"Ha! Snape wird sich nicht gerade freuen ... dann kann ich nicht bei ihm nachsitzen!", amüsierte sich Harry, nachdem er vorgelesen hatte, dass Dumbledore ihn am Samstag um acht Uhr abends sehen wollte. Widerwillig musste Hermine ihre Freunde jedoch alleine lassen, da sie zu Arithmantik musste, während Harry und Ron eine Freistunde hatten. Den Spekulationen darüber, was Dumbledore wohl von Harry wollen könnte, konnte sie sich entsprechend nicht anschließen.
Wie sie es erwartet hatte, waren beide von dem Brief so abgelenkt gewesen, dass sie die Freistunde nicht für Snapes Hausaufgaben genutzt hatten. Genervt opferte sie ihre eigene Freistunde nach dem Mittagessen, um den beiden zu helfen, ehe sie zu dritt zu Zaubertränke aufbrachen.
Im Klassenraum angekommen betrachtete Hermine erwartungsvoll Professor Slughorn, von dem Harry zwar schon erzählt hatte, den sie selbst aber seit seiner Vorstellung durch Dumbledore nicht wieder gesehen hatte. Sie rechnete es ihm hoch an, dass er Harry und Ron nicht nur die nötigen Bücher, sondern auch Utensilien und Zutaten zur Verfügung stellen wollte, bis beide alles nachträglich besorgt hatten.
"Ich habe ein paar Zaubertränke für Sie vorbereitet", fing Slughorn die Stunde an, "Kann mir jemand sagen, was das hier für einer ist?"
Hermine warf einen raschen Blick auf den Kessel, auf den Slughorn deutete, und meldete sich prompt: "Das ist Veritaserum", erklärte sie auf Aufforderung, "ein farbloser, geruchsloser Zaubertrank, der den Trinkenden zwingt, die Wahrheit zu sagen."
"Sehr gut, sehr gut", erwiderte Slughorn, ehe er auf den nächsten deutete. Bevor er danach fragen konnte, schoss Hermines Hand erneut in die Höhe: "Das ist Vielsafttrank, Sir."
"Ausgezeichnet, ausgezeichnet", freute Slughorn sich: "Nun, dieser hier ... Ja, meine Liebe?"
"Das ist Amortentia."
"In der Tat. Es scheint fast töricht zu fragen, "sagte Slughorn, der schwer beeindruckt aussah, "aber ich nehme an, Sie wissen, was er bewirkt?"
"Er ist der mächtigste Liebestrank der Welt!", antwortete Hermine.
"Völlig richtig! Wie ich annehme, haben Sie ihn aufgrund seines charakteristischen Perlmuttschimmers erkannt?"
"Und wegen des Dampfes, der ganz typisch in Spiralen aufsteigt", sagte Hermine schwärmerisch, "und der angeblich für jeden von uns anders riecht, je nachdem, was wir anziehend finden - ich kann frisch gemähtes Gras und ein neues Pergament und ..."
Sie lief rot an und beendete ihren Satz nicht, als sie erkannte, was der dritte Duft war: Sie roch das herbe Parfüm, das Lucius Malfoy an jenem Abend im Tropfenden Kessel getragen hatte. Während der Geruch von Gras und Pergament tiefe Ruhe und Zufriedenheit in ihr auslöste, weckte der herbe Duft Erinnerungen, die ihr Herz schneller schlagen ließen.
"Darf ich Ihren Namen erfahren?", riss Slughorn sie aus ihrer Erinnerung.
"Hermine Granger, Sir."
"Granger? Granger? Sind Sie womöglich verwandt mit Hector Dagworth-Granger, der die Extraordinäre Zunft der Trankmeister gegründet hat?"
"Nein, ich glaube nicht, Sir. Ich stamme von Muggeln ab, wissen Sie", erwiderte sie, ohne sich um die amüsierte Tuschelei von Malfoy und Theodore Nott am anderen Ende des Klassenraumes zu kümmern.
"Oho! Eine sehr gute Freundin von mir ist muggelstämmig und sie ist die Beste in unserem Jahrgang! Ich nehme an, das ist diese Freundin, von der Sie sprachen, Harry?", erkundigte Slughorn sich mit einem gutmütigen Zwinkern.
"Ja, Sir", bestätigte Harry. Hermines Herz machte einen freudigen Satz, als sie das Lob ihres Freundes aus dem Mund ihres Lehrers wiederholt hörte.
"Schön, schön, nehmen Sie zwanzig wohlverdiente Punkte für Gryffindor, Miss Granger.
