Es war einmal vor langer Zeit ein Königreich, da lebten und arbeiteten die Menschen in der Nacht, und wenn tags die Sonne schien, versteckten sie sich in tiefen Höhlen, denn sie fürchteten sich vor dem Licht. Tagsüber nämlich kam ein gefräßiger Drache aus seinem Versteck, und er jagte die Menschen und vernichtete ihre Ernte, wenn er sie fand.
So versteckten sich die Menschen unter der Erde und arbeiteten nur nachts. Die Schmiede hämmerten leise und vorsichtig und die Tischler schabten langsam und still, und selbst die Hirten brachten ihre Tiere dazu, keinen Laut zu machen.
Es geschah aber, dass in diesem Land ein Junge wohnte, der hörte die Geschichten von der Sonne, die die Ältesten der Alten zu berichten wussten, und in ihm wuchs der Wunsch, die Sonne einmal selbst zu sehen und das Land in ihrem Licht zu betrachten statt nur im Schein des Mondes.
„Dummer Junge!“, schalt ihn seine Stiefmutter. „In der Sonne ist es gefährlich, dort kommt der Drache und er frisst dich. Und nun mach deine Aufgaben!“
Denn der Junge musste tagein, tagaus das Haus putzen und scheuern, die Wäsche waschen und das Essen bereiten. Seine Eltern waren beide gestorben und nun lebte er bei seiner Stiefmutter und deren Sohn und das Haus sollte perfekt sein für den Sohn der Stiefmutter, den diese über alles auf der Welt liebte.
So ging der Junge in den Keller, um zu arbeiten. Da hörte er ein wehleidiges Quaken.
„Hilfe! Hilfe!“, rief da jemand. Der Junge ging nachsehen und fand einen Frosch, der war in die Kohlengrube gefallen.
„Bitte hilf mir, oh guter Junge!“, bat der Frosch.
Der Junge stieg in die Grube und nahm den Frosch und setzte ihn in den Garten.
„Hab tausend Dank, du gutes Kind. Was kann ich tun, um dir deine Tat zu vergelten?“
„Ach, lieber Frosch“, sagte der Junge. „Ich möchte so gerne einmal die Sonne sehen und in ihrem Licht an der Oberfläche gehen.“
Da machte der Frosch große Glubschaugen. „Weißt du nicht, dass dort der hungrige Drache fliegt?“
„Gibt es denn keine Möglichkeit, sich vor dem Drachen zu verbergen?“, fragte der Junge.
Der Frosch überlegte. „In der Tat, die kann es geben. Nicht weit von hier, im tiefen Wald, wohnt eine schwarze Spinne, die webt aus Spinnfaden einen Mantel, der ist so fein, dass er dich vor jedem Blick verbirgt. Gehe zu ihr und frage sie um Rat.“
Da beschloss der Junge, es zu wagen, und er lief fort und in den Wald, wo die große, schwarze Spinne hauste. Er wanderte und suchte drei Tage und drei Nächte lang. Schließlich hörte er Hilferufe und er lief in die Richtung. Da sah er die Spinne, die war in die Falle eines Jägers geraten.
„Bitte hilf mir!“, flehte die Spinne.
Der Junge ging zu der Falle und öffnete sie und die Spinne konnte herausklettern.
„Hab tausend Dank, du gutes Kind. Was kann ich tun, um dir deine Tat zu vergelten?“
„Ich brauche einen Mantel aus Spinnenseide, um einmal unter der Sonne zu gehen“, erzählte der Junge.
