Ein Scherbenhaufen liegt mir zu Füßen. Keine klaren sauberen Scherben von einem Fenster, mehr die Art eines dreckigen alten Wandspiegels. Woher diese Scherben kommen? Das kann ich selbst nicht beantworten. Wo ich bin? Eine enge dunkle Abstellkammer, deren Atmosphäre stark bedrückend wirkt. Als ich mich bücke um eine Scherbe aufzuheben, zucke ich plötzlich zurück. Ein kalter Schmerz durchdringt meinen Finger - ich blute aus der Fingerspitze. Allerdings durchfährt mich ein viel stärkerer innerer Schmerz. Wie eine Klinge aus Eis die mir durch den Brustkorb gezogen wird, stöhnend sacke ich vor dem Scherbenhaufen auf die Knie und versuche Luft zu holen. Nach kurzer Zeit will es mir gelingen und während meine Atmung sich langsam wieder beruhigt sehe ich in den Scherben, dass diese Kammer keinen Ausgang besitzt, mir aber seltsam vertraut vorkommt. Was war passiert? Wie komme ich hier her? Diese und noch mehr Fragen schossen mir durch den Kopf, während sich langsam ein klares Gefühl in mir abzeichnet. Es ist ein Gefühl der kompletten Einsamkeit, welches den Schmerz aus mir verdrängt. Wieso war ich verlassen von jedwedem Leben in diesem Raum? Was ist in meiner Welt passiert? Was ist mit meinen Freunden? Meine Gedanken beginnen im Kreis zu rotieren, während langsam Blut aus meinem Finger rinnt. Als das Blut schließlich meine Fingerkuppe verlässt und auf die Glasscherben tropft, reißt mich etwas aus meinem Gedankenkarussell. Die Scherbe auf der mein Blut gelandet ist beginnt einem Wirbelstrom gleich ein Bild abzuzeichnen. Während der Wirbel langsam klarer wird kann ich langsam etwas erkennen. Es sieht aus als würde sich ein Mensch abzeichnen und als der Wirbel endlich zur Ruhe kommt ist mein Blut verschwunden. Auf der Scherbe erkenne ich nun wer dort steht, eine meiner besten Freundinnen. Während ich mich noch freue sie zu sehen, wer weiß was sonst hätte in dieser Scherbe erscheinen können, beginnt das Bild sich zu bewegen. Ich brauche einen Moment zu erkennen was dort vor sich geht, aber nach kurzer Zeit sehe ich dass es eine Erinnerung an einen gemeinsamen Tag mit ihr ist. Nur fehle ich dort. Irgendjemand mir fremdes verbringt diesen Tag gerade mit ihr, während ich hier in dieser Abstellkammer meiner Selbst bin. Das Gefühl der Einsamkeit beginnt schlimmer zu werden und mir langsam meine Kehle zuzuschnüren, als ich ungläubig meiner Erinnerung zuschaue die dort ohne mich ist. In meinem Leid bemerke ich die Tränen an meiner Wange erst als sie auf andere Scherben treffen. Überall wo eine Träne eine Scherbe trifft bildet sich wieder der gleiche Wirbel. Ein Unterschied fällt mir aber schon bei der ersten Scherbe auf, das ist keine Erinnerung mehr, sondern eine Verabredung die nächste Woche war. Ein Wanderausflug, nur dass ich wieder durch die mir unbekannte Person ersetzt worden bin. Mit jeder weiteren Scherbe zeigen sich mir bewegte Bilder in denen ich sein sollte aber nicht bin. Jedes Bild schnürt mir die Luft weiter ab, löst ein Gefühl der Nutzlosigkeit in mir aus und treibt mir mehr Tränen in die Augen. Nach einem sich endlos anfühlenden Moment überkommt mich endlich die Ohnmacht und ich falle vornüber in den Scherbenhaufen.
Als ich erwache bin ich in meinem Zimmer. Alleine. Mein Spiegel? Vollkommen ganz, jedoch bleibt vom blutigen Finger auf ewig der Glanz.