Mit leichter Röte im Gesicht wandte sich Hermine flüsternd an Harry: "Hast du wirklich gesagt, dass ich die Beste in unserem Jahrgang bin? Oh, Harry!"
Doch Hermines Freude über Harry hielt nicht lange an. Als es schließlich daran ging, den Sud der lebenden Toten zusammenzubrauen, wurde sie zusehend genervt. Harry hielt sich im Gegensatz zu ihr nicht an die Anweisungen im Buch und sein Trank gelang dennoch besser. Sie konnte es einfach nicht verstehen, immerhin machte sie alles exakt so, wie vorgegeben, und bisher war ihr damit noch jeder Trank gelungen. Am Ende der Stunde jedoch nickte Slughorn ihr zwar anerkennend zu, doch sein überschwängliches Lob und die kleine Phiole mit Felix Felicis ging an Harry.
"Wie hast du das gemacht?", verlangte sie nach der Stunde im Gryffindorgemeinschaftsraum zu wissen. Ihr entging nicht, wie Harry sich umwandte, um sicherzustellen, dass außer ihr und Ron niemand in Hörweite war, ehe er antwortete: "In meinem Tränkebuch hat jemand Hinweise reingeschrieben, denen bin ich gefolgt. Ich vermute, du denkst, ich hätte geschummelt?"
Hermines Unzufriedenheit stieg. Nicht nur, dass Harry sich nicht an die Anweisungen gehalten hatte und damit besser gewesen war als sie, es war nicht mal seine eigene Leistung gewesen: "Also, das war eigentlich gar nicht deine Arbeit, oder?"
Harry wollte offensichtlich gerade zu einer heftigen Erwiderung ansetzen, da mischte sich Ginny, die unbemerkt näher gekommen war, in das Gespräch ein: "Warte mal! Hab ich richtig gehört? Du hast Anweisungen befolgt, die jemand in ein Buch geschrieben hat, Harry?"
Hermine wusste sofort, worauf ihre jüngere Freundin anspielen wollte, und entgegen der Versicherung von Harry, dass sein Fall anders lag, schloss sie sich sofort dem Bedenken an: "Ginny hat Recht. Wir sollten nachsehen, ob damit alles in Ordnung ist. Ich meine, diese ganzen komischen Anweisungen, wer weiß?"
Sie ignorierte Harrys Protest, schnappte sich das Buch und zückte ihren Zauberstab: "Specialis revelio!"
Nichts geschah. Missmutig reichte Hermine ihm das Buch zurück: "Es scheint okay zu sein. Ich meine, es scheint tatsächlich ... einfach nur ein Schulbuch zu sein."
Gerade, als Harry danach greifen wollte, glitt es Hermine aus den Fingern und fiel zu Boden. Ehe er es wieder aufheben konnte, gelang es Hermine, einen Blick auf die aufgeschlagene Seite zu werfen: Dieses Buch ist Eigentum des Halbblutprinzen. Da Harry jedoch nicht so wirkte, als ob er über diesen Namen reden wollte, beschloss sie, so zu tun, als habe sie nichts gesehen. Sie nahm sich jedoch vor, in der Bibliothek nach dem Namen zu suchen.
oOoOoOo
Amüsiert saß Lucius Malfoy in seinem Sessel vor dem Kamin und las erneut die wenigen Zeilen, die er von der jungen Frau namens Jean erhalten hatte. Sein Brief zuvor hatte seine Aufgabe erfüllt: Sie kochte vor Wut. Es war beinahe schon tragisch, wie leicht sie in seine Falle getappt war. Gewiss, ihre scharfsinnige Erwiderung, wie sie seine Worte auseinander genommen und gegen ihn gewandt hatte, war schon beeindruckend. Doch dass sie nicht erkannt hatte, dass er sie hatte provozieren wollen, war unterhaltsam. Sie war eben doch noch sehr jung und kannte sich in den Wegen der Welt noch nicht aus. Er machte sich keine Sorgen, dass sie den Kontakt zu ihm abbrechen würde, dazu hatte er zu sehr an ihrem Stolz gekratzt.
Immer noch grinsend griff er nach seiner Feder, um zu einer weiteren Antwort anzusetzen.
An meine wütende Jean,
deine Worte verletzen mich zutiefst. Dass du überhaupt annehmen kannst, dass ich dich gewaltsam innerhalb der Mauern von Hogwarts verschleppen müsste, ist beleidigend. Wir wissen beide gut genug, dass du mir keine Sekunde widerstehen könntest, wenn du mir in persona gegenüber stündest. Würdige dich nicht selbst mit so einer Lüge herab, du bist besser als das. Meine bloße Anwesenheit im Schloss wäre ausreichend, damit du freiwillig zu mir kommen würdest.
