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„Ich hätte doch nicht mittrainieren sollen heute“, seufzte Amy, als sie in der Umkleidekabine in ihre Jeans schlüpfte. Sie war ein paar Mal mit Skyler aneinander geraten und blöderweise war Skyler auch meistens im Recht gewesen.
„Quatsch. Du lässt dich viel zu sehr von Skyler einschüchtern. Du bist nun mal noch nicht allzu lange im Team, da können Fehler passieren.“ Faith packte ihre Trainingssachen in ihre Sporttasche.
„Vielleicht hat Skyler hier aber doch ausnahmsweise mal Recht“, beharrte Amy. “Ich gehöre hier nicht rein…“
„Unsinn!“ Faith zog mit einem energischen Ruck den Reißverschluss ihrer Sporttasche zu. „Was soll das, Amy? Du bist sportlich, du bist hübsch – alles andere kommt noch.“
Amy sagte nichts mehr und schloss ebenfalls ihre Sporttasche. Zusammen verließen die Mädchen die Umkleidekabinen. Zum Glück war von Skyler weit und breit nichts zu sehen. Dafür sahen sie Adam, der verabredungsgemäß auf sie wartete.
„Na? Gut gehüpft?“, meinte er grinsend und machte ein paar merkwürdige Bewegungen mit Armen und Beinen. Faith prustete los. Obwohl Adam durchaus ein sportlicher Typ war, hatte er jedoch mit Sport nicht allzu viel an der Tüte. Er ging dafür umso mehr in der Musik auf.
„Und?“, fragte Amy schnell. Über das heutige Training wollte sie ehrlich gesagt gar nicht mehr allzu viele Worte und Gedanken verlieren. „Wie war eure Krisensitzung?“
„Hätten wir uns schenken können“, knurrte Adam. „Wir sind nicht einen Schritt weiter.“
„Oh Mann, das ist echt schade“, meinte Amy aufrichtig. „Ihr wart echt sooo gut. Und jetzt?“
„Tja…“
Adam kickte mit dem Fuß einen Stein weg, während er nach dem gelben Bus Ausschau hielt. “Augen und Ohren offen halten. Gilt für euch auch, klar?“
Der Bus kam und Faith, Amy und Adam stiegen mit einigen anderen Schülerinnen und Schülern ein.
„Was haltet ihr von ihm?“, fragte Adam nach einer Weile und begann, in seinem Rucksack nach einem Müsliriegel zu kramen. „Von wem, bitte?“, fragte Faith und verdrehte die Augen. Bei Adams Gedankensprüngen sollte man immer so mitkommen!
„Diesem…diesem ... Collins. Ah, da ist er ja!“
Triumphierend zog er einen etwas zermatschten Müsliriegel aus den Tiefen seines Rucksacks ans Tageslicht. Faith lachte, Amy war etwas verlegen geworden.
„Ich sag euch, der ist cool“, meinte Adam, während er in seinen Müsliriegel biss. „Verschluck dich nicht“, grinste Amy. Adam kaute hastig, um wieder zu Wort zu kommen.
„Was macht ihr denn jetzt, so völlig ohne Frontmann und zweite Gesangsstimme?“, lenkte Amy vom Thema ab. Allein bei der Erwähnung seines Namens hatte sie wieder dieses nervöse Flattern im Magen gespürt. „Im Herbst ist doch auf dem Collegegelände die jährliche Charity Veranstaltung – da spielt doch traditionell immer unsere Schulband, oder?“
Adam blickte bedauernd auf das leere Papier, in dem vor einer Minute noch ein Müsliriegel gesteckt hatte.
„Ja“, seufzte er. „Das ist ja das Problem.“
Sie unterhielten sich noch eine Weile, dann fiel Adam wieder siedendheiß ein, worauf er eigentlich hinausgewollt hatte.
