Was bisher geschah: Dem Dunklen gelang es mit der Hilfe einer List Besitz von einem Körper und Finns Kräften zu ergreifen. Shanora, Allister, Church und Sassy waren mit Ladira und anderen zwar in der Lage ihn fürs Erste abzuwehren, bezahlten aber einen hohen Preis.
Finn fiel in ein Koma, droht daraus nicht mehr zu erwachen, seine letzten Worte beinhalteten einige Rätsel. Nun ist es an Shanora und ihren Verbündeten diese zu lösen, eine Person namens Did soll dabei helfen.Church machte sich auf, um sie zu suchen, Finns Körper sollte in Amergyn unter dem Schutz von König Liam verbleiben, genau wie Shanora. Aber sie weiß nicht mehr wem sie noch trauen kann, fühlt sich alleine und möchte nicht warten. Marbas, der vom Dunklen zu Shanora übergelaufen ist, ermöglichte Shanora die Flucht nach vorne, direkt in einen unerforschten Teil der Unterlande.
Vor 20 Jahren...
"Was tust du hier?", Norbert, der Barbar, fuhr sich überrascht über seinen langen Bart. Es wunderte ihn, was der Wald um Schwarzwasser zu dieser späten Stunde ausgespuckt hatte. Norbert hatte keinen Grund gehabt sich zu fürchten, auch wenn sein Haar schon weiß wurde, er konnte auf sich aufpassen. "Ich brauche deine Hilfe, Norbert!", die verzweifelten Augen der Frau schienen das Mondlicht zu reflektieren und bohrten sich in Norberts. "Was trägst du da für ein Bündel... ist das etwa...", er stand nun von seinem kleinen Lager auf, starrte schockiert auf das, was die Frau ihm entgegenstreckte. "Ich habe keine Zeit, in dem Brief steht, was du wissen musst! Bitte nimm du ihn, du bist seine einzige Hoffnung!", mit diesen Worten drückte sie dem Barbaren ihr Kind und einen Umschlag in die mit Runen tätowierten Arme und verschwand so lautlos wie sie gekommen war. Norbert starrte auf das winzige Baby in seinen Händen, er konnte nicht verstehen, warum seine liebe Freundin das tun sollte. "Alith!", schrie er in die Nacht, "Alith, komm zurück!"
"Alith!", der Dunkle und sein charmantes Lächeln schienen die Kerzen, welche die Halle der Druiden erhellte, flackern zu lassen. Der Duft nach Bienenwachs erfüllte den Raum, er verdrängte den Geruch nach Kiefern und wilden Kräutern, der ihn draußen erwartet hatte. Die hölzernen Säulen und Wände wurden von den Schatten des bewegten Lichtes geziert, der Geruch verschiedener geräucherter Speisen machte sich bemerkbar. Eine große Tafel, an der die Ältesten zusammen kamen, zierte die Mitte des Raumes, daneben lagen Felle auf dem Boden, ein großer Kamin bot Platz für ein Feuer, welches die Halle im Winter erwärmen konnte. Am Ende des Raumes, hinter der großen Tafel, gegenüber des Eingangs, stand der Thron des obersten Druiden. Erhöht auf einem Podest, sodass, von dort aus, der Raum immer überblickbar war. Der Thron, auch aus Holz, voller Schnitzereien, war mit Fellen bedeckt, die für mehr Bequemlichkeit sorgten. Der Dunkle hatte immer versucht seine Verachtung für die Druiden zu verbergen. Dieses Naturvolk und ihre Bräuche widerten ihn an, auch wenn er ihre Kräfte bewunderte. Auf dem Thron, vor ihm, sodass er aufblicken musste, saß im Schneidersitz die Anführerin der Druiden, Alith. Ein einfältiges Mädchen, gerade erst volljährig geworden, voller Ideale, nach dem plötzlichen Verschwinden ihres Vaters, aufgestiegen. Ihr weißgraues Haar war zu einem langen Zopf geflochten, ihre roten Augen fixierten ihn abschätzend. Um ihre Augen waren, mit Pflanzenpigmenten gefärbte, Schnörkel gemalt, eine der Traditionen, die der Dunkle als sinnlos empfand. Ihr Gesicht war schmal und lief spitz zu, ihre Augen beinahe zu groß und ihre