Ein kalter, regnerischer Montagmorgen nimmt seinen Lauf. Inmitten des Klassenraumes: Ich! Neben mir sitzt ein Haufen wild gewordener Affen, die mich immer wieder an den Titel Von Idioten umzingelt! Von Gregs Tagebuch erinnern.
Ich sehe zu meiner Freundin, dessen Blick sich auf den Baum draußen versteift. Auch mein Blick schweift nach draußen, bis mir ein unkontrolliertes Gähnen entweicht. In den letzten beiden Stunden Politik zu haben, ist wirklich die reinste Folter. Ganz leise schleiche ich mich zu Herrn Halbgewachs nach vorne, um zu fragen, ob ich auf die Toilette dürfte, was er einwilligt. Ich begebe mich nach draußen und schlendere seelenruhig den Flur entlang. Mein Blick klammert sich an die Lehrerzimmertür, in der Hoffnung, auf meine Klassenlehrerin zu treffen, doch die Tür bleibt geschlossen. Ich höre ein paar Meter von mir entfernt ein leises Schluchzen und laufe dort hin. Ich traue meinem Augen nicht mehr. Sie sitzt auf einer kleinen Fensterbank und weint.
Die sonst so starke und selbstbewusste Emilia Adams wirkt ganz plötzlich wie ein kleines Kind! Der Anblick tut mir weh. Gedanken krallen sich an mir fest und ich bekomme das Bedürfnis, zu ihr hinzugehen, sie zu umarmen und ihr das Gefühl zu geben, dass alles gut wird. Was kann passiert sein?, schwirrt es immer wieder in meinem Kopf herum. Vor gut zwanzig Minuten habe ich mich doch noch mit ihr unterhalten dürfen. Da ich jede ihrer Gesten ziemlich genau beobachte, müsste mir aufgefallen sein, wenn etwas ist.
Andererseits war ich ziemlich in Gedanken vertieft. Habe ich mich so sehr mit mir selber beschäftigt, dass ich nicht bemerkt habe, wie sehr sie leidet? Plötzlicher Selbsthass überkommt mich. Ich gehe au sie zu. Meine Beine fühlen sich weich an und mein ganzer Körper zittert. Mein Blutdruck steigt in unendlich Höhen. Mir ist heiß. Nein, eigentlich ist mir kalt. Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nicht mehr. Was spielt das auch für eine Rolle, wenn Emilia Adams weint?
„Reiß dich zusammen, Jule!“, denke ich mir, „Dieses eine Mal geht es mal nicht um dich!“. Ich ertrage es keine Sekunde länger, sie so zu sehen. Ich stehe nun sträg neben ihr und tapse unbeholfen von einem Fuß auf den anderen. Sie hat mich gesehen, tut jedoch so, als hätte sie es nicht. Das tut sie oft, wenn sie nicht mit mir reden möchte. Noch einige Sekunden probiert sie, mich zu ignorieren, in der Hoffnung, dass ich gehe. Ich tue es nicht. Nicht diesmal! Obwohl es durchaus ratsam wäre. Ich lasse mich unbeholfen neben ihr nieder und flüstere: „Hi.“. Sie schweigt und lässt mich zappeln. Ich starre sie, wie so oft von der Seite an. Sie hat ein tolles Profil. Zwei Tränen veranstalten ein Wettrennen auf ihrem Gesicht. Die eine ist etwas schneller. Sie rollt über die Nase über zu ihren Wangenknochen und dann zu den schönen Wangen. Sie hat so wunderschöne Wangen. Ich möchte ihr die Tränen wegmachen, doch sie kommt mir zuvor. Das Schweigen zischen uns hat einen kaltherzigen Charakter. Wie ein Film läuft die vergangen Woche an mir vorbei. Jede Erinnerung daran ist wie ein Dolch, der sich in meinen Körper bohrt. Gerade fühlt sich alles so an. Sie schweigt. Zwischen uns sind nur wenige Zentimeter und doch fühlt es sich an, als wäre sie ewig weit weg. In meinem Hals bildet sich ein Kloß. Ich habe Angst! Ich versuche es zu unterdrücken und frage: „Was ist passiert?“. Zum ersten Mal seit Tagen sieht sie mir wieder in die Augen. Nicht nur so kalt und schmerzlos, wie heute Morgen. Ihre Augen sind gerötet. Ich sehe Schmerz. Das übliche enthusiastische Strahlen ist nirgends aufzufinden.
„Nichts.“, sagt sie kalt und sieht schnell wieder weg, „Geh wieder in den Unterricht, Julia.“. Ich frage mich, warum sie so komisch ist und entgegne keck: „ Sicher, ich lasse Sie jetzt hier alleine sitzen, weil Sie mir ja so egal sein. Danke, aber nein!“. Sie stoßt einen kurzen, kalten Lacher aus und sieht zu Boden. Ich schweige und kämpfe mit mir selbst. Plötzlich knie ich mich direkt vor sie, damit sie mich ansehen muss. Meine Hände lege ich auf ihren Oberschenkel. Sie lächelt leicht, aber ernstgemeint.
„Wissen Sie,“, beginne ich, „womit Sie mich am meisten quälen können, Frau Adams?“. Ich warte, ob sie etwas sagt, doch sie schweigt und sieht mich verständnislos an. Also fahre ich fort: „Wenn Sie weinen und mir nicht sagen, was passiert ist. Ich werde bleiben, bis sie es mir gesagt haben. Soll der Herr Klein mich doch in den Unterricht ziehen. Dagegen kann ich mich wehren, aber gegen Ihre Sturheit bin ich vollkommen machtlos.“, die letzten Worte sind viel mehr geflüstert, denn auch mir ist mittlerweile nach Weinen zumute.
„Julia...“, entgegnet sie mahnend.
„Bitte, Frau Adams!“, flehe ich. Sie scheint mit dem Gedanken zu spielen, es mir zu sagen.
