Schmerz hoch drei
Mein Schlaf war traumlos und dauerte zehn Stunden. Obwohl ich ausgeruht
war, konnte ich mich nicht dazu aufraffen, aufzustehen. Meine Muskeln
waren noch immer leicht verkrampft. Ein sanfter, monotoner Schmerz
durchfuhr meine Glieder und wollte einfach nicht aufhören.
Liebend
gerne wäre ich für immer liegen geblieben, seelenruhig und beschützt
vor den Reizen der Außenwelt, die mich dazu zwangen mein
verabscheuungswürdiges und blutrünstiges Wesen herauszukehren. Die Welt
mit ihren Millionen von Menschen da draußen war eindeutig besser, ohne
mich. Was tat ich denn schon, außer zu töten, töten und nochmals zu
töten? Das einzig Gute war, dass ich Holly liebte. Sie war der Mensch,
bei dem ich geglaubt hatte, dass ich ihn niemals verletzten würde, wie
all die Anderen, doch dies war ein gewaltiger Irrtum.
Ich
hatte ihre Liebe nicht verdient. Sie war ein wundervolles und nettes
Mädchen, das einen charmanten jungen Mann verdient hatte, der ihr die
Welt zu Füßen legte und nicht einen brutalen, eiskalten Killer, wie ich
einer war.
Es
wäre besser für sie, wenn ich so schnell aus ihrem Leben verschwand, wie
ich eingetreten war, auch, wenn mir nur der bloße Gedanken an eine
ewige Trennung von Holly höllische Schmerzen bereitete. Ich machte sie
traurig und unglücklich. Die Angst, die sie vor mir hatte, nicht zu
vergessen.
Wie hatte sie sich in mich verlieben können? Sie hatte sich wohl den schlechtesten Freund als Umgang ausgewählt.
Es
war nur verständlich, dass sie mich ihren Eltern auf keinen Fall
vorstellen konnte. Ich kaufte ihr die schwache Ausrede, dass ihre Eltern
sehr kritisch seien, einfach nicht ab. Keine Frage, es lag an mir und
meinem Beruf. Ich zog mir die Decke über den Kopf und versuchte wieder
einzuschlafen, um der Realität für weitere Stunden zu entfliehen, doch
mir war keine Ruhe vergönnt, denn es klingelte an der Tür.
Ich
tastete nach dem Kissen, das ich während meines Schlafs zur Seite
geschoben hatte. Irgendwann bekam ich es in die Finger und presste es
mir auf meinen Kopf, damit ich das nervige Klingeln nicht mehr hören
musste. Viel brachte mir das blöde Kissen jedoch nicht.
Entnervt
schnaubte ich und stieg aus dem Bett. Wer auch immer es wagte mich zu
stören, dem würde ich die Hölle heiß machen. Tief im Innern hoffte ich,
dass Mickey vor der Tür stand. Dann hätte ich zumindest einen guten
Grund ihm ein paar Schläge zu verpassen.
Barfuss
stampfte ich müde und lustlos zur Tür und drückte sie mit Hilfe des
Knopfes auf. Ich machte mir nicht die Mühe nachzufragen, wer draußen
darauf wartete, hereingelassen zu werden. Ich öffnete die Tür einen
spaltbreit und ging in die Küche. Gerade goss ich mir Orangensaft in ein
Glas, als ich Schritte auf den steinernen Stufen im Treppenhaus hörte.
Gespannt setzte ich mich auf einen meiner Barhocker und nippte an dem
Saft.
Die Tür
wurde zart von der Person geöffnet, die ich am Wenigsten erwartet hätte.
Holly lugte zaghaft in die Wohnung. Sofort versteifte ich mich und war
nicht mehr in der Lage mich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Was
machte sie hier?
Als
sie mich mit ihren blauen Augen entdeckt hatte, schaute sie verlegen zu
Boden. Ich konnte das für sie typische Rot auf ihren Wangen entdecken.
„Hallo“,
flüsterte sie und trat ein. Sie trug eine verwaschene und an den Knien
zerrissene Jeans und dazu einen figurbetonten türkisfarbenen
Rollkragenpullover. Sie musste mit dem Ford gekommen sein, denn ohne
Jacke hätte sie sich bei diesem Wetter niemals aus dem Haus getraut.
