Was wäre, wenn … Karja und Elred Brenna nicht retten können?
Fortsetzung von „Albtraum in den Minen der Schürfer“, Kapitel 42/46/50.
In diesem Kapitel gelten die Pairings Brenna & Karja sowie Elred & Arthrax.
Ihr habt Barkan’dor erst einen Tag hinter euch gelassen. Noch immer suchen die Zwerge nach euch, doch mit den Pferden habt ihr sie abhängen können. Das Rohr, dem ihr gefolgt seid – das verhängnisvolle Abflussrohr – führte in die Wildnis des Gebirges, wo ihr direkt nach Westen geritten seid. Fernab der Straßen konntet ihr den Suchtrupps entgehen, die offenbar auch eure Spuren nicht gefunden haben.
Das lief also ideal. Andere Dinge … nicht so sehr. Auch nachdem ihr Brenna aus dem giftigen Dampf gezogen habt, hat sie sich nicht mehr erholt. Sie war bewusstlos. Und heute, am Morgen nach eurer Flucht, lag sie kalt und steif zwischen euch.
Karja hat sich noch immer nicht gerührt. Sie weint nicht, das ist auch nicht ihr Stil, aber es ist klar, dass dieser Verlust sie schwer getroffen hat. Ohne auf dich zu reagieren sitzt sie neben ihrer toten Geliebten und betrachtet Brennas regloses Gesicht.
Du kannst ihre Hoffnungslosigkeit gut nachvollziehen. Auch dir geht unaufhörlich durch den Kopf, wie ihr hier versagt habt. Der Schöpferstein liegt noch immer im Zwergenreich. Nicht einmal den Obsidianspiegel habt ihr bekommen. Und trotz Allysters Warnungen konntet ihr Brenna nicht beschützen.
Wie sollst du das bloß Arthrax erklären? Er wird dir den Kopf abreißen. Schlimm genug, dass mit Brenna eine langjährige Freundin einfach fort ist – du weißt, dass du deinem Liebsten eine schreckliche Botschaft überbringen musst. Und Arthrax wird es nicht gut aufnehmen, das weißt du ebenfalls sehr gut. Ihr habt gerade erst zusammengefunden, nachdem ihr vorher eher Konkurrenten wart. Kann eure Beziehung diesen Schlag verkraften? Der Gedanke macht dir Angst. Was, wenn du jetzt auch noch Arthrax verlieren wirst?
Hoffentlich wird das nicht passieren. Dann kannst du ihm in dieser schrecklichen Zeit zur Seite stehen. Aber der Mensch ist nicht immer vernünftig. Du liebst ihn mit all diesen Macken, doch du weißt nicht, ob auch seine Liebe stark genug sein wird.
Um Karja etwas Zeit zu geben, kümmerst du dich um die Pferde, führst sie zum Trinken an einen nahen Bergbach und kontrollierst eure Ausrüstung. Nach der Flucht unter Beschuss könnte ja ein Riemen verletzt sein. Doch alles ist in bester Ordnung. Wenn doch nur das Leben genauso einfach wäre!
Du trittst zu der Piratin. „Karja? Wir … wir sollten sie begraben.“
Es fällt dir schwer, zu sprechen. Schon dreimal bist du heute in Tränen ausgebrochen. Auch jetzt spürst du wieder den Kloß im Hals.
Scheiße. Ja, Menschen sind kurzlebig, Söldner sowieso, aber Brennas Tod hat ein Loch in dein Herz gerissen, das sich nicht so leicht stopfen lassen wird. Du warst nicht darauf vorbereitet, sie so plötzlich zu verlieren. Noch dazu auf diese Weise, durch die giftigen Dämpfe im Rohr. Und vor allem, nachdem ihr sie während der gesamten Reise durch die Mine beschützt habt! Nun war all das umsonst, all eure Mühen konnten sie nicht retten.
Karja antwortet auch jetzt nicht. Du bist nicht einmal sicher, ob sie dich überhaupt gehört hat. Gerade willst du sie erneut ansprechen, da steht Karja auf. Schweren Schrittes schleppt sie sich zu eurer Ausrüstung, die einen kleinen Klappspaten enthält, wie Soldaten sie ihn oft bei sich tragen, um einen Unterschlupf bauen zu können.
Wortlos beginnt Karja damit, der hartgefrorenen Erde ein Grab abzukämpfen.
„Sag, wenn ich dich ablösen soll“, bittest du die keuchende Piratin leise. Ihr habt nur eine Schaufel bei euch, denn ihr habt auf schweres Gepäck verzichtet. Mit bloßen Händen bist du ihr keine große Hilfe, doch die harte Arbeit scheint Karja auch zu gefallen. Bald ist sie schweißüberströmt, doch sie wird nicht langsamer.
