Irgendwann mussten beide eingeschlafen sein und Rufus schlief noch immer, als Jeremy wieder aufwachte. Er versuchte gar nicht erst zu schätzen, wie lange dieser späte Mittagsschlaf gedauert hatte. Der Wecker neben dem Bett zeigte halb vier an. Schon beinahe Teezeit, wie ihn ein Magenknurren jetzt deutlich erinnerte. Seltsamerweise hörte man im Haus überhaupt gar keine Geräusche. Müsste Hopkins nicht damit beschäftigt sein, Tee vorzubereiten? War der immer noch draußen? Jeremy beschloss nachzusehen. Vorsichtig, um seinen Süßen nicht zu wecken, nahm er seinen Arm hoch, dann schob er sich unter ihm zur Seite weg, sodass der Lockenkopf jetzt auf dem Kissenberg zu liegen kam. Er murmelte kurz irgendetwas Unverständliches, aber Jeremy flüsterte sogleich „Schlaf weiter“ und das tat er auch. Vom Fenster aus war der Butler nicht zu sehen. Aber da, wo er zuvor geharkt hatte, sah man jetzt, dass jemand über den Kies gegangen war. Aber doch sicher nicht Hopkins selbst. Also wer? Es gefiel Jeremy gar nicht, dass ihm kein Grund einfiel, warum Richard oder Gwynneth oder Sinead oder ein anderer Wachmann das tun sollte. Andererseits, würde Oliver hier auftauchen? Würde er hier unbemerkt bis zum Dower House vordringen können? Vielleicht ja, immerhin war er ja mal sowas wie Rus Freund. Bestimmt war er damals hier gewesen und vielleicht kannte er sich sogar gut aus. Shit. Jeremy ging leise aus dem Schlafzimmer und die Treppe hinunter. Unten in der Küche war keine Spur von Hopkins. Was nun? Sollte er den Pager verwenden? Dann würde er sicherlich Alarm auslösen. Aber das war womöglich übertrieben. Immerhin könnte der Butler doch selbst über den Hof gegangen sein. Aber wo war er dann? „Hopkins?“, rief Jeremy, dann nochmal etwas lauter, „Hopkins?“
Nichts. In der Küche gab es ein weiteres Telefon für Personal. Also wählte Jeremy die Nummer von Richard. „Hopkins, was gibt es denn?“
„Richard, hier ist Jeremy. Ich glaube hier stimmt was nicht. Hopkins ist nicht im Haus und draußen sehe ich ihn auch nicht. Und da ist eine seltsame Spur im Hof.“
„Verstanden. Ich schicke jemanden zu euch, der nachsieht.“
„Gut. Danke.“
Kaum war das Telefonat beendet, da fand sich Jeremy zu paranoid. Wahrscheinlich war der Butler draußen irgendwo und wenn er ihn dort riefe, wäre alles gleich geklärt. Er ging also durch die Eingangshalle und hinaus in den Hof. Die Spur im Kies führte auf den Rasen neben dem Haus. Wer immer da gegangen war, war jetzt wohl im Garten, der hinunter zum See führte. Jeremy beschloss, dort nachzusehen. Er ging um das Haus herum, bis er auf der Rückseite im Garten ankam. „Hopkins? Sind Sie hier?“ Wieder keine Antwort. Am Seeufer war niemand zu sehen. Vielleicht wäre es dann wirklich besser, wenn er zurück ins Haus ginge? Es wäre leichtsinnig, Rufus dort allein zu lassen, wenn er befürchtete, dass ein Eindringling auf Sommerford war. Und bald wäre jemand vom Wachpersonal da. Jeremy entschied, zumindest die Runde um das Haus abzuschließen und dann vorn wieder hinein zu gehen. „Hopkins?“ Wieder keine Antwort. Das nächste „Hopkins“, konnte er nicht mehr beenden, denn plötzlich wurde er von hinten am Arm gepackt, gleichzeitig legte sich ein fremder Arm fest um seinen Hals, der ihm die Luft abdrückte und er spürte, wie jemand ein Messer an seine Kehle hielt. Shit! Im ersten Schreckmoment und vor Schmerz, weil sein Arm brutal auf den Rücken gedreht wurde, stieß Jem einen Schrei aus, der jedoch von dem Arm an der Kehle abgedrückt wurde. Er strauchelte, doch der Eindringling hielt ihn.
