Die Schulklingel schrillt und Ella rutschte gerade noch rechtzeitig im Klassenzimmer auf ihren Stuhl, bevor ihr Lehrer den Raum betrat. „Na, wieder verschlafen?“ flüsterte ihre Freundin Juli ihr fragend zu. Ella nickte müde. „Dabei ist heute doch der besondere Tag!“ stupste Juli Ella erneut grinsend an. Auf den verständnislosen Blick ihrer Freundin hin erläuterte sie „na du Weißt doch, die Austauschschüler kommen…“. Ach klar, Ella hatte das wieder komplett vergessen. Juli war schon ganz gespannt, ob ein paar süße Jungs dabei waren. Nicht für sich, sie hatte seit einigen Monaten einen Freund und versuchte sehr zu Ellas Leidwesen, sie mit einem Jungen zu verkuppeln. Ella blickte ihre Freundin strafend an, sie brauchte keinen Freund und erst recht nicht einen der Austauschschüler. Doch bevor die Mädchen ihre Diskussion weiter führen konnte, blickte ihr Lehrer sie an und rief zur Ruhe.
Die nächste Unterrichtsstunde Mathe zog sich wie das rosa Kaugummi, welches Ella sich zu Beginn der Stunde in Mund geschmissen hatte und jetzt gelangweilt kaute. Ein Großteil der Klasse kribbelte zudem nur so vor Aufregung, bald sollten die Austauschschüler da sein. Das machte den Unterricht natürlich noch unruhiger als sonst. Nach 30 Minuten erfolglosen Versuchen, den Unterricht am Laufen zu halten, gab ihr Lehrer genervt auf und lies die Schüler quatschen.
Endlich war es soweit, ein Klopfen an der Tür ertönte. Schlagartige wurde es still und die Klasse wendete sich neugierig der Tür zu. Die Türklinge wurde nach unten gedrückt und durch den breiter werdenden Türspalt traten nacheinander mehrere Jungen und Mädchen in den Raum, die das kommende Jahr in ihrer Klasse mitlernen würden. Juli rammte Ella hastig den Ellenbogen in die Rippen und wies aufgekratzt in die Richtung eines Jungen in abgewetzter Jeans und Lederjacke „schau doch mal, der ganz links sieht doch echt cool aus, der wäre doch was für dich!“ Ella hörte ihr aber gar nicht zu, sie hing mit ihrem Blick an dem Jungen, der als letztes reinkam. Er hatte verwuschelte braune Haare und grüne Augen. Ihre Blicke trafen sich kurz, als der Junge die Klasse musterte. Ellas Herz klopfte plötzlich wie wild. Ganz durcheinander gebracht senkte Ella ihren Blick auf den Tisch vor sich und sie musterte konzentriert die Furchen und Linien, die andere vor ihr im Holz des Schultisches hinterlassen hatten. Sie hoffte inständig, dass ihre Freundin nichts von ihrer inneren Auffuhr mitbekam. Leider spürte sie schon Julis prüfenden Blick von der Seite und ihr war klar, dass Juli sie in der nächsten Pause komplett ausquetschen würde. Die Austauschschüler hatten sich mittlerweile vorgestellt und an die freien Plätze im Klassenzimmer verteilt. Rechts neben Ella war noch ein Platz frei und ihr Herz flatterte kurz bei dem Gedanken, dass sich möglicherweise der Junge mit den Wuschelhaaren zu ihr setzte. Als der Lehrer schließlich eins der Mädchen anwies sich neben sie zu setzen, durchfluteten Ella gleichzeitig Enttäuschung und Erleichterung. Sie ließ sich aber von all dem nichts anmerken und begrüßte das fremde Mädchen mit einem offenen Lächeln.
Später in der Pause zog Juli wie erwartet ihre Freundin zu einer Bank und blickte sie auffordernd mit funkelnden Augen an „also ich fand zwar eindeutig den Typen ganz links am besten, aber deinem Blick nach zu urteilen hat es dich wohl bei ‘nem anderen total erwischt.“ Ella spürte, wie Hitze ihr Gesicht durchflutete und blickte verlegen zu ihrer Freundin „was findest du denn an dem linken besser?“, versuchte sie den Fokus von sich zu lenken. Aber Juli durchschaute sie sofort, lies sich nicht ablenken und bohrte weiter bei Ella nach. Diese hatte aber trotzdem nicht wirklich viel zu erzählen, waren doch diese Gefühle ganz neu für sie.
Der Rest des Schultags verlief nun wie im Flug, Ella war ständig mit ihren Gedanken bei den grünen Augen des Austauschschülers und nicht beim Unterricht. Zu Schulschluss hätte sie fast ihre Tasche stehen lassen, wäre Juli ihr damit nicht schnell hinterher gelaufen.