„Hi“,
begrüßte ich sie mit brüchiger Stimme. Ohne ein weiteres Wort setzte
sie sich neben mich. Ihre Augen starrten noch immer nach unten. Erst
jetzt wurde mir bewusst, dass ich bloß meine Boxershorts trug. Mein
Anblick schien sie verlegen und unsicher zu machen.
„Ich
zieh mir was an, tschuldigung.“ Ich stand etwas steif auf, weil meine
Muskeln noch unter Spannung standen. Im Schlafzimmer schnappte ich mir
das erstbeste T-Shirt, was ich in die Finger bekam, und streifte es mir
über. Als ich in die Küche zurückkehrte, lächelte mich Holly
freudestrahlend an. Ihre gute Laune versetzte mich in einen
Schockzustand.
„Warum bist du hier?“ Irritiert schaute sie mich an.
„Freust du dich etwa nicht mich zu sehen?“, fragte sie gespielt empört.
„Doch, aber nachdem, was gestern Abend passiert ist, dachte ich nicht, dass du einen Tag später vor meiner Tür stehen würdest.“
Beschämt
konzentrierte ich mich auf meine Hände. Seit sie hier war, verabscheute
ich mich. Holly war ein engelsgleiches Geschöpf. Ich dagegen war die
Ausgeburt der Hölle.
Plötzlich
spürte ich ihre warme Haut auf meiner. Sie umfasste mit den Händen mein
Gesicht und hob es an, sodass ich sie ansehen musste. Mich quälte ihre
Reinheit, die ihr ganzes Wesen ausstrahlte. Ich kam mir unendlich
dreckig und widerlich vor.
„Wir
beide haben an diesem Abend Dinge gesagt, die wir nicht so gemeint
haben. Ich bin dir nicht böse, James, glaub mir. Ich liebe dich.“
Aufmunternd grinste sie, doch ihre Worte konnten mein Gewissen nicht
beruhigen.
„Ich
behandle dich schlecht, Holly. Warum kommst du hierher und verzeihst
mir? Du hast jemand Besseren verdient.“ Ich zog meinen Kopf zurück und
stellte mich hinter den Tresen.
„Ich
bin ein schrecklicher Mensch und dass weißt du. Es ist gefährlich mich
zu lieben. Darum wäre es besser, wenn ich dir nie begegnet wäre.“
Meine Worte meinte ich todernst. Ich konnte Holly noch immer nicht in die Augen sehen.
„Hör
auf dich unentwegt schlecht zu machen. Ich bin froh, dass ich dir
begegnet bin. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr du mein Leben
bereichert hast.“ Ihre Stimme war erfüllt von Glück und Liebe.
„Wie
kannst du mich nur lieben? Verdammt, ich habe dich geschlagen.“ Ihre
Gefühle für mich waren unverständlich und auf irgendeine Art
befremdlich.
„Ich bin Abschaum.“ Entschlossen schaute ich sie an.
Hilflos
musste Holly mit anhören, wie ich versuchte, sie davon zu überzeugen,
dass ich nicht der Richtige für sie war. Ich konnte mir vorstellen, dass
sie da ganz anderer Meinung war. Ihre verzweifelte Miene verwandelte
sich in eine Wütende. Sie kniff die Augen zusammen und funkelte mich
böse an.
Unerwartet
und blitzschnell gab sie mir eine gehörige Ohrfeige. Ein lauter und
hoher Knall durchbrach die Stille. Es steckte viel mehr Kraft in ihrem
zierlichen Körper, als gedacht.
„Sag
nie wieder solche Sachen über dich selbst. Ich liebe dich und dass wird
sich nicht ändern, egal, was passiert. Hast du mich verstanden?“
Drohend hob sie ihren Zeigefinger. Mir gefiel es, dass sie mir so
deutlich zeigte, dass sie mich brauchte und über alles liebte, obwohl
ich selbst an mir zweifelte.
„Ich habe dich etwas gefragt, James.“ Sie stemmte die Hände in die Hüften. Leicht nickte ich.
„Dann
ist es ja gut.“ Zufrieden lächelte sie. Dann strich sie mir liebevoll
über meine rechte Wange, die zwar nicht schmerzte, aber sich dick und
heiß anfühlte.
„Tut
mir leid, dass ich dir eine Ohrfeige verpasst habe.“ Entschuldigend sah
sie mich an und biss sich auf die Unterlippe. Zärtlich küsste sie mich
auf die Wange und ließ ihre Lippen über meine Haut gleiten. Ein wohliges
Gefühl durchzuckte mich.
