Liebe interessierte Leser, um es vorweg zu nehmen, dass mit unseren späten Turteltäubchen lief bestens an der Ostsee! Nach anfänglicher Zurückhaltung fühlen sich Hawe und Marianne jetzt wie Zahnräder, die in einander passen. Das ist jetzt nicht nur als sinnbildliche Beschreibung für die lange wilde Neujahresnacht gemeint, sondern auch für das langsame angleichen der Lebensgeschwindigkeiten. Eines ist jetzt auch klar geworden, bei den nächsten Besuchen von Marianne bei Hawe, wird es kein Gästezimmer für sie geben müssen oder dürfen.
Hanswerner P. aus der hessischen Traditionsstadt hat wieder angefangen sein leben aktiv zu gestalten und nicht nur aktiv zu verwalten. Er schmiedet jetzt Pläne, die über Dienstag Papiertonne raus stellen, am letzten Donnerstag im Quartal ist Sperrmüll und halbjährliche Kontrollbesuche bei seiner Zahnärztin hinausgehen. Er denkt jetzt an die Zukunft im allgemeinen und an die gemeinsame mit Marianne im speziellen. Nur drückt er es ihr gegenüber anders aus. Gar nicht, oder jedenfalls versucht er das Thema nicht zu erörtern. Er ist der Meinung, dass er sich ohnehin schon im Bonusbereich des Lebens befindet und bescheiden wie er nun mal ist, keine weiteren Forderungen zu stellen hat. Ohne Zeit- oder Geldzwang, in einer lebenswerten Behausung mit Reserven in allen Bereichen zu leben empfindet Hawe als Geschenk. Gesundheitlich ist auch alles in Bester Ordnung, wenn man den Göttern in Weiß trauen darf. Jetzt hat er sogar noch eine Freundin. Mehr geht nicht, so glaubt er.
Diese Freundin ist nun völlig von der Rolle. War sie doch bevor sie Hawe kennen lernte der Meinung, dass sie ein Leben führt wie sie es will. Nun, bei Lichte betrachtet und unter diesen, sagen wir mal unerwarteten ungewöhnlichen Umständen, ist sie sich überhaupt nicht sicher, was sie nun machen soll.
Reflexionen waren noch nie ihr Ding. So kann sie sich allerdings auch nicht vorwerfen, dass sie nach der frühen Pleite mit ihrer Ehe, nie nach einem verlässlichen liebevollen attraktiven Menschen gesucht hat, der ihre eigenen Schwächen ausgleicht, manchmal Antrieb, manchmal Anker ist, manchmal Hand die sie hält, manchmal Hand die sie schubst. Das alles ist bei Hawe scheinbar so. Er gibt ohne zu fordern, kommt aus geordneten Verhältnissen (nämlich aus seinen eigenen) und außerdem riecht er noch soooooo an- oder besser gesagt ausziehend. In den Tagen und Nächten die sie miteinander verbringen, kann und will sie nicht über sich nachdenken. Diese Zeit ist ausgefüllt von Glückseligkeit, Zweisamkeit und Aktionismus, immer maßvoll, genussvoll und vortrefflich, meistens von Hawe, organisiert. Auch wieder so eine Schwäche von mir, denkt Marianne.
Eigentlich haben beide ein wenig Angst davor zu fragen, welche die nächsten gemeinsamen Schritte sein werden. Sie haben Angst, weil beide nicht blöd sind und die Antwort natürlich kennen. Egal ob sie Herz, Hirn oder Körper fragen, die Antwort lautet immer gleich.
Der Weg dahin ist nun alles andere als bequem und erfordert Mut. Mut zur Veränderung, Veränderung bringt Ungewissheit, Unruhe und unter anderem auch die Unwägbarkeit des Scheiterns. Sollte man sich nun leichtfertig auf ein solches Abenteuer einlassen, zumal keiner von beiden mehr 21 Jahre alt ist. Für Marianne wird es langsam immer klarer. Immer deutlicher kann sie sehen, was für eine Zeit vor ihr liegt. Grade weil sie keine 21 mehr ist und nun wieder gemerkt hat, auf was sie in den letzten Jahren selbstverschuldet fast freiwillig verzichtet hat. Sie will unbedingt die temporären glücklichen Stunden mit Hawe zum zukünftigen Alltag machen! Dazu muss sie zuerst einmal mit Hawe sprechen. Wenn sie die Zeichen die er sendet richtig deutet, sollte das was sie vor hat, sehr leicht zu realisieren sein.
Als Planspiel sucht sie im Datennetz nach geeigneten Jobangeboten im Umkreis ihrer möglichen neuen Behausung. 24 interessante Treffer zum sofortigen Beginn, für Verwaltung, Büro oder Backoffice in Fahrradentfernung zur Nummer 11. Super also nun Punkt zwei, was wird mit dem Reihenmittelhaus in dem sie zur Zeit schläft. Google macht´s sicher auch möglich, einen Mieter zu finden. Erschlagen von den hunderten Mietgesuchen, fährt sie, leicht in sich hinein lächelnd, ihren Computer runter. Also auch nicht das Problem und die 153,2 Kilometer gehören bald der Vergangenheit an.
Am nächsten gemeinsamen Wochenende werden Nägel mit Köpfen gemacht. Hawe beweist Fingerspitzengefühl beim Thema Übersiedlung. Marianne ist im Prinzip von ihm gebeten worden bei ihm einzuziehen. Das sie nun keine offenen Tore mehr einreißen muss, ist natürlich um so schöner und bestärkt Marianne in ihrem Entschluss. Kein Jahr nachdem sie sich an einem erlebnisreichen Tag auf der Autobahnraststätte kennenlernten, wohnt Marianne jetzt im siebziger Jahrepalast ihres Tischnachbarn. Einiges konnte sie an der doch sperrigen Inneneinrichtung der Festung ändern. Nichts was dem Gesamtkonzept entgegen sprach, aber nach ca. 35 Jahren kann man mal einen neuen Kühlschrank und Geschirrspüler gebrauchen. Das nunmehr gemeinsame Bett wurde auch angeschafft, quasi als Zeichen für die neue Zeit in dem alten Gemäuer. Eine neue Arbeit für Marianne wurde nun nicht mehr ernsthaft gesucht, weil diese nicht ernsthaft von Nöten war. Die Unterhaltszahlungen von ihrem Exehemann kamen weiter pünktlich auch auf dem neuen Konto bei Hawes alter Arbeitsstelle an. Zusätzlich gesellten sich überraschend viele Euros aus der Vermietung ihrer Immobilie dazu.
So konnten sie sich nur noch um sich kümmern und taten das auch ausgiebig. Es gab Tage im November mit Schmuddelwetter, da kamen sie nicht aus dem Schlafzimmer raus. Es gab Tage im Wonnemonat Mai, da kamen sie gar nicht ins Haus, so schön war der Garten. Ohne Sorgen und mit viel Freuden bereute keiner die Verwirklichung der ungewissen Wünsche.