„Können Sie so schnell wie möglich herkommen? Der Hund hat die Frau gebissen!“, wurde bei dem Notruf entgegengenommen.
„Adresse, Telefonnummer?“, fragte die Disponentin aufgeregt. „Der Arzt fährt sofort los!“
Wir fuhren wegen des Notrufes los.
Da war ja die Adresse. Das zweistöckige, private Haus. Gesperrt. Dann erblickten wir den großen Hund innerhalb des Gärtchens. Der Hund fing an uns laut an zu bellen. Wir sahen eine Frau, die sich hinter der Hauseingangstür versteckte, ihr Gesicht war voller Blut. Trotzdem konnten wir nicht eintreten, weil es verboten für die diensthabenden Rettungsmitarbeiter ist, sich in Gefahr zu bringen: Der Hund war der Zentralasiatische Owtscharka - potentiell gefährlicher Hund.
Wir riefen Polizei und Feuerwehr an, die uns unbedingt helfen müssen, den Kampfhund unschädlich zu machen. Schnell hatte sich eine schaulustige Menge, die sofort anfing viele Ratschläge zu geben, angesammelt.
Zwischenzeitlich versuchten wir, den wahren Sachverhalt zu erfahren. Es wurde aufgeklärt, dass diese versteckte Frau im Haus, die Nachbarin war. Vor einer Stunde hatte die Hausherrin sich mit ihr unterhalten, neben der offenen Hoftür. Der Hund, der ohne Leine im Hof ruhig spazieren war, hatte plötzlich geknurrt und die Nachbarin angesprungen. Zuerst biss er sie ins Bein. Die Frau hatte einen Angstgeschrei ausgestoßen und versucht, sich frei zu machen: Erfolglos, sie fiel nur auf dem Boden, auf dem fremden Hof hin. Die Besitzerin des Hundes und des Hauses hatte nichts machen können: Der Hund war sehr groß und kräftig. Inzwischen hatte das Tier der Nachbarin in das Gesicht gebissen.
Die anderen Nachbarn hatten den Schrei der Frau gehört und liefen her, um zu helfen. Ein Mann hatte eine lange, metallische Stange gegriffen und versucht, das Halsband des Hundes einzuhacken. Das half. Der Hund hatte sich ablenken lassen und die Frau, die von dem Gebiss des Hundes frei gemacht worden war, hatte sich hinter der Tür des Hauses der Nachbarn versteckt. Zu diesem Zeitpunkt sind wir gerade hingefahren.
Es ist schrecklich, wenn man nichts machen kann, um zu helfen: Wir konnten wegen des Hundes nicht eintreten. Es war immer noch keine Polizei da, aber die Russen sind immer die ideenreichen Menschen. Zuerst versuchte der Herr des Hauses, der gerade von der Arbeit gekommen war, mit jemandem im Haus zu telefonieren, um den Zustand der Nachbarin zu erfahren und einige Ratschläge zu geben. Das führte zu einem Erfolg. Sie hat den Anruf entgegengenommen.
Das Haus hat zwei Stöcke, und auf dem oberem wurde ein Balkon mit einer Tür gefunden, die gerade zur Straße führte. Wir wiesen der Frau an, dass sie durch den Balkon rausgehen soll. Die Nachbarn hatten schon die Leiter vorbereitet. Zwei robuste Männer waren schnell auf den Balkon geklettert, die Frau wurde leicht von ihnen gegriffen und auf den Boden heruntergelassen. Eine halbe Arbeit war gemacht.
Als wir begannen, die Patientin zu behandeln, zeigte sich, dass sie sehr schwere Verletzungen hatte. Sie hatte einen tiefen Riss am rechten Oberschenkel, die Wunde war sehr groß, mit vielen Weichteillappen. Als wir versuchten, die Gesichtswundtoilette durchzuführen, begann die Frau sich an dem Antiseptikum zu verschlucken: Es war offenbar die perforierende Orbitalhöhlenverletzung und Blutung im Glaskörperraum. Es war halbe Sache, diese Frau lebendig ins Krankenhaus zu bringen. Danach fingen wir an, die Rekonstruktionsarbeiten des Gesichtes und der anderen Körperteile durchzuführen.
Die bisher gesunde Frau war plötzlich, durch einen Zufall oder eher einer Sorglosigkeit, behindert geworden. Das war auf jeden Fall eine persönliche Tragödie. Aber das ist eine andere Geschichte.
Später führte ein TV-Reporter ein Interview mit mir. Zum wiederholten Male erklärte ich, dass sogar die Haustiere, die einfach die gewöhnlichen Tiere sind, beißen können. Noch einmal bat ich die Leute darum, damit verantwortungsbewusster zu sein. Ich hoffe, dass es ein Ergebnis zeigte.
Straubing, Deutschland, August 2018 (Erinnerung an Pawlowsk, Russland, 2010)
Danke an Okami Kitsune Sombinija für die Hilfe und Korrektur.