- Ein kleines Vorwort:
Das hier ist eine ältere Geschichte. Die ersten Kapitel sind mal überarbeitet worden, doch da das mit der Zeit immer so eine Sache ist, gibt es noch Logikfehler und vor allem Rechtschreibfehler mit System, da ich es damals einfach noch nicht besser wusste.
Davon abgesehen ist das hier eines meiner Lieblingswerke, auf das ich trotz seiner Fehler sehr, sehr stolz bin. Das merkt man schon an der Größe der Geschichte (Zu Beginn war lediglich ein Teil geplant, "An deiner Seite für immer"). Ich wünsche dir viel Freude beim Lesen!
Coverbild: https://www.deviantart.com/ifritnox/art/Misa-und-Wolf-575538395 (Künstlerin: Ifrit van Nox)
Gesammelte Bilder: https://www.deviantart.com/ifritnox/gallery/59824586/Misa-Wolf
Content Notes:
Wenn du dir unsicher bist, ob die Geschichte etwas für dich ist, kannst du dir hier die Content Notes für alle Geschichten auf dem Profil von Urdoggo ansehen: https://belletristica.com/de/chapters/212957/preview?token=qgm8h3vV1hVNZ1IGeZK20A
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Die Geschichte von Misa und Wolf
Teil 1: An deiner Seite für immer
Kapitel 1: Ein Hund in den Ruinen
„Phosphor Pyron! Komm sofort zurück, du Hund!“
Ich denke nicht daran. So schnell mich meine Pfoten tragen, hetze ich über die Holzdächer der geduckten Hütten. Die wütende Stimme von Storfsön bleibt hinter mir zurück. Der Regen wäscht mir die Hitze und den Gestank der Schmiede aus dem Fell. Ich lege den Kopf in den Nacken und schließe die Augen. Meine Pfoten tragen mich ganz von allein über dem Viertel der Handwerker dahin. Die Gerüche nach Schmieden, Schustern und Schreinern steigen auf, berühren mich und verfliegen wieder. Ich entkomme ihnen. Dann springe ich auf die Lehmmauer, die Arbeitsbereich von Wohnhütten abtrennt.
Ich liebe den Regen. Nicht in Form von Gewittern, die machen mir Angst. Auch nicht als kalte Schauer, die die ganze Welt zu ertränken scheinen. Aber ein leichter Regenguss am Beginn des Sommers ist mein Lieblingswetter. Immer und immer wieder zieht er mich nach draußen, auf die Dächer und oft auch in den Sumpf rund um Aitlyn.
Natürlich ist Storfsön nicht grade begeistert davon, dass ich meine Arbeit liegen lasse. Wenn ich zurück komme, werde ich mir eine Strafpredigt anhören müssen. Und mein Lohn wird wieder einmal gekürzt.
Diese Gedanken bringen mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Ich verwandele mich und gehe auf zwei Beinen weiter, die Hände tief in den Taschen vergraben. Meine Haare fallen mir nass ins Gesicht. Ich schüttele mir das Wasser aus der Kleidung.
Was wird Mutter nur sagen? Ich kann ihre traurigen Augen schon vor mir sehen. ››Deine Geschwister hungern.‹‹, sagen sie. ››Wir brauchen doch das Geld.‹‹
Ich trete gegen einen kleinen Stein, der von der Mauer rollt und drei Meter unter mir in einer schmalen Seitengasse zwischen zwei Hütten aufschlägt. Wie soll ich ändern, wer ich bin? Dann zucke ich mit den Schultern, seufze tief und halte das Gesicht in den Regen. Ich fange die Tropfen mit der Zunge auf. Sollen die anderen doch denken, was sie wollen!
Schließlich trotte ich weiter, wieder auf vier Pfoten. Meine Nase schwebt kurz über der Kante der Mauer. Ich halte nach unbeaufsichtigtem Fleisch Ausschau. Doch die anderen Cereceria sind wachsam. Selbst Schafmenschen schaffen misstrauisch ihren Salat in Sicherheit, wenn ich auftauche. Ich höre ein Pumamädchen tief knurren, obwohl ich sie nicht sehen kann – geschweige denn ihr Fleisch. In den Ruinen kämpft jeder um sein Essen wie das Tier, dass er ist. Ich gebe mich geschlagen und setze meinen Weg fort, in Richtung der großen Klippe an der Ostseite der Ruinen.
