Die Blume des Westens
Sie geht nicht auf dem Waldweg. Das tut sie nie. Sonst würde sie gefangen genommen werden. So wie die anderen alle. Und das darf nicht passieren. Denn Sie hat eine Aufgabe, die sie erledigen muss. Sie ist wichtig hier im Wald. Sie ist die Einzige, die die Magie aufhalten kann. Denn Magie ergreift Besitz. Sie verleiht Macht, aber sie ist böse. Sie frisst alles, was ihr in den Weg kommt. Und dieses Mädchen, sie hält die Gier auf. Nun schreitet sie durch den Wald. Es ist der einzige Ort, der noch nicht von Magie ergriffen wurde. Sie ist noch sehr jung, dennoch trägt sie eine hohe Verantwortung. Aber das stört sie nicht. Denn sie ist mit Stolz erfüllt. Der Stolz ein Mensch zu sein. Sie tritt ganz sanft auf den Waldboden. Das Mondlicht dringt nicht ganz durch die Baumkronen, sodass sie nur schwer erkennbar ist. Sie ist ein Schatten in den Tiefen des Waldes. Und sie kann zu jeder Zeit mit diesem verschmelzen. Sie schaut sich nie um. Sie schaut immer nur geradeaus. Sie spürt die Flüsse der Macht. Sie ruft nach ihr. Sie verlangt nach ihr. Das Mädchen greift danach, doch sie kann sie nicht erreichen. Sie ist noch zu weit weg. Irgendwann ist eine Spitze des Turmes auszumachen. Das ist der Ort des Übels. Dort muss sie hin. Sie wird die Macht in sich aufsaugen, mit ihr eins werden. Und dann wird sie mit ihr zugrunde gehen. Das ist ihre Bestimmung. Das ist ihre Aufgabe, ihr Schicksal. Vor ihren Augen erscheinen Lichter. Kleine Punkte, die in der Luft schweben und in allen Farben leuchten. Sie bestehen aus Magie, also berührt sie sie nicht. Aber sie kann es dennoch nicht fassen, wie wunderschön sie sind. Schritt für Schritt läuft sie in der Nähe des Waldweges, der zum Schloss führt. Es werden immer mehr Lichter und irgendwann umgeben sie sie. Sie schwirren um sie herum und bleiben in ihrem Haar hängen. Irgendwann glitzert und schimmert sie wie eine Magierin. Sie strahlt. Und das macht sie glücklich, denn ihr Herz ist mit Wärme gefüllt. Aber diese Wärme soll nicht lange anhalten. Die Lichter bilden unter ihren Füßen einen Teppich. Einen Weg. Ein weiterer Weg, der zum Schloss führt. Dieser Weg strahlt und glitzert. Die Baumkronen neigen sich in die andere Richtung und das Mondlicht fällt auf sie herab. Ihre Tarnung ist aufgeflogen. Sie ist ein Mensch. Und trotzdem schreitet sie weiter in Richtung Schloss. Sie schreitet auf dem neuen Weg entlang und sieht dabei aus wie eine von ihnen. Ja, sie sieht aus wie eine Magierin.
Als sie durch das Tor geht, schwirren die Lichter alle davon. Sie fliegen empor und ergeben ein Feuerwerk aus Farben und Lichtern. Ihre Augen leuchten. Sie wusste es nicht. Doch jetzt hat sie es begriffen. Er ist über ihr. Er schwebt dort oben über den Lichtern und ist umgeben von Magie. Er ist umgeben von Macht, von Gier. Er verbirgt es nicht länger. Die Lichter verpuffen alle nacheinander. Sie sind nur Fassade. Ihre Augen werden wieder kühl. Sie schaut nach oben. Es sieht so aus, als würde er unsichtbare Stufen hinabsteigen, doch auch das ist nur Show. Er macht sich wichtig, so wie immer. Aber das ist das, was sie an der Magie mag. Man kann sich großmachen. Man kann alles schaffen. Das ist ein Gefühl, das ihr die Magie gibt. Doch dieses Gefühl sollte man lieber erreichen, indem man Dinge selber angeht. Aber das verstehen die Menschen nicht. Sie wollen Profit. Und den so viel und so schnell wie möglich. Als er endlich vor ihr auf dem Boden steht, schaut er ihr, und sie ihm in die Augen. Und plötzlich verändern sie sich. Ihre Gesichtszüge werden weicher und auch ihre Haltungen werden lockerer. Er wirkt nun eher freundlich als arrogant. Und sie eher begeistert als misstrauisch. Sie wissen beide, was zu tun ist. Sie haben beide eine Aufgabe. Sie müssen einander vernichten. Und dennoch schauen sie sich so an, als würden sie sich morgen wieder sehnen. Als würden sie morgen noch leben. Doch das wird unmöglich sein. Sie werden nie wieder sein. Nicht das Mädchen und auch nicht er. Nie wieder. Nie mehr. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Es hätte alles anders kommen können. Aber niemand kann es mehr ändern. Es ist ihr Schicksal. Sie ist die Einzige, die die Gier besiegen kann. Denn sie ist die Medizin. Sie ist das einzig Schöne in der Welt. „ Siehe an“, sagt er“ die Blume des Westens ist nun endlich gekommen.“ Er geht auf das Mädchen zu. Alle Gewöhnlichen hätten seinen Worten, seiner Magie nicht standhalten können. Sie schaut ihm immer noch direkt in die Augen. Seine Flammen, seine Wärme schockiert sie nicht. Sie liebt sie. Um sie herum schwirrt nichts. Sie ist ein Mensch. Und dennoch ist da etwas, das anders ist. „ Drache des Ostens.