Dienerinnen brachten Wein, Tücher und mehrere Schüsseln mit dampfendem Wasser. Roana wusch sich sorgfältig die Hände und trocknete sie ab.
An dieser Stelle folgte bei Ahmad immer ein kurzes Gebet zu Allah um Hilfe, aber Roana vermochte sich weder auf die lateinischen noch auf die arabischen Worte zu konzentrieren. Ihr war übel vor Aufregung. Gandars Freund hatte sie wohl in der Behandlung von Wunden unterrichtet, aber noch nie war sie dabei ganz auf sich allein gestellt gewesen.
Ein weiterer Diener brachte Verbandszeug, Ahmads Medizinkasten und einen Eimer für Abfälle und stellte alles neben ihr ab. Nachdem sie den Diener noch angewiesen hatte, ein Kissen unter Rafaels Rücken zu schieben, damit die Wunde höher zu liegen kam, schickte sie ihn aus dem Gemach. Aber dann war es mit ihrer selbstsicheren Haltung erst einmal vorbei. Am liebsten hätte sie sich in eine dunkle Ecke verkrochen und den Kampf gegen ihre Tränen einfach aufgegeben. In was für eine Lage hatte sie sich da nur wieder gebracht? Hatte Oheim Gandar sie nicht genau davor gewarnt?
Sie hatte über seine ständigen Predigten gelacht, aber nun zeigte sich, wie recht er gehabt hatte. Ihr war ein schrecklicher Fehler unterlaufen und es geschah ihr nur recht, wenn sie die Buße dafür auf sich nehmen musste.
Sie beugte sich über den Verletzten und schnitt ihm den blutgetränkten Verband vom Körper. Unter ihren vorsichtigen Berührungen zuckte er zusammen, öffnete zögernd die Augen und wollte sich abrupt aufsetzen.
»Nicht!« Sie streckte die Hand aus, um ihn daran zu hindern, zog sie jedoch hastig wieder zurück, bevor sie mit seinem Körper in Berührung kam, und wandte sich von ihm ab. Er sank auf das Kissen zurück und blieb ruhig liegen. Aber sie konnte spüren, dass er sie beobachtete. Sie warf den blutigen Stoff in den Eimer und bückte sich nach der Kiste mit den säuberlich gerollten Scharpiebäuschen. Mit zitternden Fingern begann sie, die Wunde zu reinigen. Sie ging dabei nicht eben sanft vor und binnen Kurzem standen Schweißperlen auf Rafaels Stirn.
Aber ihr war alles recht, was ihr helfen konnte, die schreckliche Unsicherheit zu vertuschen, die sie in seiner Gegenwart empfand. Für gewöhnlich reichte schon der Anblick einer nackten Männerbrust, um einen heftigen Widerwillen in ihr hervorzurufen. Aber hier …
Verstohlen ließ sie ihren Blick über seinen athletischen Körper wandern. Bei ihm empfand sie – nichts. Zumindest nicht die Art von Übelkeit, die ihr die Vorstellung, einen Mann berühren zu müssen, immer verursachte. Vielmehr spürte sie eine gewisse Erregung. Ein sanftes Flattern in der Magengrube. So wie damals, als Gandar ihr die Götterstatuen im Tempel von Segeste gezeigt hatte. Sie hatte ihre Finger über den kalten, glatten Marmor gleiten lassen und …
Himmel, was für Gedanken habe ich da, schoss es ihr durch den Kopf. Das hier ist nun wirklich kein Standbild aus Marmor. Dieser Mann ist lebendig – ein Raubtier, das nur darauf wartet, in einem Moment der Schwäche über dich herzufallen …
Sie warf die besudelten Bäusche in den Eimer, wandte sich Ahmads Medizinkasten zu und suchte eine Weile darin herum. Schließlich nahm sie eine kleine Amphore heraus, zog den Stöpsel aus der Öffnung und ließ violett glänzende Kristalle auf ihre Hand rollen.
»Was ist das?«, fragte Rafael argwöhnisch.
