Was wäre, wenn … Allyster, Aji und Arthrax im Steinrund festsitzen?
Fortsetzung von „Im Bann der dunklen Druiden“, Kapitel 30.
„Was machen wir denn jetzt?“, fragt Arthrax in ungehaltenem Tonfall – als wäre es eure Schuld, dass ihr jetzt hier festsitzt.
Dein Meister macht sich nicht die Mühe, darauf zu reagieren. Die Antwort ist klar. Ihr sitzt im Ring aus Dornenhecken fest. Dort gibt es kein Durchkommen. Die Dornen sind länger als deine Hand von den Fingerspitzen bis zum Handgelenk. Die Ranken sind so dicht, dass ihr die andere Seite nicht einmal sehen könnt.
Im Inneren des Steinrunds ist erst einmal wieder trügerische Ruhe eingekehrt. Die Druiden stehen in kleinen Gruppen zusammen, die wie Haine dunkler Tannen erscheinen. Allerdings wisst ihr jetzt, dass nur die roten Tannen hier echte Bäume sind. Der Rest sind Druiden.
Die Wipfel der dunklen Tannen rascheln unter Getuschel und Geflüster. Die neu angekommene Druidengruppe berichtet dem Rest vermutlich gerade von euch.
„Was machen wir jetzt?“, wiederholt Arthrax ungeduldiger. „Allyster, Aji? Hallo?“
„Sie wissen vermutlich, dass wir ihnen mit dem Ammoniten entkommen sind“, antwortet dein Meister nachdenklich. „Oder sie werden es bald erraten. Wir sollten davon ausgehen, dass uns nicht viel Zeit bleibt. Der Stein, reagiert er auf einen von euch?“
Arthrax verneint mit einem Kopfschütteln. Daraufhin drückt Allyster dir den grüngesprenkelten Stein in die Hand. Doch nichts geschieht, er bleibt dunkel.
„Sind wir sicher, dass das der richtige Stein ist?“, fragst du leise.
„Großer, magisch gefärbter Kristall. Was sollte es sonst sein?“, brummt Arthrax unfreundlich.
„Der Vesuvian bringt uns auch nichts“, fährt Allyster ungerührt fort. „Also bleibt uns eigentlich nur der Ametrin.“
Instinktiv umfasst du den Stein unter deinem Hemd. Allyster sieht dich lauernd an. „Kannst du irgendwas wahrnehmen?“
Zögerlich nickst du. Eine Aura von Tod hängt in der Luft, die ihren Ursprung bei dem großen Stein in der Mitte des Steinrunds hat – wo ihr auch den Stein herhabt.
„Das da drüben … es ist eine Opferungsstätte oder so.“
„Bist du dir sicher?“, hakt Allyster nach. „Wir können uns keine Fehler leisten.“
„Ich bin mir sicher!“, knurrst du gereizt. „Wer von uns hat den Stein?“
„Ich kenne mich eben besser mit Magie aus!“ Allyster winkt ab. „Gut, folgt mir. Es hat keinen Sinn, das hinauszuzögern.“
Im Schritt reitet er zurück zu dem Kreis aus Findlingen. Wütend reitest du ihm hinterher, Arthrax setzt sich in eure Mitte. Wieso muss dein Meister eigentlich immer alles besser wissen? Das ist ja nicht zum Aushalten! Du hast die Schöpfersteine bereits genutzt, Allyster dagegen hat keinen einzigen Stein. Er weiß einfach nicht, wie das läuft.
Ihr seid noch nicht besonders weit gekommen, als ihr anhalten müsst. Eine Gruppe Tannen hat sich in Bewegung gesetzt. Die Druiden bewegen nur ihre Wurzeln durch die Erde, sie bilden keine Beine aus. Damit sind sie deutlich langsamer unterwegs als die Gruppe, die ihr getroffen habt, aber sie sind immer noch recht schnell. Im Laufen könntet ihr sie überholen, das Problem ist, dass sie dann die Abdrücke eurer Pferde sehen müssten – denn die Gruppe aus fünf Druiden bewegt sich auf den Findling zu.
Durch Arthrax getarnt harrt ihr aus, einen guten Steinwurf von der Opferstätte entfernt. Du tastest in Gedanken nach den Toten. Doch etwas ist seltsam. Anders als im Wald der Dunkelelfen spürst du wenig Energie in den Spuren des vergossenen Lebens. Du vermutest, dass es weniger Tote sind. Aber das ist ja auch kein Wunder – die Elfen hatten ihre Stadt förmlich auf Toten erbaut!
Nun wartet ihr erst einmal, während die Druiden sich um die Steine verteilen. Dadurch wirkt der Kreis wie ein schattiger Hain, denn die Druiden sehen aus wie uralte Bäume.
Ihr seid nah genug, um ihre Stimmen zu hören.
„Die Götter werden uns sicherlich nicht erhören. Es ist unsere Schuld, dass die Feinde eindringen konnten!“
„Wir müssen nur ein Opfer finden, das groß genug ist. Dann können wir sie besänftigen.“
Die Druiden klingen ängstlich und verzweifelt entschlossen. Sie haben offenbar Angst vor euch! Wieso auch immer sie euch für so gefährliche Leute halten – wüssten sie die Wahrheit, sähe das sicherlich anders aus.
„Moment mal!“, ruft plötzlich ein Druide. „Da fehlt ein Stein!“
„Was?“ Die Tannen ziehen sich enger um die Findlinge zusammen.