Lippen zu schmal. Sie besaß nicht die Schönheit seiner Frau, aber das war auch nicht der Grund warum er sich mit ihr eingelassen hatte. Ihr Körper, in ein leichtes Kleid aus grün gefärbten Leinen gekleidet, war noch angeschwollen. Aber ein entscheidendes Detail fehlte. "Wo ist unser Kind?", fragte er direkt. Hier stimmte etwas nicht, der Blick von Claude, ihrem Bruder, der neben ihr stand und unter seiner Holzmaske auf ihn lauerte, beunruhigte ihn. Alith atmete tief ein, dann erhob sie sich. Sie war eindeutig nicht mehr schwanger, einen Moment bangte der Dunkle um das Leben seines Sohnes. "Dein Name ist nicht Suma", stellte Alith fest, "du bist der Dunkle!" Der Dunkle behielt Claude im Auge, auf eine Auseinandersetzung mit einem übermütigen Druiden hatte er bestimmt keine Lust. "Wie schlau du bist!", der Dunkle verneigte sich leicht, "Aber das tut nichts zur Sache, gib mir das Kind, Alith!" Alith aber lachte bloß: "Du wirst den Jungen nie bekommen! Wachen, nehmt diesen Verräter fest!" Aus dem Holz der Wände lösten sich weitere Druiden, sie waren fast unsichtbar gewesen. "Wo hast du den Jungen versteckt?", schrie der Dunkle erbost. Alith schmunzelte: "Du wirst ihn niemals finden, er wird weit weg von dir und deinen Plänen aufwachsen! Er wird nicht einmal deinen Namen kennen!" Der Dunkle sprintete nach vorne und riss Alith blitzschnell von ihrem Thron: "Dafür wirst du büßen!" Claude versuchte den Dunklen anzugreifen, um seine Schwester zu befreien, aber er wurde von dessen Macht brutal zurückgeschleudert. "Lass mich los!", Alith rang verzweifelt um Luft, aber der Dunkle drückte ihre Kehle noch fester zu. "Das ist das Ende der Druiden!", der Dunkle entfesselte einen Sturm aus finsterer Energie, der die Druiden und ihre Halle verschlang. Der Dunkle schmunzelte, ihre kleinen Geister schienen nicht in der Lage zu sein seine Überlegenheit zu begreifen. Er würde ihren Körpern all ihre Geheimnisse entlocken und diese dann für seine Zwecke einsetzen. Mit oder ohne diesem Kind, er würde nicht verlieren. Alith hatte ihren Kampf mittlerweile verloren, ihr Körper hing schlaff in seiner Hand. Der Dunkle schleuderte ihn achtlos beiseite, der Sturm war ebenfalls versiegt, die Körper der Druiden in den Weltenriss gestürzt. Von der Halle waren nur noch Trümmer übrig, darunter rührte sich etwas. "Wieso?", keuchte Claude, er erhob sich mühsam, seine roten Augen starrten den Dunklen voller Angst an. Der Dunkle betrachtete ihn amüsiert, er war groß und kräftig, hatte weißgraues Haar wie seine Schwester, auch wenn sein Gesicht irgendwie breiter und dümmlicher wirkte. Er überlegte kurz, wie mit ihm zu verfahren sei, in den Weltenriss, oder doch lieber ein Leben in Schande, als einer der letzten Druiden. "Claude, der es nicht schaffte, seine Familie zu retten. Du fragst dich, wieso dir so etwas passiert ist? Wieso ich tue, was ich tue? Weil ich einem höheren Ziel diene, diese Welt ist grausam, das hast auch du jetzt begriffen. Und sie wird grausam bleiben, außer du lernst in ihr zu leben!", der Dunkle warf einen letzten, verächtlichen Blick über die Zerstörung, die er angerichtet hatte. Claude zitterte, er sah sich ebenfalls um und schien immer noch auf seinen Tod zu warten. "Du wirst heute nicht sterben, ich habe noch einen Platz für dich in dieser Welt!", erklärte ihm der Dunkle darauf hin. "Ich weiß nicht, wo Alith das Kind hinbringen ließ", Claude ließ den Kopf hängen, "ich bin nicht von Nutzen!" Der Dunkle winkte ab: "Das entscheide ich mein Junge, du wirst noch lernen, dass mein Weg der einzig richtige ist!"