„Aber jetzt sagt doch mal. Was haltet ihr…“
„Was haltet ihr von aussteigen?“, unterbrach Amy ihn. „Wir sind gleich da.“
Die drei schoben sich Richtung Tür. Ein paar Minuten später standen sie auf der sonnenüberfluteten Straße und machten sich zu Fuß auf das letzte kurze Stück des Weges bis zu Faiths Elternhaus. Faith und Adam wohnten in einer beschaulichen Siedlung mit breiten Straßen, die von gepflegten Einfamilienhäusern gesäumt waren, die alle ein Stück von der Straße zurück und teilweise an Hängen eingebettet lagen. Amy liebte dieses Viertel, denn hier war es besonders grün. Und so friedlich. So ganz anders als in dem Viertel, wo sie mit ihren Eltern wohnte. Im Sommer roch es nach BBQ und die Menschen saßen draußen auf den Terrassen. Amy hätte alles dafür gegeben, hier zu leben und war dankbar, dass ihre innige Freundschaft zu Faith ihr ermöglichte, so oft hier zu sein. Anders als viele ihre Altersgenossinnen – Faith eingeschlossen , die ganz klare berufliche Ziele vor Augen hatte – wünschte Amy sich eigentlich nicht viel mehr von ihrem späteren Leben, als einmal in einem dieser schönen Häuser wohnen zu können, mit einer eigenen kleinen Familie und einem Hund, vielleicht …
Als sie die leicht gewundene und etwas bergauf führende Straße, in der Faith wohnte, entlang schlenderten, sahen sie schon von weitem den großen Möbelwagen, der direkt vor Faiths Haus zu parken schien. Adam runzelte die Stirn.
„Was ist das denn? Zieht ihr um?“, fragte er langgezogen, als sie näher kamen. Faith sah Amy an und verdrehte grinsend die Augen. „Ja, klar … Spontanentscheidung. Nach Miami.“ Manchmal war Adam aber auch wirklich zu naiv.
„Haaaahaa. Sag doch mal …“
Bevor Faith jedoch noch etwas erwidern konnte, kam ihnen bereits Faith Mutter auf dem Gartenweg entgegen. Fast konnte man den Eindruck gewinnen, sie hätte schon auf sie gewartet.
Amy strahlte sie an. Sie liebte Faiths Mutter. Sie war genau so hübsch wie ihre Tochter und eine herzensgute und liebevolle Frau. Auch Lindsay Smith lächelte die drei an und strich ihrer Tochter über die Haare. Als ihr Blick auf Amy fiel, glitt ein Schatten über ihr Lächeln. „Du siehst schlecht aus, Liebes“, sagte sie leise und zog Amy kurz an sich. Amy spürte einen Kloß im Hals, wie so oft, wenn es ihr nicht besonders gut ging und sie von Faiths Mutter so liebevoll umsorgt wurde. Zum Glück wurde sie aber heute sofort von Adam abgelenkt.
„Hallo Mrs. Smith – was hat das zu bedeuten?“ Neugierig wies Adam auf den Van, der, wie man jetzt erkannte, vor dem Nachbarhaus parkte. Lindsay Smith lächelte.
„Ja… es ist gut, dass ihr kommt. Die neuen Nachbarn ziehen heute ein. Besser gesagt, zunächst einmal nur er. Seine Frau ist wohl selbständig und musste kurzfristig nach New York fliegen. Und dann hat das Umzugsunternehmen ganz großen Bockmist gebaut und heute keine Leute zur Verfügung gestellt! Sein Schwager hat auch abgesagt…“
Faith blickte alarmiert zu Amy hinüber. Sie kannte ihre Mutter und ihr schwante etwas. Doch noch bevor sie den Mund aufmachen konnte, fuhr ihre Mutter auch schon fort. „Könnt ihr euch das vorstellen? Nun ist der arme Mann ganz auf sich gestellt. Dabei ist er so sympathisch…“
„Äh… ja und?“, fragte Faith ahnungsvoll.
„Ich dachte mir … ach kommt doch erst mal rein. Adam, du auch, wenn du willst.“ Sie betraten das Haus. Faith guckte mehr als argwöhnisch. Adam bemerkte das und musste grinsen.
„Möchtet ihr etwas trinken?“ Lindsay stellte eine Flasche Wasser auf den Tisch. „Übrigens … Cole ist so lieb und ist drüben… er hilft Sachen reintragen und so. Ich hab mir gedacht, vielleicht könntet ihr Mädchen so nett sein und auch ein bisschen helfen. Natürlich sollt ihr euch nicht überanstrengen. Es sind bestimmt genügend kleinere Sachen zu tun. Das fände ich ganz großartig. Adam, vielleicht könntest du ja auch bleiben und Cole etwas zur Hand gehen… ah, Telefon. Moment.“ Faiths Mutter verließ die Küche.
Amy, Adam und Faith sahen sich an. Bei Faiths Gesichtsausdruck prusteten Amy und Adam los. Faith schlug sich mit der Hand vor den Kopf.