Da blickten die acht Augen der Spinne traurig und sie sagte: „Ich kann diesen Mantel leider nicht mehr weben. Am Tag kommt der furchtbare Drache heraus, und er verbrennt mir die Wälder und damit den Faden. Solange der Drache lebt und Feuer speit, kann ich den Mantel nicht weben.“
Da wurde der Junge grimmig, und er fragte: „Gibt es denn keine Möglichkeit, den Drachen zu töten?“
Die Spinne überlegte. „In der Tat, die kann es geben. Am Rande des Königreichs, nah an der Oberfläche, wohnt der Einsiedler, der ist der älteste Mensch. Er wohnt nah an der Oberfläche und er sieht den Drachen jeden Tag. Wenn einer einen Weg weiß, diese Bestie zu töten, so er.“
So entschied der Junge, den Drachen zu töten, um im Sonnenlicht wandeln zu können, und er lief drei Tage und drei Nächte, bis er die Höhle erreichte, wo der Einsiedler wohnte.
Das war ein alter und gebrechlicher Mann und alle anderen Menschen hassten ihn. Der Junge jedoch ging furchtlos zu ihm.
„Wer bist du, Kind?“, fragte der Einsiedler. „Bist du gekommen, mich zu verspotten?“
„Nein“, antwortete der Junge. „Ich will mit Euch sprechen.“
Da weinte der Einsiedler für Freude. „Hab Dank, du gutes Kind, hab tausend Dank! Mein ganzes Leben lang war ich allein und niemand wollte mit mir reden. Was kann ich tun, um dir deine Freundlichkeit zu vergelten?“
Der Junge berichtete dem Einsiedler von seinem Wunsch, unter der Sonne zu sein und dafür den Drachen zu töten. Da wurden die Augen des Einsiedlers dunkel.
„Du kennst“, sprach er, „ganz offenbar meine Geschichte nicht, und gleich wirst du mich hassen wie alle anderen. Denn ich war der Freund des Drachen. Ich fand ihn als kleinen Schlüpfling und zog ihn auf. Wir waren unzertrennlich und er vertraute mir. Der Drache ließ mich sogar in seinen Hort, wo er sein Gold und seine Steine verbarg. Doch dann machte ich etwas sehr dummes: Ich stahl seine Steine aus Gier und da hasste er mich und nun ist er der Feind aller Menschen und ich ebenfalls, denn ich trage die Schuld.“
Da war der Junge lange Zeit still und überlegte, und schließlich fragte er: „Gibt es denn keine Möglichkeit, sich bei dem Drachen zu entschuldigen?“
„Was denkst du, Junge, was ich tue, tagein, tagaus!“, rief der Einsiedler aus. „Doch er hört mir nicht mehr zu. Ich habe meinen besten Freund verloren.“
„Gib doch dem Drachen seine Steine zurück“, schlug der Junge vor.
„Ich habe sie verkauft“, sagte der Einsiedler. „Ich wollte mir ein großes Haus kaufen und ein Pferd, und da nahm ich mir drei Steine aus dem Schatz meines Freundes und ich verkaufte sie. Aber mein Haus ist nun verbrannt und mein Pferd rannte weg und ich habe nichts mehr.“
„Wer hat deine Steine nun?“, fragte der Junge.
„Die hat der König“, sagte der Einsiedler traurig.
Da fasste der Junge einen Entschluss und er ging zurück nach Hause und sagte allen, dass er einen Weg gefunden habe, wieder im Tageslicht zu leben. Und er bat den König um die drei Edelsteine des Drachen, aber der König wollte eine Bedenkzeit. Und so musste der Junge drei Tage und drei Nächte warten.
Die Stiefmutter des Jungen aber hörte seine Geschichte und sie wusste auch, dass der Junge mit dem Frosch geredet hatte. Da nahm sie ihren Sohn beiseite und sprach zu ihm: „Wer auch immer uns Menschen zurück ins Licht bringt, der wird reich entlohnt werden. Ich möchte, dass du das bist und nicht der Junge. Los, geh und finde den Frosch, sprich mit ihm! Finde heraus, was der Junge herausgefunden hat!“
Und so ging der Sohn in den Garten und dort fand er den Frosch. Und er ekelte sich gar sehr vor ihm.
„Igitt, du hässliches Ding! Los, sag, was der Junge von dir erfuhr!“ Und er hob einen Stein, um dem Frosch damit zu drohen.