„Du
brauchst dich für rein gar nichts bei mir zu entschuldigen.“ Ich nahm
eine Strähne ihres langen Haares zwischen zwei Finger und zwirbelte sie
auf.
Holly
schlang ihre Arme um meinen Bauch und drückte sich fest an mich. Ich
konnte ihre Wärme spüren und ihren fruchtigen Duft riechen. Ich
streichelte über ihren Kopf und versenkte mein Gesicht in ihren seidigen
Haaren. Die Zeit schien still zu stehen.
Ich
wusste nicht, wie lange wir schon so da standen, doch ich wollte sie
auf gar keinen Fall loslassen. Holly schien wohl derselben Meinung zu
sein, denn sie machte keinerlei Anstalten ihren Griff zu lockern.
„Du
bist das schönste Mädchen, dem ich je begegnet bin. Ich liebe dich und
ich bereue es keinesfalls, dass ich dich getroffen habe. Seit du in mein
Leben getreten bist, hast du mich zu einem besseren Menschen gemacht,
Holly.“ Das musste ich ihr unbedingt sagen. Ich konnte ihr Lächeln auf
meiner Haut spüren.
„Das
glaube ich dir aufs Wort.“ Sie löste sich aus der Umarmung und gab mir
mit Mühe einen Kuss. Sie stand wie immer auf den Zehenspitzen.
„Warte.“ Ich hob Holly hoch und setzte sie auf den Tresen.
„Hey, ich bin zwar klein, doch ich schaffe es auch ohne deine Hilfe dich zu küssen.“ Ich zuckte mit den Achseln.
„Ja schon, aber ich sehe es nun mal nicht gerne, wenn du dich abmühst.“ Sie verdrehte die Augen.
„Danke,
dass du mich aus meiner misslichen Lage befreit hast. Du bist mein
Ritter in strahlender Rüstung.“ Der Sarkasmus war kaum zu überhören.
„Bekommt
der Ritter auch eine Belohnung für seine heldenhafte Tat?“, fragte ich
dreist und stützte meine Hände auf dem glatten Tresen ab.
Sie legte einen Finger an ihre Lippen, guckte nach oben und dachte gespielt nach.
„Hmm, ich weiß nicht, ob er eine Belohnung verdient hat.“ Ich knuffte sie in die Seite.
„Was soll ich denn sonst noch tun, damit du mir dankst?“, meinte ich und brachte ihre langen Haare durcheinander.
„Lass
dir was einfallen.“ Sie überschlug ihre Beine und wartete darauf, dass
ich irgendetwas tat. Ich bohrte meine grauen Augen in ihre Blauen und
hoffte auf eine Inspiration. Holly legte den Kopf schief und erwiderte
meinen Blick. Sie war einfach bezaubernd.
Dann fiel mir schlagartig etwas ein, womit ich mir eine Belohnung verdient hätte. Euphorisch lächelte ich.
„Du hast eine Idee, oder? Was ist es?“, fragte sie neugierig.
„Hab Geduld, Holly. Ich komme gleich wieder.“ Ich küsste sie auf die Nasenspitze und sprintete in mein Schlafzimmer.
„Beeil dich“, rief sie mir ungeduldig hinterher.
Während
sie in der Küche auf meine Überraschung wartete, suchte ich diese im
kleinen Safe, der sich in den Tiefen meines Kleiderschranks verbarg.
Hinter vielen Klamotten fand ich den eisernen Würfel, der all meine
wertvollsten Besitztümer beinhaltete. An der Vorderseite befand sich das
Tastenfeld mit dessen Hilfe man die Tür öffnen konnte.
Nachdem
ich den Code 21098, den Todestag meiner Eltern, eingegeben hatte,
machte ich die Tür auf und zum Vorschein kamen Bündel von Bargeld. Es
mussten ungefähr 250.000 Dollar sein, genau wusste ich es nicht, denn
ich hatte es lange nicht mehr gezählt. Ich packte hinter das Geld und
tastete nach einem rechteckigen Karton.
Zuerst
bekam ich nur meine Beretta in die Hand, doch als ich den Karton dann
gefunden hatte, zog ich ihn heraus. Er war schon sehr alt und für andere
Menschen war er nur Müll, doch es ging nicht um das Äußere, sondern um
den Inhalt, der mir unendlich viel bedeutete.