»Wundkristall.«
»Und du bist sicher, dass es wirkt?«
»Bei Ahmads Pferden hat es jedenfalls immer geholfen«, erwiderte Roana und streute die Kristalle in einen Becher mit Honigwasser. Es zischte leise und dann färbte sich das Wasser tiefrot. Vorsichtig träufelte sie die Flüssigkeit in Rafaels Wunde, tupfte weg, was herauslief, und spülte so die Wunde, bis der Becher leer war.
Rafael holte zischend Atem. »Verdammt! Was ist das für ein höllisches Zeug?«
»Oh«, machte Roana. »Ich habe keine Ahnung, aus was es besteht. Ahmad weigert sich, es mir zu verraten.«
Rafael fluchte.
Roana griff nach dem Weinkrug. »Möchtest du welchen?«, fragte sie zuckersüß.
»Ich trinke nicht«, murmelte Rafael.
Sie warf die besudelten Bäusche in den Eimer, wandte sich Ahmads Medizinkasten zu und suchte eine Weile darin herum. Schließlich nahm sie eine kleine Amphore heraus, zog den Stöpsel aus der Öffnung und ließ violett glänzende Kristalle auf ihre Hand rollen.
»Was ist das?«, fragte Rafael argwöhnisch.
»Wundkristall.«
»Und du bist sicher, dass es wirkt?«
»Bei Ahmads Pferden hat es jedenfalls immer geholfen«, erwiderte Roana und streute die Kristalle in einen Becher mit Honigwasser. Es zischte leise und dann färbte sich das Wasser tiefrot. Vorsichtig träufelte sie die Flüssigkeit in Rafaels Wunde, tupfte weg, was herauslief, und spülte so die Wunde, bis der Becher leer war.
Rafael holte zischend Atem. »Verdammt! Was ist das für ein höllisches Zeug?«
»Oh«, machte Roana. »Ich habe keine Ahnung, aus was es besteht. Ahmad weigert sich, es mir zu verraten.«
Rafael fluchte.
Roana griff nach dem Weinkrug. »Möchtest du welchen?«, fragte sie zuckersüß.
»Ich trinke nicht«, murmelte Rafael.
Ungeduldig verdrehte Roana die Augen. »Ich meinte nicht, dass du dich betrinken sollst. Ich dachte, dass du vielleicht etwas gegen die Schmerzen möchtest.«
»Nein«, erwiderte Rafael kurz angebunden.
»Ganz wie du willst, mein Herr«, meinte sie, stellte den Weinkrug fort und durchtränkte ein trockenes Tuch mit Wasser. Erneut beugte sie sich über Rafaels nackte Brust. Er schloss erschöpft die Augen, als sie das restliche Blut von seiner linken Schulter zu waschen begann. Verstohlen betrachtete sie den frisch verheilten Schnitt, der nahe seiner Kehle entlang lief. Sie verstand genug von Wunden und ihren Auswirkungen, um zu wissen, dass er dieser Verletzung eigentlich hätte erliegen müssen.
Sie wrang das Tuch über der Schüssel aus und betrachtete dann den Messerstich genauer. Er blutete kaum noch. Rafael richtete sich auf die Ellenbogen auf und schüttelte den Kopf, so, als ob er die Benommenheit hinter seiner Stirn vertreiben wollte.
»Fang an, zu nähen«, befahl er matt.
Roana nickte. Ihre Hände zitterten ein wenig, als sie die Nadel nahm, um den Faden einzufädeln. Sie rückte eine der Wasserschüsseln griffbereit neben sich zurecht und tauchte Nadel und Faden in die nach Honig riechende Flüssigkeit. Mit der linken Hand drückte sie dann die Wundränder zusammen und näherte die Nadel Rafaels Haut.
»Versuche dich jetzt möglichst nicht mehr zu bewegen«, verlangte sie, »ich fange an, ja?«
Als Antwort gab er ein ungeduldiges Knurren von sich.
Sie warf einen finsteren Blick auf seinen schwarzen Schopf und stach die Nadel fester, als es nötig gewesen wäre durch seine Haut. Er zuckte mit keinem Muskel. Roana, die einen Schmerzenslaut erwartet hatte, hielt inne und hob überrascht den Blick. Das plötzliche Glitzern in seinen Augen verriet, dass er ihre Absicht, ihn zu quälen, durchschaut hatte. Er gab sich nicht die geringste Mühe, seine Amüsiertheit zu verbergen, ganz so, als habe er sie bei einem kindischen Streich ertappt. Roana fühlte sich schachmatt gesetzt, etwas, was ihr keineswegs gefiel. Nur mit Mühe war sie imstande, ihre Hände ruhig zu halten, während sie die Wundränder langsam zusammennähte. Mit voller Konzentration verknotete sie schließlich den Faden und schnitt ihn dann ab. Dann nahm sie neue Scharpiebäusche zur Hand und säuberte noch einmal die Wunde.
