Zu dieser Geschichte muss ich euch erklären, dass ich geschieden, und lange Zeit Alleinerziehend war. Hier beschreibe ich die erste Hochzeit meiner Tochter. Es ist schon verwirrend, wenn man das gesamte "Verwandtschaftsknäuel" auf einmal sieht..sehen muss, inclusive des Exmannes und seiner Frau. Damals wohnte ich schon länger mit meinem zweiten Mann zusammen, aber wir waren noch nicht verheiratet....
Endlich war der große Tag gekommen. Ein ganzes Jahr über hatte ich lange Telefongespräche mit meiner Tochter geführt und versucht, sie zu beraten, wo es nichts zu beraten gab.
Die Hochzeit von Margit und Dieter war bis ins kleinste Detail geplant. Keiner konnte ahnen, dass kurz vor der dem großen Ereignis die Wände in ihrer Eigentumswohnung vor Nässe zu triefen beginnen würden. Das junge Paar musste laut dröhnenden Bautrockner einsetzen lassen, um das trübe Rinnsal stinkenden Wassers, das sich von der Terrasse aus an den Wänden des Schlafzimmers ausbreitete, aufzuhalten.
Die Hochzeitsvorbereitungen waren perfekt. Ich gab meinen Beitrag zur Hochzeitszeitung ab, und brauchte mich um nichts zu kümmern. Ich musste weder meinem Schwiegersohn gut zureden, noch wie ich befürchtet hatte, meiner laut kreischenden Tochter das zu enge Brautkleid überstülpen. Ich hatte nichts Weiteres zu tun, als mit meinem Lebensgefährten Karl, und meinem Sohn Thomas nach München anzureisen.
Am Tag der standesamtlichen Trauung regnete es in Strömen, als wir auf die Autobahn fuhren. Während ich auf die hin und her hüpfenden Scheibenwischer starrte, schlief ich ein und sah im Traum meine Tochter im feuchten Brautkleid mit vor Nässe schwerem Schleier und in Strähnen herabhängenden Haaren vor der Kirche stehen. Dieter versuchte ihr einen Schirm zu geben, rutschte aber im Matsch aus, und beschmutzte sich seinen Anzug. Der Pfarrer hatte Gummistiefel unter seiner Soutane, und die übrigen Hochzeitsgäste bildeten eine graue, feuchte undurchdringliche Masse.
Als ich erwachte, funkelten Sonnenstrahlen durch die Heckscheibe des Autos und wärmten uns. Der Horizont war tiefblau, und München nicht mehr weit.
Vor dem Standesamt wartete Dieters Verwandtschaft einschließlich meines ehemaligen Gatten Gregor, dem Vater meiner Kinder. Daneben gab es braune, grüne, rote und blau angezogene Damen, und schwarz - lila bekleideten Herren in großer Anzahl.
Gregor verwickelte mich in ein Gespräch über Erbschaftsangelegenheiten. Er wusste auch, wohin wir zu gehen hatten, und so folgte ich ihm mit Karl und Thomas ins Standesamt.
Nachdem die Standesbeamtin eine Rede über Sinn und Inhalt der Ehe gehalten hatte, traute sie das junge Paar. Danach traf sich die Verwandtschaft im Garten hinter dem Standesamt. Ein Fotograf lichtete uns ab, wobei ich neben Gregor stehen musste.
Danach gingen wir zu Margit und Dieter nach Hause. Die Bautrockner waren ausgeschaltet, und für kurze Zeit herrschte wohltuende Ruhe. Karl begab sich, wie es sich für einen Hobbykoch gehört, in die Küche um das Gulasch, das er gekocht und mitgebracht hatte, aufzuwärmen. Nach und nach kam auch Dieters Verwandtschaft und nahm schnatternd das Wohnzimmer in Besitz.
Ich setzte mich auf die Couch neben Dieters Opa. Er musterte mich wortlos, seine Augen hinter der Brille funkelten neugierig. „Sind sie Margits Mutter?“ fragte er dann. Als ich ihm das bestätigte, seufzte er tief auf: „Ich bin froh, dass die Beiden verheiratet sind. Jetzt hat alles seine Ordnung es ist so, wie es sich gehört. „“Aber natürlich,“ antwortete ich höflich und verschwieg, dass ich seit zwanzig Jahren von Gregor geschieden war, und mit Karl seit acht Jahren in einer „wilden Ehe“ lebte. Während Opa begann, von seinem Hobby zu erzählen, sah ich vor meinem inneren Auge Dieters feine Verwandtschaft mit verzerrten Gesichtern und erhobenen Fingern auf Karl und mich, die zwei unverheirateten „jungen Alten „ zeigen. Meine Tochter wurde meinetwegen geschmäht, und drohte mir, nie mehr mit mir zu reden, wenn ich nicht heirate. Als ich mich anschickte, in die Knie zu gehen, um sie zu bitten, mir noch eine Frist zum Überlegen zu geben, rief Karl aus der Küche: „Das Gulasch ist fertig.“ Erleichtert setzte ich mich an den Tisch zu den anderen Gästen.