Ich
hob den Deckel und sah die einzigen Erinnerungsstücke, die mir von
meinen Eltern geblieben waren. Es waren leider keine Fotos, sondern
wenige Schmuckstücke meiner Mutter und eine Krawatte meines Vaters, die
noch eine schwache Duftnote seines herben Rasierwassers verströmte.
Jedes
Mal, wenn ich diese Kiste öffnete, bekam ich ein beklemmendes Gefühl
und ich fühlte mich in die Zeit, in der ich im Waisenhaus gewesen war,
zurückversetzt. Ein dicker schwerer Kloß bildete sich in meinem Hals und
ich konnte nicht mehr schlucken. Ich drohte in Traurigkeit zu
versinken, doch ich riss mich zusammen. Schnell schnappte ich mir mein
Lieblingsstück, den Ehering meiner Mutter, den sie selbst von ihrer
Mutter bekommen hatte. Es war ein rotgoldener Diamantring aus den 20er
Jahren.
Der
Diamant hatte 1,5 Karat und war 8mm breit. Der Ring war dezent, aber er
hatte auch etwas Besonderes an sich. Er war wie geschaffen für Holly.
Ich war aufgeregt, denn ich fragte mich, wie sie wohl auf mein Geschenk
reagieren würde. Hoffentlich würde sie nicht die Flucht ergreifen.
Leicht schmunzelte ich bei diesem Gedanken und ging zu Holly zurück.
Diese saß unverändert auf dem Tresen und spielte nervös mit ihren
Haaren. Als ich mich vor sie stellte, strahlte sie über das ganze
Gesicht.
„Da bist du ja endlich. Jetzt bin ich aber mal gespannt.“ Ihre Augen sprühten vor freudiger Erwartung.
„Gib mir deine linke Hand und schließ deine Augen“, entgegnete ich geheimnisvoll. Sie wirkte auf einmal verunsichert.
„Keine Angst, dir passiert schon nichts.“
„Na
gut, ich vertraue dir“, flötete sie fröhlich, schloss die Augen und
streckte mir ihre zierliche linke Hand entgegen. Ich zückte sogleich den
Ring und schob ihn ihr behutsam auf den Ringfinger. Kaum hatte ich
meine Hand zurückgezogen, als sie erschrocken ihre Augen aufriss und die
rechte Hand vor den Mund schlug. Ungläubig betrachtete sie das
Schmuckstück an ihrem Finger und versteifte sich. Öfters öffnete sie den
Mund, doch es kam kein einziges Wort heraus.
„Was sagst du zu meinem Geschenk?“ Ich nahm ihre Hand. Holly stand der Ring ausgezeichnet.
„Er…er ist wunderschön, aber ich kann dir noch keine Antwort geben.“ Entschuldigend sah sie mich an.
„Wie bitte? Was meinst du denn, Holly?“ In Sekundenschnelle wurde sie knallrot.
„Da
du nicht weißt, was ich meine, vermute ich mal, dass du mir mit diesem
Ring keinen Heiratsantrag gemacht hast.“ Peinlich berührt schlug sie die
Hände vors Gesicht, um sich vor mir zu verstecken. Ich hätte mich
selbst schlagen können. Wieso war ich nicht darauf gekommen, dass sie
diese Geste für mehr halten könnte, als für ein einfaches Geschenk? Ich
trat nahe an sie heran und schob ihre Hände vom Gesicht. Holly
schüttelte wie wild den Kopf und versuchte krampfhaft mich nicht
anzusehen. Ihr war die Situation sichtlich unangenehm und peinlich.
„Du
brauchst dich nicht zu schämen. Der Ring ist als einfaches Geschenk
gedacht. Im Moment zumindest. Sieh es als eine Art Vorschuss für den
sicher noch kommenden Antrag.“ Langsam hob sie ihren Kopf und sah mich
verunsichert an.
„Es war blöd von mir zu glauben, dass du ausgerechnet um meine Hand anhalten würdest.“
„Ich
habe dir schon einmal etwas über deine verfälschte Selbsteinschätzung
gesagt. Du bist das Mädchen, das ich mehr liebe, als alles andere auf
dieser Welt, also hab mehr Vertrauen in dich selbst. Außerdem habe ich
dir gerade verraten, dass ich vorhabe dich zu heiraten. Natürlich nicht
jetzt, dafür sind wir beide zu jung, aber in ein paar Jahren.“ Liebevoll
lächelte ich sie an und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
„Dass
wäre wohl besser, sonst würden mir meine Eltern die Hölle heiß machen.“
Sie fing an zu kichern. Ich war froh sie wieder glücklich zu sehen.
