Kleine dünne Silberfäden flattern über den Asphalt, die Sonne brennt unbarmherzig vom Himmel. Karin streicht sich über die Augen, träumt sie? Die dünnen Silberstreifen bewegen sich graziös, so als würden sie über den kleinen Platz tanzen. Die junge Frau überlegt einen Augenblick, ob ihr eventuell der kürzlich erlittene Liebeskummer den Verstand aus den Augen geschwemmt hat, oder noch schlimmer, die Realität aus dem Gehirn verbannt hat? Egal, denkt sie und steuert auf das nahe Cafe zu, setzt sich an einen Tisch, von dem aus sie das Spektakel beobachten kann und lehnt sich gemütlich zurück und der große Sonnenschirm spendet wenigstens etwas Schatten.
Sie beobachtet die Silberfäden, wie sie sich nach einem temperamentvollem Tanz ermattet auf den Asphalt fallen ließen und dort nebeneinander, übereinander, oder vielleicht sogar miteinander warten, um zum gigantischen Finale aufgerufen zu werden.
Karin blickt sich um, ob andere Cafebesucher sich auch wundern, doch keiner schaut auf den Asphalt am kleinen Platz, also ist sie wahrscheinlich die Einzige, eine Fata Morgana also?
Sie schließt die Augen und als sie sie wieder öffnet, bewegen sich alle Silberfäden, die zuvor ruhig am Boden gelegen hatten und formieren sich zu einer riesigen Balletaufführung. Die Silberfäden drehen sich im Kreis, sie schweben über den Asphalt, sie biegen und winden sich, sie formieren sich zu grandiosen Figuren und als krönender Abschluss schießt ein Teil der Silberfäden wie ein Feuerwerk in den Himmel. Langsam fallen sie wieder auf den Asphalt und bilden einen wunderschönen Glitzerteppich, der in der Sonne in allen Farbnuancen glänzt und schillert.
Karin steht langsam auf, verlässt das Cafe und als sie den kleinen Platz überqueren will, bewegt sich der Silberfadenteppich und entführt sie ins Land der Fantasie.
Bizarre Gestalten schweben lächelnd, in langen wallenden Kleidern gehüllt, in einem Park mit lebendig aussehenden Bäumen, einer mit einem großen Antlitz, aus dem die verständnisvollem Augen einladend zwinkern, einige wiederum haben tausend Gesichter, die freundschaftlich Lächeln, andere wieder haben Köpfe, die verhüllt scheinen, jedoch einladend nicken. Einige Sträucher haben nur Augen, die sie neugierig mustern und die Blüten der Blumen bestehen aus Herzen, oder aus Lippen, oder nur aus Fingern.
Vorsichtig setzt sie einen Fuß vor den anderen um zu sehen, ob sie sich fortbewegen kann, ohne jemanden weh zu tun. Die mit Lippenblüten bestückte Blume wirft ihr einen Kuss zu und die Fingerblütler deuten ihr näher zu kommen. Die verhüllten Gestalten breiten ihr Arme aus um sie willkommen zu heißen und der dahinterstehende wuchtige Baum mit dem großen Gesicht zwinkert mit den Augen und sein Mund bewegt sich, als ob er sprechen würde, dabei lächelt er verschmilzt. Karin bewegt sich vorwärts, ohne den Boden zu berühren, sie bückt sich und streichelt ein Blütenherz, sie schwebt zu einem Strauch der sie mit seinen tausenden Augen auffordert, ihr Herz berühren zu dürfen. Karin blickt sich suchend um und ihr Blick bleibt an einer verhüllten Gestalt mit wallendem Gewand hängen, deren Hände in den Himmel zeigen.
Sie hebt den Kopf und ihre Augen werden groß, abwechselnd blickt sie auf die Gestalt und dann wieder in den Himmel. Die Silberfäden tanzen mit der Sonne, dem Mond und den Sternen, ein atemberaubendes Schauspiel von Präzision und Stabilität, das sich in der Massenanziehung der Gestirne in ein phänomenales Farbenspektakel verwandelt. Die junge Frau kann ihren Blick nicht abwenden, so beeindruckend ist diese Vorstellung und mit einem atemberaubenden Finale zerfließen die Farben und schweben als schillernde kleine Fallschirme zu Boden….. und bevor Karin sich versieht, steht sie wieder auf dem kleinen Platz vorm Cafe.
Nachdenklich streicht sie sich eine Locke aus der Stirn und neben ihr fällt ein kleiner bunter Fallschirm, an dem ein paar kleine Silberfäden hängen, zu Boden.