Voller Angst erzählte der Frosch also, dass er den Jungen zur Spinne geschickt hatte, aber warum, das verschwieg er, und der Sohn fragte auch nicht nach.
Nun kam der Sohn in den Wald und fand die Spinne, und es grauste ihn gar sehr vor ihr.
„Pfui, du garstiges Ding! Los, sag, was der Junge von dir erfuhr!“ Und er hob ein Licht, um der Spinne mit dem Feuer zu drohen.
Voller Angst erzählte die Spinne also, dass sie den Jungen zu dem Einsiedler geschickt hatte, aber warum, das verschwieg sie, und der Sohn fragte auch nicht nach.
Dann kam der Sohn zum Einsiedler in der obersten Höhle und er kannte die Geschichten und verachtete ihn gar sehr.
„Pah, du elender Alter! Los, sag, was der Junge von dir erfuhr!“ Und er hob einen Knüppel, um dem Einsiedler damit zu drohen.
Doch der Einsiedler lächelte und er sprach: „Kein Geheimnis ist’s. Ich kenne den Drachen und ich weiß, dass er gar keine Gefahr für euch Menschen ist. Er brüllt nur laut, doch er kann nicht beißen und nicht brennen. Hab keine Angst vor ihm, das sage ich dir.“
Und der Sohn der Stiefmutter triumphierte, denn er glaubte, nun der erste zu sein, der an die Oberfläche könnte. Und er ging an die Oberfläche in das Licht und rief laut, sodass alle ihn hörten: „Seht, ihr Menschen! Es gibt keine Gefahr.“
Da hörte ihn der Drache und er flog heran und fraß den Sohn mit Haut und Haar.
Und alle Menschen sahen, was geschah. Die Stiefmutter schluchzte laut auf und ihr Haar wurde grau vor Trauer über den Tod ihres Sohnes. Der König aber zürnte, und er ließ dem Jungen die drei Edelsteine bringen und verlangte, dass der Drache sofort getötet werde.
Der Junge selbst fürchtete sich sehr, denn nun hatte er das Feuer des Drachen gesehen. Und voller Angst ging er los, an die Oberfläche, in das Licht. Über ihm am Himmel kreiste der Drache, und er sah den Jungen sofort und setzte an, ihn zu fressen wie den Sohn.
Da hob der Junge die Hände und hielt darin die drei Edelsteine und er rief: „Drache, dein Freund schickt mich, und er bittet dich um Verzeihung.“
Da landete der Drache. Er knurrte und heißer Atem drang aus seinem Maul, Gift troff auf den Boden und sein Blick war sengend. Doch er hörte dem Jungen zu.
„Er weiß, dass er einen Fehler gemacht hat, und er schämt sich sehr“, sprach der Junge. „Lange schon wollte er dir deine Steine wiedergeben, doch er konnte es nicht. Bitte verzeih ihm, Drache.“
Mit einer Stimme wie das Rumpeln von Lawinen fragte der Drache: „Stimmt das denn auch? Wer bist du, Wicht, dass ich dir trauen kann?“
Da zitterte der Junge vor Angst, doch er ging vor und legte die Edelsteine vor den Drachen, direkt vor das schreckliche Maul, und trat zurück.
Da kam der Einsiedler aus seiner Höhle und sprach: „Es ist alles wahr, mein Freund. Blind war ich vor Gier und ich dachte, dass du diese Steine schon nicht missen würdest. Du besaßt so viel Reichtum und ich nichts, da wurde ich neidisch und ich nahm mir die Steine. Doch dann verlor ich alles und zu spät merkte ich, dass der kostbarste Besitz davon dein Vertrauen war.“
„Hättest du nur gefragt“, sprach der Drache, „ich hätte dir diese Edelsteine gegeben und noch mehr. Doch bestehlen lasse ich mich nicht.“
„Ich bitte dich, verzeihe mir“, sagte der Einsiedler.