„Gefällt dir der Ring?“ Eifrig nickte sie.
„Er
ist einfach perfekt“, hauchte sie und küsste mich auf den Adamsapfel.
Dann hob sie den Ring auf ihre Augenhöhe und drehte die Hand in alle
Richtungen. Ihre Augen blitzten vor Begeisterung.
„Er hat meiner Mutter gehört.“ Holly ließ schnell die Hand sinken.
„Dann kann ich ihn nicht annehmen.“
„Warum nicht?“ Verwundert trat ich einen Schritt zurück.
„Ich
möchte nicht mit einem Schmuckstück, das dir soviel bedeutet,
herumlaufen. Was ist, wenn ich ihn verliere? Ich könnte dir nie mehr
unter die Augen treten“, antwortete sie in einem wehleidigen Ton.
„Ich
vertraue dir voll und ganz, Holly. Ich möchte, dass du den Ring
behältst. Er lag jahrelang in einem alten Karton und nun steckt er am
Finger des Mädchens, das ich verehre. Eine bessere Verwendung für mein
Erinnerungsstück gibt es gar nicht.“ Bescheiden und verlegen winkte sie
ab.
„Ich brauche dir ja nicht mehr zu sagen, dass du ein Spinner bist.“ Ich legte meine Wange an ihre.
„Nein,
dass hast du mir schon oft genug gesagt“, flüsterte ich ihr zu und
küsste sie hinters Ohr. Hier war der Duft nach Vanille überwältigend.
Verdammt, wie konnte man bloß so gut riechen? Gierig sog ich den Duft
ein und drückte meinen Körper an ihren, bis Holly mich zurückstieß.
„Benimm
dich gefälligst, junger Mann“, mahnte sie lachend und drückte ihre
Hände gegen meinen Oberkörper, um mich von ihr fernzuhalten.
„Wie soll ich denn widerstehen, wenn du es mir so schwer machst? Du duftest einfach zu verführerisch.“
Ich umfasste sanft ihre Handgelenke und drückte ihre Arme nach unten. Sie schob beleidigt die Unterlippe vor.
„Jetzt bin ich wieder Schuld.“ Ich zuckte die Achseln.
„Tja, damit musst du dich wohl abfinden.“
„Und
du musst dich damit abfinden, dass ich gut rieche.“ Frech streckte sie
mir die Zunge heraus. Dann küsste ich sie leidenschaftlich. Sie schlang
ihre Beine um meine Hüften und zog mich noch näher an sich. Mein Herz
schlug bis zum Hals. Atemlos löste ich mich von ihr.
„Du solltest dich benehmen, Holly.“ Ich legte die Arme um sie.
„Ja, ja.“ Sie verdrehte die Augen und küsste mich erneut.
Sie
schien regelrecht süchtig nach mir zu sein, was meinem Ego ziemlich gut
tat. Als ich den Kuss noch einmal unterbrach, stöhnte sie unglücklich
und qualvoll.
„Wie setzen uns besser auf die Couch, die ist erheblich bequemer, als dieser Tresen.“
„Muss das unbedingt sein?“, fragte sie und hielt mich am T-Shirt fest.
„Ja, du kannst mich in zwei Minuten schon wieder küssen. Ich laufe dir nicht weg.“
„Na gut.“ Holly klang noch immer unzufrieden, doch sie hüpfte vom Tresen und nahm meine Hand.
Hand
in Hand gingen wir in die Ecke des großen Raumes, in der meine schwarze
Ledercouch stand. Ich legte mich der Länge nach hin und zog sie an
meine Seite. Ich konnte ihren Atem auf meiner Haut spüren und ihr
Herzschlag klopfte rhythmisch in meinen Ohren.
„Der
Komfort ist schon um einiges besser, oder?“ Holly schaute mich
unentwegt an. Dabei hatte sie ein leichtes Lächeln auf den Lippen.
„Stimmt“, flüsterte sie.
„Ich finde deine Augen faszinierend“, äußerte sie plötzlich, ohne Zusammenhang. Verwundert musterte ich sie.
