"Aber du musst doch einen Namen haben!" Verwirrt schaut Snörre, unser Quartiermeister, die Frau an, die rechts von ihm sitzt.
"Tja, vielleicht hab ich einen und hab ihn auch vergessen!" Die Frau, die der links neben mir Sitzende und ich "Alrike" getauft haben, behauptet weiterhin, ihr Gedächtnis verloren zu haben.
Es ist spät am Abend, in dieser Taverne ist nicht viel los, und auch draußen, auf dem Hof dieses merkwürdigen Schlosses, passiert nichts. Außer Snörres Flirtversuchen, die erfahrungsgemäß zum Scheitern verurteilt sind, gibt es auch nichts Interessantes zu beobachten. Die, die mit uns an einem Tisch sitzen, erzählen kaum etwas über sich.
Da bemerke ich, wie Tessje, unser erster Offizier, neugierig zu Snörres Hüfte schaut. Sie sitzt zwischen uns, leicht nach hinten versetzt, da sie ihren Stuhl nachträglich dazugestellt hat, sodass der in ein Gespräch mit Alrik vertiefte Quartiermeister ihre Blicke nicht bemerkt.
Und schon streckt sie eine Hand aus und untersucht neugierig Snörres Geldkatze.
Ich verkneife mir ein Grinsen und beobachte die Sache. Tessje ist wirklich geschickt! Ohne, dass Snörre irgendetwas bemerkt, zieht sie drei Münzen aus dem Beutel. Eine behält sie, eine reicht sie mir, und der, der links von mir sitzt und die Aktion stillschweigend amüsiert beobachtet hat, erhält auch ein Kupferstück.
Als nächstes nimmt sie Snörre einen Dolch ab. Wir unterhalten uns offen über die Waffe, doch Snörre, der gutgläubige Pirat, beachtet unsere Diskussion nicht weiter. Als wir lachen, beschwert er sich, wir würden seine Glaubwürdigkeit vor anderen in Zweifel ziehen.
Zu unserer Überraschung springt uns der zur Seite, der links von mir sitzt, und erklärt, dass wir uns über etwas völlig anderes amüsieren. Obwohl er nicht erfährt, weshalb wir kichern, lässt sich Snörre davon besänftigen und wendet sich wieder Alrike zu.
Als nächstes nimmt sich Tessje den Dolch von Snörres Gürtel. Wir diskutieren offen über die Waffe, doch Snörre ignoriert unser Gespräch gekonnt, sodass es langweilig wird und wir ihn zurückstecken.
Tessje wird übermütig und versucht, den Knoten von Snörres Kopftuch zu lösen. Das bemerkt er sofort.
"Was hast du denn vor? Lass das!", beschwert er sich, hält die Sache damit für erledigt und widmet sich wieder Alrike.
Nun bin ich an der Reihe. Ich ziehe am Heft des Langdolchs - oder ist es ein Entermesser? -, der in einer Scheide am Gürtel hängt.
"Der ist festgebunden", informiert Tessje mich mit Bedauern in der Stimme.
Doch ich will es nicht so recht glauben, denn das passt einfach nicht zu unserem Quartiermeister, lehne mich über ihren Schoß und greife mit der einen Hand die Scheide, mit der anderen nach dem Griff des Messers und ziehe.
Mit Leichtigkeit gleitet die Klinge heraus und ich verberge die Waffe lachend unter meinem Überwurf.
Tessje erleichtert Snörre um seine Handaxt, doch während wir die Vorzüge der dieser Nahkampfwaffe erörtern, dreht er sich um, sieht sie, erkennt sie und verlangt sie zurück. Da bemerkt er auch das Fehlen des Langdolchs.
"Gib mir mein Entermesser zurück!", fordert er Tessje auf, doch die hebt berechtigterweise die Hände.
"Ich hab es nicht - durchsuch mich doch!"
Vorsichtig schiebe ich die Waffe zwischen meine Unterschenkel und ziehe die Beine unter meinen Stuhl.
Snörre lässt seinen Blick über Tessje wandern, entdeckt weder den Langdolch noch ein passendes Versteck, und wendet sich leicht verärgert mir zu.
"Heb deinen Überwurf!", fordert er. Dass ich das sofort und ohne Widerspruch mache, sollte ihm eigentlich zu Denken geben, doch er ist viel zu sehr auf das Finden seines Langdolchs konzentriert, mustert meinen Gürtel und wendet sich den anderen an unserem Tisch zu.
"Gebt mein Entermesser zurück!", sagt er verärgert.
Alle lachen, und ich ziehe die Waffe hervor und gebe sie ihm wieder.
Sein Geld hat Snörre übrigens erst am nächsten Morgen vermisst.