„Es ist aber nichts Wichtiges.“, wehrt sie erneut ab. Ich muss lachen.
„Aber Sie weinen!“, argumentiere ich. Ihr Seufzer darauf hin ist pure Erschöpfung. Gleich habe ich sie so weit, dass sie es mir sagt. Und schon ist es so weit: „Du leidest so meinetwegen.“. Ich schweige und brauche einige Sekunden, um zu verstehen, was sie gesagt hatte. „Du weinst ständig, ritzt dich, meldest dich nicht mehr und jetzt muss ich das ganze mir Missachtung bestrafen. Ich bin etwas erschrocken, dass sie bemerkt hatte, dass ich mich ritze. Hatte es ihr jemand gesagt?, frage ich mich. Sie hat recht: ich leide mehr, als es mir lieb ist.
„Sie müssen?“, gehe ich auf den unwichtigen Teil ein, „Wenn Sie es nicht wollen, dann lassen Sie es doch. Wäre mir eh lieber!“. Ihr Lachen daraufhin ist Musik in meinen Ohren. Es ist kindlich und ausgelassen, wie immer.
„Es wird mir geraten.“, erzählt sie. Ich versuche meine Wut zu unterdrücken und frage mit ruhiger Stimme: „Wer hat es Ihnen geraten?“. Ich spüre, dass sie nicht antworten möchte. Dann sagt sie: „Herr Klein.“,es folgt eine lange Pause, „Und Brian.“.
„Brian?“. Sie grinst geheimnisvoll. Dann erklärt sie: „Mein Freund.“. Sie weiß, dass es etwas in mir auslöst, wenn sie dieses Wort sagt. Trotzdem möchte ich ihr beweisen, dass ich in der Lage bin, darüber zu reden, ohne zu weinen. Ic zwinge mich zu eine, zaghaften Lächeln und sage: „Na das nehme ich als Kompliment, wenn Ihr Freund mich, dir fünfzehnjährige Schülerin als Bedrohung ansieht.“: Sie geht nicht weiter darauf ein und sagt nur: „Er weiß, wie sehr mich das Thema belastet.“. Ihr Worte tun weh. Möchte sie mir die Schuld für all das geben? Ich schüttle die Gedanken ab und überspiele meinen Frust mit einem verbitterten Lächeln.
„Wieso belastet Sie das so?“, frage ich. Ich kenne die Antwort und frage mich, warum ich mich selber so sehr quäle. Sie lächelt mich sanft an und scheint zu überlegen, wie sie am besten anfangen könnte.
„Es ist offensichtlich, dass du leidest. Du schenkst mir so viel Macht über dich, was mir gerade einfach zu Kopf steigt. Was ist, wenn du beim nächsten Mal weitergehst, als nur zu ritzen? Was ist, wenn du beim nächsten Mal an deine Hauptschlagader gehst? Ich habe einfach Angst.“.
Wieso muss sie nur immer so direkt sein? Ihre Worte tun mir weh. Ich versuche sie beruhigend anzulächeln und ziehe meinen Ärmel hoch.
„Fassen Sie mal über meine Adern.“, bitte ich sie. Sie sieht mich an, als sei ich verrückt geworden. Dann streifen ihre Finger tatsächlich über die bläulichen Striche an meinem Arm. In mir breitet sich ein merkwürdiges Kribbeln aus. Die Berührung ist geradezu erregend und ich möchte nicht, dass es aufhört. Andererseits hasse ich es, dort berührt zu werden. Ich ziehe den Arm schnell weg. Sie beobachtet mich fasziniert, bis ich erkläre: „Ich hasse es, dort berührt zu werden.“. Sie sieht mich etwas verwirrt an, fragt: „Und wieso?“. Ich lächle verlegen, da mich bis jetzt immer alle ausgelacht haben, als ich das gesagt habe.
„Wegen den Adern und so.“, erzähle ich, „Deshalb würde ich mich auch nicht dort ritzen.“. Und siehe da, sie lacht. Ausgelassen und so wahnsinnig elegant. Nur ein weiteres von vielen Malen wird mir bewusst, wie sehr ich mich in diese Frau verliebt habe.
Sie beruhigt sich wieder und sieht mich mit diesem tiefen, innigen Blick an. Ihr Lächeln hat etwas neckisches an sich. Jetzt ist sie ganz nah bei mir und haucht: „Und was ist mit deinem Hals?“. Ihre Finger tasten gekonnt meinen Hals ab. Ich schließe die Augen und lege meinen Nacken in ihre schöne, weiche Hand, gönne mir einen Moment Entspannung, während sie federleicht jede Faser meines Halses anfasst. Plötzlich berührt sie meinen Blutschwamm und all die Entspannung löst sich. Ich weiche ihr aus, kippe nach hintern und liege auf dem Boden direkt vor ihren Füßen. Unsere Blicke treffen sich. Alles in meinem Körper beginnt zu vibrieren. Ich kann nun die Verlegenheit nicht länger verstecken. Sie kniet sich ganz sanft zu mir auf den Boden, beugt sich runter, bis sich unsere Lippen berühren. Mein Atem stockt. Ich habe das Gefühl, jeden Augenblick mein Bewusstsein zu verlieren. Ich kann nicht glauben, dass das tatsächlich geschieht. Plötzlich setzt mein Gehirn ein und ich weiche ihr aus. Ich stottere etwas unbeholfen vor mich hin: „Hören Sie... Ähm.... Ich.... Ich weiß...., Ich weiß, dass Sie wissen, dass ich mir das mehr wünsche, als alles andere auf der Welt, aber.... Aber sind Sie sicher, dass es auch wirklich das ist, was Sie wollen?“. Sie lässt sich auf meinem Körper nieder beugt sich dann zu mir runter und flüstert nur: „Klar.“, bevor sie mich erneut küsst. Ein paar Minuten liege ich einfach nur so da und gebe mich ihr komplett hin. Dann spürt sie meine Gegenwehr.
