Marina saß auf der Kante des Felsmassivs, das vor ihr steil abfiel. Eine zarte Brise umspielte sie und trug den Duft der Frühlingsblüher zu ihr, die auf der Wiese hinter ihr gediehen. Unter ihr befand sich das heute ruhige Blau des Meeres, dessen Oberfläche von der Sonne zum glitzern gebracht wurde. Dort, unter den seichten Wogen hatte Marina schon vor einer ganzen Weile einen riesigen Schatten ausmachen können, der sich nur sehr träge bewegte - ein Wal.
Vor ein paar Minuten hatte sie dann am Horizont ein Schiff erspäht, das nun schon beunruhigend nahe gekommen war. Scheinbar war sie nicht die Einzige, die sich für den friedfertige Riesen interessierte.
Marina beobachtete zunehmend besorgt, wie sich das Schiff dem Wal zielstrebig näherte und dieser in seiner üblichen Trägheit versuchte, dem herannahenden Etwas aus dem Weg zu gehen. Das arme Tier schien noch nicht begriffen zu haben, dass das Schiff nicht einfach nur passieren wollte, doch Marina hatte es längst durchschaut.
Sie krallte die Hände in die kleinen Grasbüschel, die sich am Gestein versuchten fest zu halten und beobachtete hasserfüllt, wie das Schiff den Wal mehr und mehr in die Enge trieb, sodass der immer weiter in eine Bucht schwamm. Auch wenn sie wusste, dass sie nichts für das arme Tier tun konnte, staute sich in ihr eine unbändige Rage auf.
Wie konnte man solch friedlichen Tieren nur so etwas antun? Und das alles nur des Geldes wegen!
„Marina.“ Eine Hand legte sich ihr auf die Schulter und sie zuckte zusammen, riss ihre Augen von dem grausamen Schauspiel los.
„Du solltest dir das nicht ansehen.“ Annie, ihre große Schwester hielt ihr die Hand entgegen und trotz ihres Widerwillens ließ Marina sich von ihr auf die Beine ziehen, denn in Annies Gesicht las sie die selben Gefühle, die auch in ihr tobten. Hass, Trauer und tiefsitzende Verachtung für die Besatzung des Schiffes.
„Komm.“ Annie führte sie über die Wiese mit den Frühjahrsblühern, die sacht im Wind wogen, zurück in Richtung ihres kleinen Dorfes, doch Marina konnte die Schönheit um sie herum nicht bewundern - nicht nach dem, was sie gerade gesehen hatte.