Indessen war Eduard Kavcec in seinem Hotel in Salzburg abgestiegen. Dragan hatte ihm noch einen Aktenkoffer mit nützlichen Utensilien in den Mercedes gelegt. Darunter eine Decoder-Magnetkarte (Eine Magnetkarte, die an einer kleinen Folientastatur hängt und den Code knackt. Öffnet Hotelzimmertüren üblicherweise in wenigen Sekunden…) und eines seiner Lieblingswerkzeuge: Eine Klavierseite mit Griffschutz an den Enden. Er schätzte dieses Mordwerkzeug wegen seiner Diskretion. Geräuschlos, unblutig, wenn man geplant zuschlug, konnte man die Entdeckung seiner Schandtat erheblich verzögern. Nachdem er eingecheckt hatte ging er noch unter die Dusche und ging danach schlafen. Den Weckruf hatte er für halb Neun bestellt, er wollte das Treffen in einer zur Zeit unbewohnten Suite abhalten. Das würde ihm eventuell einen Vorsprung verschaffen…
Die gute Ines war inzwischen in Hamburg angekommen, wo sie auf das Kreuzfahrtschiff Aidamar ging. Sie würde die nächsten Wochen Auf dem Ozean verbringen. Erst war sie nicht so begeistert gewesen, aber Selina und Michael hatten im Hinblick auf ihre Sicherheit darauf bestanden. Ines hatte noch nie wirklich Urlaub gemacht und wollte das großzügige Angebot von Michael erst gar nicht annehmen. Selina konnte sie schließlich überzeugen. Wenn nur die schrecklichen Sorgen um Sel und Michael nicht gewesen wären. Seltsam, sie hatte Michael wirklich schon so ins Herz geschlossen, als würde sie ihn schon lange kennen. Das war sonst nicht ihre Art. Das Leben hatte sie gelehrt, mit Vertrauen eher sparsam umzugehen. Aber die Tatsache, dass sie der Eigenschaft Vertrauen einen so hohen Wert beimaß, machte sie zu einer besonders wertvollen Freundin…
Pünktlich um halb neun kam der Weckruf. Viktor alias Eduard nahm ihn entgegen und bestellte ein kleines Frühstück aufs Zimmer. Danach stand er auf und kleidete sich an. Er hatte Meister vorgegaukelt, gegen Zahlung von 10000€ in bar und die Zusicherung, Selina zur Vernunft zu bringen, diese zu verschonen. Tatsächlich war ihm das Ansinnen Meisters gerade recht gekommen, um an Bargeld zu kommen, da er ja keinen Zugang zu seinen Konten mehr hatte. Als ihm das Frühstück gebracht wurde, spielte er einen Augenblick mit dem Gedanken, diese hübsche blonde Schlampe in ihrem Hausmädchenkostüm zu vergewaltigen und anschließend zu töten, besann sich aber dann eines Besseren. Stattdessen steckte er dem jungen Mädchen zwanzig Euro Trinkgeld zu. Er konnte es sich nicht leisten schon wieder unprofessionell zu handeln. Die Bedienung freute sich offensichtlich über die finanzielle Zuwendung, bedankte sich höflich und verließ das Zimmer. Sie hatte keine Sekunde bemerkt, in welch tödlicher Gefahr sie einen Moment lang geschwebt hatte. Eduard frühstückte genüsslich und wendete sich dann seinem Aktenkoffer zu. Er entnahm ihm die Codeknackerkarte und die Klaviersaite und verließ seine Suite. Er fuhr mit dem Aufzug einen Stock höher und suchte sich ein Zimmer, von dem er annehmen konnte, dass es leer stand. Dann griff er zum Handy und wählte Robert Meisters Nummer. „Zimmer 312, Keine Anmeldung an der Rezeption. Mein Name bleibt aus dem Spiel!“ sofort legte er wieder auf. Es war neun Uhr fünfundfünfzig. Exakt fünf Minuten Später klopfte es an der Tür. Eduard öffnete wortlos und bedeutete Meister, er solle sich setzen. Dieser gab ihm einen Umschlag in die Hand und setzte sich. „Ich werde Selina zur Vernunft bringen, sie hat mich gestern angerufen!“ – „Wo ist sie?“ – „Das kann ich ihnen nicht sagen! Ich weiß es auch nicht!“ Eduard war hinter den Pharmareferenten getreten. Er packte Meisters Kopf und brach ihm mit einer schnellen Drehbewegung das Genick. An die Klavierseite hatte er nicht einmal mehr gedacht. Völlig emotionslos verließ er das Zimmer in dem der Tote mit seltsam verdrehtem Kopf in einem Fauteuil saß. Er ging in sein Zimmer, zählte das Geld, packte zusammen und ging hinunter zur Rezeption. Auschecken, bitte!“
Da ich so spät eingeschlafen war, ging es schon gegen Acht als ich aufwachte. Selina war lange vorher aus meinen Armen geschlüpft und hatte sich leise aus dem Staub gemacht. Sie hatte wohl noch ein paar Einzelheiten mit dem Personal zu klären. Auf meinem Nachttisch lag eine Notiz. Ein einmal gefalteter Zettel. Auf der Außenseite stand „Ja!“ Ich klappte ihn auf: „Es wird noch viele „MORGEN“ geben, Michael! Es muss einfach! Und JA! She WOULD know how much you loved her…“