Doch meinetwegen, ich tue dir den Gefallen und wir nehmen für einen Moment hypothetisch an, dass tatsächlich ich der einzige bin, der an einer Fortführung unserer Beziehung interessiert ist. Ich könnte es verstehen, du bist eine junge Frau, schön, intelligent, geheimnisvoll, dir liegen in der Schule gewiss die Männer zu Füßen. Im Gegensatz dazu bin ich nur ein alter Mann, meine besten Jahre liegen hinter mir, ich habe meinen Ruf verloren, einen großen Teil meines Vermögens. Nichts an mir ist begehrenswert oder attraktiv. Das einzige, was ich als positives Argument für mich geltend machen kann, ist deine Reaktion auf mich. Wenn eine so spannende Frau, die jeden haben kann, einem so unspannenden Mann wie mir so hoffnungslos verfällt, da muss am Ende doch irgendetwas an mir dran sein.
Also, meine Schöne, sträube dich nicht länger. Gib deinen Sehnsüchten nach und gestehe dir ein, dass du mich wiedersehen willst. Ich bin in deinem Interesse so zuvorkommend, dir zu versichern, dass ich jederzeit zur Verfügung stehe. Vielleicht fällt es dir leichter, dir deine eigenen Wünsche einzugestehen, wenn du siehst, wie bereitwillig ich mich dir unterwerfe und wie unfähig ich bin, mein Interesse an dir zu verschleiern.
L.
Rasch überflog er noch einmal den Brief, dann nickte er zufrieden. Nichts war mehr dazu geeignet, Lust zu schüren, als ein wenig Provokation. Oder auch ein wenig mehr. Und da sich Jean bisher sehr empfänglich für seine Worte gezeigt hatte, da sie sein Spiel mitgespielt hatte, ohne es als Spiel zu erkennen, war er nur umso entzückter. Selbstzufrieden lehnte er sich im Sessel zurück und starrte in die Flammen.
Ihre Worte über seinen Sohn hatten ihn nachdenklich gestimmt, doch da er Dracos Angewohnheit, zu prahlen und zu lügen, nur zu gut kannte, wollte er dem vorerst keine größere Beachtung schenken. Vielleicht stand er wirklich noch in gutem Kontakt zu Narzissa. Schön für ihn. Sie war eine liebende Mutter, aber keine liebende Ehefrau. Und sie wäre die letzte, die ihrem Sohn zum Dunklen Mal raten würde, auch das wusste Lucius. Entsprechend unwahrscheinlich war es, dass Draco wirklich in den Kreis der Todesser eingetreten war. Er selbst war während des letzten Treffens nicht verfügbar gewesen, da er sich noch mit den juristischen Details seiner Bewährung hatte beschäftigen müssen. Wer wusste schon, was da geschehen war. Hatte er eine Möglichkeit, das nachträglich herauszufinden, ohne erbärmlich zu wirken?
oOoOoOo
Hermines schlechtes Gewissen war noch nicht vollständig beruhigt, während sie mit Harry und Ron von Hagrids Hütte zurück zum Schloss wanderte. Dass sie alle drei dieses Jahr nicht Pflege magischer Geschöpfe belegt hatten, musste Hagrid schwer getroffen haben. Dass sie ihn darüber hinaus zwei Wochen lang gemieden hatten und er damit mit seiner Trauer über den bevorstehenden Tod von Aragog alleine gewesen war, machte ihr Versäumnis nur noch schwerwiegender. Ihr einziger Trost war, dass Hagrid ihnen offensichtlich verziehen hatte.
Sie waren gerade dabei, sich an den Gryffindortisch zum Abendessen zu setzen, da kam Professor Slughorn auf sie zu: "Harry, Harry, genau der Mann, auf den ich gewartet habe! Ich hatte gehofft, Sie noch vor dem Essen zu erwischen! Wie wäre es stattdessen mit einem Imbiss heute Abend in meinen Räumen? Wir geben eine kleine Party, nur ein paar von den künftigen Stars. McLaggen wird kommen, und Zabini, die reizende Melinda Bobbin - ich weiß nicht, ob Sie die kennen. Ihre Familie besitzt eine große Apothekenkette - und natürlich hoffe ich sehr, dass auch Miss Granger mich mit ihrer Anwesenheit beehren wird."
Unglücklich blickte Hermine zu Harry. Heute war Samstag und nachdem in der letzten Woche bereits das Nachsitzen mit Snape wegen Harrys Treffen mit Dumbledore ausgefallen war, würde er ihn gewiss heute nicht gehen lassen. Die Vorstellung, alleine zu einer Feier gehen zu müssen, bei der McLaggen anwesend war, gefiel ihr nicht. Die Blicke, die er ihr zuvor zugeworfen hatte, sprachen Bände.