Die Stadt ist zweigeteilt. Die meisten Bewohner drängen sich in den Ruinen von Aitlyn, den Überresten eines einst mächtigen Hafens. An die Zeiten, als hier ein Meer war, erinnern sich selbst die ältesten Cereceri nicht mehr. Nun, die meisten von uns werden auch nicht alt. Jetzt gibt es nur noch Sumpf, und die Slums, die sich in das Fundament des Hafenbeckens ducken.
Doch auf der Klippe von Aitlyn steht Aitlyn-LaKitan. Die helle und hohe Stadt der Reichen. Weiße Banner wehen dort, die jetzt im Regen freilich grau wirken. Früher war Aitlyn-LaKitan nur Aitlyn, die Klippe eine mittelgroße Insel im weiten Meer und die Ruinen der Meeresgrund. Heute ist es eine Stadt auf einem Berg, umgeben von Elendsvierteln und der schlammigen Ebene von Ellysmere. Doch der Glanz der einstigen Handelsinsel und ihr Reichtum sind geblieben.
Der Weg bis an den Fuß der Klippen ist nicht weit. Nach ein paar Minuten schon kann ich in einen der zahlreichen Tunnel springen, die die Klippen durchziehen wie eine Armee hungriger Würmer einen alten Apfel. Die Tunnel sind erst vom Wasser und dann vom Wind geglättet worden. Mit meinen rauen Pfoten rutsche ich mehr, als dass ich klettere. Doch ich kämpfe mich verbissen weiter nach oben. Kleine Sturzbäche aus Regenwasser laufen über meine Pfoten. Mein Hecheln hallt in den Tunneln wider.
Die Tunnel durchziehen die ganzen Klippen, jedenfalls unterhalb der Stelle, wo früher der Meeresspiegel war. Bis nach Aitlyn-LaKitan kommt man hier nicht, aber immerhin bis zu einer Stelle unterhalb der bewachten Holzstraße, die sich auf ihren Pfeilern durch den ganzen Sumpf windet und Aitlyn-LaKitan mit der Außenwelt verbindet. Mein Weg führt mich unter dem Holz der Brücke hindurch und noch ein bisschen weiter. Immer häufiger führt der Tunnel jetzt an die Außenseite des Berges und wird zu einem schmalem Pfad an seinem Hang, den tiefen Sturz in den Tod zur rechten, nur um wieder in die Felswand einzutauchen. Unzählige Gänge führen von meinem Weg ab – ich habe niemals alle erforscht. Nur allzu leicht könnte man sich hier verirren.
Doch mein Ziel ist jedes Risiko wert. Es gibt ein kleines Plateau, der höchste Ort, den man von den Ruinen aus erreichen kann. Früher war es vielleicht ein Sandstreifen, nur wenige Zentimeter über dem Wasserspiegel, von Wellen überspült. Heute liegt er auf einem Drittel der gesamten Höhe des Berges und ist eine Wiese mit wildem Löwenzahn und Brombeeren. Den Weg zur Wiese muss ich ein Stück klettern, mit Händen und Füßen an den unebenen Stein geklammert, bis ich mich über die Kante ins hohe Gras ziehen kann. Ein lang gestreckter, etwa drei Sprünge breiter Vorsprung erwartet mich wie einen alten Freund. Hier oben gibt es keine Tunnel mehr. Ich bin fern von den Geräuschen und Gerüchen der Ruinen.