„Ähm... Können wir das irgendwo fortsetzen, wo uns niemand sehen kann? Ich möchte nicht, dass Sie Ärger bekommen, weil Sie mich küssen.“ Sie sieht mir tief in die Augen und grinst.
„Süß, dass du dich um mich sorgst. Du hast vermutlich recht. Komm mit.“, sagt sie, steht von mir auf und geht in Richtung Lehrerzimmer. Bevor sie es aufschließt, sieht sich mich verwirrt an: „Hast du eigentlich gar keinen Unterricht, Juliane?“. Das hatte ich völlig verdrängt! Schnell schüttle ich den Kopf und sage ganz locker: „Freistunde. Sie wissen schon, Sport und so.“:. Wie der einmal bin ich überrascht, wie gut ich lügen kann.
Ich staune immer wieder, wie viele geheime Zimmer es bereit hält. Wir verstecken uns in einem von Ihnen, das man auch abschließen kann. Jetzt sind wir ganz alleine und niemand kann uns stören. Wir küssen uns eine ganze Weile. Plötzlich hört sie auf, wird ganz erst, lächelt trotzdem. Sie schiebt eine Strähne aus meinem Gesicht und sieht mir in die Augen.
„Hör zu..., ich möchte dir nicht zu nahe treten, aber das wird hart werden, okay? Ich meine, in erster Linie bleibe ich deine Klassenlehrerin. Ich werde dich vermutlich manchmal härter behandeln, als andere und es wird nicht immer einfach sein. Der Punkt ist, dass ich weiß, dass du momentan einfach psychisch wahnsinnig labil bist. Ich möchte dich nicht irgendwelche Situationen aussetzen, die dich nur noch mehr überfordern. Denkst du, dass du das psychisch schaffst?“, erklärt sie mir ganz ruhig. Es ist mir peinlich, wie viel sie auf meine Psyche anspielt, weshalb ich nur witzle: „Denken Sie, dass Sie es schaffen, mit Brian Schluss zu machen oder ist das so eine Art Dreier? Oder bin ich nur der Übergang für die Zeit, wo Sie von ihm getrennt sind?“. Sie lächelt leicht und küsst mich, während sie flüstert: „Das habe ich schon.“. Ich bin etwas schockiert und weiche aus „Sie... Sie haben mit Ihrem Freund Schluss gemacht?“, wiederhole ich.
„Ist das ein Problem für dich?“, grinst sie mich an. Ich lache auf. Wir beide wissen, dass es keins ist. Sie meint es ernst. Ich halte es nicht aus und falle ihr um den Hals, um sie zu küssen. Die Klingel, die uns nach einer Weile aus der Traumwelt holt, macht mir bewusst, dass ich zum ersten Mal geschwänzt hatte. Sie steht auf und knöpft sich ihre Jacke wieder zu. Dann schaut sie in den Spiegel, ob ihre Haare liegen und macht sich Lippenstift drauf. Ich lege die Hand um ihre Taille und küsse sie.
„Sie sehen perfekt aus, wie immer, Frau Adams.“, flüstere ich. Sie lacht.
„Hätte mich auch sehr gewundert, wenn gerade du jetzt etwas anderes behauptest!“. Ich muss ebenfalls lachen und mich den Schlüssel im Schloss umdrehen, um den Raum zu verlassen. Ich spüre ihren sanften Griff.
„Sollen wir nicht besprechen, wie es weitergeht?“, fragt sie mich grinsend.
„Wie meinen Sie das?“, frage ich, „Wir machen einfach weiter, wie bisher. Sie sind meine Schülerin und ich Ihre Lehrerin. Was dann hinter den Kulissen passiert, ist ja unser Ding.“. Abgesehen davon, dass ich es nicht schaffe, ohne zu lispeln, scheine ich auch gar nicht zu merken, was für einen Müll ich da rede. Ich erröte. Sie lacht und küsst mich. „Du bist wirklich ziemlich nervös...“, neckt sie mich.
„Du bist wohl kein guter Einfluss auf mich, Emilia!“, bemerke ich keck. Sie lacht und kitzelt mich kurz. Dann schlägt sie vor: „Wenn du magst, darfst du mich duzen, aber nur, wenn wir alleine sind, ja? In den Pausen kannst du zum Lehrerzimmer kommen und dann gucken wir, was noch so passiert.“.
„Cool, aber ich muss jetzt dringend zu Klasse!“, bemerke ich. „Wieso so eilig?“, fragt sie. Ich grinse, küsse sie, bedanke mich und renne weg. An diesem Tag fühle ich mich so gestärkt, wie noch nie zuvor. Ich bin ein anderer Mensch!
In der Klasse wartet Herr Klein schon sehnsüchtig auf mich.
„Wo kommst du denn jetzt her?“, fragt er mich mit diesem prüfenden Blick. Ich sehe ihn einige Sekunden einfach nur schüchtern an. Dann beginne ich: „Mir ist plötzlich so schlecht geworden. Es tut mir wirklich sehr leid. Ich weiß, ich hätte mich nochmal abmelden sollen. Aber...“.
„Sie war bei mir.“, höre ich plötzlich eine Stimme hinter mir. Es ist die von Emilia Adams. Ich erstarre. Was tut sie denn da? Sie soll mir nicht beschützen! Ich war doch gerade dabei, ihr den Rück freizuhalten.
„Ich musste noch dringend etwas mit ihr besprechen und hatte eigentlich in Erinnerung, dass sie jetzt sowieso Freistunde, also Sport hat.“, erklärt sie.
„Wieso hast du Frau Adams denn nicht gesagt, dass du Politik hast?“, fragt mich Herr Klein immer noch gereizt. Ich lächle ihn an, in der Hoffnung, ihn etwas besänftigen können, aber würde jeder Lehrer schwach werden, sobald er von einer Fünfzehnjährigen angelächelt wird, wäre das eine schräge Welt.
„Weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass es so lange dauert, was aber auch ganz allein meine Schuld ist. Es tut mir leid...“. Die letzten Worte waren viel mehr geflüstert, weil ich Angst hatte, dass Emilia Adams meine Nervosität bemerkt. Nun wendet sie sich an mich: „Du musst dich nicht die ganze Zeit bei uns entschuldigen.“ Ich lächle verlegen und tapse von einem Bein auf das andere.
In erster Linie bin ich deine Klassenlehrerin..., hallen mir ihre Worte in den Ohren. „Bleib cool!“, denke ich mir leise.
„Gut, dann darfst du jetzt gehen, Julia.“, bittet er mich. Schnell schnappe ich meine Sachen und möchte den Raum verlassen, dann zieht er mich zurück.
„Was hast du denn da am Hals gemacht?“, fragt er verwirrt. Ich schweige und höre, wie Frau Ricken zu lachen beginnt. Ich sehe in den Spiegel, der ein paar Meter von mir entfernt hängt und fasse auf den riesigen, roten Fleck an meinem Hals.
„Ist... Ist das ein Knutschfleck?“, fragt Herr Halbgewachs vorsichtig.
„Ich muss gehen!“, erwidere ich und verschwinde, bevor er etwas sagen kann.
Ich bemühe mich, die ersten drei Stunden regelrecht zu verschlafen und gehe dann direkt am Anfang der Pause zum Lehrerzimmer. Emilia Adams sieht auf den Vertretungsplan. Sie trägt ein langes, elegantes Kleid. Ich frage mich, ob ihr gar nicht kalt ist. Es ist kalt! Ich betrachte ihre schönen, langen Beine und auf meinem Gesicht zeichnet sich ein zufriedenes Lächeln ab. Jetzt dreht sie sich in meine Richtung.
„Hey.“, sage ich, „Können wir reden? Bitte...“. Sie nickt emotionslos. „Aber nicht im Lehrerzimmer. Folge mir unauffällig.“, ergänzt sie. Wir gehen zu dem Motorikraum. Ich liebe den Boden dort, er ist aus lauter Kissen gemacht und ich werfe mich jedes Mal wortwörtlich hin, wenn ich ihn betrete, so auch jetzt. Frau Adams verdreht genervt die Augen. „Verhalte dich doch nicht, wie ein Kind!“, faucht sie. Ich stehe auf und sehe sie an. Ich greife an ihrer Hand und flüstere: „Hey...“, doch sie zieht ihre Hand weg. Das passiert öfter. Das Leben mit ihr ist eine reine Achterbahn. Eine Zeit lang ist alles cool und dann geht es über Nacht wieder kaputt. Es ist kaputt. Ich wusste, dass sie es nicht lange mitmacht. Ih meine, ich bin ein Kind. Sie sieht zu Boden. So stehen wir einfach nur so da, schweigend.
„Kannst du mir bitte wenigstens sagen, was passiert ist?“, frage ich. Meine Stimme ist schwach und zittrig. Ich kämpfe gegen die Tränen.
Verhalte dich doch nicht, wie ein Kind!, hallt es in meinem Kopf. Ich beherrsche mich. „Tut... Tut mir leid... Ich habe gestern mit meiner Freund telefoniert... Ex Freund! Und.... Ich möchte das mit dir... Wirklich! Trotzdem habe ich einfach das Gefühl, es ist falsch!“
Es ist falsch!, hallt es in meinem Kopf. Ich knie mich vor sie hin und sehe ihr direkt in die Augen. „Sieh dich doch mal um, wie sich die ganzen Referendare hier verhalten. Die sind so befangen. Die ganze Zeit. Sie lassen die ganze Zeit alles mit sich machen. Als ich dich kennengelernt habe, warst du so verdammt arrogant. Ich habe noch nie eine so junge Frau gesehen, die am Anfang schon so viel von sich gehalten hat. Du legst fest, was richtig und falsch ist. Glaube mir, alle liegen dir so zu Füßen und sie werden sich auch damit abfinden, dass du die Regeln neu gestaltest. Du bist Du, okay? Du hast keine Ahnung, wie viel Macht du hast. Pass mal auf, wenn du nicht möchtest, dass irgendjemand davon erfährt, dann ist das cool, okay? Ich wünsche mir dein Glück, dafür werde ich alles tun. Wir spielen nach deinen Regeln. Also keine Panik... Aber, wenn du es schon abbrichst, bevor es begonnen hat, dann... Ich weiß auch nicht.... Bitte tue mir das nicht an.“. Ich spüre, wie ihre Hand an meiner Taille eine Welle in meinem Körper auslöst. Sie küsst mich. „Tut mir leid, wegen meinem kleinen Zusammenbruch gerade....“, grinst sie. Ich lache. „Geht's noch? Nein! Das ist verdammt schwer. Für mich doch genau so. Ich verstehe das! Ich bin so glücklich, aber ich warte regelrecht auf den Moment, in dem du das alles abbrichst. Es ist einfach zu traumhaft, als, dass es zur Realität wird.“, „Du bist so süß, weißt du das? Das ist die Realität.“. Wir küssen uns.
„Apropos: Wenn du Lust hast, dann nehme ich dich nach der Schule mit und wir machen irgendwas.“, schlägt Emilia Adams vor.
„Du hast ja keine Ahnung, wie gerne ich ja sagen würde, aber meine Mutter holt mich doch ab...“, erkläre ich und komme mir gleich wieder wie ein Baby vor.
„Na und? Ruf sie an und sag ihr, sie brauch dich nicht abholen, weil du mit zu Leonie gehst.“, meint sie. „Gott.... Das.... Das kann ich nicht!“, entgegne ich. Sie lacht.
„Du bist viel zu lieb für diese Welt. Gib mir dein Handy.“, bittet sie mich. „Nein... Bitte... Wir können doch wann anders etwas machen.“. Plötzlich wird sie ernst und sieht mir direkt in die Augen. „ Bitte, Julia... Ich möchte heute etwas mit dir unternehmen.“. Ich fühle mich geschmeichelt, fische mein Handy heraus.
