Takjin erwachte zu dem Geräusch von prasselndem Regen, doch aus irgendeinem Grund war er selbst trocken. Verwirrt setzte er sich auf und stieß mit dem Kopf gegen einen harten Widerstand.
„Au!“ Er fluchte halblaut und hielt sich die pochende Stirn. Langsam gewöhnten sich seine Augen an das Halblicht und er erkannte, dass er in einer niedrigen Höhle lag, im hintersten Ende eines Erdlochs, das sich wie ein liegender Kegel öffnete. Vor ihm stand die magische Kiste von Dokarestmus.
Takjin erinnerte sich wieder. Gestern hatte er die neue Unterkunft gefunden, die ihm mehr Schutz bieten sollte. Er befühlte seine Stirn und analysierte, dass er für seinen neuen Schutz mit einer Beule bezahlen würde.
Langsam stand er auf, streckte sich vorsichtig im vorderen Teil der Höhle und öffnete dann die Kiste.
Immer noch war keine neue Botschaft angekommen, auch die Vorräte schwanden wie zuvor dahin.
Takjin nahm ein wenig Brot und beschloss dann, in der Nähe der Höhle auf die Jagd zu gehen. Kaum, dass er nach draußen trat, verwarf er den Plan bereits.
Der verregnete Wald war bevölkert von Monstern. Ein skelettiertes Pferd lief nicht weit entfernt herum, einige Steinwürfe weiter entdeckte Takjin eine Horde Zombies und über den Baumwipfeln erklang ein unheimliches Heulen, dessen Erzeuger er lieber nicht kennen lernen wollte
Takjin kroch wieder in die Höhle und öffnete die Truhe, um ihr den Unsichtbarkeitstrank zu entnehmen. Er trank ihn nicht, denn das magische Getränk sollte sein Notfallplan sein – falls er angegriffen wurde und keine andere Chance sah, zu entkommen.
Dann hockte er in der Höhle, deren Boden langsam von Feuchtigkeit durchtränkt wurde.
„Bitte, Dokarestmus“, murmelte er vor sich hin. „Melde dich. Bitte!“
Doch der ferne Unbekannte schwieg.
Erst zum Nachmittag hin ließ der Regen nach und die hellen Strahlen der Sonne vertrieben und verbrannten die meisten Monster. Takjin kroch aus der Höhle, ausgerüstet mit Schwert, Rüstung und Trank. Er huschte durch den Wald und entdeckte bald ein paar Hasen, die auf einer Lichtung hockten und am Klee knabberten.
Takjin schlich sich an, doch plötzlich fuhr einer der fünf Hasen auf und richtete die Ohren in Takjins Richtung.
Schon stoben die Tiere auseinander und jagten Haken schlagend in die Büsche. Takjin rannte hinterher, sprang über Gräben und duckte sich unter Baumstämmen hinweg, die quer über den Pfad hingen. Er folgte einem schwarzen Hasen. Das Tier versuchte, Takjin abzuschütteln, indem es unter Büsche kroch oder durch Gestrüpp sprang, doch Takjin folgte ihm durch Brennnesseln und Farne hindurch, wobei er sich mit dem Schwert einen Weg freischlug.
Doch schließlich musste er anhalten. Er hatte Seitenstiche und egal, wie schnell und geschickt er die Verfolgung antrat, der Hase blieb immer außer Reichweite des Schwertes. Ohne einen Trank hatte die Jagd keinen Zweck.
Takjin sah sich um und stellte wenig begeistert fest, dass er die Umgebung nicht erkannte.
„Verdammt!“, zischte er leise und beugte sich über den Boden, um im nassen Schlamm seinen eigenen Fußspuren zu folgen.
Er war derartig versunken in seine Spurensuche, dass er nicht auf seine Umgebung achtete – bis er plötzlich ein lautes Schnaufen hörte.
Takjin sah auf und fand sich einem Keiler gegenüber, der ihn aus kleinen Augen böse anfunkelte.
„Verdammt! Verdammt! Verdammt!“ Takjin tastete nach dem Trank, der hinten an seinem Gürtel baumelte. Doch er war nicht schnell genug: Schon stürmte das Wildschwein auf ihn zu und senkte die Hauer zum Angriff.
Takjin sprang zur Seite und trat auf einem Ast, der unter ihm zur Seite rollte. Mit einem Schmerzensschrei landete Takjin im Schlamm und rollte über Steine und Äste einen kleinen Hang herunter.
