Ich bin Moritz. Ich bin 34 Jahre alt und meine Schulzeit liegt längst hinter mir. Manchmal, wenn ich eine Dokumentation über Schulen sehe, oder einen Artikel über Mobbing lese, dann sehe ich sie wieder vor mir, die Peiniger meiner Kindheit, doch es ist vorbei und ich bin jetzt ein angesehener Firmenchef. Ich habe meinen Weg gemacht. Es war nicht immer leicht, doch aus dem schüchternen Jungen mit der Zahnspange und den abstehenden Ohren ist ein gutaussehender Mann geworden. Na ja, die abstehenden Ohren habe ich immer noch, aber die Zahnspange ist weg, das ist ein Anfang. Außerdem stören mich meine Ohren nicht. Nicht mehr. Sie fallen auch gar nicht so sehr auf, wie meine Schulkameraden mir damals weismachen wollten. Eigentlich bemerkt man sie kaum. Schwul bin ich immer noch. Auch, wenn ich schon Freundinnen hatte. Ich war auch wirklich verliebt gewesen, doch ich war ein Teenager und wusste nicht, was ich wollte. Jetzt weiß ich was ich will, aber niemand will mich. Ja, ich gebe es zu, ich war schon oft verliebt, doch niemand war je in mich verliebt. Der ewige Single. So wurde ich von meinen Freunden scherzhaft genannt. Der ewige Single.
Ach, verdammt... Nicht einmal Sex hatte ich schon gehabt. Mit den Frauen wollte ich nicht und einen passenden Mann hatte es einfach nie gegeben. So kam es also, dass ein 34-jähriger Firmenchef noch immer Single und Jungfrau war. Und ich wollte so sehr, dass sich das änderte. Dieses Jahr, so hatte ich mir am Morgen des ersten Januars dieses Jahres geschworen, dieses Jahr würde ich einen tollen Mann finden, wir würden uns verlieben und ich würde endlich meine Unschuld verlieren. Jetzt war Mitte Mai und ich hatte bereits alle Hoffnung aufgegeben auch nur einen dieser Punkte abhaken zu können. Ein Mann? Nicht mal annähernd in Sicht. Ich hatte das Gefühl, ich wäre nur von Frauen umgeben. Kein Wunder in meiner Firma arbeiteten einfach verdammt viele und die wenigen Männer waren entweder zu alt, oder zu jung, oder definitiv nicht schwul oder bi. Höchstens der Postbote und der trug nen Schnurri. Ihh...nein danke. Und ohne würde er sicher auch nicht besser aussehen. Da verzichtete ich lieber. Verliebt war ich auch schon seit Jahren nicht mehr gewesen. Wie auch. Es war ja kein wirklich attraktiver Mann in Sicht gewesen. Tja und was den Sex anging...Tote Hose. Ich wollte es schließlich nicht mit irgendwem. Ich wollte es mit dem Einen. Dem Richtigem. Nur war der leider nicht in Sicht.
So langsam musste ich meine Strategie ändern. Aber hatte ich überhaupt eine? Eigentlich hatte ich bisher nichts dafür getan, dass sich etwas an meiner Situation änderte. Es wurde Zeit die Dinge selbst in die Hand zu nehmen! Außerdem wurde ich ständig von Freunden, Familienmitgliedern und Kollegen gefragt, warum ich denn noch niemanden gefunden hatte. Langsam machte mich das mürbe. Ich verstand es ja selbst nicht. War ich so hässlich? Oder war mein Charakter so mies, dass es keiner mit mir aushielt? Oder hatte ich ständig Mundgeruch und mir hatte es noch keiner gesagt? Es wollte nicht in meinen Kopf rein, dass andere ihre Partner wechselten wie Unterhosen und für mich kein einziger abfiel. Vielleicht war ich auch einfach zu verbissen bei meiner Suche nach dem einen richtigen Mann in meinem Leben. Zu verblendet von den tollen Geschichten meiner Freunde, die damit angaben, was für einen tollen und liebevollen Partner sie doch hatten. Vielleicht musste ich meine Anforderungen einfach herunterschrauben? Es mit dem nicht besonders gutaussehenden Mann vom Putzservice versuchen, der ohnehin schon ein Auge auf mich geworfen hatte. Ein sehr großes, glubschiges. Oh, Gott, war ich oberflächlich. Vielleicht war das ein prima Typ mit nur einem einzigen Manko? Zugegeben, es war ein sehr herausstechendes. Aber wenn es nur dieses eine war, was hielt mich dann auf?