„Du
bist beinahe die Einzige, die meine Augen mag und nicht Angst vor ihnen
hat.“ Sie hob die linke Hand und strich mir über die Wange, bis zu
meiner Brust.
Dort
blieb ihre Hand liegen. Sie sah auf meinem muskulösen und breiten
Oberkörper winzig und zerbrechlich aus, wie die Hand einer Puppe. Ihren
Blick hatte sie gesenkt.
„Sie sind schon furchteinflössend, doch sie sind ein Teil von dir und deshalb liebe ich sie.“ Schallend lachte ich.
„Jetzt spinnst du aber.“ Sie schüttelte langsam den Kopf.
„Ich meine das ernst, James.“
„Das weiß ich doch“, hauchte ich und klemmte ihr eine Haarsträhne, die sich auf ihr Gesicht gelegt hatte, hinters Ohr.
„Darf ich dich etwas fragen?“ Ihre Stimme zitterte und sie wand sich in meinen Armen.
„Sicher, du kannst mich alles fragen.“
Nervös und mit bebenden Händen strich Holly mir durch die Haare.
„Hat…hat…hattest
du mal eine Freundin, ich meine vor mir?“ Sie wurde rot. Die Frage
überrumpelte mich. Ich nahm mir Zeit, über ihre Frage nachzudenken.
„Es
gab vor zwei Jahren ein Mädchen, mit dem ich Zeit verbracht habe, aber
wir waren kein Paar. Ich habe sie bloß hin und wieder getroffen.“
Mein Ton war sachlich und frei von jeglichen Gefühlen. Damals war es keine besondere Sache zwischen ihr und mir gewesen.
Holly blieb still und atmete laut.
„Hast du sie geliebt?“, fragte sie nach einiger Zeit mit brüchiger Stimme.
„Nein.
Ich war noch nie verliebt, bis ich dich getroffen habe. Sie hat mir
nichts bedeutet. Keine Frau auf dieser Welt könnte ich so lieben wie
dich, Holly.“ Ich streichelte ihre Wange und den Hals.
„Deine
Worte bedeuten mir sehr viel“, entgegnete sie gefasst, doch ich spürte
warme Tränen der Rührung auf meinen nackten Armen. Ich wiegte sie leicht
hin und her.
„Alles in Ordnung?“ Sie nickte und legte ihre Stirn gegen meine.
„Tut
mir leid. Ich habe meine Gefühle in letzter Zeit nur sehr selten unter
Kontrolle.“ Holly schmunzelte und fixierte mich. Sie schien herausfinden
zu wollen, was ich in diesem Moment dachte, aber ich war alles andere,
als leicht zu durchschauen.
„Wie lange kannst du hier bleiben?“ Ich wollte noch nicht an Abschied denken, aber ich musste realistisch bleiben.
„Wie spät ist es denn?“ Ich hob meinen linken Arm und schaute auf meine Armbanduhr.
„Es ist fünf Uhr.“
„Dann kann ich getrost noch eine Stunde bleiben.“
Auf
einen Schlag wurde ich tieftraurig und begann bereits jetzt schon Holly
zu vermissen, obwohl sie direkt neben mir lag. Wir beide wussten, dass
60 Minuten schnell vorbei gingen.
Schneller,
als mir lieb war, kam bereits der Moment des schmerzhaften Abschieds.
Holly stand an der Eingangstür und wirkte unglücklich.
„Wann sehen wir uns wieder?“
„Bald.“ Meine Antwort war nicht gerade präzise, doch sie gab sich damit zufrieden.
„Hier“,
ich hing meine dunkle Jacke über ihre schmalen Schultern, „ich will
nicht, dass du auf dem Weg zu deinem Auto erfrierst.“
„Danke“,
erwiderte sie lachend und wickelte die Jacke um ihren Körper. Sie war
viel zu groß für sie. Ich nahm ihr Gesicht in meine Hände und gab ihr
einen zärtlichen Kuss.
„Ich wünschte, du müsstest nicht gehen.“
„Mir
geht es nicht anders, James.“ Hart schluckte Holly und versuchte
krampfhaft nicht erneut in Tränen auszubrechen. Es tat mir weh, sie
traurig und verzweifelt zu sehen. Ich selbst wanderte auf dem schmalen
Grad zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Langsam öffnete sie die Tür und
schaute mich liebevoll an. Bevor sie endgültig verschwand, nahm ich
ihre linke Hand und legte sie auf meine Brust.
