Es wurden nahezu zwei Stunden. Nicht nur wegen der gemeinsamen Dusche - Dallas hatte nicht einen Augenblick geglaubt, dass sie Zeit sparen würden, wenn sie zu zweit duschten, ganz im Gegenteil-, auch wegen des Versuchs, in Dugans Schrank ein frisches Shirt für Dallas zu finden. Das gute Bad Seeds Teil war am Kragen eingerissen. So bekam Dallas letztlich einen von Dugans Hoodies verpasst, die Hemden waren an den Schultern zu knapp. Dugan zog aus Solidarität auch einen an. So wie es in dem Schrank aussah, hatte er die irgendwie seltsame Angewohnheit Kleidungsstücke gleich mindestens fünf- bis zehnmal in derselben Farbe oder Variante zu kaufen. Da waren Hemden- Gruppen in Aquamarin, Perlweiß und Aubergine, die gleiche Jeans siebenmal, Socken alle identisch rot, selbst Anzüge gab es zwei- oder dreimal genau gleich. Dallas schaute fragend und Dugan meinte nur schulterzuckend, dass er viel kaputt mache und Shopping nervtötend sei. Die Überraschung beim Frühstück war nicht geringer. Miss Fitzgibbons hatte im Wintergarten gedeckt und weil sie nicht sicher war, was Dugans Gast zum Frühstück aß, gab es Full English und kontinentales Frühstück in zahlreichen Variationen. Sie schien wenig beeindruckt, als die beiden endlich kamen, wobei Dallas nicht wusste, was das zu bedeuten hatte. Sie setzten sich und es gab Tee für Dugan und Kaffee für Dallas. Wie sich herausstellte, konnten beide gar nicht unterschiedlicher sein, wenn es ums Essen ging.
„Du bist Vegetarier?“, riet Dallas irgendwann.
„Ja.“
„Macht sich Miss Fitzgibbons immer so viel Mühe?“ Dallas zeigte auf allein die verschiedenen Sorten Scones, Toast und Croissants.
„Ist das eine taktische Frage, um zu erfahren wie oft ich Frühstücksgäste habe?“
Dallas verschluckte sich fast an seinem Kaffee. „Das geht mich überhaupt nichts an. Du bist ein freier Mann.“
„Das ist wahr. Aber es hat dich irritiert, dass Fitzgibbons nicht so überrascht war. Also hast du Fragen.“ Dugan lächelte amüsiert. Er schien es zu mögen, wenn er Dallas damit überraschen konnte, dass er Dinge zu wissen schien, von denen Dallas nicht wusste, dass er sie verraten hatte. „Ich schlafe nicht mit Frauen“, setzte er dann ernsthaft hinzu.
Dallas schaute überrascht. Woher wusste Dugan, dass ihn das tatsächlich beschäftigt hatte?
„Wie kommst du darauf…“
„…dass dich das interessiert? Ist nur eine logische Schlussfolgerung. Und Fitzgibbons wusste, dass du hier bist. Ich habe es ihr gestern Abend gesagt. Deswegen war sie nicht weiter erstaunt.“
„Okay, okay. Sag mir nur eins: Sind wir ehrlich miteinander?“
Dugan blinzelte. Also hatte er die Frage wohl nicht erwartet und er zögerte mit der Antwort, was ungewöhnlich war, sofern Dallas seine Gewohnheiten innerhalb eines Tages einschätzen konnte. „Ja, unbedingt“, sagte er dann, ungewöhnlich erst.
„Gut.“
„Komm, ich zeige dir was vom Haus und den Garten.“
Dallas war einverstanden. Auch wenn das vielleicht nur eine Ablenkung war, würde er gern mehr sehen von der Welt, in der Dugan lebte.
