Ich glaube, dass ich ihr das alles gefallen würde.
Ich glaube, sie würde es mögen, was die Leute heute über sie gesagt haben. Vor allem all die schönen Dinge, die aus ihrem Leben erzählt wurden. Sie war ja schon immer ein sehr selbstkritischer Mensch, der es am liebsten allen recht machen wollte. Vielleicht waren es auch diese hohen Ansprüche an sich selbst, die ihr das Leben letzten Endes so unnötig erschwert haben.
Ich glaube, sie würde es gut finden, dass wir all diese Verwandten und Freunde, die wir kaum kennen, endlich einmal getroffen haben; dass die meist gesichtslosen Namen aus ihren so umfangreichen Erzählungen endlich Gesichter erhalten haben. Seit ich sie kenn ist sie es nie müde geworden, uns wortreich und bis in kleinste Detail über Verwandte, Freunde, Nachbarn und uns völlig unbekannte Menschen, aufzuklären. Ich kenne niemanden sonst, der so gut über Gott und die Welt Bescheid weiß, dass er wohl aus dem Stehgreiff einen halbstündigen Vortrag über jede beliebige Person in der Stadt könnte.
Ich glaube, es würde sie erleichtern, dass er an den Wochenenden bei uns isst. Dass sie ihm kein selbstgekochtes Essen mehr anbieten konnte, war ein klarer Verstoß gegen ihre Ansprüche an sich selbst und ich glaube, dass sie darunter mehr gelitten hat, als sie es vor uns zugegeben hat. Schließlich wollte sie nie jemandem zur Last fallen und hat stets aus dem Hintergrund dafür gesorgt, dass alle zufrieden sind.
Kochen und Backen. Weitere Dinge, die sie so unglaublich gut konnte. Ich glaube, dass selbst der Bäcker beim Geschmack ihrer Torte neidisch geworden wäre. Wie viele Stunden wohl in der Küche verbracht hat, um uns unzählige Geburtstagstorten zu backen? Ich weiß gar nicht, wie je ein Geburtstag ohne eine solche Torte ablaufen konnte oder ablaufen soll.
Ich glaube, sie würde sich freuen, dass ich ihre Jacke trage. Diese endlosen Diskussionen, was sie nur mit ihren abgelegten Kleidern machen soll. Am Ende hat sie doch immer alles im Schrank gelassen. Sie wollte ihre alten Kleider nie einfach so weggeben und fand es immer so schön, wenn sie sie an uns weitergeben konnte. Überhaupt hat sie uns so gerne und oft etwas Gutes getan. Die Torten, Kuchen, Plätzchen, Lebensratschläge, gut gemeinten Hinweise und auch die selbstgestrickten Socken, welche ich in kalten Wintern am liebsten trage. Wie viele Meter Wolle sie wohl für uns in eine tragbare Form umgewandelt hat? Wie viele Schafe dafür wohl ihren Pelz gelassen haben?
Sie würde sich freuen, sowohl über den Sonnenschein, als auch über den angekündigten Regen. Perfektes Wetter für den Garten. Ich erinnere mich gut an die unzähligen Gespräche, welche Pflanzen denn bei dem diesjährigen Wetter besonders gut gedeihen würden und auf welche Pflanzen wir dieses Mal lieber nicht allzu sehr hoffen sollten. Sie hat ihren Garten so sehr geliebt. Dass konnte auch jeder auf den ersten Blick sehen. Wie schafft man es, einerseits so viele Nutzpflanzen anzubauen und gleichzeitig ein solches Blütenmeer zu erhalten, dass angesichts dieser Schönheit jede Gärtnerei um ihre Existenz bangen würde? Ihr Garten war eine solche Pracht. Und auch in ihrer Wohnung hat es überall geblüht. Ich weiß noch, wie wir immer die Blüten ihrer Orchideen gezählt haben. 48, 49, 50, 51, 52, … Die Nachbarn haben ihr mal unterstellt, dass diese Blumen nicht echt sein könnten, weil es nicht möglich sei, dass eine so anspruchsvolle Blume über einen so langen Zeitraum so strahlend blüht. Wenn sie wüssten, wie falsch sie mit dieser Vermutung lagen. Manchmal glaube ich, dass die Blumen nur so lange geblüht habe, weil sie gespürt haben, dass sie sich sehr darüber freuen würde und obwohl ich weiß, dass dieser Gedanke unsinnig ist, hat er in meinen Augen doch etwas Tröstliches und Beruhigendes. Sie war immer so stolz auf ihre Blumen und deren Schönheit, die bei vielen ihrer Bekannten ein Lächeln und auch eine gewisse Bewunderung geweckt haben. Sogar ihr Gemüsebeet hat sie mit Rosen umpflanzt, die immer so wunderschön aussahen und aus denen sie so manchen Blumenstrauß gebunden hat.
Ich schaue auf die Rosen, welche in voller Pracht strahlen, und alles was passiert ist für mich noch schwerer zu fassen machen. Es wirkt alles so falsch und unwirklich und ich weiß nicht, was schwerer ist: Die Tatsache, dass sie Blumen so lebendig aussehen, dass ich sie fast nicht ansehen kann, oder der Gedanke, dass sie bald verwelkt sein werden. Was würde sie wohl über diese Blumen denken?
Ja, Ich glaube, sie würden ihr sehr gut gefallen, die Rosen auf ihrem Grab.