Die Zeit rennt
Nun ja, der Lauf der nächsten Monate ist für Hawe schnell zusammen gefasst. Mal scheint die Sonne und mal nicht.Zweiteres kann im Hessischen Mittelgebirge auch schon mal äußerst deprimierend wirken. Meisten schien dann aber doch die Sonne und er genoss seinen Sommer. Unterbrochen nur von einer dämlichen und langwierigen Zahnwurzelbehandlung mit geschwollener Wange und aufgeschlitztem Kiefer. Das war auch der Grund, warum er nur sporadisch und mit einer längeren Pause, Samstag Vormittag telefonierte. So richtig zufrieden ist Hawe mit der neuen Bekannten nicht. Doch doch, natürlich ist er zufrieden mit ihr. Ganz im Gegenteil, er ist für seine Verhältnisse sogar euphorisiert. Nur, er ist sich eben unsicher, wie das nun weitergehen soll. Hawe hat selten undefinierte Gefühle, er ist immer ein Mensch der Sachlichkeit gewesen. Er verbindet mit jedem Telefonat die innerliche Hoffnung, sich ein wenig näher zu kommen, quasi selbst therapeutische Seelenklempnerei. Vielleicht möchte er sich auch nicht eingestehen, dass er nicht nur sich sondern auch ihr deutlich näher kommen möchte.
Mariannes Tage sind weiterhin gut gefüllt. Beim Bummeln (abbummeln der Überstunden und Bummeln durch die Fußgängerzone der naheliegenden Metropole), hat sie sich kurzentschlossen noch für einen esoterischen Grundkurs der örtlichen Volkshochschule eingetragen Das dieser nun Freitagabend und jeden zweiten Samstag für drei Monate stattfindet ist nicht zu verhindern. Das war der Grund, warum sie nicht so oft wie sie eigentlich gewollt hätte, mit dem liebenswerten neuen Bekannten aus…….., sie weiß immer noch nicht genau wo (neu auf der „to talk Liste“), telefoniert hat. In der übrigen Zeit des Sommers geht sie der Erwerbstätigkeit nach, ließt etwas, radelt in das Freibad am Baggersee, empfängt oder schreibt Briefe. Einige Male trifft sie sich auch mit einigen Teilnehmerinnen der Pilateskurse im Biergarten, für einen Sommersalat und hausgemachter Himbeerlimonade. Das Leben meint es insgesamt nicht schlecht mit Ihr, obwohl sie ihre Hausärztin schon lange nicht mehr nach ihrem eigenen Gesundheitszustand gefragt hatte. Klar, keine Frage - keine schlechten Neuigkeiten. Eine gewisse Unruhe verspürt sie neuerdings manchmal wenn sie allein ist, wenn sie über sich nachdenkt. Sie schiebt es keiner körperlichen Ursache zu, da ist noch irgendwas, was augenblicklich nicht passt.
Es ist herbstlicher geworden, schön herbstlicher. Mit bunten Wäldern und Weinstöcken, mit Sonne und morgendlichen Spinnweben und es ist mal wieder Samstag gegen elf.
Das Telefon klingelt in Hawes Hand. „So ein Zufall, grad wollte ich dich anrufen!“, war aus dem mobilen Endgerät an Mariannes Ohr zu vernehmen. 153,2 Kilometer entferntes gemeinsames herzhaftes, lautes, ungehemmtes Lachen!
Hawe nahm sein Herz in die Hand und erzählte von dem seit Urzeiten stattfinden Stadtfest, welches nächstes Wochenende seine diesjährige Ausgabe haben soll. Marianne wurde langsam ruhiger und nachdem Hawe eine gefühlte Stunde, das bevorstehende Ereignis in den höchsten Tönen als nicht zu verpassende Chance beschrieb, Gepflogenheiten, Brauchtümer und Rieten der hier lebenden Bevölkerung kennen zu lernen, war sich Marianne sicher, dass Hawe mit Bevölkerung eigentlich sich selber meinte! Aber natürlich war er viel zu zurückhaltend für eine schelmenhafte Einladung. Nun tat sie so, als müsste sie in ihren Terminkalender schauen und sich das nächste Wochenende freiräumen. Aber sie wusste genau, dass sie nichts eingetragen hatte und sie liebend gern zu Hawe fahren würde. Schließlich hatte sie sich den ganzen Sommer keinen Tapetenwechsel gönnen können. Mit wohlformulierten Worten erkundigte sie sich nach Übernachtungsmöglichkeiten in Hawes Nähe. Nach einer weiteren gefühlten Stunde der Adressen- und Anfahrtsbeschreibung, sowie der Beschreibung Hawes wohnlichen Situation, willigte Marianne schließlich, mit der großartig gespielten Hintertür immer noch in ein Hotel gehen zu können, ein, im Ostflügel des Anwesens zu nächtigen. So verabschiedeten sie sich von einander mit Wünschen und Hoffnungen auf wundervolle Tage. Jetzt lachten die beiden nicht mehr. Aber das Grinsen, verbunden mit der kindlichen Freude, auf das Bevorstehende, hielt sich das gesamte Restwochenende in den Gesichtern, 153,2 Kilometer entfernt.
Nachdem er wirklich begreift, was er da gemacht hat und was unweigerlich auf Ihn zu kommt, bekommt er eine Gänsehaut. Er ist sich nicht ganz sicher, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist.
Hawe musste im Gästezimmer jetzt noch -Klar Schiff- machen. Er konnte sich nicht erinnern, wann und von wem es das letzte mal benutzt worden war. Er konnte sich auch nicht erinnern, wann er das letzte mal beim Stadtfest gewesen war. Nun dachte er, in der verbleibenden Zeit, bis zum Rundgang über Marktplatz und angrenzende Sträßchen am Samstag, blieb noch genügend Zeit für intensives Vorbereiten und Einarbeiten in die Geschichte des Ortes. Zum Glück kannte er den hiesigen Menschenschlag sehr gut. Hat man doch als örtlicher Vertreter der Finanzwirtschaft, in den letzten soundso dreißig Jahren so einiges erlebt, was man lieber nicht erlebt haben sollte und nicht, auch nicht mit intensiven Bemühungen, vergessen konnte. Er könnte so einiges Berichten, was das örtliche Machtgefüge durcheinander bringen würde. Aber so ist er nicht, der Hawe!
Marianne ist gefasst, was soll‘s, fahr ich halt rüber. Und dann schaue ich mich mal um, nach dem Stadtfest und nach Hawe. Das das Stress bedeutet, registriert sie erst langsam. Gott, was soll ich anziehen, wann muss ich losfahren, wie wird das Wetter werden und möchte ich überhaupt fahren?
Zumindest eine Frage beantwortet sie schnell mit ja! Ist das jetzt ein DATE? Und was wenn der Schein, der durch das Telefon bis hier her glänzt, trügt? Wenn sich Hawe nur über mich lustig macht, wenn er mich langweilt oder schlimmer noch, wenn er nicht weiß das sich zwei Menschen auf Augenhöhe begegnen? Nein , soviel Menschenkenntnis hat Marianne, Angst braucht sie sicher nicht vor Ihr zu haben. Als sie nach einem ausgeglichenen Tag gegen 21.30 ins Bett unter dem Dach schlüpft, verfällt sie wieder ins grübeln. Wie alt ist Hawe eigentlich?, was wird er tragen elegant?-sportlich?-lässig?, was bring ich mit?, soll ich überhaupt etwas mitbringen?, welchen Koffer nehme ich mit?, welche……..? Und schon ist sie eingeschlafen!