„Sag mir deinen Pinn.“, grinst sie und reißt mir das Handy aus der Hand. „030317.“, sage ich.
„Ist ja schon irgendwie cool, dass du mir so sehr vertraust...“, bemerkt sie lächelnd, öffnet das Handy. „Cooles Hintergrundbild.“, merkt sie an. Mir fällt auf, dass ich sie als Hintergrund habe, weshalb ich mich direkt schäme und erröte.
„Hey... Das musst dir nicht peinlich sein. Ich finde es wirklich süß.“, beichtet sie und sieht kurz auf. Ich muss lächeln. Während sie meiner Mutter schreibt, frage ich mich, was sie mit ihrem Freund gestern besprochen hat.
„Würdest du mich schon als deine Freundin bezeichnen, Hannah?“, frage ich sie in Gedanken. Sie nickt. „Ich habe es sogar gestern meinen Freunden gesagt. Das ist ein großer Schritt. Bei meinem Freund hat das ewig gedauert früher.“, erklärt sie. Mir wird warm ums Herz. Sie legt mein Handy beiseite und küsst mich.
„Nein, bitte... Können wir mal reden?“, schlage ich vor, „Ich meine, ich weiß doch gar nichts über dich...“. „Heute Nachmittag.“, flüstert sie mir noch zu, bevor wir uns auf dem gemütlichen Boden niederlassen.
Es ist nachmittags. Emilia und ich sitzen in einem Café. Die Sonne strahlt auf unsere Köpfe. Ich habe ein Schokoladen-Minze-Eis und sie hat nur einen Kaffee genommen. Ich sehe zu ihr hinüber. Über dem Sommerkleid trägt sie jetzt eine schwarze Lederjacke, mit der sie irgendwie etwas Freches ausübt. Ich spiele mit dem Gedanken, ihr das zu sagen, aber sie unterbricht ihn: „Also, was möchtest du denn über mich wissen?“. Ich sehe sie etwas verwundert an, weil ich damit gerechnet hatte, dass es länger dauern würde, bis sie sich mir anvertraut.
„Magst du Hunde?“, frage ich sie. Sie nickt und trinkt ein Schluck von dem Kaffee, dann stellt sie ihn am und fügt hinzu: „Wer mag schon keine Hunde?“. Ich freue mich über ihre süße Antwort. Sie hat recht: Wer mag keine Hunde?
„Hast du mal ein Instrument gespielt?“, frage ich weiter. Sie nickt wieder nur. „Ja, alles mögliche... Geige, Klavier, Gitarre, ganz kurz habe ich Akkordeon gespielt, aber alles eben nur eine Zeit lang. Mittlerweile mache ich eher Sport.“, erzählt sie.
„Das ist cool.“, stelle ich lächelnd fest, „Hat den Musik generell eine Bedeutung für dich?“. Sie lacht: „Natürlich! Daran lässt sich so vieles fest machen. Ich höre oft Musik.“.
„Was denn so?“, frage ich sie. „Kennst du Materia.“, fragt sie mich. Der Name ist das einzig Positive, was aus meinen schlechten Zeiten hervor geht... Ich nicke lächelnd. „Der zum Beispiel ist ziemlich gut, oder?“, „Definitiv.“. Mir war von vornherein klar, dass es egal ist, wie toll ihre Antworten sind, weil ich sie so oder so mag, aber ihre Antworten sind alles, was ich mir je erträumt hatte.
„Was ist deine Lieblingsfarbe?“, frage ich weiter. „Grün.“, antwortet sie.
„Wolltest du schon immer Lehrerin werden?“, frage ich sie und beobachte, wie ihre Haare im Wind dezent hin und her fliegen. Sie nimmt ein Gummiband von ihrem Arm und bindet diese wunderschönen Haare zusammen. Nun erinnert sie mich an diese typische Lehrerin. An eine strenge Lehrerin. Es würde nur noch die Brille fehlen, aber sie wird sowieso niemals eine gewöhnliche Lehrerin sein. Sie wird sich immer von den anderen unterscheiden, egal, in welcher Hinsicht.
„Habe ich dir schon mal gesagt, dass ich deine Haare liebe?“, schwärme ich. Ich lächeln strahlt Wärme aus.
„Na,na,na..., was habe ich gesagt? In erster Linie bin ich deine Klassenkehrerin! Also hör auf zu schleimen, Julia.“, neckt sie mich, „Aber zurück zu deiner Frage: ich glaube, diese unrealistischen Träume hat am Anfang jeder. Ganz, ganz früher, da wollte ich immer Prinzessin werden und die Welt regieren... Dann wollte ich eine Zeit lang Polizistin werden und dann irgendwann Lehrerin.“.
„Wieso gerade Lehrerin?“, frage ich sie weiter. „Wieso nicht? Ist doch ein ganz schöner Job...“. „Ich weiß, aber du könntest alles tun... Ich meine, wieso gerade das?“. „Was das angeht, bin ich einfach altmodisch.“, erklärt sie, „Ich fände es schön, wenn mich manche als ihr Vorbild beschreiben würden.“. „Du bist vieler Leuts Vorbild, Emilia !“, erzähle ich. „Sicher? Verknallte, kleine Fünfzehnjährige zählen nicht.“, sie grinst. Ich muss laut lachen.
„Darf ich mal Dinge fragen, die noch etwas privater sind?“, frage ich sie ganz vorsichtig, aber sie nickt ganz selbstverständlich. „Hattest du schon mal was mit einer Frau?“, beginne ich. Sie schüttelt den Kopf, während sie einen Schluck vom Kaffee trinkt. Auch ich esse mein Eis.
„Und würdest du gerne?“, frage ich leise.
„Warte, spielst du auf Sex oder eine Beziehung an?“, fragt sie mich weiter.