"Ich kann nicht kommen, Professor", erklärte Harry mit einem falschen Tonfall des Bedauerns, "Ich habe Nachsitzen bei Professor Snape."
"Oje, ich hatte mit Ihnen gerechnet, Harry! Nun ja, ich werde einfach ein Wörtchen mit Snape reden und ihm die Sache erklären müssen. Auf jeden Fall zähle ich auf Sie, Miss Granger!", betonte Slughorn augenzwinkernd, ehe er geschäftig Richtung Lehrertisch davon eilte.
Nach dem Abendessen saß Hermine abgeschieden im Gemeinschaftsraum, während Harry und Ron sich in die Lektüre des Tagespropheten vertieften. Sie hatte noch immer nicht auf den letzten Brief von Lucius reagiert. Sie wusste einfach nicht, was sie von seinen Worten halten sollte. Sollte sie sich eher beleidigt fühlen oder geschmeichelt? Warum hinterließen seine Zeilen bei ihr das Gefühl, dass er sie provozieren wollte und mit ihr spielte? Was steckte hinter seinen gleichzeitig arroganten und unterwürfigen Worten? Und wie lange konnte sie noch schweigen, ehe er seine Drohung wahr machte und persönlich im Schloss auftauchte?
"Irgendwas Neues?", hörte sie da Ginnys Stimme, die sich zu ihrem Bruder und Harry gesetzt hatte.
"Ja, in der Tat. Euer Vater hat den Malfoys einen Besuch abgestattet: Diese zweite Hausdurchsuchung bei dem Todesser verlief offenbar ereignislos. Arthur Weasley vom Büro zur Ermittlung und Beschlagnahmung Gefälschter Verteidigungszauber und Schutzgegenstände erklärte, sein Team habe auf einen vertraulichen Hinweis hin gehandelt."
"Ein vertraulicher Hinweis?", mischte Hermine sich interessiert ein. Wie wohl Lucius auf diese Hausdurchsuchung reagiert haben mochte?
"Ja, auf meinen", sagte Harry, "Ich hab ihm in King's Cross von Malfoy und dem Ding erzählt, das Borgin für ihn reparieren soll. Also, wenn es nicht in ihrem Haus ist, dann muss er es, was immer es ist, mit nach Hogwarts gebracht haben."
"Aber wie kann er das geschafft haben, Harry?", widersprach Hermine sofort: "Wir wurden alle durchsucht, als wir ankamen, oder?"
Harry zeigte sich überrascht, doch da er deutlich verspätet erst angekommen war, musste er der Untersuchung entgangen sein.
"Malfoy kann nichts Gefährliches reingebracht haben!", betonte sie.
"Dann hat es ihm jemand per Eule geschickt!", entgegnete er, offenbar unwillig, Draco vom Haken zu lassen: „Seine Mutter oder sein Vater oder sonst wer."
"Die Eulen werden auch alle geprüft!", erklärte Hermine, die sich insgeheim sicher war, dass zumindest Lucius nicht mit seinem Sohn unter einer Decke stecken konnte.
"Harry?", unterbrach da die neue Jägerin der Quidditch-Mannschaft die Diskussion: "Ich habe eine Nachricht für dich. Von Professor Snape. Er meinte ... er meinte, du sollst heute Abend um halb neun in sein Büro kommen zum Nachsitzen ... ähm ... egal, zu wie vielen Partys du eingeladen bist."
Hermine war nicht glücklicher über diese Nachricht als Harry, denn nun musste sie tatsächlich alleine zu dieser Feier gehen. Während sie in ihren Schlafsaal ging, um angemessene Kleidung für diesen Anlass zu suchen, nahm sie sich vor, in der Nacht endlich den Brief von Lucius zu erwidern. Sie wollte wissen, was bei der Hausdurchsuchung abgelaufen war. Und sie wollte wissen, warum er sie mit seinen Worten ständig provozierte.
oOoOoOo
Lucius,
ich bin mir sicher, dass du dich noch an unser erstes Gespräch erinnerst. Daran, wie wenig Sympathie ich für dich aufbringen konnte. Und dir sind gewiss meine auch danach wiederholten Beteuerungen nicht entgangen, wie sehr ich dich hasse. Entsprechend wirst du sicherlich die Motivation verstehen, aus der heraus ich dich frage: Was ist bei der Hausdurchsuchung geschehen? Wonach wurde gesucht und was hast du erfolgreich verstecken können? Ich stelle dir diese Fragen, obwohl ich weiß, dass du sie mir nicht beantworten wirst – vielleicht motivieren sie dich gar, den Kontakt zu mir abzubrechen? Falls das geschehen sollte, hätte ich zumindest einen Erfolg zu verbuchen.
