Sie geleiteten Sædís in die Anderwelt - eine ganze Nacht lang. Nach der Anrufung der kommenden Zeiten und des Gimlé schwiegen sie und bedachten die Vergangenheit und die Zukunft, so, wie es sich für eine Totenwache gehörte. Doch während Jorunn und Lathgertha nur bedauernd auf die Tote blickten, wies sich der Jarl selbst auch einige Schuld an deren Ende zu. Hätte er sie nicht genommen oder zumindest Læva deutlicher in die Schranken gewiesen …
Ragnar wusste, dass das Mädchen, dessen blasses, blutleeres Gesicht ihm trotz der Tücher darüber noch vor Augen stand, eigentlich Zuneigung verdient gehabt hätte und eine sanften Mann, der ihr die Geheimnisse und den Genuss des Beischlafs liebevoll zeigt. Wenn er nicht so dringend nach weiteren Söhnen …
Doch war es nicht gerade dieser Sohn, den sie ihm durch ihren Tod nun verweigert hatte? Oder musste er Læva auch diesen Verlust zurechnen? Sein Kind war tot! Was spielte diese kleine Sklavin schon für eine Rolle, wo doch mit ihr sein ungeborener Sohn in die Anderwelt geschickt worden war?
Kurz nachdem die Sonne sich am nächsten Morgen über dem Horizont zeigte und somit die Totenwache beendete, war es diese Frage nach dem Ungeborenen, die Ragnar auf der Seele brannte und die er Jorunn stellen musste, ganz gleich, ob dabei Gertha neben ihm stand. Doch auch die Völva konnte ihm weder versichern, dass es ein Sohn gewesen wäre, noch es verneinen. Viel zu früh war die Schwangerschaft unterbrochen worden, als dass man etwas von dem Kind hätte erkennen können, ließ sie den Jarl wissen. Mehr als ein Klumpen Blut war nicht von der Frucht übrig gewesen und nun, da die werdende Mutter gestorben sei, mache es auch keinen Sinn, länger darüber nachzudenken, was vielleicht möglich gewesen wäre.
Der Jarl nickte. Doch im Stillen sah er die Sache ganz anders. Læva hatte sein Kind umgebracht!
Der Tag schritt voran und die trübe Witterung schien der Stimmung Ragnars nachzueifern. Gegen Mittag - noch hatte keiner von ihnen einen Happen gegessen oder getrunken - war der Scheiterhaufen am Strand errichtet worden und man trug die Tote, eingehüllt in weitere Decken und Laken - zu ihrer letzten Ruhestätte. Ragnar als ihr Herr goss Pech über den leblosen Körper und entzündete ohne große Worte das trockene Holz. Dann sahen er, seine Gefährtin, Jorunn und einige Sklaven dabei zu, wie der Brand den Leib der jungen Frau nach und nach verschlang. Wind kam auf und wirbelte die Asche und feine Holzstäubchen auf. Der Gestank nach verbranntem Fleisch überdeckte den Duft des Meeres und je weiter der Holzstoß herabbrannte, um so größer wuchs der Zorn des Jarls auf seine andere Sklavin, die mit ihrer Rivalin auch seine Hoffnung auf weitere Erben durch diese zerstört hatte.
Noch musste er den Traditionen folgen und diesen Tag der Trauer hinter sich bringen. Doch der Krieger war sich sicher: Er würde Læva dafür büßen lassen. Der Tod seines Sohnes musste gesühnt werden!
Während sie stumm dabei zusahen, wie das Feuer langsam erlosch und die steigende Flut begann, die Reste der Einäscherung ins Meer zu holen, nahm auch der Plan des Jarls an Deutlichkeit zu. Viel zu lange hatte er in seinem Haus den Schlendrian der Sklaven geduldet und ihre Widerstände und heimlichen Faulheiten hingenommen. Viel zu lang schon wäre es an der Zeit gewesen, ein deutliches Zeichen zu setzen, dass er der Herr war, der Herr über Haus, Hof und über seinen menschlichen Besitz, aber auch der Herr über Straumfjorður und die Bewohner der Siedlung. Er war weich geworden in der letzten Zeit! Duldsam, ja sogar verletzbar! So würde es nicht weitergehen!
Als die kleine Zeremonie für Sædís beendet war, kehrte der Jarl dem Meer entschlossen den Rücken zu. Es galt, ein paar Vorbereitungen für den morgigen Tag zu treffen. Das, was er mit Læva vorhatte, sollte der ganze Ort sehen. Sie sollten zusehen, wie er strafte und dabei würde ihnen allen klarwerden, dass er der Erste Krieger im Ort war, der Anführer und kein dümmlicher, verweichlichter Mann, der an der Nase herumgeführt werden konnte.
Ragnar suchte zwei vertrauenswürdige Männer für seinen Rechtsspruch auf und nachdem er mit diesen alles Weitere geklärt hatte, rief er Sture zu sich. Ein letztes Mal wollte er hören, wie es zu Sædís´ Verletzungen gekommen war. Aufmerksam lauschte er den Ausführungen des älteren Mannes. Doch er fand darin nichts, das ihn von seiner Härte gegenüber Læva abhalten konnte.
Ja, es mochte Schicksal sein, dass die kleine Sædís seinen Sohn verloren hatte. Doch es war die Hand Lævas gewesen, die den Mistgabelstiel geführt und dieses Schicksal somit herausgefordert hatte.