„Beziehung, denke ich...“, antworte ich.
„Aber ich denke, wir haben eine Beziehung, Süße?“, fragt sie mich verwirrt. Das war das erste Mal, dass sie mich Süße genannt hat und alles in meinem Körper beginnt zu vibrieren. Ich versuche meine Freude zu unterdrücken und cool zu bleiben.
„Ja, schon... Ich meine nur... Also.... Du bist für mich die Ewigkeit, aber umgekehrt ist es vermutlich nicht so. Ich meine... Könntest du dir auch etwas richtiges vorstellen?“, entgegne ich entspannt. „Und wieso bist du nichts richtiges.“, fragt sie mich immer noch leicht verwirrt.
„Gott... Ich meine, wir brauchen uns doch nichts vormachen. So wirklich empfinden tust du nichts für mich... Oder?“, stelle ich fest. „Natürlich, doch!“, widerspricht sie.
„Wirklich?“, harke ich nach. Sie nickt ein weiteres Mal. „Danke!“, flüstere ich. Sie beugt sich zu mir rüber und küsst mich.
Noch eine ganze Weile sitzen wir einfach nur so da und erzählen uns Dinge. Sie zahlt für uns beide und wir gehen zu ihr nach Hause. Es wird dunkel.
„Gib mir noch mal dein Handy.“, bittet sie mich. Ich gebe es ihr. „Sechs verpasste Anrufe von deiner Mutter.“, erzählt sie mir. Ich bekomme ein schlechtes Gewissen. „Ich schreibe ihr, dass du bei Leonie übernachten darfst, okay?“, grinst sie mich an. Ich nicke eifrig. Sie gibt mir ein Shirt von ihr und wir legen uns ins Bett.
„Hast du Lust, einen Film zu gucken?“, schlägt sie vor. Ich nicke. Wir gucken irgendeinen ziemlich ekeligen Gruselfilm, dessen Titel ich mir niemals merken kann. Sie kuschelt sich an mich. In diesem einen Moment fühle ich Vollkommenheit. Plötzlich schläft sie einfach in meinem Arm ein. Ich schalte alles aus, nur ein kleines Licht lasse ich an, und schmiege mich ganz fest an sie.
Die Sonne scheint mir ins Gesicht und plötzlich spüre ich, wie die Decke weggezogen wird. Ich gebe einen seltsamen Laut von mir.
„Aufstehen, Süße...“, Emilia grinst mich schadenfroh an. Ich stehe auf und werfe einen Blick auf die Uhr: halb neun. „Fuck, ich bin viel zu spät, sage ich und möchte mir meine Hose überziehen. Sie zieht sie sanft weg, setzt sich auf meinen Schoß und küsst mich.
„Guten Morgen erstmal“, begrüßt sie mich. „Das ist eine schöne Begrüßung.“, flüstere ich, „die Beste!“, flüstert sie, „die Beste“, flüstere ich. „In den ersten beiden habt ihr Sport und dann habt ihr Lernzeit bei Frau Bauernschmidt. Da kann ich dich dieses eine Mal auch freistellen, also mach dir keine Gedanken. Wir frühstücken ganz entspannt und dann kommst du zur Pause. Das reicht, okay?“. „So lässt es sich leben...!“, witzle ich.
Sie grinst mich keck an und meinen ganzen Körper durchfährt eine Explosion der Euphorie.
„Wieso hast du eigentlich das Licht angelassen?“, fragt sie mich nerugierig. Ich schweige, weil ich mich dafür schäme, ihr die Wahrheit zu sagen. Ihr Blick hat etwas interessiertes. Ich sollte nicht ausweichen. Sie sitzt nach wie vor auf meinem Schoß und ich bin nicht in der Position, mich zu wehren. Also gebe ich dem nach und sage: „ich habe Angst im Dunklen.“: Sie sagt nichts, Ihre Mundwinkel ziehen sich zu einem dünnen Strich. Ich spüre, wie viel Mühe es sie kostet, mich nicht auszulachen. Sie geht von mir runter, um das Frühstück vorzubereiten und ich beschließe, es ebenfalls dabei zu belassen.
Ich betrete das Schulgebäude ein paar Minuten nach Emilia Adams Das wollte sie so, damit niemand auf falsche Gedanken kommt. Nikolas zieht mich plötzlich zur Seite und grinst mich blöd an. „War anscheinend eine lange Nacht, oder?“, neckt er mich.
„In wie fern?“, fauche ich und verdrehe die Augen. „Komm schon, Jule... Ich weiß jetzt, wie du dir die Noten verdienst...“, bemerkt er, zückt sein Handy und zeigt mir ein Bild mit uns beiden drauf, wie wir uns küsssen. Ich erröte, tue jedoch weiterhin cool.
„Du tust mal lieber, was ich sage...“, befielt er, aber ich lache nur. „Vergiss es.“.
„Dir ist klar, dass deine Freundin ihren Job verliert, wenn ich das jemandem zeige?!“, merkt er an. Ich erstarre, aber er hat recht! Ich fühle mich wehrlos. „Was willst du denn?“, frage ich ihn genervt.
„Du bist ab heute meine Dienerin!“, er lächelt nicht und wirkt sehr ernst, aber in seinen Augen liegt dieses geisteskranke Funkeln, dass er immer hat, wenn er etwas ausheckt. Ich spüre förmlich, wie viel Spaß er daran hat, mich in der Hand zu haben. Am liebsten würde ich ihn schlagen. Irgendwo, wo es richtig wehtut und ihm das ganz entspannt sagen, dass er mich nicht erpressen kann. Trotzdem weiß ich ganz genau, dass es niemanden weit bringen würde. Ich muss tun, was er sagt.