Ich frage mich ehrlich, was in deinem Kopf vorgehen muss, dass du denkst, deine arrogante, ja beinahe beleidigende Art mir gegenüber würde dich weiter bringen. Die Komplimente, die du mir machst, ebenso wie deine Unterwürfigkeit sind durchtrieft von Falschheit und Koketterie, dass selbst ein junges Mädchen wie ich das erkennen kann. Glaube nicht, dass ich blind über jedes Kompliment stolpere und mich darin sonne.
Dennoch gestehe ich dir zu, dass du meine Neugier geweckt hast. Du bist dir sicher, dass ich bei einem weiteren Treffen nicht anders könnte, als über dich herzufallen? Wir werden sehen. Ich werde am kommenden Samstag erneut an einer kleinen Feier von Professor Slughorn teilnehmen – zu der übrigens dein Sohn nicht geladen ist. Alle Schüler, die entweder herausragende Leistungen bringen oder gute Verbindungen versprechen, sind geladen. Der Name Malfoy zählt wohl nicht mehr viel? Jedenfalls werde ich nach der Feier nicht in meinen Schlafsaal zurückkehren, sondern runter ins Dorf gehen. Du hast den Eberkopf vorgeschlagen, ich bin einverstanden. Erwarte mich dort.
J.
Mit einem Seufzen legte Lucius den Brief zur Seite. Er hatte sich schon gedacht, dass Jean ihn nach der Hausdurchsuchung fragen würde, vermutlich dachte sie insgeheim, dass es ihm recht geschehen sei. Vielleicht war dem auch so. Fakt blieb jedoch, dass er sich den Umstand nicht erklären konnte. Sein Besitz war bereits zuvor gründlich untersucht worden und nur, weil man keinerlei gefährliche Gegenstände hatte finden können und einige fragwürdige beschlagnahmt hatte, war ihm überhaupt gestattet worden, nicht nach Azkaban zu gehen. Wieso also jetzt noch einmal?
Die einzige Erklärung, die er finden konnte, war, dass nicht sein Besitz, sondern jener von Draco Verdacht erweckt hatte. Was trieb der Junge? War mehr an seiner Prahlerei Jean gegenüber dran, als er, sein eigener Vater, gedacht hätte? Konnte man Draco gar Verbindungen zu den Todessern nachweisen?
Stöhnend rieb er sich seine Schläfe. Er war Lucius Malfoy. Er war es nicht gewohnt, Existenzängste zu haben. Und er war es nicht gewohnt, dass er nicht wusste, was seine Frau und sein Sohn trieben. Er war nicht in diese Welt geboren worden, um Angst zu haben. Andere hatten Angst vor ihm zu haben. Oder Respekt.
Doch Lucius war nicht der Mann, der lange trübsinnigen Gedanken nachhängen konnte. Rasch wanderte sein Geist zu den verheißungsvollen letzten Zeilen des Briefes. Endlich, endlich hatte er sie da, wo er sie haben wollte. Sie hatte immer noch nicht verstanden, welches Spiel er mit ihr trieb, und das war ihm nur recht. Er würde im Eberkopf auf sie warten. Sie wollte ihm beweisen, dass sie sich ihm nicht erneut hingeben würde? Das sollte sie ruhig versuchen, er wusste bereits jetzt, dass sie dieses Spiel verlieren würde. Ihr Verstand, ihr Stolz würden sie selbst stürzen. Es war lange her, dass er eine Frau kennen gelernt hatte, mit der er so perfekt Katz und Maus spielen konnte wie mit Jean. Vielleicht war sie sogar die erste, weil sie nicht nur außergewöhnlich intelligent, sondern eben auch vollkommen unerfahren und naiv war. Sie war so stolz auf ihre eigene Intelligenz, dass sie nicht erkannte, dass ihr Mangel an Erfahrung ihr einen nicht unbeträchtlichen Nachteil in diesem Duell verursachte.
Er hatte nicht vor, an jenem Abend nach ihrem Interesse zu betteln. Im Gegenteil, sie würde diejenige sein, die versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erwecken.
In Gedanken darüber versunken, was er alles mit ihr anstellen wollte, wenn sie sich ihm erst einmal hingegeben hatte, schenkte er sich ein Glas Whisky ein und grinste selbstgefällig in die Flammen seines Kamins.