„Hallo Hedwig, hier für Dich.“ Zärtlich strich die künftige Lady Potter über das Gefieder der Schneeeule. Seine privatesten Briefe überbrachte noch immer die Eule, die Harry bei seinem ersten Besuch in der Winkelgasse gekauft hatte. An ihrem Fuß hing ein Brief, der eindeutig von Lord Potter kam. Er war so verzaubert, das nur Ginnys Zauberstab den Inhalt preisgab. „Meine Schöne. Du bist frei zu tun, was Du willst. Der Preis wird dennoch gefordert werden. Harry.“
Ginny starrte von Balkon des Mandarin Oriental in die Nacht. Der Preis muss gezahlt werden, klang Harrys sanfte Stimme in ihrem Kopf nach. Der Nachtwind kühlte ihr glühendes Gesicht nur wenig. Die Lichter der Stadt unter ihr spendeten ihr keinen Trost. Sie trug nur einen leichten Morgenmantel und darunter ein zartes Satinnegligé. Nicht einmal Schuhe hatte sie sich angezogen. Sie dachte an diesen magischen ersten Kuss mit Harry vor Jahren. So voller Hoffnung und Liebe hatten sich ihre Lippen getroffen. Damals als es Hogwarts noch gab. Ginny erlaubte sich zu weinen. Sie weinte selten und nie im Schloss. Jetzt aber liefen alle ungeweinten Tränen über ihr hübsches Gesicht. Hedwig zwickte tröstend ihr Ohr. Sie zahlte den Preis und er war hoch. In der letzten Nacht vor dem Ritual hielten sie einander fest. Sie waren Kinder gewesen. Ängstliche Kinder in einem Krieg. Obwohl es kalt auf dem Balkon war, blieb sie an dem Geländer stehen. Vor ihr lag der Eiffelturm, der sein warmes Licht über die Stadt strahlte. Von einem Muggel erbaut, dachte die Hexe ehrfürchtig. Einer muss den Preis dafür gezahlt haben.
Sie zahlte den Preis für Fred, ohne es zu wissen. Sie zahlte den Preis für den Frieden. Sie zahlte den Preis für die gestorbene Liebe in ihm. Er war verdammt hoch. Wieder hörte sie Harrys sanfte Stimme: „Wenn ich es nicht tue, sterben Menschen, die wir beide lieben. Der Preis muss gezahlt werden. Ich übernehme ihn.“ Sie bedauerte, damals nicht ihm geschlafen zu haben. Eng aneinander geschmiegt auf dem quietschenden Bett im Grimmauldplatz hatten sie sich gestreichelt und geküsst. Noch immer liefen die Tränen über ihr Gesicht. „Bitte lieb mich, Ginny.“, hatte er sie gebeten. Sie hatte sich zu jung gefühlt. Sie war noch ein Kind gewesen. Sie hatte geglaubt, es wäre noch zu früh. Auch für diese Entscheidung hatte sie gezahlt - das erste Mal nach dem Duell gegen Voldemort. Auf der Siegesfeier am Abend kam Lavender Brown zu Lord Potter. Sie flüsterte ihm etwas zu. Er hatte Lavender ausgiebig gemustert und dann kurz genickt. Kurz darauf beobachtete Ginny sie unfreiwillig beim Sex. Wie oft sie Lord Potter mit seinen Mätressen und Spielzeugen gesehen hatte, wusste sie nicht mehr. Sie zahlte den Preis, der gezahlt werden musste. In diesem Moment bekam sie den ersten Eindruck, was das Leben an der Seite eines Dunklen Lords meinte.
Ron sah seine Schwester in der Kälte auf dem Balkon stehen. Trotz der Dunkelheit erkannte er Hedwig auf ihrer Schulter. Es konnte nichts Gutes bedeuten, wenn Ginny mitten in der Nacht auf dem Balkon stand. Er fühlte sich bei diesen Dingen immer völlig unsicher. Sie musste hineinkommen. Seine tapfere kleine Schwester – eine echte Gryffindor. Sanft stupste Ron an Ginnys Schulter. „Komm´ bitte rein.“, bat er sie leise. Sie kam widerstandlos mit. Jetzt erst merkte sie, wie kalt es auf dem Balkon gewesen war. Ihre Zähne klapperten und ihre klammen Hände schmerzten. Ron zauberte zwei Decken herbei und packte sie, wie ein Kind ein. Beide schwiegen sie. Ron wusste nicht, was er sagen sollte. Ginny konnte nicht sprechen.
„Tee oder Kakao?“, fragte er dann doch in die Stille. „Dunkle, heiße Schokolade mit Orange“, schluchzte sie. Hilflos weckte Ron Hermine. Er konnte noch immer nicht gut mit einem Telefon umgehen. Die Schokolade musste aber beim Zimmerservice bestellt werden. Hermine küsste Ron energisch und müde. Sie schickte ihn wieder schlafen, bestellte zwei Schokoladen und setzte sich still neben Ginny auf das edle, weiße Sofa. Sie streichelte vorsichtig Ginnys Schultern. „Was ist los?“, fragte sie ihre beste Freundin. „Ich liebe ihn immer noch.“, brachte das verzweifelte Mädchen hervor. „Oh´ Süße, das tut mir so leid.“, lautete die ernstgemeinte Antwort. „Aber es gibt Hoffnung. Es gibt immer Hoffnung.“ Die jüngere Hexe beruhigte sich nicht. „Weißt Du noch Lavender? Da habt ihr auch gesagt, es gibt Hoffnung. Lavender ging auch bald. Die anderen Frauen und Männer kamen. Mine, ich liebe ihn wirklich.“ Tiefes Bedauern und tiefe Empathie standen in Mines Augen. „Ich weiß. Er hat Dich auch geliebt. Er liebte Dich mehr alles andere.“ Alles war so sinnlos in diesem Augenblick.
Der Zimmerservice servierte die Schokoladen. Hermine gab dem Boy ein Trinkgeld, unterschrieb den Beleg und wunderte sich über die Abwesenheit der Schattenjäger. Der Geschmack dunkler Schokolade mit Orange tröstet Ginny ein wenig. Harrys Küsse schmeckten genauso – bittersüß. Ginny kuschelte sich tief in die Decken und an Hermine. Die beiden jungen Frauen schliefen kurz darauf auf der Couch ein. Ein wenig später kehrte er sehr zufriedener Valentin in die Suite zurück. Er deckte Hermine sorgsam zu.
Er schrieb eine kurze Nachricht an das Schwarze Schloss. „Mylord Potter. Der Auftrag wurde ausgeführt. Mit vollendeter Hochachtung Eurer ergebener Diener Valentin.“ Dann schickte er seine eigene Fledermaus hinaus in die Nacht.