Sie verliert ihren Job, wenn ich nicht tue, was er sagt! , hallt es mir durch den Kopf. Ich denke einen Augenblick darüber nach, wie ein Leben ohne Emilia Adams wäre. Wenn Ich daran Schuld wäre, wenn sie ihren Job verliert. Dieser Gedanke ist nicht auszuhalten. Ich schüttle ihn ab.
Ich gehe zum Lehrerzimmer, um mit Emilia reden zu können. Mein Blutdruck steigt. Ich hatte immer gedacht, diese Nervosität würde sich lösen, wenn wir erst mal zusammen sind. Ich frage mich, ob ich jemals aufhören werden, sie immer auf ein riesiges Podest zu stellen. Aber wieso sollte ich auch? Immerhin ist sie wesentlich mehr, als ich! Vielleicht bin ich gerade nur so nervös, weil das Thema, über das ich mit ihr sprechen möchte so intensiv ist.
Dann steht sie vor mir und ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. „Wir haben uns doch gerade erst gesehen...“, beginnt sie grinsend. „Können wir kurz reden? Es ist wahnsinnig wichtig.“. Emilia zieht mich ins Lehrerzimmer in eins der kleinen Zimmer dort. Ich sehe sie an und es fällt mir automatisch schwer, es ihr zu sagen. Ich habe so sehr das Bedürfnis, sie mit Samthandschuhen anzufassen, ihr niemals etwas zu erzählen, was meinen ihr missfallen könnte. Und doch ist sie eine erwachsene Frau. Was kann schon geschehen? Sie wird bestimmt nicht zu weinen beginnen, oder?!, frage ich mich. Ein schlechtes Gefühl zerdrückt meinen ganzen Körper und ich fühle mich erschöpft.
„Jetzt reiß dich zusammen!“, denke ich mir im Stillen und sehe erneut zu meiner Freundin hinüber.
Sie strahlt und sieht mich erwartungsvoll an.
„Sag was!“, denke ich mir und beginne mit einem befangenen Lächeln.
„Max.... er hat uns gesehen.“, erzähle ich ihr. Das Fragezeichen steht ihr ins Gesicht geschrieben.
„In der Eisdiele. Und jetzt erpresst er mich damit....“, stocke ich unbeholfen weiter und tapse von einem Bein auf das andere. Zum ersten Mal habe ich ein schlechtes Gewissen, dass ich mich tatsächlich darauf eingelassen habe.
Es ist falsch!, halt es mir wieder in den Ohren. Hatte sie recht? Ist es falsch? Ich schlucke und bemühe mich, dieses Kopfkino beiseite zu schaffen.
„Solange er keine Beweise hat, ist doch alles gut.“, antwortet sie. Ich sehe zu Boden und wage nicht, es ihr zu sagen.
„Er hat Beweise...“, entgegne ich, „er hat Bilder gemacht.“. Sie nickt bedächtig und scheint ernsthaft zu überlegen. Ich sehe sie genau an und versuche herauszufinden, was sie denkt. Ist das überhaupt zu erahnen? Sie ist so undurchschaubar. Ich habe das Gefühl,, ich weiß vieles und doch nur ein Teil.
„Hast du das Bild gesehen, das er gemacht hat oder hat er nur gesagt, dass er eins hat?“, fragt sie weiter. Ihre Augen streifen mich und doch sieht sie mich nicht an. Sie ist ganz in Gedanken vertieft. Ob sie über uns nachdenkt? Ob sie überhaupt so viel über all das nachdenkt, wie ich es tue. Wieder beruhige ich mich mit dem Gedanken, dass sie schon mehr als nur oft gesagt hatte, wie wichtig ich ihr bin. Ein Lächeln zeichnet sich auf meinen Lippen ab und ich vertiefe mich auf ihre Frage.
„ich habe es gesehen.“, erzähle ich ihr und bin gespannt, ob sie uns nur ein weiteres Mal rettet.
„Wozu zwingt er dich denn?“, fragt sie mich und grinst leicht.
„Ich soll seine Dienerin spielen.“, sage ich ihr und hoffe, sie nicht allzu sehr zu beunruhigen. Schließlich mache ich das alles für sie, aber aus einem guten Grund. Für sie tue ich alles! Sie lacht laut auf und entgegnet: „Du musst dich doch nicht so sehr von ihm erpressen lassen!“. Ich schweige und sehe sie verwirrt an. Ob sie vergessen hat, dass sie ihr Job auf dem Spiel steht? Ist ihr ihr Job nicht wichtig? Sie ist uns doch so sehr wichtig! Ich denke an die Zeit, bevor sie da war und muss lächeln. Nein, das darf nicht auf dem Spiel stehen!
„Na ja..., ich möchte nicht, dass du Ärger bekommst.“, meine ich und werde gleich darauf verlegen. Sie bekommt dieses sanfte, mütterliche Lächeln, als sie die Verlegenheit meinerseits spürt.
„Süß!“, bemerkt sie, „Aber mach dir um mich mal keine Sorgen. Ich werde mit ihm reden, ja?“. Ich wusste, dass sie es retten wird. Glück durchfährt meinen ganzes Körper. Ich fühle mich glücklich und alle ihr um den Hals. Sie lacht und freut sich mit.
Ich bin glücklich.
Nun ist es schon wieder nachts, 02.00Uhr. Draußen ist es stockdunkel. Ich sitze mit Emilia und ihren Freundinnen in einem Restaurant, okay, vermutlich eher in einer Kneipe... Zumindest irgend so was in der Art!
Je mehr Zeit verstreicht, desto mehr Selbstbeherrschung benötigt es, die Augen offen zu halten. Wenn ich daran denke, dass morgen wieder Schule ist, könnte ich weinen. Wie gerne ich jetzt in mein kuscheliges, warmes, Bett wollen würde... Andererseits geistert der Satz: Jetzt verhalte dich doch nicht, wie ein Kind! Irgendwo in meinem Kopf herum, also sage ich weiterhin nichts.