Am Nachmittag hoffte Ella, durch ihr Badmintontraining etwas Ablenkung zu bekommen. Aber als der Trainer zum Beginn der Stunde in die Halle kam, war er nicht alleine. Ellas Blick begegnete erneut den grünen Augen, die sie schon in Gedanken den ganzen Tag verfolgt hatten und ihre Knie wurden weich. Der Trainer stellte den Jungen als Fyn aus Irland vor. Er würde die nächste Saison mit ihnen trainieren, da er schon in seinem Heimatland seit einigen Jahren Badminton spielte. Diesmal wendete sich das Schicksal auch wieder Ella zu, sie bekam die Anweisung, ihn anzuleiten. „Scheiße, das kann ich nicht!“ bekam Ella Panik. Hastig durchsuchte sie ihren Kopf nach Ausreden. Bauchschmerzen, ein wichtiger Termin, Familiennotfall…? Noch bevor sie ihre Gedanken zu Ende gebracht hatte, stand schon Fyn vor ihr, streckte die Hand zur Begrüßung aus und lächelte sie an. Ella sah sich die Hand vor ihr an und wusste nicht, was sie machen sollte. Ihm die Hand geben wollte sie auf keinem Fall, denn ihre Hand war vor Nervosität total verschwitzt. Also winkte sie ihm einfach zu, ohne ihn richtig anzuschauen und forderte Fyn zum Mitkommen auf.
Das Training lief beschissen, Ella versuchte dem Austauschschüler alles so gut wie möglich zu erklären und dabei gleichzeitig den größtmöglichen Abstand zu ihm halten, damit er ihr Herzklopfen nicht mitbekam, dass sie immer in seiner Nähe verspürte. Zum Glück kannte sich Fyn wirklich schon gut mit der Sportart aus, sodass sie nicht viel helfen musste. Aber auch bei den anschließenden Trainingsspielen lief es bei Ella schlecht, sie verschlug dauernd die Bälle und war unkonzentriert. So schlecht hatte sie schon lange nicht mehr gespielt. Ella hoffte, nach dem Spiel schnell in die Umkleidekabine zu kommen, um nach diesem misslungenen Tag endlich schnell nach Hause zu fahren und sich im Bett verkriechen zu können. Leider hatte sie die Rechnung ohne ihren Trainer gemacht, der sie am Ende der Einheit zu sich rief: „Ella, ich weiß nicht, was heute los war“ schimpfte er „und das nächste Training sollte definitiv wieder besser werden, wenn du weiterhin oben in der Mannschaft mitspielen willst.“ Ella spürte, wie sie knallrot anlief und heftete ihren Blick wie schon so oft diesen Tag auf den Boden. Man war ihr das peinlich, die ganze Truppe hatte die Worte des Trainers mitgehört. Und der Austauschschüler dachte nun bestimmt, dass sie einfach nur grottenschlecht und arrogant sei.
Am nächsten Tag in der Schule erzählte Ella ihrer Freundin Juli von dem desaströsen Nachmittag. Diese schüttelte auch nur ihren Kopf, Ella war im Fall „Jungs“ manchmal echt nicht zu helfen, so tollpatschig wie sie sich anstellte. Um vor weiteren peinlichen Situationen mit dem Austauschschüler bewahrt zu werden, versuchte Ella ihm in der Schule und beim Training aus dem Weg zu gehen. Auch Julis Überredungsversuche, dass sie doch wenigstens einmal mit ihm sprechen könnte, schlugen fehl. verärgert stellte Juli irgendwann ihre Freundin zur Rede: „Wenn du dich die nächsten Wochen weiter so blöd anstellst, dann wird das doch nie was!“ „Vielleicht bin ich auch einfach gar nicht mehr in Fyn verliebt!“ erwiderte Ella patzig. Aber sie wussten beide, dass die eigentlich nicht der Wahrheit entsprach. Aber wie sollte Ella ein Gespräch mit Fyn beginnen, wenn ihr auch nur beim Gedanken daran total verkrampfte und kein einziges vernünftiges Wort mehr rausbekam, sobald sie ihn sah.
So zogen sich die Wochen hin und nichts passierte. Doch dann kam am Mittwoch die Englischstunde, die alles veränderte. Ihr Englischlehrer eröffnete, dass die nächsten Wochen Referate gehalten werden sollten. Die Schüler stöhnten auf, aber am Referat würde wohl nichts vorbei führen. Dass die Referatsgruppen zugelost werden sollten, machte die ganze Sache natürlich auch nicht besser. Der Lehrer ging mit einem kleinen Säckchen voll bunter Papierstreifen um die Tische und die Schüler sollten jeweils einen ohne zu schauen herausziehen. Ella zog einen blauen Zettel und sah nach einem schnellen Blick durch die Klasse zum Glück bei einer Mitschülerin, mit der sie sich auch so ganz gut verstand. Als nächstes zog ihre Freundin Juli mit viel Geraschel einen Zettel. Normalerweise hätte ihre Freundin ihr gleich auch ihre Farbe gezeigt, stattdessen versteckte diese den Zettel in ihrer Hand und grinste nur breit. „Was hat das denn zu bedeuten?“ fragte Ella sich verwundert. Sie konnte sich echt keinen Reim drauf machen. Und dann forderte Juli noch, dass Ella ihren Zettel kurz hergab. Verwirrt gab Ella ihren blauen Zettel rüber und bekam dafür einen roten Zettel von ihrer Freundin rübergeschoben.