Als erstes führte Dugan ihn auf einen der Türme, von wo aus man die Anlage des Landsitzes erkennen konnte. Dieser älteste Teil war schon im 10. Jahrhundert erbaut worden, als Wehrturm gegen Wikingerüberfälle. Von der mittelalterlichen Burganlage sah man sonst nur den alten Burggraben, der zum Teil aufgeschüttet war und einen weiteren Turm. Einige Stellen im Mauerwerk sahen mehrfach wieder erneuert aus und Dugan erzählte, dass mindestens dreimal im Laufe der Geschichte ein Brand gewütet hatte. Zuletzt im 19. Jahrhundert, nach einem Blitzeinschlag. Das eigentliche Herrenhaus war aus dem 18. Jahrhundert. Dallas machte immer wieder ein paar Aufnahmen mit seinem Handy. Vom Haus, aber mehr noch von Dugan. Später würde er die Kamera holen. Beeindruckender als das Haus war der umliegende, riesige Park, den man vom Turm aus nicht mal annähernd überblicken konnte. Das war früher anders gewesen, aber Dugan ließ die alten Bäume des Englischen Gartens einfach wachsen, als Schutz für das Rotwild. Dallas hörte sich alles geduldig und fasziniert an. Allerdings fasziniert vom Erzähler, weniger von dem Erzählten. Wenn der junge Laird so weitermachen würde, mit seiner dunklen Stimme, wenn ihm der Wind durch das Haar strich, wenn er Dallas beim Erzählen anblickte oder wenn er einfach nur dastand, ganz egal, merkte der junge Fotograf, wie er sich immer mehr in dem anderen verlor. Er wollte alles über ihn wissen, nicht über den alten Kasten, er wollte dieses Haar zerzausen, er wollte hören, wie diese Stimme seinen Namen rief, er wollte, dass sich Dugans Blick nach ihm verzehrte. Hellfire! Er war dabei sich zu verlieben. „Du hörst mir gar nicht zu!“, hörte er tatsächlich Dugans Stimme.
„Nein. Entschuldige, ich dachte gerade an was Anderes.“ Er versuchte zu klingen, als ob es ihm wirklich leidtat, was beinahe gelang. Dugan sah ihn jedoch aufmerksam an, dann schien er zu begreifen. „Tu das nicht“, sagte er leise, beinahe bedrohlich, „du darfst dich nicht in mich verlieben.“
Dallas überraschte beides. Das Begreifen und das Verbot. „Was kannst du dagegen tun?“, fragte er. Es war als Flirt gemeint, aber Dugan verstand es nicht so. Er wirkte alarmiert und Dallas hatte keine Ahnung weswegen.
„Ich kann dich nur warnen. Ich bringe kein Glück. Und du? Du hast jemand Besseren verdient.“
„Woher willst du wissen was gut für mich ist?“ Warum redest du so seltsam?
„Ich weiß, was schlecht für dich ist. Ich bin schlecht für dich.“
Was war das? Eine Abfuhr? Rückzug? Eine Warnung?
Das konnte und wollte Dallas nicht begreifen. „Und was war das letzte Nacht“, fragte er herausfordernd, „du hast mich Ginger genannt, du hast dich mir hingegeben, wir konnten gar nicht genug kriegen- war das schlecht für mich?“
„Wenn es heißt, dass du bleiben willst: ja. Ich wollte Sex mit dir. Und wir hatten guten Sex. Aber was Anderes ist nicht…möglich.“
„Nicht möglich? Was meinst du?“ Warum diese Formulierung? Warum nicht möglich? Warum klang das beinahe traurig? WAS? „Bist du krank?“
„Was? Nein. Wie kommst du darauf…?“
„Red‘ mit mir!“ Dallas war an irgendetwas dicht dran. Das konnte er spüren, denn Dugan war jetzt gereizt. Oder verwirrt?
„Ich bin nicht krank! Ich kann es dir nicht erklären…“ Verwirrt? Hilflos? Eiskalt?
„Du willst nicht!“ In die Ecke drängen war eine miese Taktik, aber vielleicht kam er der Wahrheit so näher.