"Niemand außer mir darf bis morgen zu diesem Hexenweib!", wies der Jarl an. Und obwohl sich Sture bei der Härte von Ragnars Worten erschrak, war diese Sklavin auch in seinen Augen nicht wertvoll genug, als dass er seinem Anführer widersprach. Man konnte immer wieder neue Frauen aus den Südlanden holen, wenn man mehr Hände benötigte. Læva war nicht die Erste oder die Letzte, die ein unrühmliches Ende nahm, weil sie ihren Herren enttäuscht hatte. Und Ragnar musste wissen, was er tat. Immerhin ging es um seinen Besitz, den er damit schmälerte …
Der Tag im Haus des Jarls verlief still. Schon am Morgen nach der Totenwache hatte Lathgertha ihren kleinen Sohn in Rollos Haus gebracht und nun, am Abend, war sie ebenfalls dorthin gegangen, um nach all dem Unglück ein wenig Zeit zum Reden und Nachdenken zu haben. Früher war ihr der Bruder ihres Gefährten immer unheimlich gewesen, doch inzwischen kannte sie Rollo besser und ahnte, dass sich hinter seinem lieblosen, gewalttätigen Äußeren ein ganz anderer Mann verbarg. Indem er Rúna damals das Leben rettete, hatte er sich verraten.
Von wenigen vorsichtigen ersten Wörtern zu Beginn war er inzwischen zu einem Ratgeber für die Schildmaid geworden. Und so kam es, dass sie sich im Haus des Jarlsbruders inzwischen häufiger einfand. Meist sprachen sie über mögliche Pläne, dem bevorstehenden Angriff Arngrims zu begegnen. Gertha hatte, wie erwartet, die Hilfe ihrer Schildmaiden zugesagt. Doch heute ließ sie Rollo auch ein wenig ihres Schmerzes und Kummers sehen. Dass Ragnar neben ihr noch andere Frauen begehrte, tat ihr weh. Mehr aber noch, dass er jenen ungeborenen Bastard betrauerte, der mit der kleinen Sædís in die Anderwelt gegangen war. Schließlich hatte er einen Sohn, Björn, dessen Mutter sie war. Wie konnte er vor ihr vom Verlust dieses anderen Kindes sprechen?
Ragnar war recht froh, dass Lathgertha und Björn außer Haus waren und ihm nicht in seine Entscheidungen hineinredeten. Auch seiner Gefährtin würde es hoffentlich ein wenig mehr Respekt lehren, wenn sie am kommenden Tag sah, wie er gegen Ungehorsam und Aufmüpfigkeit vorging. Ragnar grinste. Natürlich würde er gegen die Schildmaid niemals die Hand erheben, so viel war ihm klar. Doch es konnte nicht schaden, wenn sich Gertha darin nicht mehr so fruchtbar sicher war wie bisher.
Der Jarl nahm es als selbstverständlich, als diese später am Abend zu ihm unter die Felle gekrochen kam. Er ahnte nichts davon, dass Gertha hierin dem Rat seines Bruders folgte. Dessen Vorschlag war so einfach wie logisch gewesen: Wenn Gertha seinen Bruder nicht teilen wolle, müsse sie einfach dafür sorgen, dass er sich bei ihr ausreichend erschöpfe. Käme dabei ein Kind zustande … nun denn! Dann gäbe es für den Jarl erst recht keinen Grund mehr, andernorts zu wildern.
Die Schildmaid hatte in sich hinein gegrinst. Die Gedankengänge der Männer! Doch dann befand sie, dass es einen Versuch wert wäre. Und als sie nun beherzt zwischen Ragnars Lenden griff und ihm einen deftigen, lüsternen Fluch entlockte, hatte sie das Gefühl, die Situation langsam wieder zu überschauen. Aufreizend ließ sie ihre Finger über die weiche, behaarte Haut seines Gemächts gleiten, dabei darauf bedacht, ihn nicht zu sehr voranzutreiben. Sie lockte ihn, wies ihn zurück und brachte Ragnar damit bis nahe an jene Grenze, an der es auch für den Krieger kein Zurück mehr gab.
Sie reizte ihn, bis sein Schwanz drängend unter ihrer Hand pulsierte und auch ihr Gefährte sich keuchend vor unerfüllter Lust neben ihr wand. Dann, als Ragnar nach ihr greifen und sie unter sich ziehen wollte, übernahm sie endgültig die Führung in dieser Nacht. Entschlossen warf sie die Felle beiseite, die sie voneinander trennten. Dann schwang sie ein Bein über Ragnars Hüfte, rieb ihre Mitte ein letztes Mal verlangend an seinem Becken und schenkte ihm dann voller Hingabe, was ihr Spiel ihm versprochen hatte.
Und während beide sich mit ihren Liebesspielen in dieser Nacht wach hielten, wachte auch Læva in der Kälte ihres provisorischen Gefängnisses. Angst und die Ungewissheit, was der kommende Tag bringen würde, hielten den Schlaf von ihr fern. Niemand war zu ihr gekommen, um sie gehen zu lassen oder ihr zumindest etwas Wasser oder Brot zu bringen. Niemand hatte ein Wort mit ihr gewechselt. Die Sklavin ahnte, dass ihr Gefahr drohte. Und so saß sie zusammengekauert unter ihrer dünnen Decke, hilflos ihren wirren Ängsten und Gedanken ausgeliefert. Als endlich der Morgen nach dieser endlosen Nacht graute, empfand sie so etwas wie Erleichterung. Sie konnten sie nicht ewig warten lassen. Heute würde sich bestimmt etwas an ihrer Situation ändern. So musste es einfach sein!