War das er? Nein, das konnte nicht sein! Oder etwa doch? Hier passierten so viele schräge Dinge, dass mein vernünftiges Urteilsvermögen immer überflüssiger wurde...
"Komm mit."
Wieder hallte die mir bekannte Stimme durch meinen Kopf und zerstreute meine Zweifel immer mehr. Das war Tommy, der hier auf welche Art und Weise auch immer zu mir sprach!
"Wo bist du?", fragte ich leise in die Dunkelheit hinein. Einige Sekunden verstrichen, ehe ich eine Antwort erhielt. In der Ferne ertönten wieder leise Schritte, doch bevor ich mich aufrichten konnte, um mich vor meinem Verfolger in Sicherheit zu bringen, hob sich meine Brust von ganz alleine nach oben. Ich kannte dieses Gefühl, doch diesmal war es nicht dasselbe. Da war wieder diese Wärme, etwas zog und zerrte an meinem Körper, jedoch wesentlich stärker und kraftvoller, als beim letzten Mal. Außerdem hatte ich nicht den Eindruck, dass ich weiter nach oben gehoben wurde. Vielmehr wurde etwas aus mir herausgezogen... Es tat nicht weh, versetzte mich aber dennoch in Panik. "Was machst du mit mir?!", rief ich Tommy zu. Ich erhielt keine Antwort und bemerkte mit Schrecken, dass langsam aber sicher das Gefühl aus meinen Gliedern wich. Die tauben Stellen fingen an zu pieksen wie eingeschlafene Füße, eine plötzliche Müdigkeit ergriff von mir Besitz und mein Kopf war schlagartig vollkommen leer. "Was tust du...", setzte ich noch einmal an, als von der einen auf die andere Sekunde ein starkes Schwindelgefühl durch meinen Magen raste und mir die restlichen Worte in der Kehle stecken bleiben ließ. Jede einzelne Faser meines Körpers kribbelte, ein heller Lichtblitz zuckte vor meinen Augen auf und mit einem Mal verlor ich jegliches Körpergefühl und wurde ich durch die Dunkelheit nach oben geschleudert. Mehrfach überschlug ich mich, doch wie durch ein Wunder wurde mir dabei nicht übel. Einen Wimpernschlag später war die Dunkelheit plötzlich wie weggewischt, so als hätte es sie überhaupt nie gegeben. Ich landete auf einer dunklen Wolkendecke, aus der einige graue Schwaden an mir hinaufwaberten, als ich mich aufrichtete und umher blickte. Um mich herum herrschte gleißende Helligkeit, es war warm und behaglich. Mir war, als wären all die Strapazen nur ein böser Alptraum gewesen, eine Illusion, die nun der Vergangenheit angehörte. So leicht hatte ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht gefühlt. Ich verschränkte die Arme hinter meinem Kopf und ließ mir das warme Licht ins Gesicht scheinen.
Dabei merkte ich gar nicht, dass sich mir jemand von hinten näherte, bis ich eine Hand an meiner Schulter spürte. Erschrocken wirbelte ich herum und ging in Verteidigungsposition. Mein Gegenüber konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. "Keine Sorge, hier wird dir niemand etwas antun, Michael.", meinte der vor mir stehende Junge und zwinkerte.
Ich ließ meine zu Fäusten geballten Hände langsam sinken und trat einen Schritt näher auf ihn zu. "Du bist doch Tommy.", stellte ich fest und betrachtete den Jungen genauer. Er trug schwarze Jeans, ein graues verwaschenes Kapuzenshirt mit einem aufgedruckten T, das von zwei Federn umrahmt wurde und ausgetragene schwarze Chucks. Die Haare waren struppelig und standen ein wenig ab, so als wäre er gerade erst aus dem Bett gestiegen. Die Hände hatte er in den Hosentaschen vergraben.
"Richtig.", er nickte. "Aber Tom reicht vollkommen aus...", fügte der Junge noch hinzu. Abwartend sah ich ihn an. In meinem Kopf spulten sich tausende Fragen ab, von denen ich nicht wusste, welche ich zuerst stellen sollte. "Es hat einen Grund, dass du hier bist.", fuhr Tom fort und sah nach unten auf die dunkle Wolkendecke, die sich auf den gesamten Horizont erstreckte und vor sich hin zu brodeln schien. Ich folgte seinem Blick. "Was genau ist das da unten?", fragte ich mit zitternder Stimme. "Die Hölle?"
"Nein...", Tom schüttelte ein wenig belustigt den Kopf, wurde daraufhin aber sofort wieder ernst. "Das... ist das pure Böse.", sagte er leise. Normalerweise hätte ich lächelnd abgewinkt und den Kopf geschüttelt. Das Böse... das war ja wie in einem schlechten Hollywoodstreifen. Stattdessen fuhr mir bei diesen Worten ein eisiger Schauer den Rücken hinunter und das schwarze Nebelgebilde kam mir mit einem Mal noch kälter und bedrohlicher vor.
Ich schluckte. "Wie bin ich da hineingeraten? Ich hab doch nur ein verdammtes Nickerchen gemacht!"
Tom warf mir einen mitleidigen Blick zu und meinte: "Purer Zufall, es hätte jeden treffen können..."
Ich runzelte die Stirn. "Ich verstehe nicht. Ist es normal einfach einzuschlafen und per Zufall in einem schwarzen Monsternest aufzuwachen und dort gequält zu werden, wobei man all die Schmerzen spürt?!", entgegnete ich eine Spur lauter, als beabsichtigt.
"Keinesfalls, Michael. Was dir passiert ist, befindet sich weit weg vom Bereich jeglicher Norm.", antwortete der dunkelhaarige Junge ruhig. Ich starrte ihn weiterhin verständnislos an und Tom beeilte sich zu erklären. "Wenn wir schlafen, ist nicht nur unser Körper am angreifbarsten, auch unser Geist oder unsere Seele, wie auch immer du es nennen willst, ist niemals so verwundbar, wie zu diesem Zeitpunkt..."
"Tom... was ist mit mir passiert?", fragte ich mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend. Der Angesprochene sah von der Wolkendecke auf und blickte mir geradewegs in die Augen.
"Deine Seele wurde dir geraubt."