Es ist noch viel zu früh, um Brenna zu beerdigen. Soweit du es weißt, warten die Menschen immer einige Tage, um Abschied zu nehmen. Allerdings weißt du nicht, wie es die Leute in der Mondsee halten. In deinem Volk wird der Körper auch mindestens drei Tage aufgebahrt, sodass jeder aus der Familie und dem Freundeskreis vorbeikommen kann. Die Gäste bringen kleine Gaben mit, etwa Steine, Blumensamen und mehr, die dem Verstorbenen mitgegeben werden. Dann kommt der Elf in die Wildnis des Waldes, wo er unter einem Geflecht aus Weidenästen begraben wird. Wie diese verfallen und sich das deckende Laub zu Erde wandelt, wachsen die Samen, bis irgendwann ein blühender Grabhügel entsteht.
Ein wunderschöner Ort, an den man immer gehen kann, um sich dem Verstorbenen nah zu fühlen – doch so etwas wird es für Brenna nicht geben. Ihr bleibt nur dieser trostlose Flecken im Bergland. Ihr habt nichts, was ihr ihr an Geschenken mitgeben könnt. Der Tod ist ohnehin schon eine niederschlagende Angelegenheit, doch in diesem Fall wird es nicht einmal einen Trost für euch geben.
Als Karja schließlich fertig ist, bettet ihr Brennas bereits steifen Körper in eine eurer Decken und senkt sie in das Loch ab. Karja bleibt so stoisch wie zuvor, aber du kannst die brennenden Tränen kaum noch zurückhalten.
Brenna kommt etwas schief zu liegen. Die harte Erde ließ nur ein flaches Grab zu. Brennas Kopf liegt in einem ungünstigen Winkel, zu spät habt ihr daran gedacht, sie besser auszurichten, bevor die Totenstarre einsetzt. Auch ihre Augen konntet ihr nicht mehr schließen.
Seite an Seite steht ihr neben dem Grab und seht auf Brenna hinab. Keiner von euch sagt etwas. Nach einer Weile streckst du vorsichtig den Arm und legst ihn um Karjas Schultern. Die Piratin lässt es nicht nur zu, sie lehnt sich an dich. Zwar erklingt kein Laut, aber du spürst, wie ihr Körper von Schluchzern geschüttelt wird. Schweigend hältst du sie fest, lässt deine eigenen Tränen fließen, bis sie schließlich versiegen und ihr erschöpft beginnt, das Grab zu schließen.
Dann brecht ihr auf. Jeder Schritt der Pferde trägt euch weiter von Brenna fort. Ihr unberittenes Kaltblut ist eine ständige Erinnerung an euren Verlust. Es ist ein Glück, dass die Zwerge eure Spur nicht aufnehmen, denn keiner von euch hätte die Kraft, auch noch eine Flucht im Galopp zu überstehen. In euren Herzen ist einfach keine Kraft geblieben, um um euer Leben zu kämpfen.
°°°
Eines Abends viele Wochen später nähert ihr euch endlich dem Gasthaus. Die Amsel sitzt auf deiner Schulter, wie schon seit Tagen. Du wusstest nicht, was du Allysters Nachricht antworten solltest, und hast es im Endeffekt einfach gelassen. Die Tage sind verstrichen, nun ist es zu spät.
Ihr bringt die Pferde zunächst in den Stall und kümmert euch selbst um sie. Die Stallburschen schlafen offenbar bereits. Noch bevor du den Mut aufbringen kannst, in den Schankraum zu gehen, hörst du schwere, polternde Schritte.
Arthrax stürmt in den Stall.
„Elred! Ich wusste, ich habe was gehört! Sag mir, dass er lügt! Sag mir, dass Allyster nicht recht hat!“
Du wechselst einen Blick mit Karja, ehe du dich langsam umdrehst.
Arthrax atmet schwer. Er wirkt fast wie ein kleiner Junge, während er ängstlich durch den Stall sieht. Ein Junge mit Oberarmen, doppelt so breit wie deine Beine … „Wo ist Brenna? Elred … wo ist sie?“
Nun ist die Stunde gekommen. Deine Stimme versagt fast. „Es tut mir leid …“
„Nein!“, braust Arthrax sofort auf. „Du lügst! Es stimmt nicht, ihr habt sie gerettet! Allyster hat gesagt, dass eine Chance besteht …“
Du senkst den Blick und auch Arthrax verstummt schließlich.
„Elred“, sagt er in forderndem Tonfall. „Was ist passiert?“
Langsam, stockend, berichtest du von eurer Flucht aus der Stadt. Neben dir schnief Karja leise, aber deine eigenen Tränen sind mittlerweile versiegt, verschlossen in einem schmerzhaften Knoten in deiner Brust, der sich nicht lösen will. Du hast Angst. Angst davor, welchen Schmerz du Arthrax zufügen musst.
„Wir … wir haben es erst bemerkt, als wir auch schon im Giftnebel waren. Und Brenna, sie … sie ist gestürzt.“
„Nein“, haucht Arthrax.
„Karja hat sie rausgezogen!“ Fast wie zum Beweis erleidet die Frau in diesem Moment einen ihrer vielen Hustenanfälle, eine weitere Narbe dieses schrecklichen Tages. „Und eine Weile war Brenna einfach bewusstlos, aber als … am nächsten Tag, als … als wir …“ Du siehst auf deine Hände. Sie verschwimmen vor deinem Blick.