“ Sie spricht seinen Namen mit einer klaren Stimme aus. Ihre Blicke werden noch fesselnder. Jetzt geht sie nun auch auf ihn zu. Beide zücken nun ihre Waffen. Er zieht aus seinen Flamen ein Schwert. Es ist lang und die Klinge ist rot. Sie trieft. Vor Blut. Das rot ist jedoch schön. Sie zieht ebenfalls eine Waffe. Sie pflückt einfach eine Blume aus ihrem Haar und schwingt sie durch die Luft. Sie verändert sich jedoch nicht in ein Schwert wie beim Drachen. Nein. Der Stängel der Blume wächst und wächst, währenddessen die Blüte sich zur Seite neigt und zu einer gebogenen Klinge wird. Als die Verwandlung fertig ist hält sie eine Sense aus Stahl in der Hand. Sie schimmert in den Farben der Blume, die sie vorher war. Die Klinge glänzt besonders in der Farbe blau. Außerdem ist sie überall mit Schnörkeln und goldenen Mustern verziert. Das Mädchen schwingt diese mächtige Waffe jedoch um sich herum, als wäre es keine große Sache. Sie zerschneidet die Luft, sodass sie um sie herumwirbelt. Ein Wirbelsturm umgibt sie und trägt sie zu ihrem Ziel. Ihre Klinge glänzt. Sie ist durch und durch rein. Sie wurde noch nie von Unheil befleckt. Doch nun schwingen beide ihre Waffen und gehen aufeinander los. Das Mondlicht wird von den scharfen Klingen reflektiert. Die Blume des Westens wird von der Luft getragen, währenddessen der Drache des Ostens sich Flügel aus Feuer wachsen lässt und mit diesen gewaltigen, feurigen Flügeln auf sie zufliegt. Durch jeden Flügelschlag fliegt Feuer durch die Gegend und verbrennt alles. Die wunderschöne Blumenwiese ist nach wenigen Flügelschlägen vollkommen verbrannt. Als sie beide aufeinandertreffen fliegen um sie ihre gemeinsamen Erinnerungen vorbei. Fetzen aus der Vergangenheit. Beide werden von diesen Erinnerungen gequält. Denn beide konnten sie nicht hinter sich lassen. Sie beide vermissten einander. Sie konnten ohne einander nicht aushalten. Doch als sich beide ihre Masken- ihre Fassaden aufsetzten wurde es langsam besser. Beide wurden wichtige Herrscher gewaltiger Königreiche. Beide besaßen Macht, die sie nie haben wollten. Sie wollten nur einander. Aber das war zu viel verlangt. Denn Blumen und Drachen passen nicht zueinander. Blumen sind zu zerbrechlich. Drachen zu gewaltig. Oft haben sie versucht den Westen und den Osten zu vereinen, doch die Reiche wollten das anders. Sie wollten keinen Frieden. Sie wollten Macht. Und so kam es, dass sich beide Königreiche bekriegten, bis keiner mehr übrig war. Sie beide sind die einzigen Überlebenden ihrer Reiche. Und sie beide müssen die Wünsche ihrer Völker in Ehren halten und kämpfen. Kämpfen, bis der Feind besiegt ist. Sie beide wollten immer nur Frieden. Doch Frieden, Frieden wird wohl erst nach dem Kampf sein. Der Kampf scheint kein Ende zu nehmen. Sie beide haben schon alle Tränen vergossen, wie es ihr Körper erlaubt. Beide sind erschöpft. „ Blume.“ Sie schaut ihn überrascht an und hört auf ihre Waffe zu schwingen. „Sag mir doch bitte: Gibt es keinen anderen Weg? Ich möchte so gerne wieder…“ Der Drache schluckt und zögert seine Gedanken auszusprechen. „ Ja Drache. Ich möchte auch so gerne wieder deine Wärme spüren. Ich will so gerne wieder in deinen Armen liegen und wissen, dass alles gut ist. Deshalb…bitte…halt mich fest, ja?“ Ihre Sense schimmert nun ein letztes Mal, bis sie in tausend Lichter zerspringt und ihre eigentliche Gestalt-die Blume- den Boden hinunterfällt. Auch das Mädchen fällt geradewegs auf die verkohlte Blumenwiese zu. Das Mädchen schließt die Augen und weiß, dass sie verloren hat. Sie hat alle verraten. Sie ist stolz ein Mensch zu sein. Sie ist die einzige, die die Magie besiegen kann. Aber sie ist auch die einzige, die die Magie wirklich kennt und liebt. Sie wurde noch nie von der Magie verschlungen. Denn der Drache hat sie immer respektiert. Er hat aufgehört, wenn er es wollte. Hat sich zurückgezogen. Und er kam wieder wenn sie ihn brauchte. Doch als sie ihn wirklich brauchte, konnte er nicht. Doch jetzt- jetzt ist er da. Sie hört wie er auf sie zukommt. Sie spürt seine immer wärmer werdenden Flammen. Und irgendwann spürt sie seine vollkommende Hitze. Sie liegt in seinen Armen und weiß, dass alles gut ist. Er drückt sie immer fester an sich. Er atmet ihren wunderbaren Duft nach Blumen ein. Als sie beide ihre Augen öffnen, sehen sie, dass sie sich beide langsam auflösen. Sie konnten nie wirklich beieinander sein. Das war ihr Schicksal. Denn wenn, dann würden sie sich beide zerstören. Denn Blumen und Drachen passen nicht zu einander. „ Blume, ich liebe dich. Für immer.“ Das Mädchen wiederholt seine Worte: „ Für immer!“ Beide schauen sich tief in die Augen und sind glücklich über das jetzt, aber auch über den Frieden, der sie beide erwartet. So verschwand die Magie auf der Erde. Sie ist nun irgendwo da oben, wo Frieden ist. Und irgendwann werden auch wir dort oben funkeln und leuchten.