8. Kapitel
Nachbarschaftshilfe
Wir alle wussten natürlich nicht, was für eine Geschichte diesem Chaos, das wir nun erlebten, vorausgegangen war. Wäre das der Fall gewesen, hätten wir zumindest einiges besser verstanden. Doch so blieb uns nichts Anderes übrig, als uns vorläufig mit dem zufrieden zu geben, was wir schon wussten, nämlich, dass vermutlich irgendein gefährliches Virus für diese Zombieinvasion verantwortlich war. Wir hätte es auch anders sein können, all die Klischees der vielen Zombie- Storys die wir schon kannten, mussten ja schliesslich erfüllt sein ;-). Nun, so konnten wir wenigstens auch das eine oder andern von diesen Storys abschauen. Rubius und Karl vermuteten, dass man die Zombies wohl hätte töten können, in dem man ihre Verbindung zwischen Körper und Gehirn gekappt hätte. Denn eigentlich sass das Virus ja im Gehirn und wenn dieser vom Körper getrennt wurde, dann konnte er auch keinen Schaden mehr anrichten. Oder… lebte der Kopf dann womöglich weiter und konnte immer noch beissen? Ganz sicher waren sich da auch unsere Lehrpersonen nicht. Immerhin hatten sie auch nie Gelegenheit gehabt, in diesem Bereich genauer zu recherchieren (und ganz ohne Recherche, ging es auch bei ihnen meistens nicht). Auch gewisse Feldstudien fehlten zu diesem Thema, denn mit einer Zombie- Invasion rechnete schliesslich keiner, der einigermassen bei Verstand war. Wie auch immer, noch hatten wir Hoffnung, dass sich das Virus, das all unsere armen Mitarbeiter und Schutzbefohlenen (und wen auch immer sonst noch) befallen hatte, mit irgendeiner Medizin aufgehalten werden konnte. Doch da wir alle keine Mediziner, nicht mal Laboranten waren (ausser vielleicht in der Schule des Lebens), hatten wir keine Ahnung, wie man so etwas auch nur im Geringsten entgegenwirken konnte. So versuchten wir erstmal unser geliebtes Schulhaus zu befestigen und jenen zu helfen, die der Hilfe bedurften. In der Hoffnung, dass man uns irgendwann ebenfalls zu Hilfe eilen würde.
Gerade hatten wir auch noch die beiden Obergeschosse durchsucht und noch den einen oder andern Zombie ausser Gefecht gesetzt, da hörten wir auf einmal lautes Hämmern an der südlichen Eingangstür. Wir liefen in den Flur und erblickten unsere Nachbarn Herr und Frau Marquart, welche mit angstgeweiteten Augen an der Türe klebten und riefen, dass wir bitte aufmachen sollen. Etwas weiter hinten, erblickten wir eine Gruppe von sicher einem Duzend Zombies, die den armen Marquarts wild geifernd, knurrend und stöhnen folgten. «Grundgütiger! » entfuhr es unserem Schulleiter. «Wir müssen ihnen sofort helfen! » Er eilte zur Tür und öffnete sie. «Schnell rein! »
«Danke, danke! » keuchten die Marquarts. «Unser Haus wurde richtiggehend überrannt. Es war, als ob es all diese… sie rangen um Worte «… Monster auf uns abgesehen hätten. Uns blieb nichts, ausser um unser Leben zu rennen und darauf zu hoffen, dass es hier vielleicht sicherer ist. » «So sicher, wie es in Zeiten wie diesen noch möglich ist, » gab unsere Schulleiter zur Antwort, während er mit einem Auge ziemlich ängstlich zu den vielen Zombies schielte, die sich nun an der dicken Glastür versammelten und anfingen dagegen zu hämmern. Ihre grotesken Gesichter und ihre hungrigen Mäuler, drückten sie gegen das Glas. Es sah wahrlich beängstigend aus. Die Meisten von ihnen, waren recht junge Leute, ungefähr im Oberstufenalter, wie ich erstaunt feststellte. Jene die uns am frühen Morgen verfolgt hatten, waren auch darunter. «Wir müssen die Türen noch zusätzlich sichern, » meinte mein Mann nüchtern zu mir. «Wir könnten die Tische und Stühle aus dem Mehrzwecksaal und die aus der Küche nehmen, um sie an die Scheiben stellen. » Ich nickte und mein Mann wandte sich an die andern. «Besser wir verschwinden erst mal hier, dass sie nicht noch mehr Appetit bekommen! » Die anderen, auch Familie Marquart nickten zustimmend. Letztere waren bleich und erschöpft und sie schienen wirklich sehr dankbar für ihre Rettung zu sein.
