Das Ding verschwand um die nächste Ecke, während Pakhet den Gang hinabrannte.
Sie war keine Monsterjägerin. Verdammt noch mal. Sie war keine Monsterjägerin! Sie hatte es Michael immer und immer wieder gesagt. Sie war keine Monsterjägerin, verdammt!
Ja, sicher. In den U-Bahnsystemen der Großstädte siedelten sich gerne Ungeheuer an. In den U-Bahnsystemen von New York – mit all ihrer Geschichte, ihren Emotionen und ihrer Bedeutung – sowieso. Ach, so sehr, wie viele Leute an Ungeheuer hier glaubten, wurden diese wahrscheinlich auch noch von den dunklen Tunneln angezogen.
Entsprechend war die Stadt New York sehr glücklich darum, regelmäßig einmal Geld springen zu lassen, um eben diese Monster verschwinden zu lassen – meistens nach einigen Toden oder seltsamen Fällen plötzlichen Verschwindens von etwaigen Passagieren. Natürlich brauchte man Monsterjäger, aber Fakt war: Sie war keiner.
Mehr noch: Sie hasste es die Jobs in den USA zu machen. Speziell an Orten wie New York City. Orten, wo viel Militär, viel Polizei unterwegs war. Orte, an denen sie ihr Gesicht nicht zeigen wollte. Sie hasste es. Michael hatte sie sogar dazu gebracht, mit einem normalen Flieger herzukommen. Wahrscheinlich nur eine weitere Machtdemonstration.
Verdammt. Sie hasste alles an diesem Job!
Endlich hatte sie die Biegung des Tunnels, die zu den Gleisen führte, erreicht und zog ihre Waffe in einer beinahe vollkommen automatischen Bewegung. Bisher hatte sie das Biest nur einmal zu Gesicht bekommen. Nur kurz. Doch es sollte schwer sein, es zu übersehen, hatte es mit seinen drei Metern Körpergröße beinahe den kompletten Gang ausgefüllt.
Pakhet hielt die Pistole in ihrer Rechten. Ihre Hand war trotz ihrer Nervosität ruhig.
Genau das war einer der Gründe, warum sie keine Monsterjägerin war: Sie benutzte Pistolen. Verdammt noch mal, sie benutzte Pistolen! Pistolen, die wirklich toll waren, wenn man sich mit Menschen anlegte. Die meisten überlegten es sich direkt, ob sie einen weiter konfrontieren wollten. Doch Monster, ja, Monster waren nicht-selten immun gegen Kugeln oder brauchten zumindest zwei, drei Magazinstreifen in ihrem Körper, um sich daran zu stören.
Vorsichtig trat Pakhet auf den Bahnsteig hinaus. Er war verlassen – natürlich, war er doch wegen vermeintlicher Umbaumaßnahmen gesperrt. Eine Vorsichtsmaßnahme, nachdem das Ding drei Leute innerhalb von einer Nacht getötet hatte.
„Komm schon“, grummelte sie in die Leere und ihre Stimme hallte von den Wänden der leeren Station wieder. „Zeig dein hässliches Gesicht.“
Warum machte sie diesen Scheiß eigentlich allein?
Sie sah die Gleise, die auf beiden Seiten des Bahnsteigs verliefen, hinauf und hinab. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder das Vieh hatte das Weite gesucht, um sicher zu sein, oder es wartete darauf, sie aus dem Hinterhalt angreifen zu können.
Ein fernes Rattern dröhnte aus einem der Tunnel. Kühle Luft wehte durch die Station, brachte jeden unverkennbaren Geruch von „U-Bahn“ mit sich. Es musste einer der Züge sein, der eine parallellaufende Strecke entlangfuhr.
Sie zögerte. Man hatte ihr garantiert, dass auch diese Gleise gesperrt sein würden, während sie hier „arbeitete“. Zugegebener Maßen war sie nicht heiß darauf, es zu testen.
Ach, verdammt. Das Vieh konnte doch überall sein: Es konnte auch die Treppe auf der anderen Seite des Bahnsteigs hinaufgeflohen oder in einen der vielen Tunnel verschwunden sein. Je nachdem wie intelligent es war, wusste es, warum sie hier war. Vielleicht hatte es lang schon das weite gesehen und sich irgendwo anders einquartiert. Manhatten war groß. Manhatten hatte viele Stationen – und viele Menschen, die als Nahrung enden konnte.
Sie zog ihre Taschenlampe aus einer Tasche an ihrem Gürtel und legte sie in die klobige Hand ihrer Prothese, ehe sie vorsichtig auf das Gleis zu ihrer Linken sprang, vorsichtig darauf achtend, an kein metallenes Teil zu kommen. Ihre Schuhe sollten sie isolieren, doch sie wollte besser kein Risiko eingehen.
„Letzte Chance, Mr Ugly“, rief sie in die Dunkelheit des Tunnels. „Komm raus oder ich hol dich!“
Natürlich rührte sich nichts.
Sie seufzte und wagte sich in die Dunkelheit hinein, wobei sie sich mit der Taschenlampe den Weg leuchtete. Das war eine verdammt miese Idee …
Ein Schritt nach dem anderen. Bei jedem lauschte sie angespannt auf ein Geräusch. Irgendwo im Dunkeln tropfte etwas. Leises Tappern auf dem Boden, das wahrscheinlich von Mäusen und Ratten kam. Und immer einmal wieder erklang das Rauschen und Rattern eines entfernten Zuges.