Nach mehreren Stunden Small Talk und einem Gläschen Sekt fanden wir uns in einem Weißbiergarten wieder. Karl trank ein Bier nach dem anderen, und die Frau neben mir bestellte sich einen Pfefferminztee, womit sie bei den Kellnern Aufruhr verursachte.
Als wir ins Hotel aufbrachen, folgte ich mit schwerem Kopf und müden Beinen dem Verwandtschaftsknäuel, legte mich in mein Hotelbett, und schlief beruhigt ein. Bestimmt würde auch Morgen, bei der kirchlichen Trauung, alles gut gehen. Meine Tochter hatte mich gebeten, in der Kirche eine Lesung zu machen.
Der nächste Tag begrüßte uns mit strahlendem Sonnenschein. Nur ein paar Wolkenfetzen trieben über den weiß-blauen Münchner Himmel. Das Frühstück nahmen wir im Garten des Hotels ein. Während wir den wässrigen Kaffee tranken, und die aufgebackenen Brötchen aßen, schwärmte Karl vom bayrischen Essen. Die Vorstellung, heute noch eine Schweinshaxe zu bekommen, beflügelte seine Phantasie. Kurz danach kamen Dieters Eltern mit ihrem Boxerhund Zeus zum Frühstück. Zeus kroch unter dem Tisch und sabberte, wie es sich für einen Boxer- rüden gehört, schweigend auf den Boden. Karl wechselte abrupt das Gesprächsthema. Über eine Schweinshaxe zu reden war ihm nun offenbar zuwider.
Nach einem Spaziergang im Garten des Nymphenburger Schlosses begaben wir uns in den Biergarten zum Mittagessen. Ich kramte das Blatt, auf dem alles für die Lesung notiert war, aus meiner Handtasche.
„Als das Leben am Anfang stand, fielen unzählige Kugeln auf die Erde. Bei ihrem Aufprall zersprangen sie in zwei Hälften,“ zitierte ich laut. „Ich nehme ein Bier und ein Schnitzel,“ sagte Karl. „Das nehme ich auch, aber mit Pommes,“ ergänzte Thomas.
Männer haben keinen Sinn für solche Dinge. Ihr Verlangen nach einem Glas Bier einer Schweinshaxe und einem dicken Schnitzel scheint wichtiger zu sein als die Dichtkunst. Die Kellnerin bemerkte meine Unruhe, ich hatte kein Bier bestellt. Interessiert erkundigte sie sich nach dem Blatt. Als ich ihr erklärte, was es damit auf sich hat, sah sie mich mitleidig an, und sagte: „Herzliches Beileid.“
Nach dem mir jeder der Anwesenden auf seine eigene Art Mut zugesprochen hatte, entschloss ich mich, diese Lesung alleine hinter mich zu bringen. Wir gingen ins Hotel, um uns umzuziehen. Ich fand sofort meine Hühneraugenpflaster und den Druckstellenschutz für die Ballen. Die neuen Schuhe ließen sich nahtlos darüber streifen, und das Kostüm passte trotz der Kalorienbomben vom Vortag.
Im Auto durchwühlte ich nervös meine Handtasche und suchte das Blatt mit dem Lesungstext. Während meine Schuhe zu drücken begannen, versuchte ich, mich auf den Inhalt zu konzentrieren.
„Als das Leben am Anfang stand, fielen unzählige Kugeln auf die Erde. Bei ihrem Aufprall zersprangen sie in zwei Hälften,“ las ich leise.
In der Zwischenzeit waren wir in dem Ort angekommen, in dem geheiratet werden sollte. „Hier gibt es zwei Kirchen, welche ist die richtige?“ Fragte mich Karl nervös. Es ist die ältere,“ antwortete ich angespannt.
„Uneben und frei auseinander geteilt symbolisieren sie die unterschiedlichen Charaktere zweier Menschen. Doch jede dieser verschiedenen Halbkugeln ist für ein Gegenstück bestimmt, wie auch zwei Menschen füreinander bestimmt sind,“ las ich.
„Hier ist der Ort zu Ende, wo ist die Kirche?“ Jammerte Karl neben mir.
„Wir alle sind auf der Suche nach unserer anderen Hälfte,“ las ich weiter. „Wenn ihr glaubt, ihr habt eure andere Hälfte gefunden, dann werdet ihr feststellen, dass die beiden Kugeln oft nur an einer einzigen Stelle passen, was ihr durch sorgfältiges Drehen und Probieren herausfinden könnt. Es ist natürlich, dass es immer wieder hakt und hängen bleibt.“
„Wir werden zu spät kommen, „ sagte Karl verzweifelt. Wo hast du den Plan, auf dem die Wegbeschreibung eingezeichnet ist?“ Mit einem Seufzer kramte ich ihn aus meiner Handtasche und ergänzte: „Es gibt in diesem Ort nur zwei Kirchen. „
Sekunden später ging ein Leuchten über Karls Gesicht. Er hatte die Kirche gefunden.
