Sein Gesichtsausdruck wurde immer verrückter, während er mich mit dem Messer quälte. In seinen Augen sah ich ein irres Glitzern. Die Faszination, die er für sein Tun verspürte. Meine Brust pochte schmerzhaft, warmes Blut lief an meiner Seite herunter. Tiefe Schluchzer erschütterten meinen Körper. Und ich wendete mich ab, schloss die Augen und drehte meinen Kopf zur Seite. Wenn ich jetzt gleich sterben würde, sollte diese Fratze nicht das Letzte sein, was ich in meinem kurzen Leben gesehen hatte.
Doch plötzlich hörte er auf. Kalte, nasse Finger streichelten über meine Wange. Sie rochen nach Blut, meinem Blut.
"Ich bin fertig, Tommy. Du wirst mir bestimmt dankbar sein, für das, was ich getan habe. Ich habe dich stärker gemacht!"
Als ob ich jemandem wie ihm jemals etwas anderes als abgrundtiefen Hass entgegen bringen könnte.
"Jetzt schlaf gut, mein kleiner Freund. Ich muss dich leider alleine lassen."
Irgendetwas an seiner Stimme klang komisch. So als würde sie immer undeutlicher werden, sich immer weiter von mir entfernen, obwohl der Widerling noch immer vor mir stand und mein Gesicht streichelte. Langsam drehte ich meinen Kopf wieder in seine Richtung und öffnete die geschwollenen Augen. Der Schatten befand sich noch immer vor mir. Aber etwas war anders.
Spielte mir mein Gehirn einen Streich? Oder verschwammen die Umrisse der dunklen Gestalt wirklich langsam vor meinen Augen?
"Die Anderen verdienen schließlich auch meine Zuwendung. Aber keine Sorge, ich komme wieder, Tommy."
Er sprach immer leiser und unverständlicher. Auch Mozart wurde immer stiller. Ich hatte Mühe seine Worte überhaupt zu verstehen.
Hat er "die Anderen" gesagt? Wer waren die Anderen? War ich etwa nicht der Einzige, den er hier quälte?
Ich versuchte etwas vom Raum zu erkennen, in dem ich mich befand. Aber das Licht blendete mich immer noch. Jedoch nicht mehr so sehr, wie zu Anfang.
Jetzt, wo ich darüber nachdachte, wurde es hier immer dunkler.
Der Schatten wurde immer schwärzer. Alles verschwamm mehr und mehr vor meinen Augen. Die Hand an meiner Wange wurde auch immer schemenhafter. Und was mich am allermeisten überraschte, der Schmerz in meiner Brust verebbte und wurde zu einem nunmehr tauben Gefühl.
Was ging hier vor?
Kurz bevor das Licht vollkommen erlosch und die Dunkelheit sich mit der schwarzen Gestalt vor mir vermischte, spürte ich einen Ruck in meiner Magengegend. Wie ein kurzes Flattern, dass genauso schnell wieder verschwand, wie es gekommen war. Dann war es wieder da, diesmal viel stärker und länger. Eine unsichtbare Macht zog an meinem Körper, hob ihn an und ließ ihn wieder zurück auf den Untergrund knallen. Ich wand meinen linken Arm aus dem Labyrinth von Schnüren und versuchte mich mit meiner freien Hand am Tisch festzukrallen. Aber die ursprünglich harte Tischplatte wurde in meinem Griff zu einer weichen Masse, die mich an Knete erinnerte. Ohne jegliche Wirkung glitt mein Arm hindurch. Meine Hand umschloss einen Klumpen des bizarren Materials, das einen Moment später in meinem Griff zerfiel. Mit Entsetzen bemerkte ich, wie mein Körper langsam in der immer weicher werdenden Tischplatte versank. So musste es sich anfühlen auf einer durchgelegenen Matratze zu versinken. Im nächsten Moment spürte ich, wie die Fesseln an meinen Armen und Beinen zerfielen. Genauso wie der ganze Tisch unter mir und für einen kurzen Augenblick stürzte ich nach unten. Ich schnappte überrascht nach Luft und machte mich schon auf einen schmerzhaften Aufprall gefasst, aber kurz bevor ich auf dem Boden aufschlagen konnte, begann das Ziehen von Neuem. Eine geheimnisvolle Kraft setzte meinem Fall ein Ende und hob mich langsam nach oben. Diesmal fiel ich nicht wieder zurück. Die unsichtbare Hand hatte mich fest im Griff. Komischerweise hatte ich keine Angst mehr. Fast schon fühlte ich mich geborgen.
Es mag verwirrend klingen, aber ich hatte das Gefühl, dass mir geholfen wurde.
Der Raum war nun vollkommen dunkel, nur ein schwacher Lichtschein leuchtete noch unter der geschlossenen Tür hervor. Ich konnte meinen Peiniger nirgendwo mehr entdecken.
War er überhaupt noch hier?
Plötzlich durchbrach ein leises Echo die neue Stille. Sicher war ich mir zwar nicht, aber ich meinte ein
"Bis bald, Tommy."
gehört zu haben. Gleich darauf öffnete sich die Tür und eine dunkle Gestalt schob sich vor das schummerige Licht. Er ging. Meine Erleichterung war unbeschreiblich. Die Hoffnung, die ich eigentlich schon verbannt hatte, kehrte zu mir zurück. Ich war bereit, das alles hier hinter mir zu lassen und mich von dieser unsichtbaren Kraft dorthin tragen zu lassen, wo sie mich haben wollte. Aber etwas ließ mich zögern. So als ob mein geheimnisvoller Retter meine Gedanken lesen könnte, hörte das Ziehen schlagartig auf und ich blieb mitten in der Luft liegen. Einem plötzlichen Instinkt zur Folge drehte ich mich um und schaute zurück auf den Platz, wo vorher noch der Tisch gestanden haben musste. Entgegen meiner Erwartungen war der Platz aber nicht leer. Ich fühlte mich beobachtet. Im spärlichen Licht konnte ich zwar nicht viel erkennen, aber unter mir befand sich kein blanker Boden. Der Tisch war nicht verschwunden. Im Gegenteil, er stand noch da. Ein glänzender Obduktionstisch, wie man ihn aus jedem Krimi kannte. Und wie in jedem Krimi war er besetzt. Unter mir lag jemand. Fassungslos starrte ich nach unten. Dort lag ein Junge, nur einige Jahre jünger als ich selbst. Die blutverschmierte Brust bildete einen krassen Gegensatz zu seiner blassen Haut. Nicht nur sein Oberkörper war von Blut bedeckt, sondern auch seine Arme und Beine. Tiefe Schnitte zierten all seine Gliedmaßen. Ein gequälter Ausdruck lag auf seinem schmalen Gesicht, das von schulterlangem, dunklem Haar umrahmt wurde. Mit leerem, hoffnungslosem Blick starrte er an die Decke und damit wie zufällig in meine Augen. Mein Herz krampfte sich bei diesem Anblick schmerzhaft zusammen.
Ich hatte so eine Vermutung, wer da vor mir lag. Zitternd holte ich Luft, bevor ich sprach.
"Tommy, bist du das?"
Ich rechnete eigentlich mit keiner Antwort. Aber ob er mir geantwortet hätte, würde ich nie wissen. Denn im nächsten Moment, fiel die Tür ins Schloss und die unsichtbare Kraft zog mich mit einem mächtigen Ruck nach oben.
Fort von dem Ort, an dem ich mehr Leid erfahren hatte, als je zuvor in meinem Leben.
Und fort von Tommy.