„Sie muss in der Nacht gestorben sein“, beendet Karja deine Erzählung mit tonloser Stimme. „Das Gift hat sie still und leise genommen.“
„Nein“, sagt Arthrax. Als du den Kopf hebst, stolpert dein Freund rückwärts aus dem Stall, während er den Kopf schüttelt. Wieder und wieder sagt er es: „Nein. Nein. Nein!“
Du eilst ihm nach. „Arthrax …“ Du greifst nach der starken Hand des Kriegers, die jetzt zittert. Verzweifelt versuchst du, seinen Blick einzufangen. Um ihm Trost zu geben, ja, aber auch voller Angst davor, was du darin sehen wirst.
Verachtung. Hass. All das schlägt dir aus geröteten Augen entgegen, als eure Blicke sich schließlich kreuzen. Arthrax muss schon vorher viel geweint haben. Vermutlich wusste Allyster aus seinen Visionen schon lange, was geschehen war.
Du hättest die Nachricht also gar nicht hinauszögern müssen. Durch dein Schweigen hast du alles nur schlimmer gemacht. Ohne die furchtbare Bestätigung hat sich Arthrax offenbar bis jetzt Hoffnungen gemacht.
„Scher dich fort!“, brüllt er dich an. Sein Stoß ist nicht besonders stark, trotzdem fällst du, zu erschüttert von dem Ausdruck in seinem Gesicht.
„Arthrax …“ Wieder brennen Tränen in deinen Augen. Du willst ihn so unbedingt halten. Seinen Schmerz lindern. Deine eigene Trauer in seinen Armen vergessen, wenn auch nur für einen Moment. „Bitte.“
Falls er deine klägliche Bitte überhaupt hört, ignoriert Arthrax sie. „Verschwinde. Ich will dich nie wieder sehen.“ Die Stimme des Kriegers ist gefährlich leise. Zur Bekräftigung seiner Worte zieht er seine Axt. „Oder ich werde dich eigenhändig töten.“
Du erzitterst. Oft genug hast du seine Wutanfälle erlebt, um zu wissen, dass Arthrax diese Drohung wahrmachen wird. Er gibt dir nur einen Vorsprung.
„Du hast bis zum Tageslicht Zeit. Danach wirst du dafür bezahlen, dass du sie hast sterben lassen!“
Du rappelst dich auf, als Arthrax einen drohenden Schritt in deine Richtung macht, und flüchtest in den Stall. Dort hat Karja ihr Maultier und deinen Coritas bereits wieder gesattelt. Schweigend reicht sie dir die Zügel und ihr schwingt euch in die Sattel der Tiere, die sich nur zögerlich von dem Heu forttreiben lassen, das sie doch nach der langen Reise verdienen.
Arthrax steht noch draußen auf der Straße. Im Fenster der Taverne siehst du Aji und Allyster, die euch schweigend ansehen. Der Junge winkt mit unglücklichem Gesicht.
„Verpisst euch!“ Arthrax brüllt wieder. „Verschwindet, und betet, dass ihr mir nie wieder über den Weg lauft!“ Falls er je etwas für dich empfand, nun sind die Gefühle fort. Wenn es bei dir nur genauso wäre!
Tränenblind treibst du Coritas zum Galopp. Ihr flüchtet aus der Stadt und weiter nach Norden, bis das zornige Gebrüll des Kriegers hinter euch verhallt.
Eure Liebe war nicht stark genug. Die Erkenntnis ist noch schmerzhafter, als Brenna zu verlieren.
„Elred?“ Nach einer Weile hält Karja an. „Ich … ich werde heimkehren. In die Mondsee.“
Überrascht siehst du sie an. „Wie … jetzt?“
Sie nickt. „Hier … gibt es nichts mehr für mich.“ Ihr hoffnungsloser Blick macht klar, dass Brenna ihr Grund war, mit euch zu ziehen. „Ich muss zurück in meine Heimat. Vielleicht kann ich dort auf Gnade hoffen. Doch wenn nicht … ist es auch egal.“
„Alles Gute“, sagst du leise, auch wenn diese neue Trennung dein Herz noch schwerer macht. Karja nickt. Dann wendet sie das Maultier und treibt es nach Westen.
Es fühlt sich an, als würde nun auch sie dich im Stich lassen. Völlig alleine reitest du weiter. Deine Gedanken kreisen um die viel zu kurzen Stunden, die du mit Arthrax verbracht hast, um die unbesorgte Zeit vor diesem schrecklichen Auftrag, als ihr noch eine vereinte Gruppe wart, um die Schlingen des Schicksals, die euch auseinanderzerrten.
Und um Brenna, die so viel mehr verdient hätte. Normalerweise würdet ihr Elfen Lieder über die Toten dichten, jeder, der den Verstorbenen kannte, steuert eine Strophe bei. Doch deine Seele wird von einem gewaltigen Gewicht zur Erde gezogen und in deinem Herzen ist kein Raum mehr für Lieder.