„Spürst du es?“ Von oben schaute ich auf sie herab.
„Dein Herz“, nuschelte sie geistesabwesend.
„Genau,
mein Herz und das schlägt nur für dich.“ Und von einer Sekunde auf die
Andere presste Holly plötzlich die Lippen aufeinander und schwankte.
Ihre Lider flatterten und die Haut wurde bleich. Geschockt riss ich die
Augen auf und umfasste mit meinen Armen ihre Taille und wie sich
herausstellte keinen Augenblick zu spät.
Hollys
Beine knickten weg und sie sackte in meinen Armen zusammen. Ihre Augen
waren geschlossen und ihr Atem ging flach. Mein Puls dagegen war vor
Aufregung auf 180. Hektisch hob ich sie hoch und legte sie auf die
Couch. Ich nahm mir zwei blaue Kissen und legte sie sanft unter ihren
Kopf, um ihn zu erhöhen. Dann winkelte ich ihre schwachen Beine an und
holte ihr ein Glas Wasser aus der Küche.
Besorgt
hockte ich mich neben Holly auf den Boden und wartete darauf, dass es
ihr besser ging und sie wieder ihr Bewusstsein erlangte. Ihr Anblick
zerriss mir beinahe das Herz. Ich hatte furchtbare Angst um sie. Ich
konnte mir keinen Reim darauf machen, warum sie ohne jeglichen Grund
zusammengebrochen war. Behutsam nahm ich ihre Hand.
„Komm
schon, Holly. Mach die Augen auf, bitte“, flehte ich sie verzweifelt
an. Und tatsächlich zuckten ihre Beine und sie öffnete ihre Augen.
„Endlich“, jubelte ich und küsste sie auf die Wange.
„Was ist passiert?“, wollte sie mit dünner Stimme wissen.
„Du bist zusammengebrochen. Deshalb habe ich dich auf die Couch gelegt.“ Vorsichtig und langsam richtete sie sich auf.
„Was machst du denn auch für Sachen?“
„Keine
Ahnung, auf einmal ist mir schwarz vor Augen geworden und danach weiß
ich nichts mehr. Vielleicht habe ich zu wenig gegessen oder du hast mich
durcheinander gebracht.“ Sie grinste, doch dann seufzte sie.
„Mir ist total schwindlig.“ Ich drückte ihr sofort das Glas Wasser in die Hand. Holly nahm einen großen Schluck.
„Leg dich besser wieder hin.“ Sie schüttelte den Kopf.
„Nein,
ich muss nach Hause.“ Hastig stellte sie das Glas weg und stand auf.
Sie war mal wieder unvorsichtig und kümmerte sich lieber um ihre
Pflichten als Tochter, als um ihre eigene Gesundheit.
Kaum
hatte Holly einen Schritt gemacht, als sie sich am Wohnzimmertisch
festhielt. Ihre Knie zitterten verdächtig. Sofort stellte ich mich
hinter sie und umklammerte sie.
„Ich
lasse es sicherlich nicht zu, dass du in deinem Zustand ins Auto
steigst und nach Hause fährst. Du bleibst gefälligst hier.“ Es war ein
Befehl. Ich schlang meinen linken Arm um ihren Bauch und hob sie in die
Höhe. Mit den Beinen strampelte sie wild in der Luft und zerrte mit den
Händen an meinen Armen.
„Lass
mich los“, kreischte Holly. Ich hörte nicht auf sie. Stattdessen setzte
ich sie wieder auf die Couch und hielt ihre Oberarme fest, damit sie
nicht auf die Idee kam, erneut aufzuspringen und abzuhauen.
„Ich
weiß, dass es dir nicht passt hier zu bleiben und nicht pünktlich nach
Hause zu kommen, aber ich riskiere es nicht, dass du dich in
Lebensgefahr begibst, wenn du dich ins Auto setzt.“ Aufgebracht
schnaubte sie. Ich streichelte ihr beruhigend über die Arme.
„Sei bitte vernünftig und bleib über Nacht bei mir.“ Ich appellierte an ihre Vernunft.
„Und wie soll ich meinen Eltern erklären, dass ich nicht nach Hause komme?“
„Gibt
es niemanden, bei dem du übernachten könntest, ohne, dass deine Eltern
sich gleich Sorgen machen oder an die Decke gehen?“
„Bei meiner Freundin Linda“, sagte sie mit einem gelassenen Ton, doch ihre Augen verrieten noch ihren Unmut.