»Das war’s. Wie fühlst du dich?«, fragte sie kühl, als sie sich die Hände wusch und danach abtrocknete.
»Besser.«
Roana schnaubte ungläubig. »Wie dem auch sei, versuche jedenfalls, den Arm in den nächsten Tagen nicht allzu sehr zu belasten.«
»Das hängt ganz von dir ab«, teilte er ihr knapp mit.
»Machst du Scherze? Ich habe mit dir nichts weiter zu schaffen.«
»Da irrst du dich. Durch deinen Angriff auf mich hast du meine Pläne zunichtegemacht und musst nun die Folgen tragen.«
»Was?«, fragte sie verdutzt. »Ich verstehe nicht …«
»Du verstehst mich sehr gut«, widersprach er kühl. »Du wirst mich nach Rodéna begleiten und Herzog Gandar deine Tat gestehen. Vermutlich wird er ein mildes Urteil fällen«, fügte er nach einem Moment hinzu. »Du stehst ihm sicherlich nahe genug, um zu wissen, was du sagen und tun musst, um ihn von deiner angeblichen Reue zu überzeugen. Allerdings möchte ich dir raten, dich dabei sehr genau an die Wahrheit zu halten. Wir wollen doch nicht, dass es zu bedauerlichen Missverständnissen kommt, nicht wahr?«
»Wie kannst du mir so etwas Ungeheuerliches unterstellen? Ich habe es nicht nötig, irgendwelche Lügengeschichten zu erfinden. Schließlich warst du es, mein Herr, der sich von hinten an mich herangeschlichen hat.«
»Unbewaffnet und ohne böse Absicht.«
»Du erwartest doch nicht von mir, dass ich das glaube?«, erwiderte sie wütend.
»Nun, es ist völlig unerheblich, ob du es glauben willst oder nicht, denn das ändert nichts an den Tatsachen.«
Sie betrachtete ihn einen Moment, und sie hatte Mühe, ihren Zorn über ihre Machtlosigkeit nicht zu zeigen. »Na schön. Beschwere dich bei Herzog Gandar, wenn du willst. Vielleicht hast du ja mehr Glück und findest heraus, auf welcher seiner Besitzungen er sich gerade aufhält. In Rodéna ist er jedenfalls nicht.«
»Oh, keine Sorge. Ich verfüge über Mittel und Wege, mich mit dem Herzog in Verbindung zu setzen, egal wo er sich gerade befindet.«
Roanas helle Augen weiteten sich. »Ist das wahr?«, fragte sie misstrauisch.
Sein Blick verriet nichts. Ebenso wenig wie sein Gesicht oder sein leichtes, rätselhaftes Lächeln.
Was konnte dieser Mann wissen, was ihr nicht bekannt war? Sie konnte sich nicht erinnern, ihn in Rodéna schon einmal gesehen zu haben. Aber er musste mit ihrem Oheim oder Ahmad befreundet sein. Nur Freunde erhielten Zutritt zu Ahmads Haus.
»Nun? Willst du mir nicht antworten, mein Herr?«
»Nein«, erwiderte er kühl. »Warum sollte ich freiwillig einen Vorteil verschenken? Um das zu tun, müsstest du mir schon eine entsprechende Gegenleistung bieten.«
»Du verlangst Bezahlung?«, fragte sie, halb erbost, halb verständnislos. »Abgesehen davon, dass deine Forderung an Unverschämtheit grenzt, habe ich nichts von Wert bei mir.«
»Oh doch, das hast du.«
Sein Lächeln wurde breiter. Er wandte den Blick von ihrem Gesicht, ließ ihn langsam ihren Körper hinabgleiten und sie hatte das Gefühl, dass er sie mit seinen Augen langsam, Stück für Stück, auszog.