Wir führten sie erst mal ins Lehrerzimmer, wo sie sich müde auf zwei Stühle sinken liessen und einem Augenblick lang nur vor sich hinstarrten. Sie mussten ziemlich traumatisiert sein, was im Angesicht dessen, was sie gerade durchgemacht hatten, auch nicht verwunderlich war. Mona und ich reichten den beiden ein Glas Wasser und etwas Schokolade, das sie dankbar annahmen.
Ich musterte sie und hatte das Gefühl, sie seien nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Die Marquarts waren das, was man ein typisches, alterndes Spiesserpärchen nannte. Sie hatten keine Kinder (jedenfalls keine, von denen wir wussten) und ihr Garten und ihr Häuschen, das am Rande des Schulgeländes stand, war ihr ganzer Stolz. Perfektionistisch entfernten sie jedes Laubblatt, das auf ihren Vorplatz wehte sofort, sie schnitten ihre Bäume und Büsche akkurat in die richtige Form, ihre Wiese sah aus wie ein Golfrasen in Kleinformat, edle Steinplatten säumten den Garten, umgeben von weissem Kies, und Steinskulpturen in der Form von Täubchen schmückten den Eingangsbereich. Überall gab es hohe Sichtschutzhecken, sie hatten an jeder Ecke Kameras installiert und natürlich durfte auch eine Anti Hundekot- Tafel und ein Marderschreck (aber vor allem, um die Jugendlichen abzuhalten) nicht fehlen.
Immer mal wieder schlugen wir uns mit den Marquarts herum. Sei es, weil es bei uns drüben etwas zu lärmig war, mein Mann zu wenig, oder zu oft Rasenmähte. Die Kinder der Schule ihrem Häuschen zu nahe kamen etc. etc. Einst hatte Frau Marquart meinem Mann angeboten, zu einem Kaffee zu ihr zu kommen, damit sie ihm mal eine Liste von all dem geben konnte, das sie gerne anders gehabt hätten (diese Einladung hatte mein Mann jedoch wohlweislich nie angenommen).
Nun aber sassen die Marquarts hier und ich konnte nur noch tiefes Mitleid für sie empfinden. Nachdem sie sich wieder etwas gefangen hatten, begannen sie zu erzählen:
«Der Tag hat ganz normal begonnen. Wir stehen ja meist recht früh auf, um ein wenig Ordnung um das Haus zu machen, bevor es zu heiss wird, » sprach Herr Marquart. «Wie üblich machte ich meinen alltäglichen Rundgang durch den Garten, stutzte da und dort noch ein rebellisches Gräschen oder Blättchen mit meiner Schere… » Er holte eine kleine Schere hervor, die er in der Tasche trug, um uns seine Tätigkeit zu veranschaulichen. Auf die Gesichter der Zuhörer stahl sich ein leises Schmunzeln, das diese jedoch, so gut als möglich, zu unterdrücken suchten.
«...Da auf einmal tauchten diese… Jugendlichen auf… ich wollte sie verjagen, denn in unserem Garten hat niemand etwas zu suchen. Doch irgendwas stimmte nicht mit ihnen. Sie gaben seltsame Geräusche von sich und mehr und mehr von ihnen, taumelten daher. Langsam wurde mir Angst und Bang und ich wollte ins Haus laufen, um die Polizei zu rufen. Doch da kamen noch mehr dieser… dieser Kreaturen und versperrten mir den Weg. Ich sagte ihnen in heiligem Zorn meine Meinung, aber sie reagierten gar nicht. Sie wurden immer unruhiger und aggressiver, knurrten und stöhnten so seltsam. Sie schienen etwas im Garten zu suchen. Es stellte sich heraus, dass es wohl unser Marderschreck war. Sie müssen wissen, wir haben diesen Marderschreck eigentlich, um irgendwelche, randalierende, saufende Jungspunde von unserem Hab und Gut fernzuhalten. Man weiss ja, dass der Marderschreck hochfrequente Töne erzeugt, welche auch sehr störend auf ein jugendliches Gehör wirken sollen. Wir Älteren hören das nicht mehr so gut, aber es ist effizient, damit sie es sich nicht zu gemütlich machen, diese…» Er wandte sich an meinen Mann «sie wissen schon was ich meine. » «Ja, das weiss ich, » gab mein Mann erstaunlich gleichmütig zur Antwort. «Wir schlagen uns ja auch öfters mit solcherlei Leuten herum. » «Dann verstehen sie mich ja. » «Jaja, natürlich. Die Jugend Zombies wurden also von ihrem Marderschreck angelockt? » «Ja, irgendwie zog sie dieser Ton an wie die Fliegen und machte sie zugleich völlig wahnsinnig. Sie begannen…» Er musste innehalten, denn er war kreidebleich geworden und sein hagerer Körper zitterte wie Espenlaub.