„Gut, du rufst sie an und erzählst ihnen, dass du bei ihr übernachtest, okay?“
„Okay. Ich habe ihnen sowieso gesagt, dass ich zu Linda fahre.“
„Dann
passt es ja.“ Ich ließ sie los. „Du rufst sie jetzt an. Solange mache
ich etwas zu essen für dich. Du siehst immer noch kränklich aus.“
„Danke“,
zischte sie eingeschnappt und zückte ihr Handy. Gestresst und entnervt
wanderte ich in die Küche und suchte im Kühlschrank nach Zutaten. Ich
fand einen Eisbergsalat, Tomaten und eine Gurke. Perfekt.
Ich
bereitete ihr einen Salat zu. Der hatte zumindest viele Vitamine und
Ballaststoffe. Während ich die Tomaten in Stücke und die Gurke in
Scheiben schnitt, hörte ich Hollys schuldbewusste Stimme, die ihren
Eltern erklärte, dass sie nicht nach Hause kommen würde. Entweder tat es
ihr tatsächlich leid oder sie konnte verdammt gut lügen. Ich wusch den
Salat und befreite ihn von Sand und Dreck. Dann warf ich ihn in eine
Schüssel, schmiss die Tomaten und die Gurke hinterher und goss Öl und
Essig drüber.
Mit
der fertigen Mahlzeit ging ich zu Holly zurück. Sie hockte mit
angezogenen Beinen auf der Couch und hatte sich die dünne graue Decke,
die an einem Ende der Couch gelegen hatte, um ihren Oberkörper
gewickelt.
„Dafür,
dass du eben noch mit dem Auto fahren wolltest und dich heftig gegen
mich gewehrt hast, bist du nun nicht mehr so aktiv“, triezte ich sie.
„Ich
musste gerade meine Eltern zum schier tausendsten Mal anlügen, darum
bin ich nicht unbedingt erpicht darauf, mich von dir aufziehen zu
lassen.“ Leicht lächelte ich.
„Ich
bin bloß froh, dass du hier geblieben bist. Es ist besser für dich,
glaub mir.“ Ich setzte mich neben Holly und übergab ihr die Schüssel mit
dem Salat und dazu eine Gabel.
„Hoffentlich schmeckt es.“
„Danke, James“, flüsterte sie kleinlaut und schob sich die ersten Salatblätter in den Mund.
Ich legte einen Arm um ihre Schultern und zog sie an meine Seite.
„Kein Problem, habe ich gern gemacht.“
In
der Zeit, in der sie in Ruhe die Schüssel leerte, schaltete ich meinen
Plasmafernseher ein und zappte durch die Kanäle. Hin und wieder hielt
Holly mir eine, mit Salat beladene, Gabel vors Gesicht. Dann öffnete ich
den Mund und sie schob mir die Gabel hinein. Immer wieder musste ich
sie daran erinnern, dass der Salat für sie allein bestimmt war und dass
sie mich nicht damit füttern sollte. Es war keine Überraschung, dass sie
meine Einwände eiskalt ignorierte. Holly hatte nun mal ihren eigenen
Kopf.
Als sie
zu Ende gegessen hatte, stellte sie die Schüssel zur Seite und schmiegte
sich an mich. Gemeinsam sahen wir uns eine Tierdokumentation an, wobei
keiner von uns sich auf den Inhalt der Sendung konzentrierte, sondern
auf die Wärme und den Herzschlag des Anderen.
Irgendwann
schlief Holly einfach ein. Ich schaltete den Fernseher aus, bevor ich
meine Arme unter ihre Kniekehlen und ihre Achseln schob und sie in mein
Bett trug. Die Decke ließ ich um sie gewickelt.
Diesmal
zog ich sie lieber nicht um, sonst würde ich wieder Ärger von ihr
bekommen. Zusätzlich zu der dünnen breitete ich die dicke und schwere
Decke über ihr aus. Friedlich kugelte sie sich zusammen und drückte
ihren Kopf in das weiche Kissen. Ich entledigte mich meines T-Shirts,
schließlich schlief Holly und so konnte ich sie nicht verlegen machen.
Dann schlüpfte ich ebenfalls unter die Decke, nahm sie in meine Arme und
schlief ein.