Im Fernsehen lief die Wiederholung einer Reportage, als Jana hochschreckte. Sie war im Sessel in der Wohnküche eingenickt. Es ging ihr inzwischen wesentlich besser, Markus meinte noch ein, zwei Tage Schonung und sie könnte wieder arbeiten. Allerdings war der Wohnbereich geräumt und die zwölf verbliebenen Bewohner im oberen Bereich brauchten wenig Hilfe. Herr Müller hatte mit Sylvia die Küche übernommen, Markus kümmerte sich mit den zwei Aushilfen aus dem nahe gelegenem Dorf um die übrige Versorgung. Eigentlich sollten sie alle demnächst evakuiert werden. Nur der Termin stand noch nicht fest.
In der Reportage ging es um die neue Seuche, die Mediziner hatten herausgefunden, dass der Überträger ein winziger Neuroparasit war. Eines der gefährlichsten und raffiniertesten Lebewesen der Evolution. Sie entern das Nervensystem und bestimmen fortan das Handeln ihres Wirtes. Im Extremfall über den natürlichen Tod hinaus. Während einer einer Schnecke zum Beispiel einen extrem großen Fühler wachsen ließ und diese dann zwang auf eine ungewöhnliche Position zu klettern, um Fressfeinde als Endwirt anzulocken, agierten diese anders. Sie benutzten keine Zwischenwirte. Sie nisteten sich gleich im Menschen ein, vermehrten sich, brachten dabei das Individuum zu Höchstleistungen, bis sie sich in einem gewissen Hirnareal festsetzen konnten um den Wirt zu zwingen, andere durch Bisse zu infizieren. Starb der menschliche Wirt, versuchten sie, den Körper zu regenerieren. Sie übernahmen das System und da sie zur Regeneration Eiweiß brauchten, fingen sie an, unkontrolliert zu fressen. Die Forscher hatten herausgefunden, dass das Virus nur mit Menschen kompatibel war. Keine andere Säugetierart, die gebissen wurde, zeigte Symptome, selbst Affen nicht.
»Verdammte Schweine, die machen ohne Hemmungen Tierversuche!«, empörte sich Sylvia, die gerade in die Wohnküche gekommen war. »Die lassen diese Scheißtoten Tiere beißen. Dann stecken sie die gebissenen Tiere mit anderen in einen Käfig, um zu schauen, ob die Ihresgleichen oder andere anstecken!«
»Immerhin haben sie herausgefunden, dass die Tiere sich nicht infizieren, egal wie oft sie gebissen wurden. Sie erwachen auch nicht nach ihrem Tod. Der Parasit scheint menschliches Blut zu brauchen, um zu überleben. Das ist einer der Beweise, dass er mit Hilfe der Gentechnik gezüchtet entwickelt wurde.«
»Wer entwickelt denn so eine kranke Scheiße!«, Sylvia schnaufte empört.
»Derjenige hatte sicher was anderes vor. Entweder biologische Kriegsführung oder jemand hat versucht, mit Hilfe des Parasiten Alter und Krankheit zu besiegen. Stell dir vor, dieses Biest in dir ist ein Jungbrunnen und frisst alles, was fehlerhaft ist. Du könntest Zeit deines Lebens gesund und jung sein. Und würdest nicht sterben, es sei, du hast einen Unfall. Gäbe es so etwas, die Leute würden Unsummen dafür zahlen. Allerdings müsste sein unkontrollierter Vermehrungstrieb ausgeschaltet sein.«
Der Wissenschaftler in der Sendung hatte eine ähnliche Vermutung. Ein Projekt, das aus dem Ruder gelaufen war. Inzwischen wusste man, dass die ersten Infizierten vor fast einem Jahr in der Nähe einer Klinik in Nordafrika aufgetaucht waren. Die Klinik galt als innovatives Prestigeobjekt eines Pharmariesen. Forschung an Tropenkrankheiten und Parasiten. Allerdings dementierte der Konzern scharf, dass die Seuche aus einem seiner Labore gekommen sein könnte. Es gab angeblich auch unabhängige Labore dort.