Roana schauderte innerlich, aber sie ließ ihn nicht merken, mit welchem Schrecken seine Blicke sie erfüllten. Stattdessen betrachtete sie ihn abschätzend, während sich ihre Mundwinkel langsam zu einem Lächeln kräuselten, das jedem, der sie kannte, vor Schreck die Sprache verschlagen hätte. Und auch jetzt erzielte sie eine gewisse Wirkung, wenn auch nicht in dem Ausmaß, wie sie es gewohnt war. Aber sie hatte ja schon gesehen, dass der Fremde kein Mann war, den man allzu leicht beeindrucken oder einschüchtern konnte.
»Du wagst es, so … etwas anzudeuten?«, fragte sie mit einer rauen, eine Spur kehligen, Stimme. »Du kannst unmöglich glauben, dass ich …«
Er setzte sich auf. »Oh doch, dolcezza, ich kann.«
»Nenne mich nicht dolcezza, verdammt noch mal!«, fuhr sie ihn an.
»Ach? Und warum nicht? Sieh dich doch an! Du trägst Männerkleidung, die kaum etwas verbirgt, und treibst dich allein in Triormani herum. Was soll ich da denken?«
»Ich habe gute Gründe hier zu sein.«
Er sah sie an, als zweifele er an ihrem Verstand. »Ich höre.«
»Es geht dich nichts an, Herr.« Sie wandte sich von ihm ab und starrte aus dem Fenster. »Du würdest es ohnehin nicht begreifen«, murmelte sie so leise, dass sie es selbst kaum verstehen konnte.
Er griff mit der Rechten nach ihrem Handgelenk, zog sie näher heran.
Angst wallte in ihr auf und sie versuchte verzweifelt, Ruhe zu bewahren. So vieles hatte sich geändert. So vieles. Aber die Furcht war geblieben. Der stählerne Griff eines Mannes brachte sie zurück … zusammen mit den Bildern aus einer anderen Zeit, in der Männer sie festgehalten hatten, um sich gewaltsam zu nehmen, was sie wollten.
In seinen Augen blitzte etwas auf. Vielleicht Ärger. Oder etwas noch Stärkeres.
Ein heftiger Ruck an ihrem Arm brachte sie ins Straucheln. Plötzlich waren ihre Augen auf einer Höhe mit seinem Mund, eine ziemlich beunruhigende Tatsache auf diese Entfernung. Sie spürte seinen Atem auf ihrer Haut, roch den schwachen Duft nach fremden Gewürzen, der seinem Haar anhaftete; und senkte die Lider, aus Angst vor den Gedanken, die ihr beim Anblick seiner sinnlichen Lippen durch den Kopf schossen.
»Lass dich warnen, Madonna«, sagte er erstaunlich ruhig. »Ich bin nicht Gandar, der dir deine Verrücktheiten durchgehen lässt. Du hast mich ohne Grund angegriffen. Dafür wirst du bezahlen, ob dir das gefällt oder nicht.«
Roana sah ihn an. Dann öffnete sie den Mund – nicht viel, kaum dass sich die Lippen teilten – und stieß ein fast lautloses, girrendes Lachen aus. Aber dieser Ton, so schwach er auch war, hatte etwas an sich, dass Rafael dazu brachte, sie abrupt loszulassen. Sie wich hastig zurück. Wie sie zufrieden feststellte, zuckte eine seiner Wangenmuskeln. Er war also bei Weitem nicht so gelassen, wie er tat. Aber dann wurde seine Miene wieder vollkommen reglos.
Roana wusste, dass sie ihn nicht zu sehr aufbringen durfte, wenn sie etwas über ihren Oheim erfahren wollte. Aber ihn für seine Informationen – bezahlen? Darauf konnte er lange warten!
»Waffenruhe?«, fragte sie. »Ich muss deine Wunde verbinden.«
Er nickte. Sie begann erneut im Medizinkasten zu kramen und förderte schließlich einen Tiegel zutage, der eine Salbe aus Öl und Wachs enthielt. Sie strich etwas davon auf ein sauberes Stück Leinen, fügte noch einige Kräuter hinzu und legte den Umschlag über die frische Naht.