Ein Schritt. Noch einen Schritt.
Verdammt, sie würde Michael dafür in den Hintern treten! Sollte er doch selber gehen.
Wahrscheinlich war das dämliche Vieh schon länger über alle Berge.
Oder auch nicht. Es war mehr ihre Intuition als irgendetwas sonst, die sie dazu brachte, sich umzudrehen. Gerade noch entging sie den beiden Händen, die nur grob an die eines Menschen erinnerte, zu umgehen, die dort aufeinander trafen, wo einen Moment vorher noch ihr Oberkörper gewesen war.
Zumindest bekam sie so ihren ersten guten Blick Blick auf das Ungeheuer: Seine Haut war gräulich und wirkte beinahe steinern, während er ein einziges gelbes Auge hatte, dass sie mit einem seltsam leeren Ausdruck ansah. Es erinnerte sie an einen Golem, doch war sie sich relativ sicher, dass es etwas andere war.
Sie sprang nach hinten und schoss auf das Ding. Vorher hatte sie zumindest einen Treffer gelandet, der das Ding zur Flucht gebracht hatte. Wahrscheinlich war es mehr der Schreck gewesen. Denn als das Ding nun seine unförmigen, ungleichlangen Arme hob, blieben die Kugeln darin einfach stecken.
Großartig!
Das Monster stürmte auf sie zu, wobei es den Mund zu einem röhrenden Schrei geöffnet hatte und dabei seine ungleichmäßigen gelben Zähne zeigte.
Pakhet ließ ihre Taschenlampe fallen – sie hatte jetzt andere Prioritäten. Stattdessen wechselte sie ihre Pistole in die Prothese und zog ihr langes Kampfmesser, das an einer Tasche ihres Waffengurtes hing. Einem weiteren Angriff entkam sie, indem sie einen Haken schlug, und sprintete weiter in Richtung der Station.
Ungestüm krachte das Vieh in die nächste Wand, da es nicht so leicht navigieren konnte. Es schüttelte den Kopf und wandte sich dann ihr zu.
Okay. Ein Versuch. Einen einzelnen Versuch. Aber die Größe des Monsters wäre ihm ein Nachteil. Es blieb nur zu hoffen, dass es so instinktgesteuert war, wie sie glaubte.
Also wartete sie, dass das Vieh auf sie zukam. Die lehmigen Arme schlugen nach ihr, doch sie duckte sich darunter hinweg. Halb in der Hocke wartete sie, dass das Wesen direkt vor ihr war, ehe sie nach vorne schnellte, an den Beinen des Ungeheuers vorbei. Mit einem Bein fing sie sich ab, drehte sich und versenkte das Messer in der Kniekehle des Monsters.
Es heulte auf und hob, beinahe wie ein Kind, das Bein an, während sein ekelig riechendes schwarzes Blut aus diesem hervorströmte.
Sie hatte keine Zeit zu verlieren. Jetzt schnappte sie das Messer, zog es heraus und sprang erneut zur Seite.
Ihr Gegner wollte sie packen, doch sie schnellte nach vorne und war wieder hinter ihm. Es war mit seinem eingeschränkten Bein nicht schnell genug, so dass sie weitere Stiche in seinen Oberkörper setzen konnte.
Das Vieh wandte sich auf wackeligen Beinen zu ihr herum und versuchte nach ihr zu schlagen. Wieder war sie ihm einen Schritt voraus. Dieses Mal sprang sie auf den Bahnsteig, so dass sie etwa auf Augenhöhe mit ihm war. Sie stach das Messer in seinen Hals und ließ es stecken, während das Monster einen gurgelnden Laut von sich gab. Derweil nutzte sie ihre freie Hand, um eine der kleine Granaten aus ihrem Waffengurt zu ziehen. Sie ließ sie auf das Gleis fallen und sprintete dann in Richtung der Treppe.
Kaum dass sie halb die Treppe hoch war, donnerte die Explosion über den Bahnsteig.
Sie atmete auf und lauschte. Das Echo der Explosion wanderte durch die Tunnel, verstummte nach einigen Sekunden jedoch schließlich. Was blieb war eine ungewöhnliche Ruhe. Da war noch ein Fernes Rattern, doch kein Heulen, kein Stampfen. Keinerlei Geräusche aus der Station selbst.
Vorsichtig ging sie zum Bahnsteig zurück, wo die Granate einen Teil der Bodenfliesen in der Nähe des Gleises rausgerissen hatten. Doch von dem Monster waren nur noch schwarze Flecken übrig, die sich hier nun langsam in Ectoplasma auflösten. Dann war es ein Geist gewesen?
Nun, es sah ganz danach aus, als würde der Bahnsteig tatsächlich renoviert werden.
Sie murrte und suchte den Bahnsteig nach ihrem Messer ab, entdeckte es aber nicht. Deswegen hatte sie keine „Lieblingsmesser“. Mit einem Kopfschütteln betrachtete sie den Schaden, den die Granate angerichtet hatte. Sie hatte auch einigen Putz von den Wenden gelöst. Nun, es war immerhin eine Marke Eigenbau gewesen.
Sollte Michael doch der Stadt erklären, warum es hier so aussah. Es war seine Schuld. Er hätte besser einen Magier schicken sollte. Jemand, der sich mit Geistern und Monstern auskannte. Sie war einfach keine Monsterjägerin. Sie wollte einfach von hier fort.