Noch am selben Abend hatten wir ein Ergebnis. Die Abdrücke waren nicht von Thomas Weber. Sie waren von einem sechzehnjährigen amtsbekannten Jungen, in dessen Dunstkreis sich, wie sich später herausstellen sollte Tommy in letzter Zeit des Öfteren bewegte. Wir kamen darauf, weil uns der Name Karmann überhaupt nichts sagte und wir uns auch an keinen Patienten diesen Namens erinnern konnten. Wir riefen deshalb Frau Weber neuerlich an, die daraufhin sagte, das wäre einer jener Jungs, mit denen sich Tommy scheinbar eingelassen hatte.
Als ich danach in mein Arbeitszimmer ging, fand ich einen weiteren Brief bei der heutigen Privatpost:
"Da du es gewohnt bist, Michael, deine Probleme mit Geld zu lösen, von dem du ja mehr als genug hast, will ich dir eine Chance geben, mein "Vergessen" zu kaufen. Aber es wird nicht billig sein. Wenn du interessiert bist, dich und deine Weiber zu schützen, schreib eine SMS mit "Was soll es kosten?" an folgende Nummer ....... und zwar heute noch. Keine Polizei! Das Handy ist sowieso nicht registriert und wird nur vereinzelt zur Kommunikation eingeschaltet. Eine Verfolgung ist zwecklos."
Ich las den Brief mehrmals, und war trotzdem vorsichtig wegen der Abdrücke, es konnten ja auf diesem auch welche sein. Der Schreiber hatte seine Einstellung zu Geld offenbar geändert. Selina und ich rätselten, wie weit Tommy wohl in die Sache tatsächlich verwickelt war. Hatte er diesem Karmann nur seine Geschichte erzählt oder war er auch in die Drohungen oder womöglich sogar in die Erpressung involviert. Das Karmann kriminelle Energie in sich hatte, war bekannt. Hatte Tommy mich erschrecken wollen und die Kontrolle verloren über seinen "Freund" der sich an der Aktion bereichern wollte? Oder wusste Tommy gar nichts von der Sache? Oder aber war der Junge so weit neben der Spur, dass er mich tatsächlich erpressen wollte? Jene Menschen bedrohte, die für seinen Unterhalt aufkamen, ohne ihm irgendwas zu schulden. Ich hoffte sehr, dass dem nicht so sein würde. Ich erinnerte mich an den herrlichen Tag in Porec an dem er mich gefragt hatte. "Michael? Ich habe keinen Papi! Möchtest du nicht mein Papi sein?" Selina musste meine Gedanken erkannt haben, denn sie umschloss meinen Oberarm. "Er steht dir noch immer näher als du denkst, Liebling. Vielleicht hat ihn sein Freund ausgetrickst! Wer weiß?" - "Ich wünschte du hättest recht, aber ich verliere langsam die Hoffnung." Max versuchte auch diesen Brief noch untersuchen zu lassen, doch da mussten wir uns wohl auf morgen gedulden.
Die Nacht kam heran. Ich lag so gut wie ständig wach. In meinem Schädel summte es als sei eine Hundertschaft Wespen darin gefangen. Wenn ich einmal für kurze Zeit einschlief, schreckte ich wenige Minuten danach wieder auf. Selina versuchte vergeblich mich zu beruhigen, Ich war bald versucht, in meinem Arbeitszimmer auf der Couch zu schlafen, um wenigstens Selina eine halbwegs erholsame Nacht zu ermöglichen, aber als diese mich beim Aufstehen erwischte, hielt sie mich zurück! "Du schläfst sicher nicht allein auf der Couch, Michael! Leg dich wieder hin, komm! Bleib schön bei mir, ich streichle dich in den Schlaf." Sie legte sich an meine Seite und strich ganz zart mit ihren schlanken Fingern über meine Brusthaare. Es war ihre typische Haltung mit ihrem Kopf auf meiner Schulter und der Hand auf meiner Brust. Auch diesmal verfehlte Selinas Nähe ihre Wirkung nicht. Ich fiel irgendwann ich einen unruhigen Schlaf, aber immerhin war ich eingeschlafen und der Rest dieser Nacht zog gnädiger Weise unbemerkt an mir vorbei...