Der Drache seufzte und alle Menschen hielten den Atem an, denn sie glaubten, dass er Feuer speien würde. Doch da sagte der Drache: „Ich verzeihe dir, mein Freund. Denn ich verdanke dir viel und ich habe dich lange genug leiden lassen für deine Tat. Ich dachte, dass die Menschen blind und bösartig wären, ein Haufen Diebe und Lügner, doch nun sehe ich euren Mut und eure Ehre. Verzeiht mir nun im Gegenzug das Feuer, welches ich über euch brachte.“
Das war eine schwere Tat, denn viele hatten ihre Liebsten im Feuer des Drachen verloren und sie würden den Groll ewig in ihren Herzen tragen. Da flog der Drache davon und kehrte wieder mit seinem Schatz, und er verteilte die Edelsteine an alle Menschen.
„Kein Stein der Welt kann euren Verlust ersetzen“, sprach er dabei. „Doch ich hoffe, dass das Sonnenlicht euch helfen wird, ihn zu vergessen.“
Doch einige wenige Menschen, wie die Stiefmutter des Jungen, wollten immer noch nicht vergessen. Und während die Menschen zwar wieder in der Sonne lebten und Felder bestellten und es allen gut ging, schmiedete die Stiefmutter Pläne, den Drachen zu töten, und der Junge hörte es.
Da rief der Junge seine Freunde zusammen, den Frosch, die Spinne und den Einsiedler, und erzählte ihnen, was er erfahren hatte.
„Wir können sie alle töten!“, rief da der Frosch. „Die Spinne spinnt die Verräter ein, wenn sie schlafen, und der Einsiedler erstickt sie und der Drache darf ihr Fleisch fressen!“
„Nein!“, schrie die Spinne. „Nein, das tue ich nicht.“
Und auch der Einsiedler schüttelte den Kopf. „Ich bin kein Mörder, Frosch, und dich hielt ich auch nicht für einen.“
Der Frosch sah den Jungen an, der schwieg, und fragte: „Was ist mit dir, Kind, das du unter deiner Stiefmutter lange Jahre gelitten hast. Wünscht du keine Rache?“
Der Junge schüttelte den Kopf. „Der Drache wollte Rache, und er schuf damit viel Unrecht und vernichtete das Land nah und fern. Ich will keine Rache üben.“
Da leuchtete der Frosch plötzlich auf und mit einem Mal war er ein großer Zauberer, der den Jungen anlächelte.
„Gut gesprochen hast du, Kind. Ich wusste vom ersten Augenblick an, dass du weise bist, und doch musste ich dich prüfen. Ich musste deine Seele prüfen, und so wurde ich ein Frosch, den ihr Menschen hasst, und schickte dich zu einer Spinne, die ihr Menschen fürchtet, doch du warst freundlich zu ihnen. Ich musste dein Herz prüfen, und so schickte ich dich vor einen schrecklichen Drachen, und du warst so mutig, dich ihm zu stellen. Ich musste auch deinen Sinn prüfen, und so gab ich dir die Aussicht auf Rache, doch du lehntest sie ab. So ist es bewiesen, dass du meinen Stab erben sollst, denn du vermagst ihn gut zu führen.“
Und damit gab der Zauberer dem Jungen seinen Zauberstab.
„Gehe mit diesem Stab zu deiner Stiefmutter und allen, die trauern. Seine Macht vermag es, die Toten zurückzuholen und das Land vom Feuer des Drachen zu heilen.“
Und so geschah es. Der Sohn der Stiefmutter und alle Toten kehrten zurück und die Felder der Menschen wurden fruchtbar und endlich konnte Freundschaft siegen. Die Menschen schlossen Frieden mit dem Drachen und lebten im Sonnenlicht ohne Furcht. Die Stiefmutter war dem Jungen so dankbar, dass sie ihn vielmals um Verzeihung bat, und der Junge verzieh ihr, doch er ging fort und die Stiefmutter und ihr Sohn mussten fortan alles im Hause selber machen. Der Junge aber erhielt vom König die Hälfte des Königreichs und noch die Prinzessin zur Frau und war fortan ein reicher Mann.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.