Die Haustür war hinter dem Oberkommissar noch nicht zugefallen, als Selina meinen Oberarm losließ. "Oh, entschuldige..." Wortlos nahm ich ihr Gesicht in meine Hände und küsste sie leidenschaftlich! Verdattert stand sie da und schaute mich mit großen Augen an. "Du solltest dich nie entschuldigen für die kleinen Dinge, die ich soo liebe an dir... Ich würde dich den Rest meines Lebens auf Händen tragen, wenn ich könnte, so stolz bin ich auf deine Liebe..." Selina begriff nicht. "Und du machst dir Gedanken über "schönere" Weiber, Ich fass es nicht..." Ich hatte mich abgewandt, humpelte in die Küche und glaube noch heute, in der Drehung ein Lächeln des Verstehens auf ihrem Gesicht wahrgenommen zu haben...
Viktor. Synonym für tödliche Gefahr. Dieser Name, wird mein Leben lang für mich mit Angst, Zorn, Schmerz, kurz mit all dem Verbunden sein, was man niemandem wünscht! (Herrn Walther von der Kripo vielleicht...)
Er war bei Gott noch weit davon entfernt, Fit zu sein. Aber Zorn ist eine gewaltige Macht. Sie lässt einen Fehler begeh'n, weiß Gott, ja! Aber sie lässt einen auch Schmerz vergessen, verleiht unglaubliche Kräfte und lässt keine Gnade zu. Sie macht aus einem Killer eine unberechenbare Tötungsmaschine, die ohne Rücksicht auf Verluste ihre Opfer terminiert. Koste es was es wolle! Viktor hatte die beiden Polizisten total überrascht. Sie waren davon ausgegangen, dass er die ganze Nacht schlafen würde. Selbst wenn nicht, hätten sie nie geglaubt, dass er die Kraft hätte, sie anzugreifen. Sie hatten sich geirrt. Er war leise von hinten gekommen und hatte beiden das Genick gebrochen. Das lauteste Geräusch war die am Boden auftreffende SIG-Sauer gewesen, die der zweite Beamte noch gezogen hätte. Als seine Muskeln erschlafften, fiel sie zu Boden. Viktor nahm beide Waffen an sich. Aus einem herumstehenden Wäschewagen holte er sich weiße Anstaltskleidung. Er fuhr mit dem Aufzug hinunter in die Halle, in der die Rettungswagen abgefertigt wurden und wartete geduldig zwischen den Einsatzfahrzeugen, bis ein Fahrer mit passender Statur kam. Er ließ ihn einsteigen, riss die Beifahrertür auf und bedrohte den Sani mit der Polizeipistole. Wortlos, bedeutete er ihm, loszufahren.
Der Sanitäter wurde später schwer unterkühlt und halbnackt von einer Autobahnstreife aufgegriffen. Er hatte großes Glück gehabt. Nachdem er Schuhe und Uniform an Viktor abgegeben hatte, lief er gegen die Fahrtrichtung auf dem Pannenstreifen davon. Als Viktor ihm nachschießen wollte war die Waffe noch gesichert gewesen. Er verzichtete schließlich darauf den Sani zu töten. und zog sich um. Endlich hatte er auch Schuhe. Seine leere Augenhöhle schmerzte sowie seine ganze Gesichtshälfte, aber der Durst nach Rache war stärker. Allerdings war ihm klar, dass er sich so dumme Fehler wie das Vergessen, die Waffe zu entsichern, nicht mehr leisten sollte. Er würde sich entscheiden müssen: Sofortiger Rachefeldzug mit dem Risiko, diesen selbst nicht zu überleben, oder unterzutauchen, um sich zu regenerieren und dann wiederzukommen. Er hing nicht mehr besonders an seinem Leben. Er hatte keine Familie mehr. Seine Mutter hatte damals den Tod seines Vaters nicht schlüssig erklären können und war in Haft gestorben. Viktor hatte sich nie gebunden. Mit einem Auge und diesem womöglich für immer entstellten Gesicht, und das als von Interpol gesuchter Serienmörder, würde sein weiteres Leben nicht sonderlich lustig sein. Jetzt sofort zuzuschlagen hatte vielleicht die besten Chancen und es würde ihn auch nicht stören, selbst dabei draufzugehen...NUR: Was, wenn er auf Grund seiner im Moment schlechten körperlichen Verfassung versagen würde? Dann wäre sein Tod eine Schmach. Wenn schon, dann MUSSTE er die Schlampe und den Erfinder mitnehmen in den Tod. Er fuhr von der Autobahn ab und suchte sich einen ruhigen Parkplatz. Er würde sich ein wenig ausruhen und dann entscheiden...
Selina und ich saßen in der Küche. "Liebling, im Moment ist es wohl am klügsten, hier zu bleiben. Schon im Interesse der Stiftung und zur Sicherheit der Klinik-Patienten. Wir müssen einkaufen. Und die Jungs von der Polizei möchte ich auch nicht hungern lassen." - "Du hast, wie immer recht, Schatz. Ich werde uns was bringen lassen. Hast du ein Laptop oder sowas?" Mir wurde klar, dass ich all meine Schlüssel und mein Laptop im Seehaus hatte. Und da war fraglich, ob es noch da war. "Das Laptop ist hoffentlich noch im Seehaus aber im Labor hab ich noch Bluetoothtastaturen. Damit kannst du über den Fernseher auf den Server zugreifen. Ich mach dir das und dann rufe ich Schmeisser an, ob unser Zeug im Seehaus sichergestellt wurde." Selina sah mir zu, wie ich aufstand und nach der Krücke griff. Sie stand ebenfalls auf, wippte auf die Zehen und hauchte mir einen Kuss auf die Lippen. "Ich mag es, wie du ganz selbstverständlich die Interessen der Stiftung wahrst." - "Na hör mal, die Stiftung ist dein Baby. Darüber wollte ich sowieso noch mit dir sprechen, Selina. Darüber und über unsere gemeinsame Zukunft..."