„Ich muss sagen, ich hätte nicht damit gerechnet, dass Rufus seine Karten so schnell so offen auf den Tisch legt.“
Hermine saß auf Toms Bett, während er in seinem Zimmer auf und ab ging. Sie hatte ihm kurz zusammengefasst, was sich zwischen ihr und Lestrange zugetragen hatte. Äußerlich wirkte er ruhig, beinahe so, als habe er mit diesem Schritt von Rufus gerechnet.
„Ich vermute, es hat etwas mit Abraxas und Orion zu tun“, meinte Hermine, während sie gedankenverloren mit einer Haarsträhne spielte: „Wenn Rufus alleine wäre, würde er sich nie soweit vorwagen. Aber mit der Macht des Hauses Malfoy und des Hauses Black hinter sich, scheint er mutiger zu werden.“
Tom blieb stehen und lehnte sich gegen einen der hohen Pfosten seines Himmelbetts. „Dennoch. Es ist erst wenige Wochen her, da hat er mir noch seine Treue versichert. Irgendetwas stimmt hier nicht.“
Nachdenklich legte Hermine den Kopf schräg. Sie musste Tom Recht geben. Rufus Lestrange war ein intelligenter junger Mann. Er hatte sich Tom angeschlossen, weil er seine Vision teilte und daran glaubte, dass Tom sie umsetzen konnte. Seine Unzufriedenheit hatte erst begonnen, als …
„Was, wenn er einen Keil zwischen uns treiben will?“
Für einen Moment schauten sich beide einfach nur an. Hermine konnte förmlich sehen, wie es in Toms Kopf zu arbeiten begann. Sein Mund verzog sich zu einer grimmigen Linie.
„Das könnte des Pudels Kern sein, in der Tat.“
„Du kennst Goethe?“, entfuhr es Hermine überrascht.
Tom machte bloß eine wegwerfende Handbewegung, während er sich zu ihr aufs Bett setzte: „Wie ich schon mal gesagt habe: Muggelliteratur kann uns einiges lehren, gerade wenn es um Fragen der Moral geht. Aber das ist nicht wichtig.“
Sie nickte und drehte sich ein wenig herum, so dass sie ihm im Schneidersitzt genau gegenübersaß. Es war noch recht früh am Abend, weswegen sie viel Zeit hatten, um den Nachmittag im Eberkopf Revue passieren lassen zu können.
„Er stört sich an mir“, griff Hermine den ursprünglichen Gedanken wieder auf: „Ich bin ein Mädchen und ich stehe dir nahe. Ich glaube, er hat sich als deinen wichtigsten Partner gesehen.“
„Ich schätze seinen scharfen Intellekt“, nahm Tom den Faden auf: „Das weiß er auch. Ich habe immer deutlich gemacht, für wie viel intelligenter als die anderen ich ihn halte. Aber Abraxas stand mir näher, und das hat ihn nie gestört.“
Energisch schüttelte Hermine den Kopf: „Das ist was anderes. Abraxas ist schon ewig dein Freund und obwohl er kluger Schüler ist, fehlt ihm die Gerissenheit, die du mit Rufus gemein hast. Er hat Abraxas vermutlich nie als Gefahr wahrgenommen.“
„Eine Gefahr, mh?“, murmelte Tom nachdenklich. Sein Blick wanderte zu seinem Schreibtisch, auf dem sich diverse Bücher stapelten. Hermine konnte sehen, dass seine Gedanken weit weg von diesem Raum und ihr gewandert waren. Geduldig wartete sie ab, zu welcher Schlussfolgerung er kommen würde.
Sie konnte nicht leugnen, dass sie von Lestranges plötzlichem Angriff schockiert gewesen war. Sie hatte heute Nachmittag tatsächlich gedacht, dass er Tom und ihr gerade offiziell den Fehdehandschuh hingeworfen hatte. Doch natürlich hatte Tom Recht: So dumm wäre Rufus nicht, es musste mehr dahinterstecken. Irgendetwas in dem, was er zu ihr gesagt hatte, musste dem Ziel gedient haben, sie von Tom zu entzweien.
Eine Bewegung von Tom brachte sie zurück ins Hier und Jetzt. Er schien mit seinen Überlegungen fertig zu sein, denn sie konnte deutlich ein Grinsen auf seinen Lippen sehen. Ein Grinsen, das er immer dann trug, wenn er sehr zufrieden mit sich war.
„Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir deine Schauspielkünste testen, mein Herz“, sagte er lachend und beugte sich vor, um ihr einen Kuss auf die Lippen zu drücken.