Ich sitze oft hier oben. Wenn ich einsam bin, traurig oder wütend. Wenn ich Ruhe brauche, oder einfach, wenn es regnet. Ich lasse die Füße über die Felswand baumeln oder liege als Hund im Gras, sehe über die Ebene von Ellysmere und träume davon, ferne Orte zu bereisen. Im Moment trotze ich dem kalten Wind mit meinem dichten Fell und liege eng zusammen gerollt, ohne meine Umgebung zu beachten. Seit ein paar Wochen arbeite ich fest bei Storfsön, und mir ist klar geworden, dass ich Aitlyn niemals verlassen werde. Der einzige Weg führt über die Holzstraße, und die ist für die Reichen reserviert. Ein Cereceri – ein Tiermensch – hat allerhöchstens die Möglichkeit, als Begleiter und Leibwächter eines Reichen über diese Brücke zu gehen. Doch erstens entstamme ich der Familie meiner Mutter, die sich niemals mit den Reichen einlassen würde. Und zweitens bin ich ein Hund, kein großer und starker Cereceri. Ein Tiger oder ein Bär würde vielleicht von einem Reichen erwählt werden, aber nicht ein einfacher Streuner.
Ich rolle mich noch enger zusammen und lege den Schwanz über die Schnauze. Ich werde wohl in der Schmiede bleiben, oder einer anderen Arbeit in den Ruinen nachgehen. So gerne würde ich die weite Welt sehen! Die große Hauptstadt Telion, die wilden Piratenmeere oder die verruchten Wälder der Wolfsberge. Doch ich muss realistisch bleiben. Dieses Fremde da draußen würde mir auch zu viel Angst machen. Ich bin ein einfacher Streuner, kein Krieger und Abenteurer. Ich bin nur Phosphor.
Ein plötzliches Geräusch lässt mich auffahren. Ohne mein Zutun entweicht ein Knurren meiner Kehle: Wer wagt es, mein sicheres Versteck zu betreten? Dabei kommt es durchaus vor, dass Cereceri sich hier oben herumtreiben. Außer mir kommt aber selten jemand her.
Um mich nicht zu verraten, wechsele ich in meine menschliche Gestalt. Ich weiche langsam zurück bis an die Felswand am Ende der Wiese. Der Regen wird stärker und prasselt jetzt hart auf meine Unterarme, wo die Ärmel meines Oberteils hochgekrempelt sind. Ich ducke mich hinter einen Brombeerstrauch. Die Stacheln zerkratzen meine Arme und Hände. Ich hebe die Nase in die feuchte Luft und versuche, einen Geruch zu erhaschen.
Es riecht nach einem Cereceri. Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Ein Löwe oder ein Tiger. Genau kann ich es nicht sagen. Der Regen macht den Geruch undeutlich. Da ist noch ein anderer Geruch – vielleicht sind es zwei Cereceri.
Ich höre das Geräusch wieder, dass mich aufgeschreckt hatte. Jemand klettert an dem Felsen hoch, auf mein Versteck zu. Ich sehe mich gehetzt um. Soll ich fliehen?
Schon hebt sich eine Hand über die Kante. Sie ist dunkel, eine übermenschliche große Pranke mit krallenähnliche Fingernägel, die sich in die Erde graben. Langsam kommt mehr zum Vorschein. Ein kräftiger Arm, ebenfalls fast nachtschwarz. Dann eine Schulter, die nur von einem dünnen Hemd bedeckt wird. Ein kantiges Gesicht, eingerahmt von wilden, blonden Haaren.
Ich erstarre in meinem Versteck, als der Blick der grünen Augen auf mich fällt, noch bevor sich der Fremde ganz auf die Lichtung gezogen hat. Die breiten Lippen teilen sich und ein Knurren wie Donnergrollen ertönt.
Der Cereceri wuchtet seinen Körper auf das Plateau. Wäre da nicht der überwältigende Geruch nach Großkatze, würde ich ihn für einen Grizzlybären halten. Er ist breit, kantig, schon beinahe ein Schrank. Als er sich aufrichtet, scheint er vor mir in den Himmel zu wachsen. Die blonden Haare fallen ihm locker über die Schultern und wirken so unpassend wie ein Goldschleier an einer Schwarzmetallrüstung. Erst nachdem mein Blick eingeschüchtert über die muskelbepackten Arme und die baumstammbreiten Beine gewandert ist, bemerke ich den Menschen in der Hand des Fremden. Es ist ein alter Mann, den ich nicht kenne. Dürr und ausgezehrt. Die Schatten unter den geschlossenen Augen deuten auf eine tiefe Erschöpfung hin. Weiße Haare fallen ihm ins Gesicht. Sein Nacken ist im Griff des großen Cereceri gefangen. Und der alte Mann ist tot. Er strömt keinen Geruch mehr aus, nur den leblosen Gestank nach Fleisch. Die Glieder sind in unnatürlichen Winkeln verdreht. Auf der Brust ist altes Blut in einer tiefen Wunde. Ich beginne zu zittern. Ganz langsam sehe ich auf, begegne dem Blick der grünen Augen.