Heute, in Schwarzwasser...
Finsternis lag über der Gegend, Shanora lief durch die nassen und kalten Straßen von Schwarzwasser. Regenwolken schienen tief über der Stadt zu hängen, Nebel verhüllte die Spitzen der Wolkenkratzer. Es schien, als würde der Himmel über ihr weinen. Sie zog ihre dünne Stoffjacke enger um ihren durchnässten Körper, ihr schwarzes Haar klebte an ihrem Gesicht und sie fühlte sich elend.
Große Worte hatte sie gespuckt, sie würde, wie Finn, alleine zurechtkommen. Aber jetzt stand sie in einer dunklen Stadt, Neonlichter und Leuchtreklamen zeigten auf die schäbigen Kneipen und Bars in der Hafengegend. Unter bunten Regenschirmen standen Frauen auf zu hohen Schuhen, zu leicht bekleidet für die Kälte.
Schwarzwasser war genau wie Marbas gesagt hatte, nichts für sie. Aber nach all den Prostituierten die Shanora gesehen hatte, war sie überzeugt, dass Schwarzwasser nichts für Frauen im Allgemeinen war. Hier schienen die Dinge anders abzulaufen als in Elensar oder der Außenwelt. Hier schien der Wert einer Frau pro Stunde berechnet zu werden. Shanora wusste, dass sie nach dem Weg fragen musste, egal wie unangenehm es ihr war.
Marbas hatte nicht erwähnt, dass Schwarzwasser riesige Ausmaße hatte. Aber er hatte auch nicht erwähnt, warum sie es nicht mögen würde. Sie näherte sich einer blonden Frau mittleren Alters, die sich gerade eine Zigarette angesteckt hatte. Ihr Gesicht war mit einer dicken zu dunklen Schicht Schminke überdeckt
und ihre zerlaufene Wimperntusche sprach Bände. Die trüben blauen Augen der Frau schienen Tod zu sein, wie die einer Puppe.
„Entschuldigung?“, fragte Shanora vorsichtig, doch die Frau schien sie nicht beachten zu wollen.
„Wenn du nicht vorhast mich für die nächste halbe Stunde zu
bezahlen verschwinde!“, war die einzige Antwort, die sie von der Prostituierten erhielt. Shanora sah sich um, nichts als nasse Kälte schien es hier zu geben, keine Information oder sonst etwas Nützliches.
Sie beschloss sich in der Kneipe hinter der Dame aufzuwärmen und trat ein. Der Gestank nach Alkohol und Rauch billiger Zigarren schlug ihr entgegen, es war stickig und voll, trotzdem fand sie einen kleinen Platz an der Theke, an den sie sich setzen konnte.
Die dunkle Einrichtung und Holzverkleidung der Wände war voller eigenartiger
Geweihe und Bildern von Frauen, leicht bekleidet wie die vor der Türe. Dartscheiben, ein Tischfußballtisch und ein völlig verdreckter Billardtisch. Der Hocker war mit rotem, bereits zerrissenen, Stoff überzogen und hatte die besten
Tage hinter sich, Shanora wollte nicht wissen, was es für darauf Flecken
waren. Die zerkratze Theke aus dunklem Holz klebte, volle Aschenbecher und
verschmierte Gläser zierten das Gesamtbild.