Verständnislos blickte Ella auf den neuen Zettel in ihrer Hand und hob fragend eine Augenbraue. Juli nickte nur weiter grinsend zum gegenüberliegenden Tisch und lehnte sich selbstzufrieden mit verschränkten Armen auf ihrem Stuhl zurück. Als Ella Julis blick zum gegenüberliegendem Tisch folgte sah sie, dass vor Fyn auch ein roter Losezettel lag. Ellas Blick wanderte zwischen dem Austauschschüler und ihrer nach Beifall heischenden Freundin hin und her. Panisch schüttelte Ella ihren Kopf und versuchte, den roten Zettel zurück zu geben. Das bekam aber ihr Lehrer mit und ermahnte deutlich die Mädchen, dass nicht getauscht werden dürfte. Ella wurde rot und blitzte ihre Freundin ärgerlich an. Na super, jetzt hatte sie auch noch Ärger vom Lehrer bekommen…
Kurz darauf war dann der Nachmittag, an dem sich Ella und Fyn per SMS in der Bibliothek zur Vorbereitung des Referats verabredet hatten. Da Ella nicht zu früh kommen wollte, saß sie schon viel zu früh unruhig vor den Computern in der Bibliothek. Fyn kam aber dann auch recht früh, sodass sie nicht allzu lange auf ihn warten musste. Entgegen Ellas Erwartung verlief die Vorbereitung sogar echt problemlos ab, Fyn arbeitete schnell und konzentriert und sie waren viel schneller als geplant fertig. Auch der Vortrag selber vor der Klasse war später ein voller Erfolg.
Nach der Stunde fasste sich Ella endlich ein Herz und ging auf Fyn zu: „Vielen Dank, das hat ja echt super geklappt heute!“ Dabei traute sie sich zum ersten Mal, ihm wieder richtig ins Gesicht zu schauen. Und als sie sein breites Lächeln sah, konnte sie nicht anders als es automatisch zu erwidern. Fyn antwortete, dass sie doch zum Feiern des erfolgreichen Referats in das kleine Café gegenüber der Schule gehen könnten. Die Angesprochene konnte nur stumm aber glücklich lächeln. „Na hoffentlich bekomme ich nachher wieder einen vernünftigen Satz raus“, schilt Ella sich in Gedanken. Aber ihre Sorge war unbegründet. Als sie sich schließlich im Café bei einem Eisbecher gegenüber saßen war es, als wäre ein Knoten geplatzt und sie hatten endlich einen Draht zueinander gefunden.
Die nächste Zeit zog nur so wie im Fluge vorbei, Ella und Fyn trafen sich regelmäßig und es spann sich ein starkes Band zwischen ihnen. Juli, die natürlich alles genauestens von Ella auf dem neusten Stand gehalten werden wollte, beanspruchte stolz ihre Anerkennung als erfolgreiche Kupplerin. Wenn sie nicht mit Ella in der Englischstunde den Losezettel fürs Referat getauscht hätte, wer weiß, was dann passiert wäre. Leider rückte aber auch der Abschied der Austauschschüler mit fortschreitender Zeit immer näher…
– Einige Monate später –
Ella rannte mit klopfendem Herzen und wehenden Haaren die zum Flughafen führende Straße entlang, der Rucksack hüpfte ihr unangenehm auf ihrem Tücken und die Beine schmerzten von dem ungewohnten Sprint. Jedoch war Ella das alles komplett egal. Heute würde sie endlich Fyn wiedersehen, der über die Ferien zurück zu Besuch kam. Leider war der Bus mit dem sie zum Flughafen fahren wollte in Stau geraten und jetzt war sie viel zu spät dran. Mit einem Blick auf ihre Armbanduhr stellte Ella entsetzt fest, dass Fyn schon längst gelandet ein müsste. Nur noch eine Querstraße trennte Ella vom Flughafen. Plötzlich sah sie Fyns Gesicht in der Menschenmenge aufblitzen. Und tatsächlich, da stand er auf der anderen Seite der Straße und blickte sich suchend um. Da hatte er aber auch Ella erblickt und ein Strahlen breitete sich über sein ganzes Gesicht aus. Er ließ seinen Koffer stehen und lief auf die Straße, Ella entgegen. Diese lief, ohne sich vorher umzuschauen, auch rauf auf die Straße, um den Abstand zwischen ihnen zu verkürzen. Sie sah nur ihn, er sah nur sie. Doch keiner der beiden sah das Auto, welches viel zu schnell um die Ecke gerast kam und ohne zu bremsen direkt auf sie zu schleuderte.