„Hi Maman.“
Lucille zog mich in ihre Arme und drückte mich fest an sich. Ich senkte meine Stirn gegen ihre Halsbeuge und unterdrückte ein Schluchzen. Ihr Duft nach Lavendel und Honig nahm mir ein Stück der Last ab und ließ mich ankommen. Es tat gut, ihre Nähe und ihre Wärme zu spüren.
„Komm erst einmal rein und trink einen Tee.“ Sie nahm mir den Mantel ab und schob mich in ihre gemütliche Wohnküche.
Es duftete nach Kräutertee mit einem Hauch beruhigendem Lavendel und auf dem Tisch stand die dampfende blaue Teekanne, aus der ich schon als Kind die verschiedensten Tees serviert bekam. Inzwischen ziehe ich dem Tee einen guten Kaffee vor, doch in diesem Moment hätte meine Mutter keine bessere Wahl treffen können.
Ich spürte, wie sich ihre warmen Hände um meine Taille legten, und ließ mich von ihr sanft, aber bestimmt auf die Eckbank drücken. Sie öffnet den Küchenschrank und holte zwei blaue Porzellantassen heraus. Gedankenverloren beobachtete ich, wie sich meine Tasse plätschernd mit dem grünlichen Tee füllte, der dort die Farbe eines blauen Sommerhimmels annahm.
Lucille zog sich den hellgelben Küchenstuhl an das Tischeck und nahm neben mir Platz. „Deine Hände sind ja ganz kalt.“ Sie begann, meine Hände zu massieren, um den Blutkreislauf wieder in Gang zu bringen.
„Das liegt am kalten Lenkrad“, versuchte ich mich herauszureden. Und ich wusste, dass es genau das war. Eine Ausrede.
Und Lucille wusste es auch. „Seit wann ist Nayla verschwunden?“
„Seit drei Tagen. Und die Polizei kann mir nicht helfen. Sie sagen, es gibt keine Spuren. Nayla hätte sich buchstäblich in Luft aufgelöst.“ Verzweifelt brach ich ab und schüttelte den Kopf. Wie oft hatte ich mir in den letzten Tagen auszumalen versucht, was Nayla passiert sein könnte. Wie ihre letzten Stunden wohl ausgesehen haben könnten. Aber ich drehte mich nur im Kreis.
„Es kann doch nicht sein, dass sie Polizei absolut gar nichts gefunden hat. Sagen sie es dir nicht?“ Lucille sah mir forschend ins Gesicht.
Doch ich konnte wieder nur den Kopf schütteln. „Nein, das glaube ich nicht. Sie haben mir allerdings erzählt, dass auf Naylas Bett eine blaue Orchidee lag.“ Nachdenklich nahm ich eine Schluck Tee. Seine Hitze zog schlagartig in jede Zelle und wärmte mich innerlich auf. „Ich weiß gar nicht, was das mit Nayla zu tun haben soll.“
„Eine blaue Orchidee?“ Lucille war aufgestanden und sah aus dem Fenster.
„Ja. Und sie ist wirklich blau. Also nicht so wie die, die man im Baumarkt kaufen kann.“ Ich schob eine Strähne hinter das Ohr und betrachtete Lucille. Ihr Rücken hatte sich versteift. „Sie war nicht blau, weil man sie mit blauem Wasser gegossen hatte, sondern sie ist blau gewachsen.“
„Hat die Polizei eine Vermutung, wo die Pflanze her ist?“ Lucilles Stimme hatte einen seltsamen Unterton bekommen. Nur ganz selten hatte ich ihn bei ihr gehört. Doch in diesem Moment wollte mir nicht einfallen, in welchem Zusammenhang das war.
„Nein. Die Polizei kann sich das gar nicht erklären, da so eine Züchtung nirgends bekannt ist.“ Meine Kehle schnürte sich zu, wie sooft in den letzten Stunden und mein Herzschlag dröhnte in meine Ohren. Meine Tochter war verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt! Tränen brannten mir in den Augen. „Maman, ich weiß nicht, was ich tun soll. Wer mir helfen kann. Ich habe einen Privatdetektiv engagiert, aber ich vermute, der kostet mich auch nur Geld und sonst kommt nichts dabei raus.“
Lucille hatte sich wieder zu mir gesetzt und nahm meine Hände. Eine Weile betrachte sie sie, dann sah sie mir ernst in die Augen. „Malin, hast du mit Tarjen darüber gesprochen?“ Der seltsame Unterton in ihrer Stimme war unüberhörbar.
„Nein, noch nicht. Ich erreiche ihn nicht.“ Fest drückte ich Lucilles Hände, bevor ich meine ihren entzog. Ich trat zum Fenster und schaut in den nassen Garten. „Manchmal denke ich, es wäre besser, wenn ich Tarjen nie begegnet wäre. Es ist nur so ein Gefühl, aber mit ihm haben die ganzen Schwierigkeiten begonnen. Seit ich ihn kenne, sind diese ganzen seltsamen Dinge passiert. Das kann doch kein Zufall sein, dass Nayla nun verschwunden ist.“ Ich blinzelte die aufsteigenden Tränen weg.