem Weg zu den Privatgemächern des Dunklen Lord mußte er über den Hof gehen. Also nahm er zwei der nahezu allgegenwärtigen schwarzen Rosen aus einer Vase im Korridor. Er verwandelte ohne große Anstrengung eine in eine weiße Rose und legte sie direkt vor Nevilles Statue ab. Seine Mutter war immer eine begeisterte Rosenzüchterin gewesen, von ihr wußte er, dass eine weiße Rose ein Symbol für Zustimmung war. Neville Longbottom hatte den Tod einer Unterwerfung vorgezogen. Draco dachte, das wäre einer Zustimmung wert. Er selbst mußte auf das Kind Rücksicht nehmen. Aber dem Letzten eine einzelne Blüte weihen konnte er.
Die andere Rose steckte er gekonnt an sein Revers. Draco war so in sein Tun vertieft, dass er nicht bemerkte, dass er von unterschiedlichen Seiten beobachtet wurde.
Minerva McGonagall sah nachdenklich aus dem Fenster ihres Gästezimmers. Müde und wütend wegen all der Dinge, die sie gesehen hatte und besorgt wegen all der Dinge die im kommenden Monat noch geschehen würde, wünschte sie sich sehnlich ein Symbol der Hoffnung. Zunächst sah sie Malfoy, wie er die Blume ablegte. In diesem Moment stieg er in ihrem Ansehen deutlich. Obwohl seine Situation nahezu ausweglos erschien, wagte er es eine einzelne Blume für einen Helden niederzulegen. Das war schon fast gryffindorscher Mut. Der junge Mann konnte wohl doch mehr, als sie früher angenommen hatte. Weshalb tat sie es ihm nicht nach? Noch nie war ihr die Idee gekommen, Neville eine Ehre zu erweisen. Nun sie würde es nachholen. Sie nahm einen Strauß schwarzer Rosen aus der silbernen Vase auf den Schreibtisch. Mit dem Können einer Meisterin der Verwandlung gab sie ihnen ein leuchtendes, makelloses Schneeweiß. Die Vollkommenheit der Blüten entsprach ihrem Können. Entschlossen trat sie in ihren Umhang gehüllt hinaus in die Abendkühle und legte an Nevilles Statue den Strauß ab.
Theseus langweilte sich ganz allein in seinem kleinen Quartier. Außer ihm gab es im Schloss keine anderen Kinder, trotzdem war er gerne hier. Er hatte ein tolles eigenes Zimmer und mußte sich nicht mehr fürchten. Der Lord hatte in an seinem ersten Abend im Schwarzen Schloss mit seinem Zauberstab auf den Jungen gerichtet und gesagt: „Theseus, ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen. Du bist mein.“ Aus dem Zauberstab waren zarte fast durchsichtige magische Ketten geflogen. Sie hatten ihn umschlungen und waren in seinen Geist eingedrungen. Ein wunderbares Gefühl von Zugehörigkeit hatte sich in seinem Innern ausgebereitet. Seit diesem Moment empfand er vollkommenes Vertrauen und tiefe Sehnsucht nach seinem Herrn. Ihm wollte der Junge unbedingt gefallen. Ihn durfte er niemals enttäuschen. Lord Potter verlangte viel von ihm, aber noch nie hatte sich jemand für so sehr ihn interessiert. Der Zauberer erwartete eine Disziplin und Gehorsam, die Theseus problemlos aufbrachte. Theseus mochte die beiden Zwillinge, die heute angekommen waren. Sie konnten auch eine ganze Menge Zaubertricks und waren lustig. Er ging in die riesige Bibliothek hier fühlte er sich am wohlsten und strich oft durch die Gänge voller Wissen. An diesem Abend fand er wunderbares Buch, das er sogleich zu lesen begann: „Geschichte Hogwarts.“
Zur selben Zeit traf Ronald Weasley im Fuchsbau bei seinen Eltern ein. Molly und Arthur freuten sich sehr ihren Sohn in die Arme zu schließen. Ron fühlte fremd in dem Haus, in dem er seit über zwei Jahren nicht mehr gewesen war. Eigentlich hatte sich nichts verändert, aber er hatte sich verändert. Das hatte alles verändert. Der Erste unter Gefolgsleuten des aktuellen Dunklen Lord zu sein, hatte ihn ernsthafter, ruhiger und verantwortungsvoller werden lassen. Molly wuselte durch Küche und brachte hektisch Rons Lieblingsessen auf den Tisch. „Es ist so schön, dass Du endlich wieder einmal hier bist. Wir haben Ginny und Dich auf Bills Hochzeit vermißt.“, plapperte sie aufgeregt und belanglos. „Wir hätten den Lord mitbringen müssen. Er hatte großes Interesse wieder an einem unserer Familienfeste teilzunehmen. Aber Mine, Ginny und ich hielten es für zu gefährlich.“, sagte Ron seufzend. „Ihr solltet nicht Euer ganzes Leben auf ihn ausrichten.“, wandte Arthur ein. „Er hat seine Seele dafür gegeben, Dad.“ Ron merkte, daß er sich schon wieder ärgerte.
„Es war seine Entscheidung.“, sagte Molly und setzte sich zu den Männern an den Tisch. „Nein. Ihr habt ihn dazu gedrängt, damit er für Euch Voldemort aus dem Weg räumt. Der Preis, den er dafür bezahlen würde, war Euch allen egal.“ Ron ärgerte sich ein wenig mehr. Er ging aufgebracht in der Küche umher. „Das stimmt nicht.“, fauchte Arthur nun. „Aber es war notwendig. Nur ein Dunkler Lord kann einen Dunklen Lord besiegen. Es ist vierte Ableitung des Magieerhaltungsgesetzes. Jeder von uns wußte das.“ Ron stieg die Zornesröte ins Gesicht. „Ihr habt es tatsächlich gewusst? Ihr wusstet, was er werden würde. Ich glaube, ich muß kotzen.“, brüllte Ron. „Setz´ Dich bitte hin. Es nützt uns nicht, wenn wir streiten. Mum, Percy und ich haben in letzter Zeit oft darüber gesprochen, daß Ginny und Du nach Hause kommen solltet. Sein Einfluss ist nicht gut für Euch.“, versuchte Arthur seinen Sohn zu beruhigen. „Ginny wird ihn heiraten. Sie hat ihm versprochen, ihm seinen Erben zu schenken. Dumbledore ist dafür.“ Molly starrte Ron mit offenem Mund an. „Das kann sie nicht tun. Er ist ein Monster. Ich verbiete es!“, rief Arthur nun genauso aufgebracht wie Ron. „Du hast Ginny und mir nichts mehr zu verbieten. Weißt Du noch, es ist unser Blut gewesen. Ginny hat ihm ihr Blut geschenkt, damit das Licht nicht verlöscht in der Dunkelheit. Was hast Du für die Zaubererwelt getan? Welchen Preis habt ihr gezahlt? Du versteckst Dich hier in Deinem kuscheligen Fuchsbau und hoffst, dass das alles an Dir vorbei geht. Du stellst Dich zwischen einen Dunklen Lord und sein freiwilliges Opfer? Du doch nicht. Du bist ja nicht mal im Schwarzen Schloss, um ihn zu mildern. Feigling.“ Ron spuckte vor seinem Vater aus und verließ den Fuchsbau für immer.