„Ja, da fehlt dieser braune Stein mit grünen Sprenkeln. Das war eine Opfergabe vom Hohepriester!“
Die Wipfel der Bäume rauschen laut und besorgt. Gleich darauf stößt einer wieder einen lauten Hornruf aus, der von den Hängen widerhallt.
„Sie waren hier“, murmelt ein anderer Druide geradezu panisch. „Wie lange ist das her? Denkt ihr … denkt ihr, sie sind noch hier?“
Ihr tauscht nervöse Blicke in der Schutzkuppel von Arthrax‘ Zauber.
„Sie wissen es!“, flüsterst du nervös.
„Und das ist kein Schöpferstein.“ Grollend wirft dein Meister den Stein zur Erde. „Arthrax, du Idiot!“
„Ihr hättet den auch eingesteckt.“
„Leise!“
Ihr seht zu den Druiden, die jetzt um die Findlinge herumgehen. Diese fremdartigen Wesen sind schwer zu lesen. Ihr könnt oft nicht einmal Gesichter erkennen, dennoch wirkt die Art, wie sie ihre Wipfel vorbeugen, als würden sie nach Spuren suchen.
Spuren in der Erde, die ihr hinterlassen habt. Sie werden euch finden!
„Verteilt euch!“, weist ein Druide den Rest an. Der, der gerufen hat, beendet den lauten Schrei. Daraufhin beginnen alle Druiden im Tal, sich zu bewegen, obwohl sie den Befehl eigentlich nicht gehört haben können. Doch das ändert nichts an eurer Situation. Die Tannen bilden ein dichtes Raster, dem ihr nicht entrinnen könnt.
„Was jetzt?“, fragt Arthrax schon wieder.
„Was weiß ich!“, braust dein Meister auf. Es ist ein Wunder, dass er sich noch weit genug beherrscht, um seine Stimme zu dämpfen. „Wir haben keinen Stein und wir stecken in der Scheiße! Aji, mach uns den Dornenwall auf!“
„Ich … ich weiß nicht, ob das geht!“
„Du nimmst einfach das fünfte Gesetz der Teilung und verrechnest das …“ Du hörst nicht zu, während dein Mentor Zaubersprüche und Formeln auf dich einprasseln lässt. Allyster hat einfach keine Ahnung! So funktionieren die Schöpfersteine nicht! Stattdessen umklammerst du deinen Stein verzweifelt und konzentrierst dich auf die Toten. Du schenkst ihnen deine Kraft, um sie zurück ins Leben zu holen, und befiehlst ihnen, den Wall zu durchbrechen.
Dann öffnest du die Augen, weil Schreie erklingen. Die Druiden haben deinen Zauber bemerkt. Auf dem großen Opferstein in der Mitte haben sich die bräunlichen Matschpfützen erhoben. Sie bestehen, wie du nun deutlich fühlst, aus getrocknetem Blut, vermengt mit den Knochen der geopferten Tiere. Allerdings haben die Druiden oft nur einige Pfoten, Ohren oder Zähne als Opfer dargebracht. So gehorchen keine einzelnen Wesen deinem Befehl, sondern ein undefinierbarer Blobb aus Blut und Schlamm, gespickt mit Knochensplittern, Geweih, Zähnen und Pelzfetzen. Wankend kriecht das Monster auf die Dornenhecken zu. Der Gestank, der sich aus dem aufgewühlten Blut erhebt, weht euch sogar einige Schritt entfernt um die Nasen. Allyster würgt. Arthrax dagegen scheint nicht einmal etwas wahrzunehmen.
Quälend langsam kriecht deine abscheuliche Kreatur auf den Wall zu. Die Druiden weichen entsetzt zurück. Du überwindest die Übelkeit, die dich erfasst, und konzentrierst dich auf die Befehle an deinen Diener.
Vor dem Dornenwall bäumt sich die wiederbelebte Masse auf. Mit einem unheimlichen Röhren, in das sich das Jaulen von Wölfen mischt, bildet sie eine unförmige Pranke aus und schlägt auf die Dornen ein.
Doch der Schlamm dringt nahezu wirkungslos durch die Ranken. Fleischbrocken und Fellfetzen bleiben in den Dornen hängen. Die Blutmasse ist nicht fest genug, um viel zu bewirken. Sie könnte problemlos durch den Wall, aber sie wäre beispielsweise auch nicht stark genug, um euch zu tragen.
Dafür haben sich die Druiden jetzt von ihrem Schock erholt. „Sie sind hier! Sucht die Kalynorer!“
Du schwankst bereits von der Anstrengung, deine Kreatur zu kontrollieren. Wie durch einen Nebel siehst du, wie einer der Druiden sich hinter euch über die Erde beugt. Er hat eure Spuren gefunden!
Ein alle Geräusche ertränkender Druidenruf alarmiert den Rest der Gruppe. Dunkle Tannen rücken von allen Seiten vor, schließen ihren Ring um euch. Allyster brüllt dich an, aber du verstehst ihn nicht mehr.
Dann schießen rote Wurzeln aus der Erde und packen die Füße eurer Rösser. Ihre schrillen Schreie lassen deine Konzentration endgültig abreißen. Die wiederbelebte Abscheulichkeit zerfällt – und damit eure letzte Hoffnung auf eine Flucht.