Der Fremde knurrt. Rote Streifen zeigen sich auf den braunen Wangen, die Nase schiebt sich nach vorne, die Schultern kippen nach unten.
Innerhalb von einem Atemzug steht der Cereceri in seiner Tiergestalt vor mir. Die blonden Haare umgeben noch immer den Kopf, eine wilde, fließende Mähne. Schwarze Krallen pflügen den Boden auf. Rote Tigerstreifen überziehen einen kräftigen, schwarzen Körper. Ich springe aus der Hocke auf und presse mich mit dem Rücken an den harten Stein. Der Liger knurrt und macht einen Schritt nach vorne. Ich sehe mich nach einem Fluchtweg um. Mir bleiben nur Sekunden!
Die Holzstraße ist in Sichtweite. Wenn ich auf die Felswand springe, könnte ich mich über die Befestigungspfeiler auf die andere Seite ziehen, und dann... sehe ich weiter. Grade ist wenig Zeit für eine genaue Planung.
Der Liger duckt sich zum Sprung. Eine Welle durchgeht seinen Körper, als er sich anspannt. Der Tote liegt wie ein zerbrochenes Spielzeug hinter ihm.
Als der Liger springt, werfe ich mich nach vorne und ducke mich tief unter den ausgestreckten Krallen hindurch. Doch ich habe die Schnelligkeit meines Gegners unterschätzt. Seine Krallen streifen mein Ohr. Ich strecke die Arme nach vorne und lande auf vier Pfoten, hetze über die kleine Wiese und springe todesmutig von der Kante ab auf die Felswand, wo ich mich mit den Händen festkralle. Ein scharfer Schmerz durchzuckt meine Arme, als plötzlich mein ganzes Gewicht an ihnen hängt. Scharfkantige Steine kratzen meine Handflächen auf. Der Felsen ist rutschig vom Regen und glatt. Verzweifelt taste ich mit den Füßen nach Halt. Ich erwische mit viel Glück einen kleinen Vorsprung und hangele mich hastig weiter. Ich achte kaum darauf, dass ich keinen richtigen Halt habe. Der Liger knurrt hinter mir. Mein Herz klopft wild in meiner Brust. Mein Atem ist flach und schnell.
Die Angst droht, mich zu überrennen. Jede Faser meines Körpers ist in der Schwebe. Ein Tropfen in die falsche Waagschale, und es ist um mich geschehen, wenn ich jetzt und hier eine Panikattacke bekomme.
Ich erreiche einen Punkt irgendwo über der Brücke. Tief unter mir liegen nasse Holzbretter. Eine einzelne, winzig kleine Gestalt bewegt sich dort. Vor meinen Augen verschwimmt alles. Ich sehe zurück zu dem Liger. Seine vor Hass verzerrte Fratze ist halb menschlich, halb tierisch. Ich kann nicht richtig wahrnehmen, in welcher Gestalt er ist. Aber ich sehe, dass er auf dem Plateau zurück geblieben ist. Er verfolgt mich nicht auf diesem wahnsinnigen Weg. Ich will grade meinen Atem beruhigen, da zieht der Fremde etwas aus seiner Tasche: Ein Wurfmesser. Er greift es an der Spitze und holt aus. Mein Herz bleibt stehen.
Er will mich töten. Er will mich einfach töten. Und ich ahne, dass er nicht zögern wird, diesen Plan auszuführen.
Die Angst nimmt überhand. Meine Sicht verschwimmt. Meine Hände verlieren den Halt an der nassen Felswand, als sie sich plötzlich ohne mein Zutun in Pfoten verwandeln. Ich kann nichts tun. Ich bin wie gelähmt.
Wild mit allen Pfoten rudernd stürze ich ab. Der Wind rauscht laut in meinen Ohren.