Irritiert schaute Hermine ihn an: „Schauspielkünste?“
Mit einem schelmischen Ausdruck im Gesicht, der ihn beinahe jungenhaft aussehen ließ, erklärte er: „Tragik hat unsere Beziehung befallen. Kommunikation ist eingebrochen, welch Schrecken! Wir teilen nicht mehr alles miteinander und haben Geheimnisse voreinander.“
Unwillkürlich musste Hermine das Grinsen erwidern. Diese freche, verspielte Art war so fremd in jemandem wie Tom, dass sie vor Überraschung nicht anders konnte, als ebenfalls zu lachen. Gewillt, sein Spiel mitzuspielen, verschränkte sie die Arme vor der Brust und blies ihre Wangen auf, um eine schmollende Miene aufzusetzen: „Du lässt mich gar nicht mehr an deinen Plänen teilhaben.“
Tom beugte sich vor und streichelte ihr über den Kopf: „Keine Sorge, meine Hübsche. Du wirst immer die wichtigste Frau für mich bleiben, aber ich will nicht, dass du dir meinetwegen dein hübsches Köpfchen zerbrichst.“
Kurz noch hielt Hermine ihre schmollende Miene, dann verlor sie die Beherrschung und brach in schallendes Gelächter aus. Tom zog seine Hand zurück und wackelte stattdessen mit einem Finger vor ihrem Gesicht: „Lachen Sie mich etwa aus, Miss Dumbledore?“
„Niemals, Mr. Riddle“, schnaubte Hermine, während sie sich Tränen aus den Augen wischte: „Das würde mir nicht im Traum einfallen.“
„Na, dann will ich Sie noch einmal ungeschoren davonkommen lassen“, grummelte Tom.
Nachdem sie sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, schnitt Hermine ein anderes Thema an: „Was hältst du von den neuen Rekruten?“
Tom ließ sich entspannt gegen einen der Bettpfosten sinken, ehe er antwortete: „Ich bin zufrieden. Obwohl keiner von ihnen den Intellekt eines Lestranges besitzt, erscheinen sie mir doch zumindest clever genug, dass ich mich auf ihre Verschwiegenheit verlassen kann.“
Hermine legte sich auf den Bauch, ihr Kinn auf einer Hand abgestützt. „Das definitiv. Ich war von Dolohow überrascht. Er macht nicht den Eindruck, als würde er sich für etwas so kompliziertes wie Fluchbrechen interessieren.“
Ein nachdenklicher Ausdruck trat in Toms Augen, während er ihre Worte abzuwägen schien. Ein langer Finger tippte gegen seine Lippen. Es erfüllte Hermine mit einer merkwürdigen Form von Stolz, dass Tom sie so aufrichtig um ihre Meinung bat und sich anhörte, was sie zu sagen hatte. Sie fühlte sich langsam wirklich wie seine Partnerin.
„Ich weiß nicht viel über die Familie Dolohow. Sie stammen ursprünglich aus Russland und Antonin ist, soweit ich informiert bin, die erste Generation, die in England geboren wurde. Vielleicht liegt sein Interesse in einer Familientradition begründet“, sagt Tom, doch Hermine spürte, dass er es nicht zu ihr direkt sagte, sondern laut nachdachte.
„Vielleicht sollte ich Nachforschungen in seine Familiengeschichte anstellen. Bei Mulciber und Rosier weiß ich, dass sie aus unbedeutenden Zaubererfamilien stammen, die es nicht geschafft haben, ihr Blut reinzuhalten, aber trotzdem reines Blut als hohes Gut betrachten“, fuhr er fort. Er beugte sich ein Stück vor, um Hermine eine Hand auf die Wange legen zu können. „Reinblut, Schlammblut. Das sind alles nur Namen, um eine Ideologie durchzusetzen.“
Aufmerksam schaute Hermine ihm in die Augen: „Eine Ideologie, die du teilst.“
Er hielt den Blickkontakt, ohne zu blinzeln: „Eine Ideologie, die nützlich ist, um meine Vision für die Menschheit durchzusetzen.“
Langsam richtete Hermine sich. Sie war immer wieder erstaunt darüber, wie rational dieser junge Tom Riddle klang, insbesondere im Vergleich zu dem, was sie über Voldemort gehört hatte. Herausfordernd blickte sie ihn an: „Ist deine Vision nicht am Ende, dass du Herrscher über die gesamte Welt bist? Kann man das wirklich Vision nennen?“
Ein nachsichtiges Lächeln trat auf Toms Lippen: „So, wie du es ausdrückst, klingt es sehr egoistisch. Als wäre ich nur an Macht interessiert.“
Das war keine Antwort auf ihre Frage, und Hermine wusste, dass Tom seine Worte absichtlich so gewählt hatte. Unnachgiebig schaute sie ihn weiter an: „Bist du nur an Macht interessiert?“
Seine Hand wanderte in ihren Nacken. Noch immer erwiderte er ihren Blick, doch die Leichtigkeit war daraus verschwunden. Sie hatte das Gefühl, als würde er ihr bis auf den Grund ihrer Seele schauen. Als würde er ihre Gedanken zu lesen versuchen.