„Halt dein verschissenes Maul, du Schwuchtel, sonst lass ich dich bluten, wie ein Schwein“, hörte er Olivers Stimme an seinem Ohr zischen. Jeremy wand sich und versuchte, den Angreifer anzusehen.
„Was ist? Willst du, dass ich dir den Hals abschneide?“ Oliver drehte Jeremys Arm noch weiter um und presste seinen an dessen Kehle. „Das hier ist kein Scherz!“ Mit den letzten Worten drückte er das Messer so fest an Jems Hals, dass er merkte, wie es dort das Fleisch verletzte. Er hört auf, sich zu winden und wartete angstvoll ab, was jetzt geschah. „Wenn du schreist, mach ich dich kalt, klar?“
Jeremy bekam keinen Ton heraus, der Arm drückte ihm noch immer die Luft ab. Er nickte stattdessen. Tatsächlich lockerte Oliver den Griff, aber das Messer blieb am Hals. Jem zog krampfhaft Luft ein.
„Wass wilsst du blööder Wichsser?“, brachte er dann krächzend heraus.
Oliver schnaubte lachend auf. „Das weißt du doch! Und ich werd’s auch kriegen, diesmal.“
„Du bist völlig wahnsinnig!“
Oliver drückte Jems Arm wieder grob und quälend weiter nach oben, bis der ächzte.
„Halt’s Maul! Los, beweg` deinen Arsch nach vorne. Ich will Rufus abholen.“ Er schob und drängte Jeremy weiter um das Haus, bis sie vorn auf dem Hof ankamen. In Jems Kopf arbeitete es jetzt fieberhaft. Waren die Wachleute unterwegs? Kämen sie rechtzeitig? War Hopkins noch am Leben? Konnte Jem etwas tun? Oh God, was würde Rufus tun?
Plötzlich entschied Oliver, dass die Position im Hof die richtige war, um von den Fenstern aus gesehen zu werden. Jeremy selbst schaute unauffällig zum Schlafzimmerfenster. Nichts deutete darauf hin, ob Ru wach war oder nicht. Oliver verlor jedoch keine Zeit. „Los, Mann, ruf ihn.“
„Ruf ihn selber, du Psychopath“, spuckte der Sänger ihm entgegen.
„Oh, nein, nein, nein. Dann ist es doch keine Überraschung mehr.“ Oliver drückte das Messer wieder fester an Jeremys Hals. Als der immer noch nichts tat, drehte er es ein wenig in andere Richtung. „Ich könnte dir auch ein Ohr abschneiden, Mister Oberschlau.“ Er setzte das Messer genau dort an, da gab Jeremy nach. Der Typ schien zu allem bereit zu sein. „Rufus!“, rief er gepresst, „Rufus, komm zum Fenster!“
Olivers Atem ging jetzt schlagartig schneller. Entweder er hatte Spaß oder er fand das aufregend. Als sich nicht sofort etwas tat, ritzte er mit dem Messer in Jeremys Ohrläppchen. „Rufuss!“, rief der nochmal, halb in Panik. Dann öffnete sich plötzlich die Tür und Rufus stand darin. Einfach so. Jeremy stockte der Atem. Der junge Mann wirkte völlig unaufgeregt, sein Gesicht beinahe versteinert und der Ausdruck nicht zu deuten.
„Oliver, was machst du da?“, fragte er nur.
Sein Psycho-Ex-Freund ließ ein glucksendes Lachen fahren. „Süßer, das siehst du doch. Dein Ami- Stecher hier, möchte sich von dir verabschieden.“
Jeremy spürte, wie sein Blut anfing zu pochen, gleichzeitig wurde ihm kalt. Was hatte dieser Irre nur vor? Er versuchte, irgendwie ruhig zu bleiben.
„Ach, möchte er das?“, fragte Rufus. Was tat er? Warum blieb er so ruhig?
Jeremy wartete nur ab, da antwortete Oliver. „Ja, denn wenn du nicht mitkommst, stech` ich ihn ab. So oder so wird’s ein Abschied.“
Der Marquess nickte ohne Eile. „Ich dachte schon, du kommst nicht.“
Oliver japste erfreut auf. Was wurde das nur? „Du hast schon gewartet?“
Wie irre war der? Das konnte er doch nicht im Ernst glauben…
Rufus trat jetzt aus der Tür vor und schloss sie lässig hinter sich. „Ja, hab‘ ich… Keiner ist wie du, Oliver. Das weiß ich jetzt.“ Er setzte ein Lächeln auf, das auf eine so plakative Art verführerisch war, dass dem Amerikaner sofort klar wurde, dass Rufus irgendeinen Trick versuchte, aber was konnte das sein? Spielte er auf Zeit? Oliver schien tatsächlich darauf einzusteigen. „Ich wusste schon immer, was du brauchst, Süßer.“ Vor Begeisterung über Rufus‘ Erscheinen und Reden lockerte sich sein Griff am Hals etwas und Jeremy schielte zur Seite, nur um zu sehen wie sich Oliver über die Lippen leckte. Dieser Widerling…
„Nimm das Messer weg, das brauchst du nicht“, fuhr Ru fort und schlenderte langsam auf Oliver und Jem zu. Letzter hielt den Atem an.