Plötzlich entweicht mir ein leises, erschöpftes Gähnen. Ich sehe in die Runde, ob es jemand bemerkt hatte. Wie peinlich..., Jasmin mustert mich genau! In ihren Augen liegt wieder dieses Böse und sie grinst belustigt. Dann sagt sie: „Ohhh... Ich glaube, deine kleine Freundin ist müde!“ und das so, als sei ich ein Kleinkind. Emiliasieht kurz zu mir und dann auf die Uhr.
„Verdammt..., es ist ja schon wahnsinnig spät! Hättest du mir ruhig sagen können, dass du schlafen möchtest!“; bemerkt sie.
„Ich wollte mich nicht kindisch benehmen.“, erzähle ich schwach und gähne ein weiteres Mal. Sie lacht lautlos aus. Ihr Lacher hat etwas bemutterndes. Sie ist so schön heute.... Ich kann es nicht fassen, dass ich diesen Engel als meine Freundin bezeichnen darf!
„Och, Süße... Ich bin doch genau so müde! Komm schon, wir fahren. Morgen ist ja auch Schule. Du kommst mir wieder nicht aus dem Bett, dann muss ich dich wieder rauskitzeln.“, witzelt sie. Ich erröte leicht, weil ich mich schäme, dass sie es vor ihren Freunden sagt. Mein Blick sent sich auf den Tisch.
„Das ist unfassbar, wie kitzlig sie ist. Sie ist mit Abstand der kitzligste Mensch, den ich je gesehen habe!“, fügt sie hinzu.
„Bitte nicht...“; bringe ich nur heraus. Mein Stimme ist flehend. Die Mädels lachen und gehen zum Bezahlen an die Theke. Ich atme entspannt auf, da ich endlich ins Bett kann.
Nach diesem langen Abend in der restaurant-artigen Kneipe sind nun ein paar Tage vergangen. Die Schule ist zu Ende und Emilia nimmt mich mit zu ihrer Freundin auf die Arbeit. Ich weiß nicht genau, wie oft ich sie schon gefragt habe, was genau Jasmin jetzt arbeitet, aber es waren viele Male. „Das wirst du noch früh genug erfahren!“, antwortet sie immer wieder gelassen.
Sie parkt vor einem großen, seriösen Gebäude und verlässt das Auto. Schnell folge ich ihr. Drinnen ist es hektisch. Es laufen viele Menschen mit Kitteln rum. Mein Gesicht bekommt eine gewisse Blässe. Mir wird schwindelig und ich kralle mich an meiner Freundin fest. Sie sieht mich etwas verwirrt an und ich hauche nur: „Darf ich draußen warten.“ und möchte mich schon in Richtung Ausgang bewegen. Sie zieht mich ganz sanft zurück. „Was ist denn, dass du so dringend hier raus musst?“, fragt sie neugierig. Ich schweige einige Sekunden. Ich möchte nicht antworten, aber ihr Blick verrät mir, dass ich muss. Nur widerwillig antworte ich: „Ich habe eine Art Krankenhaus-Phobie.“.
Plötzlich wird ihr Blick besorgt. Sie zieht mich sanft raus. Kaum durchqueren wir die Drehtür, umhüllt die warme Sommersonne meinen Körper.
„Setz dich dorthin.“, bittet mich Emilia und zeigt auf eine Mauer. Ich lasse mich dort nieder und erlange mehr und mehr meine normale Hautfarbe zurück.
„Soll ich dir etwas zu trinken holen?“; fragt sie mich und wirkt nach wie vor besorgt. Es sieht aus, als würde sie darüber nachdenken, dass es hre Schuld ist, dass es mir kurzzeitig schlecht ging. Ich muss lächeln, weil sie so süß ist.
„Hey... Mir geht es gut, okay?“, erkläre ich ihr. Dann sieht sie mir direkt in die Augen und strahlt wie ein kleines Kind. Sie fragt mich: „Kannst du meine Gedanken lesen?“. Ich lache und nicke wissend.
„Warte kurz. Ich rufe Jasmin an, dass sie runter kommen soll, ja?“, schlägt sie vor.
„Du kannst auch alleine gehen und ich warte hier.“, mache ich den Gegenvorschlag,. Sie lacht. „Nein, ich bin so froh, dass du mit dabei bist, ich möchte dich nicht alleine lassen. Außerdem bist du noch minderjährig und ich habe die Verantwortung für dich. Ich möchte dich nicht hier mit wildfremden Menschen in einer wildfremden Ortschaft alleine lassen.“, argumentiert sie.
Ich muss schmunzeln. Sie wird mal eine gute Mutter....
„Gott...., ich bin fünfzehn, Emilia!“, entgegne ich beinahe wütend, „Du musst mich nicht wie ein Kleinkind behandeln.“. Sie grinst mich belustigt an. Sie ist mir überlegen, das spüre ich alleine an ihrem Gesichtsausdruck. Sie beginnt zu sprechen und ihre Stimme ist fest und selbstbewusst: „Das sagt die, die sich in einem Café immer ein... wie nennst du das noch gleich? Schokieis bestellt und sich dann von oben bis unten besabbert. Oder die, die mich letztens regelrecht angefleht hat, ihren Bauch zu kraulen und dann ständig kichern und sich winden musste, weil es so furchtbar gekitzelt hat.“. Ich stöhne merklich und verdrehe die Augen. Sie hat recht. Ich weiß nicht, was ich noch dazu sagen soll, aber ich setze an: „Das ist wirklich nicht fair, Emilia! Ich bemühe mich und das weißt du auch!“. Sie nickt, erwidert jedoch nichts und wendet sich nur von mir ab, um zu telefonieren. Ich ziehe sie sanft am Amr zurück. Sie sieht mich an und fragt leicht genervt: „Was ist denn?“. Ich lache Wenige Minuten später steht Jasmin vor uns.
„Was war denn los? Warum seid ihr nicht hoch gekommen? Hannah grinst mich verspielt an. Dann antwortet sie: „Ach..., nur so!“