»Keiner wird zugeben, dass sie das Zeug entwickelt haben. Und durch die Vertuschungen konnte sich der Mist weiter ausbreiten. Wäre es eine Zombieseuche wie im Film, hätte man ja eine Chance, aber da die Infizierten am Anfang ganz normal sind und die Inkubationszeiten total unterschiedlich sind, wird die Bekämpfung schwer. Ich meine Baier war infiziert, eindeutig und noch total normal, dagegen die Alten, die sind gleich durchgedreht!«
»Naja, normal würde ich Baier nicht bezeichnen. Der war ja noch penibler als sonst und wie perfekt er ganz allein den unteren Bereich hinterlassen hat, als er mitten in der Nacht mit den Leuten weg ist!«Sylvia griff nach der Schnapsflasche. »Markus hat heute Morgen mit einem Bewohner von oben geredet, der war ein hohes Tier beim Militär und hat noch Verbindungen, er versucht zu erreichen, dass wir alle etwas eher evakuiert werden. Unsere Vorräte halten nicht mehr ewig. Er hat sich gleich hinter das Telefon geklemmt, als er erfahren hat, wie wenig noch da ist.«
Das Licht flackerte und verlosch. Schon wieder. Die Stromversorgung schwankte und Müller hatte schon vor ein paar Tagen vor einem Totalausfall gewarnt. Es gab zwar ein Notstromaggregat, doch das würde nicht mehr lange einspringen können.
Sylvia entzündete die Kerzen und stellte eine Batterieleuchte auf, als der Strom wieder ansprang. »Ich geh Abendessen machen in den Wohnbereich, bin in zwei Stunden wieder da«, verabschiedete sie sich von Jana und wollte sich gerade fertig machen um nach drüben zu gehen, als sie dumpfe Schläge hörten.
»Waren das Schüsse?«, fragte Jana. Sylvia hob die Schultern und wischte sich über die Stirn. Sie blieb wie gelähmt stehen. Jana versuchte Markus im Wohnbereich telefonisch zu erreichen, doch er ging nicht ans Handy. Auch Müller war nicht zu erreichen.
Kurz darauf erschien Markus in der Wohnküche. »Verdammte Scheiße! Der Oberst ist durchgedreht. Er hat den ganzen Tag telefoniert, dann hat er mit den anderen Bewohnern Kaffee getrunken, geschrieben und mich am Abend gebeten für die Mannschaft aus seinem Kellerabteil Wein zu holen. Als ich unten war hörte ich mehrmals etwas knallen, bin dann wieder hoch, weil ich dachte etwas wäre umgefallen, da steht der Oberst da, sagt sorry und schießt sich in den Kopf. Und dann sehe ich die anderen Bewohner, alle auf ihren Stühlen im Aufenthaltsraum, jeder von ihnen tot. Kopfschuss. Die haben sich einfach von ihm erschießen lassen, wie Schafe!«
Er warf einen Brief aus den Küchentisch. »Das Schreiben des Oberst.«
Lieber Markus,
es ist mir gelungen, meine Einheit zu erreichen. Eine Evakuierung ist in den nächsten Tagen noch nicht möglich. Die Lage im Land unter Kontrolle zu bringen ist aussichtslos. Meine Kameradinnen und Kameraden hier haben den Entschluss getroffen, diese Weltgemeinsam mit mir in Würde zu verlassen. Bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten und vielen Dank für Ihre Bemühungen. Retten Sie sich, solange Sie können. Im Falle dass Sie sich für unseren Weg entscheiden, meine Waffe hat noch zwei Magazine im Schrank
Mit den ergebensten Wünschen Ihr.Oberst aD Bensheim
»Und hier, Abschiedsbriefe von jedem einzelnen. Sie haben im Fernsehen gesehen was läuft und wollen lieber nach einem Kaffee und gutem Stück Kuchen gemeinsam gehen. Einige haben sich sogar per WhattsUp von ihrer Familie verabschiedet, die werden jetzt uns die Schuld geben, dass wir das Ganze nicht verhindert haben! Wir sind sowas von im Arsch.« Markus wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn. Jana dachte nach. Das hätte keiner ahnen können und trotzdem, selbst wenn keiner der einflussreichen Angehörigen ihnen einen Vorwurf machen konnte, sie wusste, wie diese Leute tickten. Müller, der inzwischen auch da war, dachte ähnlich.
»Wir lassen die Toten so sitzen, wie sie sitzen, machen Kopien von den Abschiedsbriefen und schicken sie der Polizei und der Leitung und dann verschwinden wir. Ich meine das sind alle Mordopfer, die dürfen wir eh nicht bewegen, bevor die Polizei da ist. «, bestimmte der Hausmeister.
Markus und Sylvia nickten. Da der Strom schon wieder ausgefallen war und die Vorräte zur Neige gingen, beschlossen sie gemeinsam am nächsten Tag die Autos vollzuladen und zu verschwinden. Die Kripo hatte Markus schon per Fax und Mail informiert, da keine der Nummer erreichbar war, die der Typ am Notfalltelefon durchgegeben hatte. Die hatten Probleme, als sich um ein paar Tote in einem Heim zu kümmern.