„Danke, Kyle“, sagte Amelie, nachdem die Reitstunde vorbei war.
Obwohl sie nur im Schritt gelaufen war, war Sakura müde. Kyle hatte sie bestimmt eine Stunde in der Halle gehen lassen, mit ihm und Amelie auf dem Rücken. Sie war dankbar dafür, dass der Sattel und auch die Trense bald entfernt wurden und freute sich besonders auf die Gelegenheit, auf der Weide ihren Rücken zu kratzen.
Zuerst musste sie allerdings das Striegeln durchstehen, das für Kyle scheinbar noch wichtiger als das Reiten war.
„Du brauchst mir nicht zu danken“, sagte Kyle, während Amelie Sakura striegelte. Kyle stand nur daneben und sah zu, was Sakura ein wenig schade fand.
„Doch, das muss ich. Ohne dich hätte ich sie niemals zurückgekauft! Du musst das hier nicht tun, trotzdem hast du beschlossen, uns zu helfen. Ich … ohne dich … ich weiß nicht, was ich getan hätte, wer ich geworden wäre, wenn du mich nicht wieder zu ihr geführt hättest.“
„Sag ihr das selbst“, sagte Kyle plötzlich. Amelie hielt inne, um den jungen Mann anzustarren: „Was?“
„Du musst das Sakura sagen, nicht mir“, Kyles Stimme klang belustigt. „Ich warte draußen.“
Kyle ging und hinterließ Schweigen. Amelie striegelte nach einer Weile weiter. Sie standen im Stall, in Sakuras Box, die später gesäubert werden würde – während Sakura auf der Weide dem Rücken-Kratzen nachkam. Es war still, denn kein anderes Pferd war im Stall, und auch keine Menschen. Draußen bereiteten sich Vögel und Grillen auf die Nacht vor.
„Es ist lange her, dass wir so zusammen waren, was?“, begann Amelie etwas nervös. „Früher bin ich … oft im Stall geblieben, bis in die Nacht.“
Sakura schnaubte. Sie erinnerte sich. Amelie war sie lange geritten und hatte sie dann noch intensiv gestriegelt, gefüttert, ihre Mähne geflochten (ein zweifelhaftes Glück). Irgendwann waren Amelies Eltern dann aufgetaucht, die ungeduldig ihre Tochter suchten.
„Ich habe dich vermisst“, sagte Amelie und ließ die Bürste in ihren Schoß sinken. „Ich wusste überhaupt nicht, wie sehr du mir fehlst, bis Kyle mich auf diesen Hof gebracht hat, und mir gezeigt hat, dass du noch da bist. Also, damit meine ich: Du, wie du früher warst. Du bist immer noch meine Sakura, du hast dich durch den Unfall nicht plötzlich in eine Fremde verwandelt.“
Das freute Sakura. Halb hatte sie selbst befürchtet, nach dem Unfall ein anderes Pferd geworden zu sein.
Amelie legte die Bürste weg und griff nach dem Hufkratzer. Sie rollte zu Sakura und lachte. „Diesmal sollte ich wohl die Bremsen feststellen. Na komm, meine Liebe, hoch den Fuß.“
Sakura hob ein wenig zögerlich das Vorderbein, doch diesmal rutschte Amelie nicht weg. Sie hielt Sakuras Huf wie früher, umfasste die Fessel sanft und reinigte den Huf mit wenigen, schnellen Bewegungen. Dann löste sie die „Bremsen“, rollte zum Hinterhuf und tat dort das Gleiche.
„Ich hätte dich niemals weggeben dürfen“, sagte sie dabei. „Ich war nach dem Unfall wütend und verängstigt, und ich habe vielleicht zu sehr auf meine Eltern gehört, die noch viel mehr Angst hatten. Ich meine, stell dir vor, sie haben mich beinahe verloren. Zur Hälfe haben sie das ja auch.“
Amelie stockte, während sie Sakura umrundete und den dritten Huf in Angriff nahm.
„Ich wollte dich bestrafen, aber das hattest du nicht verdient. Es tut mir so schrecklich leid, dass du auf diesem Hof warst, dass du beinahe tot warst. Ich hätte das niemals tun dürfen.“
Sakura lauschte Amelie gebannt. Es tat gut, ihre Stimme zu hören, aber noch viel schöner war es, dass Amelie sich entschuldigte. Aber was hatten all die düsteren Sätze vom Verlieren zu bedeuten?
Amelie war jetzt beim letzten Huf angelangt. Sakura reichte ihr den Vorderhuf an und lehnte sich absichtlich ein wenig gegen Amelie, um deren Wärme zu spüren. Aber sie spürte auch, dass von Amelie erneut Angst ausging.
Da verstand Sakura zum ersten Mal, dass sie für Amelie jetzt ein sehr großes, sehr schweres Tier war, dass sie ein weißer Berg mit gefährlichen Hufen war, und dass Amelie in einem klapprigen Metallding saß.
Sakura lehnte sich zurück. Es war beinahe, als hätte sie sich selbst durch Amelies Augen gesehen, und das erschreckte sie ein wenig. War sie wirklich so furchteinflößend?
Amelie war fertig und lobte Sakura. Dann tat Amelie etwas, das Sakura lange vermisst hatte: Ihre Reiterin legte beide Arme um den Hals des Pferdes und schmiegte sich an sie. Sakura musste den Hals senken, denn Amelie stand immer noch nicht auf.
Aber trotzdem spürte sie Amelies Antwort: Sie war nicht nur furchteinflößend. Sie war auch geliebt!
„Du warst immer wie eine Schwester für mich“, sagte Amelie, gedämpft, weil sie in Sakuras Brust sprach, in das Fell dort atmete. „Ich liebe dich wie eine Schwester, Sakura.“