17. August
Strahlend, hochaufgerichtet, steht sie da im Gärtchen am Bahndamm. Keine der anderen Sonnenblumen, welche sie umgeben, ist ihr ebenbürtig, sei es an Grösse, Schönheit oder Ausstrahlung.
Das warme, satte Gelb der Blütenblätter, die einen festen Kranz um ihr braunes, jugendlich offenes Gesicht bilden, leuchtet fröhlich in die Spätsommertage. Kräftig sind Stängel und Blätter, fest verwurzelt ist sie mit der Erde.
Von ihrem hohen Sitz aus erzählt sie von glücklichen, unbeschwerten Tagen, plaudert frisch drauf los, lässt alle teilhaben an ihrer Lebensfreude und verströmt nach allen Seiten Heiterkeit.
23. August
Kalter Wind fährt unsanft durchs Land. Er bringt schwere, dunkle Wolken und unzählige Regentropfen. Die Welt versinkt in Grau und Nässe.
Tapfer steht sie im Regen, ihr Gesicht leicht trotzig und gleichzeitig fragend dem Himmel zugewandt. Die kalten Tropfen scheint sie nicht zu spüren, unverwandt blickt sie – ja, wohin eigentlich?
Nach innen schaut sie; nach innen hört sie.
2. September
Immer mehr zieht sie sich in sich selber zurück. Wohl strahlt ihr Blütenkranz an diesem schönen Tag immer noch in leuchtendem Gelb. Es ist aber, als werde ihr warmes Lächeln zunehmend matter.
19. September
In unnachahmlicher Demut senkt sie, die einst Königliche, den Kopf. Alle äussere Schönheit ist von ihr abgefallen. Braun und zerzaust hängen die Blütenblätter herunter, unordentlich, kraftlos. Ihr Gesicht scheint entblösst, dem Regen und der Kälte preisgegeben. Ihr Blick ist nun ganz nach innen gewandt, die Aussenwelt nimmt sie nicht mehr wahr.
Ich weiss, sie hat Abschied genommen und ist leise gegangen. So wie sie das frohe, helle, lichterfüllte Leben geliebt und ausgekostet hat, hat sie nun in tiefer Demut, wie nur wahre Grösse sie kennt, das Ende angenommen.
In dieser Haltung, mit leicht geneigtem Kopf, ergeben, aber nicht gebrochen, in sich ruhend, wird sie mir in Erinnerung bleiben. Dieses Bild wird mir ebenso leuchten wie jenes aus den jungen, unbeschwerten Tagen.
Beide möchte ich mir als Vorbilder nehmen.