Während sie ihn verband, streiften ihre Finger immer wieder seine warme Haut und sie musste sich zwingen, nicht jedes Mal zurückzuzucken, als habe sie sich verbrannt. Sie hoffte, dass es ihm nicht aufgefallen war.
Aber sein Blick sagte ihr, dass er nur zu gut begriff, was in ihr vorging. Er ließ dieses Wissen unausgesprochen zwischen ihnen stehen, während seine Augen sie auf eine Weise zu streicheln schienen, wie sie es noch nie erlebt hatte – mit lässiger Sinnlichkeit, in dem Wissen, dass ihr Körper zwangsläufig darauf reagieren würde.
In diesem Augenblick hasste sie ihn. Sie hasste ihn dafür, dass er ihr das Gefühl gab, eine Frau zu sein. Sie hasste die Schwäche, die dieses Gefühl in ihr hervorrief.
Grimmig zog sie sich einen Hocker heran und setzte sich neben den Diwan. Waren es die vermeintlichen Informationen über Gandar wirklich wert, sich mit diesem Mann einzulassen?
Schweigend maßen sie ihre Blicke miteinander. Minutenlang. Eine halbe Ewigkeit lang. Wer von uns hält das länger aus, dachte Roana. Sie war überrascht, als sie merkte, dass der Anblick des Verbandes und der starren Haltung, die seine Schmerzen verriet, ein schlechtes Gewissen in ihr weckte. Aber sie wusste, wie man bluffte. Und sie war nicht bereit, nachzugeben.
»Du beißt dir lieber die Zunge ab«, sagte er plötzlich mit einem wölfischen Grinsen, »als auch nur die kleinste Frage an mich zu richten, nicht wahr?«
»Wohl kaum. Vielmehr glaube ich, dass du nichts weißt, was interessant genug wäre, um den Aufwand eines Gesprächs mit dir zu rechtfertigen.«
Sein Lächeln wurde breiter. »Aber du bist dir dessen nicht sicher, habe ich recht?«
Sie verspürte den Wunsch, mit einem Schlag das lässige Grinsen aus seinem Gesicht zu wischen – oder vielmehr, ihn gefesselt, ganz und gar ihrem Willen unterworfen, vor sich zu haben.
Der Gedanke daran war berauschend. Erregend. Und Furcht einflößend. Langsam, beinahe feierlich erhob sie sich, strich ihre Tunika glatt und griff nach ihrer Haube. Dann begab sie sich zielstrebig zur Tür.
»Roana!«
Sie reagierte nicht, öffnete die Tür und trat auf den Gang hinaus. Rafael sprang vom Diwan und erwischte sie, als sie gerade dabei war, die Tür zum Hof zu öffnen. Wie Stahlklammern legten sich seine Finger um ihren Arm und zerrten sie unsanft zu seinem Gemach zurück. Sein Atem ging schwer. Mit dem Rücken an die geschlossene Tür gelehnt, stand er da und starrte sie an. Unter der Sonnenbräune hatte sein Gesicht alle Farbe verloren. Aber sein Blick enthielt etwas sehr Gefährliches.
Roana sah ihn an. Dann lachte sie plötzlich, und da war es wieder, dieses merkwürdige, kehlige, unbeschreiblich belustigte Glucksen, das so leise war, dass man sich anstrengen musste, um es zu hören.
»Nein?«, sagte sie. »Zu schade. Ich hab nämlich eine Schwäche für Männer, die sich zum Narren machen.«
Langsam ging er zum Diwan zurück und ließ sich darauf sinken. »Ich verfluche den Tag, an dem Dom Gandar mich bat, dich nach Hause zu begleiten«, murmelte er. »Noch nie war mir eine Verpflichtung so verhasst …«
»Deine Verpflichtungen – dazu solltest du mich lieber nicht zählen, mein Herr«, sagte Roana. »Ich gehöre niemand, nur mir selbst. Und dich, wer auch immer du bist, brauche ich nicht. Ich brauche überhaupt keinen Mann. Ich bin ein freier Mensch. Außerhalb der Reichweite Gottes – und vielleicht auch des Teufels …«
Er lachte bitter. »Es gibt keine wirkliche Freiheit.«
»O doch, es gibt sie«, sagte sie. »Seltsam …«
»Was ist seltsam?«
»Der Grund, warum ich frei bin. Ich nehme an, es ist die einzige Möglichkeit, wie man es jemals wirklich sein kann.«
»Und worin besteht sie, Frau?«, fragte er grimmig.
