Ich bin immer noch im Krankenhaus, als es zu schneien beginnt. Der Winter steht vor der Tür, sagt Onkel Hannes an meinem Bett. Ich frage ihn, ob wir ihm die Tür auch ohne Klingeln aufmachen und raus in den Schnee gehen, da muss er lachen.
„Was willst du denn machen? Eine Schneeballschlacht? Einen Schneemann bauen?“, fragt er und dann sagt er noch mit einem leichten Kopfschütteln ganz leise, dass ich ja wohl nicht alle Tassen im Schrank habe.
Ich sage, dass ich beides gern machen würde, je nachdem was ihm lieber wäre. Und dann sage ich ihm noch, dass ich mir genau deshalb zu meinem Geburtstag von jedem, der mir etwas schenken möchte, eine neue Tasse wünsche. Da bemerkt er wohl, dass es gar kein Witz war, sondern ich es ernst meine und letzten Endes einigen wir uns auf einen kleinen Spaziergang.
Onkel Hannes kann Schnee nicht leiden. Er kann es nicht leiden, wenn man ihn viele Sachen fragt, auf die er keine Antwort weiß. Manchmal denke ich auch, dass er mich nicht leiden kann, denn er beschwert sich so oft. Aber er besucht mich immer noch regelmäßig im Krankenhaus, sitzt an meinem Bett und jetzt gehen wir sogar raus in den Schnee.
Es ist kalt und Onkel Hannes hat keine Mütze an. Ich sehe, dass er tatsächlich ein paar graue Haare hat und am Hinterkopf ganz leicht schon eine Glatze bekommt. Während wir durch den Schnee laufen, hält er mich am Arm fest, weil er Angst hat, dass ich stürze. Ich bleibe stehen, schaue ihn eine Weile lang an und sage ihm, dass ich ihn gern habe.
Kurz muss er lachen, dann sieht er aber sehr traurig aus, als er mich auch eine Weile lang anschaut. Dann nimmt er mich in den Arm und muss weinen. Ich umarme ihn, drücke ihn fest an mich und versuche, ihn zu trösen. Es dauert nicht lang, bis er wieder lächelt und sagt, dass wir jetzt weitergehen, aber ich glaube, er hat sich nur zusammengerissen, weil ich mir nicht den Kopf zerbrechen soll.
Zum Abschied sagt er, dass er mich sehr gern hat und dass ich auf mich aufpassen soll. Ich frage ihn, warum er geweint hat. Er sagt, dass es ihm auch ein bisschen wehtut, wenn ich traurig bin. Darüber denke ich den restlichen Tag nach und beschließe vor dem Schlafengehen, dass ich wenigstens Onkel Hannes zuliebe nicht mehr traurig sein sollte.
***
Ich bin immer noch im Krankenhaus. Der Arzt sagt zwar, dass ich bald nach Hause gehen darf, aber ein bisschen muss ich noch warten, damit die Tabletten besser wirken und mich nicht mehr müde machen.
Wir feiern meinen Geburtstag im Krankenhaus. Onkel Hannes sitzt neben mir auf meinem Bett und Frau Doktor Schneider sitzt auf einem Stuhl. Beide haben sie mir eine Tasse mitgebracht, so wie ich es mir gewünscht habe. Sie sind beide sehr schön bunt bemalt und ich nehme mir fest vor, dass ich die Farben nicht mehr vergesse. Spätestens wenn ich die Tassen abgespült habe und sie in meinem Schrank stehen, wird alles wieder in Ordnung sein. Dann habe ich genügend Farben gesammelt, bin wieder zuhause bei Johanna und habe außerdem auch wieder alle Tassen im Schrank. Frau Doktor Schneider schaut auf ihre Uhr und ich glaube, sie hat noch einen Termin.
Kurz muss ich an Leo denken und dass es schön wäre, wenn sie auch da wäre. Dann klopft es an der Tür und sie ist da. Ihre Augen strahlen heller als die Flammen der Kerzen auf dem Kuchen, den sie auf ihren Händen reinbringt. Onkel Hannes, Frau Doktor Schneider und Leo singen Wie schön, dass du geboren bist. Ich muss lachen und weinen gleichzeitig und bemerke kaum, dass ich beides plötzlich wieder kann.