Entsetzt warf sie sich zurück. Hatte er versucht, ihre Gedanken zu lesen?
„Hast du Angst vor mir, Hermine?“, fragte Tom leise, während er auf allen Vieren über das Bett zu ihr kroch.
Hastig versuchte sie, vor ihm zurückzuweichen, doch an der Rückenlehne war Schluss. Tom näherte sich ihr, bis er beide Hände auf dem Holz hinter ihr ablegen konnte. Seine Knie hielten ihre Beine zwischen ihm gefangen. Wieder lag ein Grinsen auf seinen Lippen, doch diesmal war es kalt und überlegen.
„Hast du etwas vor mir zu verbergen?“, forderte er zu wissen.
Aus großen Augen schaute Hermine ihn an. Sie hatte sich Tom genähert und eine Ebene gefunden, auf der sie mit ihm auskommen konnte. Sie hatte sich in seinen innersten Kreis gekämpft, bis sie schließlich sicher sein konnte, dass er sie nicht mehr loswerden wollte. Doch wenn er ihre Gedanken lesen konnte, wäre all die Arbeit umsonst gewesen.
„Hast du versucht, meine Gedanken zu lesen?“, antwortete sie mit einer Gegenfrage. Sie hörte selbst, dass ihre Stimme zitterte, aber sie war entschlossen, nicht kleinbeizugeben.
„Und wenn ich es versucht hätte?“, erkundigte Tom sich lauernd. „Du hast doch nichts vor mir zu verbergen. Oder?“
Wütend schüttelte sie den Kopf: „Das ist völlig irrelevant. Tom, du kannst nicht einfach die Gedanken anderer Menschen lesen. Du brichst damit jede Regel für Anstand und Respekt.“
Er schnaubte höhnisch: „Und seit wann kümmere ich mich um solche Regeln?“
Hermines Augen verengten sich zu schlitzen. Sie hatte keine Ahnung von Legilimentik, aber Harry hatte sich immer wieder beschwert, wie unangenehm es sich in seinem Kopf angefühlt hatte, als Snape in seinen Geist eingedrungen war. Herausfordern reckte sie das Kinn vor: „Du hast es eh nicht getan. Du beherrscht Legilimentik nicht.“
„Dafür war deine Reaktion aber ziemlich heftig“, insistierte Tom. „Was verbirgst du vor mir, dass du dich so sehr davor fürchtest, dass ich deine Gedanken lesen könnte?“
Statt ihr die Möglichkeit zu einer Antwort zu geben, senkte Tom seine Lippen auf ihren Hals und küsste sie zärtlich. Ein Schauer rann ihr über den ganzen Körper. Unwillkürlich griffen ihre Hände nach seinem Hemd und verkrallten sich darin. Eine seiner Hände löste sich von der Rückenlehne und wanderte auf ihren entblößten Oberschenkel. Tom richtete sich wieder ein Stück auf und schaute ihr direkt in die Augen. Ein gefährliches Feuer brannte darin.
Ein Bild stieg aus ihrer Erinnerung hoch. Tom, wie er sie tief unter Hogwarts, in den Gängen, die zur Kammer des Schreckens führte, umarmte, an die Wand presste und ihrem wimmernden Flehen nachkam, dort unten mit ihr zu schlafen. Heiße Erregung strömte durch Hermine.
Ein weiteres Bild nahm Gestalt an. Wie sie zuletzt in ihrem Bett mit einander geschlafen hatten. Verschränkte Finger, wogende Körper, eine Wärme, die viel mehr war als bloße Lust.
Mit aller Kraft stieß sie Tom von sich.
„Wie kannst du es wagen?“, fauchte sie ihn an.
