Waren wir zwei etwa telepathisch verbunden, oder wie funktionierte das alles hier? War ich in Tommy's Geist gefangen? Aber auf welche Weise und warum? Der Tunnel aus Erinnerungsfragmenten, das Zobiemonster, der verrückte, sadistische Metzger... und schließlich meine ebenso plötzliche, geheimnisvolle Rettung, wie hing alles zusammen?
Tausende Gedanken schwirrten durch meinen Kopf, während die sich bewegenden Bilder an mir vorbeizogen. Und nach kurzer Zeit fiel mir auf, dass es sich einzig und allein um Fragen handelte. Fragen, auf die ich eine Antwort suchte. Vielleicht gelang es mir dann endlich wieder aus diesem Paralleluniversum, oder was auch immer das war, rauszukommen.
Es gab nur ein winzig kleines Problemchen... Wen zur Hölle sollte ich fragen? Gut okay, das Problem war größer als gedacht.
In Gedanken ging ich all die Bekanntschaften durch, die ich hier gemacht hatte und fand, dass ich mit keiner von ihnen vernünftig reden würde können.
Das Schlabbermoster verstand sich nur aufs Knurren und Beißen, der Messerstecher ignorierte jedes Wort, das ich sagte, weil er mich für Tommy hielt und mit Bildern kann man leider (!) nicht reden... Auch wenn sie sich bewegten. Obwohl... man könnte schon, aber ich war mir ziemlich sicher, dass die Unterhaltung recht einseitig werden würde. Tommy könnte mir vielleicht weiterhelfen, aber genau wie die beißwütige Kreatur und der Messer schwingende Sadist war er gerade nicht hier. Blieb eigentlich nur noch einer... Langsam drehte ich meinen Kopf nach hinten und warf einen Blick über meine rechte Schulter. Nichts... Nur weitere unzählige Bilder. Ich suchte geistig nach der Stelle, wo das Ziehen am stärksten war... an meinem Rücken. Mit den Händen tastete ich meinen Rücken ab, spürte jedoch nichts. Nur, dass der Punkt zwischen meinen Schulterblättern ungewöhnlich warm war und sich so anfühlte, als ob jemand mit einem Saugnapf daran ziehen würde. Entschlossen holte ich Luft.
"Hallo? Kannst du mich hören? Ich will mich bei dir bedanken dafür, dass du mich befreit hast!"
Mein Retter schwieg. Auch nach minutenlangem Warten antwortete er mir nicht. Das Einzige, was ich weiterhin hören konnte, waren die sprechenden Bilder. Verdammt... es sah so aus, als würde ich noch eine Weile ahnungslos bleiben. Vielleicht fand ich ja Antworten, nachdem ich diesen Tunnel verlassen hatte.
Ich war zuversichtlich, dass mir dort nichts schlechtes widerfahren würde. Eigentlich war ich kein großer Optimist, Glas-halb-voll-Seher oder Alles-wird-gut-Denker, aber das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit war einfach übermächtig. Ein warmer Mantel aus positiver Energie umhüllte meinen nackten Körper und schien seinen Ursprung im heißen Punkt an meinem Rücken zu haben. Ich fühlte mich nach wie vor geschafft und ausgelaugt und beschloss einfach abzuschalten und mich treiben zu lassen. Im Moment konnte mir ja nichts passieren. Das erste Mal seit ich hier war, musste ich keine Angst um meinen Hals haben. Es war furchtbar schlimm, immer in Weglaufbereitschaft zu sein, in jeder Ecke gleich die nächste Falle vermuten zu müssen und ständig das Gefühl zu haben in Gefahr zu sein. Beruhigt entspannte ich und schloss die Augen. Jetzt hörte ich nur noch die leisen, hallenden Wortfetzen, die langsam zu einem sonoren Hintergrundgeräusch verschwammen. Irgendwoher ertönte plötzlich eine Melodie, die mir eiskalte Schauer über den Rücken jagte und mein Herz schmerzhaft zum Pochen brachte. Sie wurde halb überdeckt vom Geräusch eines Motors, aber das reichte schon, um mich in helle Panik zu versetzen. Denn es war nicht irgendeine... Es war Mozarts Klaviermusik. Den Titel des Liedes kannte ich nach wie vor nicht, aber es kam mir nur allzu bekannt vor, schmerzlich bekannt... Mit klopfendem Herzen riss ich die Augen auf. Ich war immer noch im Tunnel und nicht zurück in der Folterkammer. Pure Erleichterung durchströmte meinen Körper und vertrieb das Gefühl der Übelkeit in meiner Magengegend.
Noch einmal könnte ich das nicht aushalten. Nie mehr! Wenn ich nicht im Keller lag, musste das Geräusch von hier kommen.
Hektisch schaute ich mich um, suchte an der Tunnelwand nach der Quelle der Melodie. Irgendwo links von mir hörte ich sie. Da drüben!
Mein Blick fiel auf eine widerliche Fratze. Es war das abscheuliche Kloßgesicht des Mozart hörenden Metzgers! Hinter der Frontscheibe eines dreckigen, grauen Lieferwagens. Er kam auf mich zu und ich hielt unbewusst den Atem an, obwohl ich wusste, dass es nur Tommy's Erinnerung war. Der Verrückte wippte seinen Kopf zum Takt der Musik und starrte mich, nein Tommy, grinsend an. Das Auto kam zum stehen. Die Augen des Mannes funkelten gefährlich, als er die Fahrertür des Wagens öffnete. Ich wollte mir das Nummernschild ansehen, da schwenkte plötzlich die Sicht um und ich erkannte einen schlecht beleuchteten Gehsteig. Das spärliche Licht der Strassenlampe vor mir brachte die Pfützen auf dem Asphalt zum glitzern. Im Hintergrund hörte ich eine Autotür zuschlagen. Tommy's Schritte beschleunigten sich. Er hielt auf die Tür eines kleinen, blauen Hauses zu. Dann wurde plötzlich das Bild schwarz. Ich hörte einen überraschten, schmerzerfüllten Schrei und dann verschwand es ganz.