Silvia war nach dem Abendessen bei Omi mit Tommy heim gefahren. Tommy spielte mit dem kleinen Auto, das Michael ihm geschenkt hatte. "Mami, wie weit ist es nach Amerika?" - "Oh Tommy, das weiß ich gar nicht genau, aber es ist schon sehr weit. Michael hat gesagt, dass er über zehn Stunden in der Luft sein würde und so ein Flugzeug fliegt mit über neunhundert Km/h. Das werden schon so acht- bis zehntausend Kilometer sein." - "Das ist aber weit weg, Mami. Glaubst du, dass er am Wochenende wieder da ist?" - "Er glaubt schon. Aber ich denke, dass er am ersten Tag sehr müde ist. Weißt du, Tommy, in Amerika ist es Tag, wenn bei uns Nacht ist. Michael fehlt dann eine ganze Nacht, wenn er heim kommt, er hatte dann einen Tag mehr als wir."
Die beiden diskutierten noch eine Weile darüber, ob es lustig sei, einmal statt zu schlafen einen ganzen Tag statt einer Nacht zu haben, aber Tommy musste trotzdem schlafen gehen. Danach saß Silvie allein auf der Couch und hatte den Fernseher laufen, den Kopf aber hatte sie bei ihrem Geliebten. Alles war so schnell gegangen. Sie hatte gar nicht gewusst, dass sie so stark empfinden konnte. Es war schön. Sie liebte ihn sehr. Sie war so glücklich, dass sie neben dem Hochgefühl auch latent eine unterschwelige Angst verspürte. Das Gefühl, dass es gar nicht möglich war, dass alles sich so gut entwickelt hatte. Hoffentlich passierte ihm nichts. Für sie würde eine Welt zusammenbrechen, wenn er nun plötzlich nicht mehr da wäre. Sie verscheuchte den Gedanken und dachte an ihre gemeinsame Nacht. Sie hatte noch nie so tief empfunden. Es war wunderschön gewesen mit ihm. Sie klappte ihren Laptop auf und sah auf ihrem Mailkonto nach. Noch war keine Nachricht eingegangen. Ob er auch solche Sehnsucht verspürte? Sie hätte sich gewünscht, die Tür ginge auf und er käme herein. Sie würde heute gerne in seinen Armen einschlafen.
Ob er auch so oft angeflirtet wurde? Er sah ja gut aus und er war eine sehr sympathische Erscheinung. Aber so wie sie ihn einschätzte, würde er absolut treu sein. Er war so liebevoll gewesen in dieser Nacht. "Dich zu spüren ist der Höhepunkt meines Lebens!" hatte er gesagt und sie glaubte, dass er es auch so gemeint hatte. Sie war nicht eifersüchtig. Er würde sie nicht betrügen, das konnte sie sich nicht vorstellen, genausowenig wie sie sich vorstellen konnte, mit einem anderen Mann als ihm zu schlafen. Mit ihm war es etwas Besonderes gewesen. Und das sollte es ja auch sein! Etwas Besonderes... "Ach Michael!" Dachte sie. "Bitte komm bald zurück! Ich möchte dich so gern spüren!" Sie machte den Fernseher aus und ging zu Bett. Mit den Gedanken bei Michael schlief sie schließlich ein.