Ihr Späherdienst wurde nun immer anspruchsvoller, bis Mori und Zayn sich aufteilten. Nach einigem Überlegen hatte Zayn sich entschlossen, Maurice mit Nemesis in die Lüfte zu schicken. Zwar war die Flugsaurier-Dame nicht eben einfach zu reiten, doch hatte sie sich inzwischen an Maurice' stumme Anwesenheit gewöhnt und duldete ihn als Reiter. Deynara dagegen würde sich nicht von Zayn trennen und es war dem Tierpfleger lieber, wenn einer seiner beiden Schützlinge auf Mori aufpasste.
Während der schweigsame Junge nun auf Nemesis' Rücken hinter der Gruppe kreiste und nach der Verfolgerin aus Drachenblut suchte, arbeitete sich Zayn mit Deynara auf der Schulter durch die Gerölllandschaft vor der Gruppe. Er erkundete die sichersten Wege, was keine leichte Aufgabe war. Die Berge waren eine ungezähmte, gefährliche Landschaft. Man musste aufpassen, welchem Haufen von Steinen man sich näherte, denn manche standen auf und griffen an. Dazu kam, dass die einfachen Wege nach oben, ausgewaschene Kuhlen in der Bergflanke, meist nicht ohne Grund so einfach zu begehen waren: Entweder waren sie von Wasser ausgewaschen, dass in unregelmäßigen Abständen nach unten floss, oder von Geysiren durchzogen und wenn dann doch einmal ein Weg sicher war, so wussten es auch alle Raubtiere der Gegend.
Erstaunlich viele große Echsen tummelten sich auf dem Berghang, Tyrannosaurier und ähnliche, die im Wald zwischen den Bäumen nicht auf die Jagd gehen konnten. Manche der Giganten, wie etwa die großen Langhälse, sah man meist schon von Weitem und konnte sie großräumig umgehen, doch andere waren getarnt, oder dank ihrer Größe so schnell an einem anderen Ort - beispielsweise mitten im Weg - dass man ihnen nicht entgehen konnte. Zayn hatte sogar schon eine Titanoboa gesehen. Die riesige Schlange hatte sich auf einem Fels direkt in seinem Pfad gesonnt und er hätte sie wohl vollkommen übersehen, da er überhaupt nicht damit gerechnet hatte, dass hier große Schlangen lauern könnten, wenn sich die Boa nicht plötzlich bewegt hätte, um sich auf eine unglückliche Beute zu stürzen.
Seitdem war Zayn noch vorsichtiger und die Gruppe, die sich ein kleines Stück hinter ihm hielt, kam nur langsam voran. Immer öfter hieß Zayn sie umkehren und einen anderen Weg probieren, oder anhalten und warten, bis eine Gefahr vorüber zog.
In der Hitze des Mittags erspähte Zayn schließlich eine gänzlich unerwartete Kreatur. Er verharrte leicht in der Hocke, während Deynara nervös schnatterte.
Ein großer Tausendfüßler, so lang wie fünf ausgewachsene Männer, krabbelte vor ihnen durch die Spalte, die sie als Schutz nutzten. Der Gliederfüßler tauchte mit fließenden Bewegungen in den Schatten ein und krabbelte dann im Gang weiter. Zum Glück fort von Zayn, doch dem Tiefpfleger blieb das Herz schier in der Brust stehen. Denn der Tausendfüßler war nicht allein. Eine ganze Zahl anderer Riesentiere verfolgte den Tausendfüßler in den Schatten, von diesem noch unbemerkt.
"Wir müssen umkehren", berichtete er Thanatos umgehend.
"Wir können nicht umkehren!", gab der Anführer zurück. "Was ist los?"
Zayn berichtete von dem Tausendfüßler. "Und er wurde von einer Schar Höhlenspinnen verfolgt."
"Gut, dann erledigen sich die Biester gegenseitig. Wo ist das Problem?"
"Das Problem ist, diese Tiere sind Höhlenbewohner. Sie jagen nicht im Tageslicht, sie kommen selbst nachts nur selten an die Oberfläche", Zayn unterbracht sich, als ein schriller Schrei erklang. Der Kampf zwischen Tausendfüßler und Spinnen hatte begonnen. "Da stimmt etwas nicht", schloss er seinen Bericht.
"Ich nehme an, Anthony vertreibt sie aus ihren Höhlen", sagte Thanatos leichthin.
"Das kann er?", fragte Zayn.
"Er wird inzwischen Drachenblut bei der Schlucht versammelt haben. Sie suchen die Eier und verjagen oder töten alles, was ihnen gefährlich werden könnte."
"Dann sind wir zu spät!"
"Wir sind erst dann zu spät, wenn der Mutterdrache geweckt wurde", widersprach Thanatos. "Und vorher dürfen wir nicht aufgeben. Du musst für uns einen Weg zur Spitze finden. Schaffst du das?"
Zayn zögerte. Der kleinste Fehler könnte seinen Tod bedeuten, wenn er sich wirklich entschlösse, weiter zu gehen.
"Ich mach es", sagte er dann.
"Sehr gut", Thanatos nickte. "Wir sind direkt hinter dir."
Mit diesen Worten hob der Anführer der Thanaoten einen Speer. Liara hatte inzwischen neue Waffen gefertigt.
Gerade, als Zayn loslaufen wollte, kam Nemesis plötzlich heran geschossen und landete vor ihnen.
"Makami!", keuchte ein recht blasser Maurice vom Rücken des Flugsauriers. "Sie hat uns gefunden."
"Wie weit ist sie weg?", fragte Thanatos.
"Sie lebt?!", Liaras Ausruf wurde übergangen.
"Gerade aus dem Wald heraus. Aber sie ist schnell", berichtete Maurice.
"Dann los", Zayn schickte Deynara mit einem Pfiff in die Luft, damit sie den Weg für ihn auskundschaftete. Im Laufschritt eilte die Gruppe los.
Dass das reichte, um einen Raptor im vollen Lauf abzuhängen, bezweifelte Zayn. Er konzentrierte sich auf den Weg vor ihm. Die kleine Schlucht, die ihnen bisher Deckung geboten hatte, verschwand und sie eilten über offenes Feld. Es wimmelte nur so von Tieren vor ihnen: Spinnen, Tausendfüßler und Skorpione, allesamt groß genug, als dass man sie reiten könnte. Viele hatten sich vor der Hitze in schattige Spalten gerettet, doch nun, da sich mit einem Mal schmackhafte Beute zeigte, krabbelten sie aus den unterschiedlichsten Löchern und Winkeln hervor.
"Schneller!", rief Zayn und folgte Deynara, die über jenen Orten flatterte, die nicht von Gegnern überflutet waren. Bald folgten sie einem schmalen Zickzackpfad durch die Menge. Das einzige, was die Thanaoten rettete, war die Tatsache, dass die Raubtiere auch gegeneinander kämpften, statt die Beute vereint zu jagen.
So erreichten sie die Stelle knapp unterhalb der Bergspitzen.
Maurice landete mit Nemesis neben Zayn, als sich die Gruppe keuchend in eine kleine Höhle drückte und lauschte, ob sie noch verfolgt wurden.
"Wir können nicht weiter", sagte Maurice leise zu Zayn.
"Wieso nicht?"
"Da oben sind ... Wesen. Ich glaube, sie bewachen die Zugänge. Und ich glaube nicht, dass wir an ihnen vorbei kommen."