Er fiel in einem Graben und richtete sich stöhnend auf. Er schüttelte den Kopf, um Blätter und Dreck aus seinen Augen zu vertreiben. Als er aufsah, kam der Keiler in gestrecktem Galopp auf ihn zu.
Takjin sprang nochmals zur Seite, ein stechender Schmerz in seiner Hüfte sagte ihm, dass er sich bei seinem Sturz etwas gezerrt hatte. Er tastete wieder nach dem Trank – doch der war fort!
Der Keiler wendete und glitt auf den nassen Blättern aus. Takjin stürzte mit einem verzweifelten Schrei nach vorne, während die kleinen Hufe des Wildschweins noch in der feuchten Erde wühlten. Mit seinem ganzen Gewicht lehnte Takjin sich gegen den Griff seines Schwertes und trieb die Spitze in den Kopf des Keilers.
Das Tier stieß ein jämmerliches Quieken aus, dann sackte das Wildschwein zusammen und die kleinen Augen glitten nach oben in den Schädel.
Takjin lehnte keuchend über dem Schädel des erlegten Schwarzwildes und sah auf das Blut, das aus der Schädeldecke sickerte. Nur langsam kam er wieder zu Atem, stand auf und versuchte nun, sein Schwert aus dem Kadaver zu lösen. Er musste heftig ziehen. Jedes Mal wurde der leblose Körper durchgeschüttelt. Als die Klinge dann freikam, setzte Takjin sich unsanft ins Laub.
Mehrere Minuten lang konnte er sich nicht rühren und fühlte sich, als ob er jeden Moment in Tränen ausbrechen würde. Doch keine Tränen kamen. Nach einer Weile atmete er mehrmals tief durch und wischte sich die dreckigen Hände an der Hose ab. Sein Herzschlag beruhigte sich: Er hatte überlebt.
Als er aufstand, sah er einen Schimmer von Glas ein Stück höher am Hang. Takjin stolperte dorthin – sein Bein schmerzte, doch er war zum Glück nicht allzu schwer verletzt. Er hob den Trank auf. Im Laufe des Kampfes musste sich die Flasche gelöst haben und auf den Boden gefallen sein. Auf dem weichen Laub war sie heil geblieben und Takjin konnte Notch nicht genug dafür danken.
Dann wandte er sich dem Wildschwein zu, kniete sich neben die Beute und zerschnitt das Fleisch mit schnellen Schnitten, um so viel wie möglich mitnehmen zu können. Als er aufstand, dunkelte es, doch er konnte seine Fußspuren im Schlamm immer noch sehen. Diesmal folgte er der Spur aufmerksamer und erkannte bald seine Umgebung wieder. Doch kurz, bevor er die Höhle erreichte, hörte er seltsame Geräusche.
Takjin erstarrte, die Arme voll mit blutigem Fleisch. Er hörte Schritte, die sich näherten. Plötzlich glühten helle, gelbe Punkte im Wald auf: Augen, hunderte von Augen.
Die Schritte waren schnell, dann waren sie da: Große, schwarze Wölfe sprangen aus dem Wald, geifernde Mäuler und glitzernde Zähne. Takjin konnte sich nicht rühren, denn was hätte er tun können? Es waren einfach zu viele, der ganze Wald wimmelte von ihnen, als habe die Erde selbst Wolfsgestalt angenommen.
Takjin schloss die Augen.
Die Schritte verstummten nicht, doch nichts geschah. Wie prasselnder Regen oder rauschende Blätter erklang das Tapsen unzähliger Pfoten.
Takjin öffnete ein Auge, dann beide und starrte: Er befand sich auf einer winzigen Insel im Wolfsstrom, da die großen Tiere einen Bogen um ihn schlugen und einfach weiterrannten, ohne ihn zu beachten. Ab und an streifte ihn eine Rute, doch keiner der Wölfe warf ihm auch nur einen Blick zu, geschweige denn dem Fleisch in Takjins Armen.
Dann, so schnell, wie er gekommen war, war der Spuk vorbei, als habe es sich nur um einen bösen Traum gehandelt. Doch der Boden war aufgewühlt von hunderte Pfoten, kleine Gewächse waren niedergetrampelt und Gras geplättet.
Takjin stolpert wie im Traum in seine Höhle, beherrscht nur von einer einzigen Frage: Wovor waren die Wölfe geflohen?