„Aber genau das macht Sinn, denn nicht alles kann von vornherein passen und übereinstimmen,“ las ich, als Karl fluchend nach einem Parkplatz suchte.
Wenige Minuten später stiegen wir aus dem Auto. Das Brautpaar huschte zwischen den Gästen umher, und der Pfarrer versuchte, allen aktiv Beteiligten letzte Instruktionen zu geben. Eine kleine blonde Frau, die eine Kamera in den Händen trug, schlängelte sich durch die Menschenmenge. Es war Gregors neue Frau. Er hatte die Aufgabe, seine Tochter unter den Klängen von Richard Wagners Hochzeitsmarsch zu Dieter zu führen. „Ich hoffe, ich stolpere nicht,“ sagte er zu mir. „Ich hoffe, ich stottere nicht,“ sagte ich. Dann trennten sich unsere Wege.
Als wir in der Kirchenbank Platz genommen hatten, und der Hochzeitsmarsch erklang, begannen meine Knie wieder zu zittern. Sie zitterten auch als Margit am Arm ihres Vaters in die Kirche einmarschierte. Das Brautpaar nahm am Altar Platz. Margits Schleppe war lang und schien die kleine Kirche ganz auszufüllen. Nach dem ersten Lied und einem Gebet sollte ich die Lesung halten. Nervös überlegte ich mir, wie ich an der Schleppe passieren konnte, ohne darauf zu treten. Im Geiste sah ich Margit als ältere Frau, die mich, ihre gebrechliche Mutter im Altenheim besuchte, und mich wortreich daran erinnerte, dass ich auf ihre Schleppe getreten war. „Erinnerst du dich noch daran, wie du die ganze Hochzeit in ein Chaos verwandelt hast?“ Hörte ich sie fragen.
Als ich an der Reihe war, umging ich mit weichen Knien und vorsichtigen Schritten das ausladende Stück Stoff. Dann begab ich mich an das Stehpult und trug den Hochzeitsgästen die gewünschte Lesung über die Kugelhälften, die nicht ganz abgeschliffen sind, vor. Als ich mich erleichtert wieder an meinen Platz setzte, hörten meine Knie auf zu zittern.
Danach hielt der Pfarrer eine geistvolle Ansprache, mit der er das Brautpaar auf die Trauung vorbereitete. Er vergaß dabei den Zusatz: „Wer etwas gegen diese Verbindung einzuwenden hat, möge vortreten, oder für immer schweigen.“
Vor der Kirche trafen wir erneut auf das Verwandschaft- und Freundes-knäuel und auf einen Fotografen, nebst der kleinen blonden Frau, die uns ablichten wollten. Danach traten wir mit fliegenden weißen Bändern an den Autos und unter dröhnendem Hupen den Weg zum vergnüglichen Teil der Hochzeit an.
Stunden später, nach einem guten Essen und ein paar Gläsern Wein, war ich mir sicher, Dieters Verwandtschaft hatte registriert, dass bei der Braut zwei Elternpaare am Tisch saßen. Ihre neugierigen Blicke und das Tuscheln hinter vorgehaltener Hand bewiesen es.
Gregor sagte zu dem Herrn, der neben ihm saß: „Ich bin zum zweiten Mal verheiratet, und habe meine Tochter unter die Haube gebracht. Und ich bin in der freien Wirtschaft untergekommen. Ich dachte daran, dass er und seine Frau eine Gaststätte haben. "In der freien Wirtschaft untergekommen..." flüsterte ich Karl zu, und stupste ihn an. "Wollen wir tanzen?" Fragte mich Karl, der meine Bemerkung nicht gehört hatte. "Lass uns gehen, sagte ich, und nahm seine Hand.
„Nach einiger Zeit, wenn sich beide Hälften abgeschliffen haben, lassen sie sich fast mühelos zu einer Kugel formen. Genau passen darf es nie, sonst verliert man seine Persönlichkeit, und das, was den Menschen an eurer Seite ausmacht. Vergesst nie: Ihr sollt nicht an der anderen, sondern an der eigenen Hälfte feilen. “
Mein Sohn saß benebelt an der Bar und ließ sich einen Drink nach dem anderen mixen, als Dieter auf die Bühne gebeten wurde. „Die Band“, in der er mitspielte, trat auf. Nun konnte ich den Abend genießen.
Den Versuch, das Verwandtschaftsknäuel zu zerpflücken, gab ich auf. Ich kannte Dieters Eltern und seine Großeltern. Ich würde meine Tochter bei Gelegenheit nach der einen oder anderen Person fragen.
Margit war eine schöne Braut. Sie ist intelligent, hat einen sicheren Beruf und einen guten Job.
Dieter war, als ich hin kennenlernte ein musikalischer, fähiger Mann, mit einem guten Arbeitsplatz und Aussichten auf eine Beförderung. Ich weiß erst heute, viele Jahre nach dieser Hochzeit, warum mir die Knie gezittert haben. Diese beiden Kugelhälften ließen sich nicht abschleifen.
Übrigens: Karl und ich sind verheiratet.