Nachdem sie das Lied gesungen haben, darf ich die Kerzen auspusten und soll mir dabei was wünschen. Ich sage noch, dass mein Wunsch gerade sowieso in Erfüllung gegangen ist, denke mir aber dann noch etwas anderes aus.
Ich wünsche mir vieles, deswegen muss ich einen Moment lang überlegen.
Letzten Endes wünsche ich mir doch etwas, aber man darf es ja nicht verraten, also bleibt es geheim. Wir essen gemeinsam den Kuchen, alle reden durcheinander und wir lachen viel. Es fühlt sich fast an wie zuhause, obwohl wir im Krankenhaus sind. Nur Johanna fehlt, aber Leo verspricht, dass sie heute auch ein besonderes Katzenfutter bekommt, um mitfeiern zu können.
„Es geht ihr gut“, erzählt sie, „Aber sie sucht immer nach dir in der ganzen Wohnung. Ich glaube, sie vermisst dich!“
Es wird Zeit, dass ich zurück nach Hause gehe. Ich freue mich, Johanna wieder zu sehen und weiß jetzt, dass sie mich auch gern hat. Erst verabschiedet sich Frau Doktor Schneider und nimmt mich in den Arm. Dann geht auch Onkel Hannes und zum Abschied nimmt er Leo und mich beide in den Arm. Leo bleibt noch und wir reden über den Schnee, über Katzenfutter und dass sie manchmal vergisst, dass ich im Kranken haus bin.
„Es geht mir gut“, sagt sie, „Aber ich warte am Dienstag mit dem Kaffeetrinken und stehe im Treppenhaus. Ich glaube, ich vermisse dich!“
Dann packt sie aus ihrer Handtasche ein kleines Päckchen aus und als ich das Geschenkpapier abmache, ist es auch eine Tasse. Sie ist besonders schön und bunt und Leo verrät mir, dass sie selbst drauf gemalt hat. Ich bewundere die Tasse, Leo kann sehr gut malen.
„Kannst du mir das Malen beibringen?“, frage ich sie.
Sie lächelt.
„Nur wenn du mir das Klavierspielen beibringst“, sagt sie.
Ich muss lachen.
„Aber ich habe doch gar kein Klavier“, sage ich.
Sie muss auch lachen, aber danach lächelt sie immer noch.
„Aber ich habe zuhause eine Überraschung für dich!“, verrät sie mir.
Ich lache wieder, weil mir nichts anderes einfällt. Dann gehen wir noch nach draußen in den Schnee und machen einen Spaziergang. Leo muss mich gar nicht festhalten, denn ich bin wieder sehr sicher auf den Beinen und fühle mich schon viel besser. In all meinem Übermut beginne ich sogar eine Schneeballschlacht und schon nach kurzer Zeit haben wir beide Hände voll zu tun, uns gegenseitig mit Schnee zu bewerfen und gleichzeitig zu versuchen, dem Schnee auszuweichen.
Hinter einem Baumstamm gehe ich in Deckung, aber als ich kurz schauen will, ob die Luft rein ist, trifft mich ein Schneeball mitten im Gesicht und ich muss lachen. Leo lacht auch und steht ganz nah vor mir.
Sie wischt mir den Schnee aus dem Gesicht und streichelt mit ihrer eisig kalten Hand über meine eisig kalte Wange. Auf einmal ist alles gar nicht mehr so eisig kalt, aber es wird langsam dunkel, deswegen gehen wir wieder rein.
Die Schwester beschwert sich, dass wir ganz durchnässt sind, macht uns dann aber einen Tee. Eigentlich wollen wir Kaffee trinken, aber es ist schon zu spät für Kaffee und als wir den Tee noch gar nicht ganz leergetrunken haben, sagt die Schwester, dass Leo gehen muss, weil die Besuchszeit vorbei ist.
Ich nehme sie zum Abschied fest in den Arm und sage ihr, dass ich sie gern habe.
Leo sagt, dass sie sich schon darauf freut, wenn ich wieder zuhause bin. Ich träume von Leo in dieser Nacht. Leo Bald Wieder. Leo Immer Wieder. Leo Immer. Immer Leo. Für immer Leo.
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