Seine Frau, meist die Resolutere der beiden, fuhr fort: «Sie haben angefangen unseren Garten zu zerstören, alles haben sie dem Erdboden gleichgemacht. Ein Massaker sondergleichen, kann ich ihnen sagen. Es war einfach nur schrecklich. So viel Zeit und Liebe steckten wir in diesen Garten. Doch nun… ist alles… futsch. Wir wollten im Haus Zuflucht suchen, doch die… Zombies waren so rasend, dass sie es schafften hinein zu kommen und dann ging die Zerstörung weiter. Alles, alles… einfach dahin. Alles zerstört. Nichts ist uns mehr geblieben! » «Ausser ihrem Leben, » gab Karl Krause zur Antwort und ein etwas ironischer Unterton, schwang in seiner Stimme mit. «Das ist doch immerhin etwas. » Die Marquarts schauten den Schulleiter einen Augenblick lang etwas ärgerlich an, doch dann sprachen sie. «Ja, sie haben vermutlich Recht, wir müssen dankbar sein, dass wir noch leben. Meinen sie, das Schulhaus ist sicherer? » «Also mit der einen oder anderen Massnahme, werden wir hier sicher eine ganze Weile überleben können,» erwiderte der Schulleiter. «Wir haben alle Zombies ausser Gefecht gesetzt, die hier drin waren…» Wie um seine Worte noch zu unterstreichen, erklang auf einmal ein zombiehaftes Stöhnen aus dem kleinen Nebenraum im Lehrerzimmer. Herr und Frau Marquart zuckten zusammen und schauten entsetzt in die Richtung von wo her das Geräusch kam. «Aber… dadada sind noch welche, ich höre sie ja! » sprach der Mann und Panik spiegelte sich in seinem Gesicht. «Die sind gut versorgt. Wir haben sie gefesselt und festgebunden, » sprach Karl gelassen.
«Ausserdem lassen sie sich beruhigen, wenn sie einen Sack, oder eine Schachtel über dem Kopf haben, » fügte Mila Vogelsang noch erklärend hinzu. «Sie wissen ja so wie Tiere, Kaninchen z.B. die lassen sich so auch beruhigen und noch anderes Getier… Aber das tut ja nichts zu Sache! » sprach sie schnell, als der eiskalte Blick der Marquarts sie traf. Die beiden schienen nicht zum Scherzen aufgelegt (was ja eh selten der Fall war). «Wie auch immer, » kam ihr Mona zu Hilfe «Wir können ja nicht einfach all unsere Lehrer, oder gar Schüler umbringen. Denn vielleicht gibt es ja ein Heilmittel. So setzen wir sie ausser Gefecht und sperren sie ein. Aus diesem Raum können sie nicht entkommen, er hat keine Fenster und die Türe ist doppelt und dreifach gesichert, wie sie sehen können. » Die Marquarts musterten die besagte Tür und Herr Marquart rüttelte an den Brettern die wir davor genagelt, und an der Spezial- Türfallensicherung, die mein Mann montiert hatte. «Nun… es sieht so aus, als würde das Ganze ziemlich gut halten. » stellte unser Nachbar etwas beruhigt fest. «Aber… kommen die das draussen auch wirklich nicht ins Schulhaus rein? » «Wir sind gerade daran auch die restlichen Türen und Fensterfronten zu befestigen, » sprach ich. «Wir nehmen Tische und stellen sie davor, ausserdem sichern wir die Eingänge noch zusätzlich. » «Das klingt ja schon mal ganz gut, » sprach Frau Marquart «können sie noch Hilfe von uns gebrauchen? » Wir nickten und zusammen machten wir uns daran das Schulhaus noch sicherer zu machen.