Immer wieder ging der einäugige und vor allem ungepflegt aussehende Wirt vorbei, aber er schenkte Shanora nicht einmal einen Blick, sie schien unsichtbar zu sein.
Traurig dachte sie an Finn, an seine geschlossenen Augen und die Diagnose der Heiler aus Amergyn. Sie fragte sich, ob er wusste wie sehr sie ihn brauchte. Sie
fühlte sich alleine, auch wenn sie beschlossen hatte, ohne Chruch aufzubrechen. Aber sie hatte die Anwesenheit der anderen nicht mehr ertragen, den einzigen den sie sehen wollte war ihr Bruder.
Der Dunkle sollte Recht behalten, ihr Gewissen hielt der Situation nicht stand. Tränen flossen über ihr sowieso schon nasses Gesicht. Die Dinge, die sie
ihrem Bruder nie gesagt hatte, aber ihm so gerne sagen würde, rumorten durch ihren Kopf. Jetzt erst begann der Schmerz, den sie seit Tagen unterdrückte, in ihrer Brust zu pochen.
Sie fragte sich, ob sie je die Chance bekommen würde noch einmal mit ihm zu sprechen. Ein Schluchzen entwich aus ihrer Kehle und die verbarg ihr Gesicht in den Händen. Ihr Herz schien in ihrer Brust zu implodieren, der Schmerz ließ sie zusammen zucken.
Sie hatte verloren, was ihr am liebsten war und wusste nicht mehr, an wen sie sich wenden sollte. Church war da, aber er selbst schien Teil des Problems zu sein, der Dunkle wollte ihn auf seine Seite ziehen. Außerdem war er an der Vertuschung von Finns Leiden beteiligt gewesen und hatte selbst oft genug beinahe den Verstand verloren. Sassy und Alpha waren nach Illutia zurückgekehrt, Saphira war dort geblieben und um das Warum war ein Geheimnis gemacht worden.
Geheimnisse waren sowieso das größte Thema in Shanoras Leben, genau wie Lügen. Von beidem war sie umgeben, niemand schien mit offenen Karten zu spielen. Finn war sein Leben lang belogen worden und belog sie ihr Leben lang. Ein Kreislauf aus Lügen, den es jetzt zu durchbrechen galt. Die Wahrheit lag irgendwo verborgen und Shanora würde sie finden, früher oder später. Auch wenn sie sich gerade eher am Boden zerstört und Hoffnungslos fühlte, an diesem trostlosen Ort auch kein Wunder. Church würde sie schon bald einholen und ihr helfen, da war sie sich sicher.
Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter, sie schien nicht länger unsichtbar zu sein.
Ein Mann, dickliche Statur, mit langen ungepflegten graubraunen Haaren und Bart, seine Augen waren klein und von undefinierbaren grün. Er grinste breit und entblößte seine goldenen Zähne, die Falten um seine Augen schienen zu eskalieren und einen Tanz mit den buschigen Augenbrauen hinzulegen. Sein Anzug glänzte zu sehr und war schlecht geschnitten, das weiße Hemd war zu weit aufgeknöpft und offenbarte wirres Brusthaar, geschmückt von einer dicken goldenen Kette.
Er plusterte sich noch einmal richtig auf, bevor er zu sprechen begann: „Aber aber, hast du etwa kein trockenes Plätzchen gefunden? Du musst neu hier sein, oder? Ich kann dir helfen!“ Seine Stimme klang, als würde er mit einem kleinen Kind reden.
Shanoras Körper versteifte sich, sie wollte bestimmt nicht mit diesem Kerl mitgehen. Aber wie sollte sie das ablehnen? Höflich oder mit den Worten, die ihr auf der Zunge lagen?