„Du würdest es nicht verstehen.“
„WAS?“
„Küss mich!“
„WAS?!“ Waaaaaaaaaaaasssss?!!!
„Du hast mich verstanden.“ Mit diesen Worten war es Dugan, der Dallas bei der Kapuze packte und seine Lippen auf die von Dallas presste. Der war für einen kurzen Moment zu überrascht, doch dann brach sich das schiere Verlangen nach Dugan und seinem Kuss Bahn über alles andere. Er öffnete seine Lippen und ließ sich küssen, küsste wieder und wieder und wieder. Seine Hände gruben sich in den dunklen Haarschopf. Er wurde hinten an die Mauer des Turms gedrückt, vorn drängte sich Dugan an ihn und schob ihm ein Bein zwischen die Schenkel. Hellfire! Wenn das ein Spiel war, dann verstand Dallas es nicht. Wenn das Ernst war, verstand er es noch weniger. Was immer es war, es fühlte sich einfach nur richtig und wahnsinnig gut an, obwohl es das niht sein konnte und Dallas wollte mehr. Er spürte den heißen Atem des anderen und wollte mehr. Er zerrte an Dugans Hoodie, schob ihn hoch, Dugan ließ kurz von ihm ab, Dallas zog das Teil weg über den Kopf. Dugan tat das Gleiche mit Dallas‘ Hoodie. Und sogleich küssten sie sich wieder und Dallas fuhr mit den Händen über die perfekten Muskeln an Dugans Rücken zum Po, während Dugan damit begann, seine Brust mit Küssen zu verwöhnen. Er leckte, er sog, er kniff, er biss… Seine Hände wanderten nach unten und weiter. Er öffnete Dallas‘ Gürtel und ging mit einer Hand in die Hose, mit der anderen zog er Dallas noch mehr zu sich. Dallas schloss sie Augen, um alles ein wenig hinauszuzögern. Er versuchte, an irgendetwas Banales zu denken, nicht an Dugan, nicht an seine aquamarinfarbenen Augen, nicht an sein Haar so schwarz wie Ebenholz, die Lippen, rot wie Blut, der schlanke, weiße Körper, biegsam, kräftig, heiß… Was ging hier vor? Warum, warum, warum… „Hör auf…“ Er hatte das wirklich gesagt. War er jetzt völlig übergeschnappt? Oder war das ein Rest Vernunft? Vernunft. Sei vernünftig! Du weißt nicht, was das alles soll… „Hör auf, lass mich!“
„Das… ist nicht… dein Ernst!“ Dugan sah ihn mit wildem Blick an und ließ nach.
„Doch, verdammt!“ Dallas schnappte nach Luft und schob ihn von sich, was wirklich Kraft und Ernst erforderte. Dugan ächzte laut und frustriert, stolperte beinahe rückwärts und sah Dallas verwirrt an. Er schien nach Worten zu suchen. „Du kapierst gar nichts“, sagte er dann und Dallas konnte die Resignation in seiner Stimme hören. Und das Schlimmste war, dass es stimmte. Er kapierte nichts und jetzt zog er die Reißleine. Aber wie und was sollte er auch kapieren, wenn Dugan in Rätseln sprach. Er musste hier weg. „Du verlangst zu viel. Du kannst mich mal…“, stieß er hervor und wusste, dass es verletzen würde und wollte es so. Warum sollte es Dugan besser gehen, als ihm?
„Das war’s dann, du gehst?“ Noch mehr Frust, noch mehr Resignation.
„Verlass‘ dich drauf. Bin schon weg!“ Dallas hielt es nicht mehr aus. Er musste fort. Er schnappte sich einen von den Hoodies vom Boden, streifte ihn in Eile und Wut über sich und Dugan und die Welt über und ging zügig, ohne sich umzudrehen. Hätte er sich umgedreht, hätte er gesehen, wie Dugan sich kraftlos auf den Boden sinken ließ und die Arme über dem Kopf zusammenschlug.