Diesmal war er tatsächlich in ihre Gedanken eingedrungen. Sie hätte beinahe nicht bemerkt, dass er es war, der diese Bilder hervorgeholt hatte, doch der merkwürdige, fremdartige Rück, der mit jedem Bild, jeder Erinnerung einhergegangen war, hatte ihn verraten.
Statt sich zu rechtfertigen, starrte Tom sie nur aus großen Augen an. Ein überrascht klingendes „Spannend“ kam von ihm, ehe er sich vom Bett erhob und zum Schreibtisch ging.
Wütend und verängstigt sprang Hermine vom Bett und baute sich vor ihm auf: „Spannend? Tom Riddle, du bist gerade in meine Gedanken eingedrungen! Nachdem ich dir gesagt habe, dass ich das nicht will!“
Er hatte ein Buch von seinem Schreibtisch gegriffen und aufgeschlagen, doch der Zorn in ihrem Tonfall ließ ihn zu ihr aufblicken. Beinahe entschuldigend hob er beide Hände: „Ich hatte das nicht geplant. Aber als du gesagt hast, dass du Angst davor hast, dass ich deine Gedanken lesen würde, da musste ich es einfach probieren.“
„Bitte was?“, schrie Hermine außer sich vor Wut. Er hatte es einfach ausprobieren müssen? War ihm nicht bewusst, wie unverzeihlich das war, was er getan hatte?
„Ich habe die letzten Wochen in verschiedenen Büchern über Legilimentik gelesen“, erklärte er, als würde er gar nicht bemerken, wie wütend sie war. „In diesem hier habe ich gefunden, dass es am leichtesten geht, wenn man dem anderen in die Augen schaut und ihn berührt. Und wenn der andere gerade in einem sehr emotionalen Zustand ist, weil die Gedanken dann praktisch offen zutage liegen.“
„Und da dachtest du dir, hey, meine Freundin ist gerade wütend auf mich, am besten küsse ich sie jetzt und berühre sie unanständig, dann wird sie schwach und ich kann in ihren Geist eindringen, ohne mich anstrengen zu müssen. War das in etwa dein Gedanke?“, schleuderte Hermine ihm entgegen.
Etwas, was beinahe als Schuldbewusstsein durchgehen konnte, trat in Toms Augen. Mit beiden Händen ergriff er Hermines Hände und zog sie zu sich auf den Schoß. Entschuldigend murmelte er: „Das trifft es tatsächlich ganz gut. Aber ich wusste nicht, dass es funktionieren würde.“
Hermine holte mehrmals tief Luft. Bisher war Tom Riddle also nicht wirklich in der Lage, Gedanken zu lesen. Aber er arbeitete offensichtlich daran, das zu ändern. Wenn sie ihn weiter anschrie, würde er sich vermutlich vor ihr verschließen und das Risiko, dass er es erneut versuchen würde, stieg. Sie kämpfte die Panik in sich nieder, schob ihre Wut zur Seite und holte die rationale, kalkulierende Seite in ihr drin hervor. Mit beiden Händen umschloss sie sein Gesicht und zwang ihn so, sie direkt anzuschauen.
„Ich habe vielleicht Verständnis für deine wissenschaftliche Neugier, Tom, aber das ist keine Entschuldigung. Ich weiß, dass ich dich vermutlich nicht davon abhalten kann, erneut in meinen Geist einzudringen, schon alleine, weil ich Okklumentik nicht beherrsche. Aber ich warne dich“, bei diesen Worten senkte Hermine ihre Stimme und gab ihr einen gefährlichen Tonfall: „Wenn ich dich noch einmal dabei erwische, wie du versuchst, meine Gedanken zu lesen, werde ich dir nie wieder erlauben, mich zu berühren.“
Kurz fürchtete sie, dass er seine Frage erneut wiederholen würde, doch zu ihrer großen Überraschung nickte er schließlich nach langem Zögern: „Einverstanden. Ich werde es nicht wieder gegen deinen Willen versuchen. Aber ich kann dasselbe nicht für andere Menschen versprechen.“
Mit einem schiefen Grinsen erwiderte sie: „Andere sind mir egal. Mein Kopf gehört mir.“
Tom fuhr mit einer Hand in ihre Haare und zog sie zu sich in einen Kuss. Seufzend schloss sie die Augen und ließ zu, dass er auf diese Weise ihren Streit beendete. Sie würde sich nachher alleine in ihrem Zimmer damit auseinandersetzen, was der heutige Tag zu bedeuten hatte. Oder morgen. Wenn sie Zeit fand.