»Also gut«, sagte sie. »Ich werde es dir erklären, damit du weißt, woran du bist. Ich bin frei, weil ich mir aus nichts etwas mache. Weil mir nichts etwas bedeutet. Absolut nichts. Nicht einmal mein Leben. Wenn du jetzt eine Armbrust auf mich anlegst, würde ich bloß näher rangehen, um sicher zu sein, dass du mich nicht verfehlst …«
»Und daran glaubst du?« Er betrachtete sie mit einem verschlagenen Blick. »Angenommen, ich würde dir drohen, dir dein hübsches kleines Honiggesicht so herzurichten, dass du es nicht mehr wiedererkennst?«, fragte er.
Ihre hellen Augen verengten sich. »Das ist tatsächlich eine wirksame Drohung«, sagte sie langsam. »Du kennst dich mit Frauen aus, wie? Die meisten von uns schätzen ihr Aussehen mehr als ihr Leben. Aber – versucht´s lieber nicht. Wenn du mich angreifst, musst du mich auch töten. Und das kannst du Gandar wohl schlecht erklären, nicht wahr? Abgesehen davon muss man dazu wirklich etwas auf dem Kasten haben, und das hast DU nicht, mein Lieber.«
Sie hielt inne und blickte Rafael an. In seinem Gesicht war eine Veränderung vorgegangen. Jeder Muskel war gespannt und hart. Er saß da, mit regloser Miene und fixierte sie mit Augen, die sich in ihr tiefstes Innerstes bohrten. Und das, so fand sie, war bedrohlicher als alles. Viel schlimmer, als offene Drohungen oder sichtbarer Zorn.
Roana senkte den Blick. Sie hatte Angst. Sie – die gedacht hatte, dass sie nichts mehr erschrecken konnte. Das Gefühl behagte ihr gar nicht. Trotzdem wich sie nicht eine Handbreit zurück, sondern starrte Rafael kalt und unverfroren ins Gesicht.
In diesem Moment flog die Tür auf und Peire stürmte, die vermisste Laute in der Hand, herein. Abrupt hielt er inne. Verwirrung spiegelte sich auf seinem Gesicht.
»Rafael«, begann er, »mir gefällt nicht, wie du Madonna Roana ansiehst … und Du, Frau – du begehst einen schweren Fehler, wenn du meinen Freund absichtlich reizt…«
»Ach, tue ich das?«, fragte Roana.
Ein Lächeln erschien auf Rafaels Gesicht. Breitete sich aus. Raubte ihr den Atem. Weil es das bösartigste Lächeln war, das sie je erblickt hatte.
»Sie weiß es nicht besser, Peire«, sagte Rafael. »Ich fürchte, ich habe versäumt, mich vorzustellen.«
»Oh, mein Gott«, entfuhr es Peire. Und dann noch einmal: »Mein Gott.«
Rafaels Grinsen war eindeutig schadenfroh. »Mein voller Name ist Rafael von Rodéna«, sagte er. »Aber man nennt mich auch Malik al Maut.«
Roanas ganzer Körper erstarrte. Gandar hat mich einer Bestie ausgeliefert. Roana dachte diese Worte nicht; sie hörte sie. Wie Kirchenglocken klangen sie ihr in den Ohren, wie die großen bronzenen Glocken aller Kathedralen Siziliens, die vereint ihre betäubenden Stimmen erhoben, um das Ende aller ihrer Hoffnungen zu verkünden. Ausgeliefert. Einer Bestie.
EINEM MÖRDER!
Ihre Haube zu einer feuchten Kugel knüllend, wandte sie sich zur Tür. Aber sie erreichte sie nicht. Sie brach einfach vornüber zusammen und schlug mit dem Gesicht so hart auf dem Boden auf, dass ihre Zähne in die Oberlippe eindrangen und Blut aus ihrem Mund sickerte. Von weit her hörte sie Peire aufschreien.
Doch schon einen Lidschlag später hörte, sah und spürte sie nichts mehr. Weil alles um sie herum in Dunkelheit versunken war.