Ich seufzte und begann meinen Schreibtisch aufzuräumen. Nein, ich konnte mit hässlichen Männern einfach nichts anfangen. Sie mussten ja keinen durchtrainierten Prachtkörper und ein Modellächeln haben, doch sie sollten halbwegs vorzeigbar sein. So war das eben. Man verliebte sich ja auch selten zuerst in den Charakter eines Menschen. Das Aussehen war das, was am Anfang zählte. Zumindest für die meisten Menschen. Da bildete auch ich keine Ausnahme. Obwohl ich mir oft einredete es wäre nicht so.
Ich musste mir also einen Plan machen, wie ich dieses Jahr meine Ziele erreichte. Und diese waren nun mal: Einen Mann, den ich liebte und der mich zumindest mochte, ja, ich weiß, ich schraube meine Anforderungen gewaltig runter, und endlich, endlich meine Jungfräulichkeit verlieren. Und zwar ganz. Damit meine ich Analverkehr. Keine halben Sachen. Ich musste doch endlich wissen, was andere schwule Männer in meinem Alter schon längst wussten. Nämlich wie es sich anfühlte einen Mann zu küssen, ihn anzufassen und von ihm...nein, das sprach ich nicht aus. Dazu war ich zu verklemmt. Das sagten mir meine Freunde ja auch immer. Vielleicht hatten sie damit recht. Was heißt vielleicht? Sie hatten recht. Ich sah mir Pornos im verdunkelten Zimmer unter der Bettdecke mit dem Smartphone an. Ohne Ton. Wenn das nicht verklemmt war, dann wusste ich auch nicht. Aber so war ich eben.
Ich schnappte mir einen Notizzettel und meinen Lieblingskugelschreiber. Wichtigster Punkt auf meiner Liste: Einen Partner finden. Punkt Nummer zwei: sich verlieben. Punkt Nummer drei: Sex haben. Letzteres würde wohl nicht schwer werden, wenn ich mich bei irgendeiner Datingapp anmelden würde. Ein guter Freund von mir hatte mir erzählt, wie er über eine solche App mal in einer Nacht drei Männer mit nachhause genommen hatte. Drei! Doch ich wollte keinen Sex ohne Gefühle. Ich wollte es echt. Ich wollte Schmetterlinge im Bauch und große Gefühle!
Wieder einmal resigniert erhob ich mich von meinem Stuhl, streckte mich ausgiebig und packte meinen Kram zusammen. Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass es wieder spät geworden war. 19 Uhr und ich war immer noch im Büro. Es wurde wirklich Zeit, dass sich etwas änderte. Nur Arbeit war ja kein Leben. Doch es gab einfach immer etwas zu tun und in meinem Leben passierte sonst nicht viel. Mit meinen Freunden traf ich mich einmal im Monat. Ich gehe ein mal die Woche schwimmen. Immer Dienstag nach der Arbeit. Sonst passierte wie schon erwähnt nichts. Ich war ein Langweiler, das wusste ich. Doch ich war zufrieden mit meinem Leben. Ich brauchte keine Aktion, keine tollen Hobbys, keine Barabende mit Freunden, keine... . Ich seufzte. Nein. Ich habe gelogen. Zufrieden war ich nicht. In letzter Zeit gefiel mir mein Leben immer weniger und das nicht nur weil ich einsam war. Ich brauchte Abwechslung. Etwas Neues. Ein Abenteuer. Doch dafür war ich viel zu zurückhaltend.
Mit gesengtem Kopf machte ich mich auf den Weg zum Fahrstuhl. Meine Schuhe musste ich auch mal wieder putzen. Dann stieß ich mit jemandem zusammen.
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