„Ist nicht wahr jetzt, oder? Leute, bitte sagt mir, dass das nicht wahr ist.“
Adam lachte immer noch und Amy schmunzelte. Beide wussten aus Erfahrung, dass es keine Chance gab, diesen Plänen zu entrinnen.
Lindsay Smith war eine Seele von Mensch – aber ihr Wort war Gesetz.
Nicht eben sonderlich motiviert schlenderten die Mädchen zum Nachbarhaus hinüber. Die Tür war weit offen und auf der vorderen Veranda und dem Gartenweg standen bereits etliche Kisten, Kartons und kleinere Möbelstücke, die Cole und der neue Nachbar schon ausgeladen hatten. Trotzdem war der Van immer noch dreiviertel voll, wie die beiden Mädchen unschwer erkennen konnten.
„Das gibt es nicht“, stöhnte Faith wieder. „Das kann jetzt nicht wirklich wahr sein!“
Cole kam aus dem Haus und blieb im Türrahmen stehen, als er die Mädchen zögernd näher kommen sah. Er grinste und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er sah wirklich gut aus. Schade, dachte Faith, dass Amy gar keinen richtigen Blick für ihn hatte. Sie wusste, Amy hatte ihren Bruder sehr gern, aber sie schien ihn tatsächlich „nur“ wie einen Bruder wahrzunehmen.
„Endlich Hilfe!“, sagte er und lächelte, besonders zu Amy hinüber. „Mom hat euch schon verplant, bevor ihr überhaupt hier aufgetaucht seid.“
„Das kann ich mir vorstellen“, stöhnte Faith. „Wahrscheinlich muss Daddy auch direkt dran glauben, wenn er kommt, während Mom drüben Muffins backt oder Sandwiches oder so was vorbereitet und die dann hier anschleppt.“
Amy kicherte. Faith sah sie überrascht an, aber Amy schaute sich vergnügt und neugierig um. Coles Lächeln wurde noch breiter. „Vermutlich. Allerdings muss sie ihn wohl wirklich sympathisch gefunden haben.“
„Und? Ist er?“
„Ja, doch. Eigentlich schon. Er ist grade kurz weg, etwas besorgen. Ist schon echt mies, dass er das alles hier alleine an der Backe hat.“ „Hm. Na, dank unserer Mom ja nun nicht mehr. Gut, dass Adam mit rumgekommen ist. Der darf dann auch gerne mit anfassen.“
Amy lachte. „Das wird er schon freiwillig tun. Dafür ist er viel zu neugierig und wittert bestimmt schon wieder Action!“ Faith hob grinsend den Daumen. „Außerdem kommt Evan gleich noch rüber“, sagte Cole beiläufig und blinzelte zu seiner Schwester hinüber. Evan war in Coles Jahrgang und sein bester Freund. Cole wusste von Faiths heimlichen Gefühlen für seinen besten Freund und er vermutete stark, dass Evan sie auch erwiderte. Allerdings waren eine Menge Mädchen hinter Evan her – wie hinter ihm auch – und Evan hielt mit seinen Gefühlen vorläufig noch etwas hinter dem Berg. Faith wurde ein bisschen rot. „Ach …“, sagte sie nur und blickte verlegen auf die herumstehenden Kartons.
Cole grinste gutmütig.
„Na dann kommt, lasst uns loslegen“, sagte Amy und wirkte das erste Mal am heutigen Tag richtig belebt. Nur wo anfangen? Cole hatte sich einen Deckenfluter geschnappt und trug ihn ins Haus. Die Mädchen schauten sich unschlüssig um. Amy schaute in einen Karton. „Hier sind Töpfe und sowas drin. Also Küche. Kann man nicht viel falsch machen.“ Sie hob den Karton hoch und schob sich in Richtung Tür. „Äh, Amy … kriegst du das hin? Ist der nicht ein bisschen zu schwer?“, rief Faith ihr besorgt hinterher. „Nee“, rief Amy zurück, „ist nicht schwer. Nur ein bisschen groß. Aber geht schon!“
Faith zuckte die Achseln und drehte sich um, denn an der Straße war ein Auto vorgefahren und sie hörte eine Autotür zuschlagen. Ein Mann war ausgestiegen und kam mit überraschtem Lächeln auf sie zu.
Faith schnappte nach Luft.