„Was tust du, wenn ich ihn gehen lasse?“, wollte Oliver wissen.
„Alles, was du willst.“ Rufus ging sich mit dem Zeigefinger in den Mund, leckte ihn und deutete an, wie er Oliver befriedigen würde. Der gluckste wieder, hielt Jeremy aber immer noch fest.
„Du stehst auf Schwänze…“ Oliver wurde direkt heiß und hart, wie Jeremy leider nur zu deutlich bemerkte, weil sie so dicht standen.
„Oh, ja. Wenn sie groß sind und hart. Jetzt lass den Ami gehen. Der bringt’s sowieso nicht…“
Olivers Griff lockerte sich weiter. Jeremy überlegte inzwischen fieberhaft, was er nur machen sollte. Wenn der Irre ihn losließ, dann müsste er irgendwie verhindern, dass er Rufus mitnahm. Er hätte dann immer noch das Messer.
„Wie groß? Wie hart?“
„Riesig und hart wie deiner. Ich habe dich so vermisst…“
Dem Sänger wurde regelrecht schlecht davon.
„Sag` bitte“, gierte Oliver.
„Bitte, bitte besorg’s mir mit deinem enormen Schwanz und bitte, lass den Ami einfach liegen. Der ist keine Konkurrenz.“
Rufus war jetzt bis auf drei, vielleicht auch nur zwei Schritte herangekommen. Er blickte nicht einmal zu Jeremy, nur zu Oliver. „Der Typ ist fade, wie ausgelutschtes Pfefferminzkaugummi.“
Oh, dammit. Das war das safe word. Was konnte er vorhaben? Liegen lassen hatte er gesagt. Jeremy begriff jetzt plötzlich. Er musste zu Boden. Und Oliver schien das tatsächlich zu gefallen. Er nahm den Arm und das Messer von Jeremys Hals und Ohr und stieß ihn abrupt zu Boden. Jeremy ächzte qualvoll. Sein Arm war plötzlich wieder frei und er hielt sich den Hals. In dem Moment hielt Oliver seine Arme weit, als wollte er Rufus umarmen. „Komm schon, Posh Boy… das wird so geil mit uns…“
Rufus ignorierte Jem am Boden und schloss den Abstand zu Oliver. Es sah so aus, als wolle er sich ihm an die Brust schmiegen, doch dann, plötzlich und blitzschnell, stieß er ihm mit beiden Fäusten so vor den Brustkorb, dass Oliver hintenüber taumelte. Der fing sich mit Mühe und fluchte, „verdammt, das bereust du!“, in dem Moment knallte ein Schuss und traf ihn mitten in den Kopf. Blut und Hirnmasse spritzten, etwas davon traf Rufus, der jetzt in die Knie sackte. Oliver fiel um, wie ein gefällter Baum. Jeremy schrie vor Schreck auf. Dann rappelte er sich eilig hoch und robbte zu Rufus hinüber, der am Boden kniete. „Geht’s dir gut? Shit, wer war das?...“ Rufus nickte aufgeregt, er atmete schwer. Was er getan hatte, hatte ihm enorme Anstrengung abverlangt. Im gleichen Augenblick trat der alte Butler aus einem Rhododendron hervor. In der Hand hielt er die Armeepistole. „Dammit, Hopkins!“, brachte Jeremy hervor, „Sie können ja richtig schießen!“
„Ist er… tot?“, war das Erste, was Rufus wissen wollte.
Jeremy schaute zu Oliver, der in einer dunklen Lache seines eigenen Blutes lag. Hopkins hatte ihn erreicht, kniete neben ihm und stupste ihn mit dem Lauf der Pistole an der Schulter. „Ja, Master Rufus. Ist er.“
Jeremy nahm seinen Liebsten jetzt behutsam in die Arme. „Er ist tot, alles wird gut.“