Woher kannte sie das Gesicht nur? Phoebe schluckte und suchte nach ihrer Stimme: „Ich – ich wollte nur -“
Ihre Stimme klang rau nachdem sie sie so lange nicht benutzt hatte.
„Nicht stottern, Mädchen. Da wird jeder misstrauisch!“, schimpfte die Frau und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück: „Bist du etwa ausgerissen?“, fragte sie direkt.
Phoebes Herz schlug ihr bis zum Hals. Doch sie antwortete ruhig: „Nein. Ich besuche Verwandte.“
„Geht doch!“, bekundete die Frau, als hätte Phoebe eine Aufgabe zufriedenstellend abgeschlossen: „Warum nicht gleich so?“
„Ich – weiß nicht, was Sie meinen“, stellte Phoebe sich dumm.
Die Frau beugte sich wieder vor: „Halt mich nicht zum Narren. Du bist Sue, diese Ausreißerin, richtig?“
Phoebe öffnete den Mund, um alles ab zu streiten, doch kein Laut kam über ihre Lippen. Ihr Gesichtsausdruck verriet sie.
„Ich heiße Nadja“, stellte die Frau sich vor und reichte ihr eine Hand.
„Ph-Phoebe“, sagte Phoebe kleinlaut.
Nadja legte den Kopf schief: „Sehr schöner Name. Wie bist du darauf gekommen?“
„Woher kennen Sie mich?“, fragte Phoebe ihrerseits.
„Ich verfolge die Nachrichten“, plauderte die Frau fröhlich und bemerkte Phoebes abweisende Haltung: „Keine Sorge, Mädchen, ich werde dich nicht verpfeifen.“
Ein gewinnendes Lächeln. Phoebe dachte daran, wie oft sie auf fremde Menschen hereingefallen war.
Sie griff nach ihrer Tasche: „Ich muss hier raus.“
„Das musst du nicht. Du kannst mir vertrauen, ehrlich“, sagte Nadja: „Ich bin auf deiner Seite … sozusagen.“
„Niemand ist auf meiner Seite“, erwiderte Phoebe, entschlossen, dieser seltsamen Fremden so bald wie möglich zu entkommen. Der Name sagte ihr nichts, vielleicht hatte Nadja nur ein ähnliches Gesicht wie jemand, den sie kannte.
„Dann komm auf meine Seite“, bot Nadja an und hielt die Tür zu, dass Phoebe nicht hinaus konnte: „Allein hast du kaum eine Chance.“
„Ich komme zurecht“, knurrte Phoebe unwirsch und überlegte, ob sie sich aus dem Abteil kämpfen sollte.
Nadja schien ihre Gedanken zu erraten und nahm die Hand zurück: „Geh, wenn du willst. Aber ohne Hilfe werden sie dich bald geschnappt haben.“
Phoebe schnaubte: „Keine Chance!“
„Du wirst wegen Mordes gesucht“, sagte Nadja und Phoebe erstarrte auf halbem Weg zur Tür: „Was?!“
„Sie wissen, dass du den Mann umgebracht hat. Die Mordkommission ist dir dicht auf den Fersen. Wenn ich dich gefunden habe, werden sie das auch können!“
Phoebe drehte sich zurück: „Sind Sie von der Polizei?“
Nadja lachte: „Alles andere als das. Ich kann dir helfen.“
Phoebe zögerte, hin- und hergerissen zwischen Vorsicht und der Angst vor den Verfolgern.
Man durfte sie nicht schnappen. Dann wäre alles umsonst gewesen. Vier Jahre harter Arbeit. Man würde ihre Intelligenz erkannt haben, und ihr schauspielerisches Talent, ihre einzigen Trümpfe in diesem Spiel. Sie schluckte.
Konnte sie Nadja vertrauen? Log die Frau vielleicht?
„Ich kann es dir beweisen, wenn du noch ein paar Minuten warten kannst“, schlug die Frau vor und Phoebe blieb in der Tür stehen.
„Ich überlege es mir.“