Es geschah in einer kalten Novembernacht. Keine einzige Wolke war zu sehen, der prächtige Sternenhimmel war vollkommen entblößt.
Sah man hinauf, hatte man das Gefühl, dass nichts zwischen Himmel und Erde lag, dass man mit der ausgestreckten Hand spielend die leuchtenden Sterne berühren könnte. Das silberne, helle Licht des Vollmondes bahnte sich erbarmungslos seinen Weg durch die starren Äste der nackten Baumriesen, bis es auf die von Reif überzogenen Grashalme und Laubfetzen am Boden traf und die kleinen Eiskristalle zum funkeln brachte. Es war schön und schaurig zugleich, wie die kahlen Bäume ihre zu grotesken Klauen verzerrten Schatten auf den geisterhaft glitzernden Untergrund warfen. Nahezu nichts war zu hören, nicht einmal ein zarter Windhauch, der das trockene laublose Geäst ein wenig zum Knarzen hätte bringen können. Die einzigen Geräusche, die zu vernehmen waren: der zaghafte Ruf eines kleinen Käuzchens, der tief aus dem Herzen des Waldes zu kommen schien und zwischen den von Nebel verhangenen Bäumen wiederhallte, das Tapsen meiner schnellen Schritte, die den gefrorenen Waldboden zum Krachen und Knistern brachten und mein geräuschvolles Keuchen, das mir von allem am lautesten vorkam. Ich rannte. Mein Atem ging stoßweise. Kleine weiße Wölkchen bildeten sich vor meinem Gesicht. Ich ließ sie hinter mir, wo sie sich wieder in der bitterkalten Luft verflüchtigten. Mund, Nase und Hals brannten vor Kälte und Trockenheit. Ich versuchte zu schlucken, doch meine Kehle war wie zugeschnürt. Hustend spuckte ich aus. Weiter, ich musste weiter, schnell! Ich merkte schon wie sich die Erschöpfung langsam in meinen Gliedern ausbreitete. Fluchend sah ich auf meine Beine. Sie durften mich jetzt nicht im Stich lassen. Gerade jetzt nicht, wo doch alle Hoffnungen auf meinen Schultern ruhten. Nein! Ich würde auf keinen Fall jemanden enttäuschen! Mit einem entschlossenen Funkeln in den Augen lief ich weiter. Mein schwerer Stoffumhang wehte hinter mir her und flatterte leicht. Ich strich mir eine hartnäckige, dunkelblonde Locke aus dem Gesicht und klemmte sie unter meiner Wollmütze fest. Trotz der warmen Kleidung fror ich entsetzlich. Es war, als würde die Kälte ungehemmt durch den Stoff meiner Kleider und bis in meine Knochen dringen. Ich biss meine klappernden Zähne fest zusammen und schloss meine zitternden, behandschuhten Hände zu Fäusten. Was war schon ein bisschen Kälte im Vergleich zu dem, was passieren würde, wenn ich zu spät käme? Plötzlich war mir, als ob ich hinter mir ein Rascheln gehört hätte. Ein Funken Angst setzte sich in meiner Brust fest. Gehetzt warf ich einen schnellen Blick über meine linke Schulter nach hinten. Aber anstatt der vermuteten Verfolger sah ich nur Bäume, soweit das Auge reichte. Das allein beruhigte mich jedoch nicht. Sie arbeiteten mit miesen Tricks, von denen mir nicht einmal ansatzweise alle bekannt waren. Nur die wenigsten unserer Männer schafften es heil zu uns zurück, nur um zu berichten, was mit dem restlichen Team geschehen war und wie haarscharf sie aus den Klauen der Feinde hatten fliehen können. Unsere Widersacher würden alles in ihrer Macht stehende tun um mich zu finden, jeden Stein eher vier mal umdrehen als von mir abzulassen. Und sie würden jede meiner Schwächen gnadenlos ausnutzen. Wachsam setzte ich meinen Weg fort. Bald würde ich da sein, am vereinbarten Treffpunkt. Ein leichtes Lächeln breitete sich auf meinen von Kälte zersprungenen Lippen aus und endete jäh in einem überraschten, stummen Schrei. Der Aufprall war hart und schmerzhaft. Ich hatte gerade noch genug Zeit meinen Sturz ein wenig mit den Unterarmen zu bremsen, als ich auch schon der Länge nach hinfiel. Kleine, spitze Steinchen und Äste bohrten sich durch den Stoff meiner Kleidung und rissen tiefe Kratzer in meine Haut. Ich stöhnte schmerzerfüllt auf und versuchte mich mit zitternden Armen wieder aufzurichten.
"Los Thorgil! Mach jetzt nicht schlapp! Die andern zählen verdammt nochmal auf dich!", zischte ich durch meine zusammengebissenen Zähne.